Thomas Kleinrensing

Selbstgespräch Nr. 05

Wieder bin ich tief in ein Gespräch in mir verstrickt. Dabei hatte ich erst gestern Abend den ernsthaften Vorsatz gefasst, mir selbst ganz bewusst und ohne Umwege direkt und verbindlich aus dem Wege zu gehen. Doch es will mir einfach nicht gelingen mich zu ignorieren. Ich sehe mich morgens im Spiegel und zack klebe ich mir an den Fersen, wie Hundedreck vom Gehweg. Seinem eigenen Schatten kann man nicht enteilen, sage ich mir dann immer. Umso mehr möchte ich doch zu gerne wissen, wie es der Wolf schafft aus seiner Haut zu fahren. Wie gelingt es Isegrim sogar in eine fremde Haut hineinzuschlüpfen, zum Beispiel in einen Schafspelz zu schlüpfen.

Immer kurz vor Jahresschluss empfinde ich mich in mir als Last. Würde so gerne mir aus der Haut fahren und mich in einen Schafspelz wickeln. Zudem steigt in der Zeit des Glühweingeruchs, der Räuchermännchen und Feuerwerkzünder in mir eine tiefe Unruhe auf. So wie ein krampfendes Darmrumoren nach erhöhtem Alkohol- und Gänsebraten Genuss. Fühle mich dann als stünde ich in einem vollbesetzten Aufzug und muss die Backen zusammenpressen um nicht zu entgasen, bildlich gesehen. Liegt an der Familie, sage ich mir dann immer. Denn zu dieser Jetztzeit beobachten meine Altvorderen mich noch genauer als sie es unter dem Jahr sowieso schon tun. Die haben da Oben, wie all die anderen in weiße Gardienen mit der Goldkante gekleidet, auch nichts weiter zu tun. Außer sich die Earth-Reality-Show auf SKY anzusehen.  

Schon gar nicht in dieser Zeit jetzt. Die himmlischen Heerscharen und Cherubin sind ausgeflogen, befinden sich quasi im Außendienst um den Frieden auf Erden zu verkünden. Was heuer zugegebener Maßen ein engagiertes aber naives Unterfangen darstellt. Und während das himmlische Stammpersonal zwischen alle Fronten gerät, hockt die Familienbande bei angenehmen Temperaturen und Vollpension auf einer Mehrgenerationenwolke (Cumulus familiaris). Beobachtet, gibt Kommentare ab, trinkt himmlische Destillate und raucht Myrrhe oder anderes Kraut. Ich glaube nicht, dass die Aufgenommenen ohne Aufsicht jetzt stetig Hosianna singen, auf Harfen zupfen und schalmeiern. Ist im ewigen himmlischen Lichtpalast nicht anders als hier Unten. Die haben jetzt so viel Zeit, dass denen die Zeit selbst zwischen den Fingern nicht mehr zerrinnen kann, so viel haben die jetzt davon.

Ich weiß allerdings nicht genau was die da Oben über mich reden. Opa Eberhard guckt wahrscheinlich nur, ob ich noch immer gerne Blutwurst und Malzbonbons esse. So wie ich es immer getan hatte, wenn ich neun Haltestellen vor der Schule ausstieg und auf der Gartenbank neben dem Hühnerhof seinen Geschichten lauschte. Mutter wird wohl nur darauf achten, ob der Junge immer warmes Unterzeug anhat, auch im Sommer. Langes gräuliches Feinripp mit Eingriff und der stetigen vorpubertären Angst, wie, ob und speziell wann ein Eingriff erfolgen wird.

Dass ich dem Skatspielen noch immer nichts abgewinnen kann, wird Vater auch in den himmlischen Kreisen mit einer angeborenen Konzentrationsschwäche und Farbenblindheit  des filius sowie dem Vergessen anheimfallenden Traditionsbewusstsein der jungen Generation erklären. Die Übrigen der Auf-Ewig-Gestrigen, kurz AEG, standen mir nie nah genug um Mutmaßungen über Ihre Einlassungen zu machen. Und die anderen Dahingerafften der Familie sind noch in der Warteschleife. Die müssen noch auf ihre Erlösung nach der Kewura warten, solange bis der Messias wiederkehrt. Dann erst dürfen jene auferstehen und im Himmel des ethischen Monotheismus auf eine Wolke krabbeln.

Unter dem dahineilenden Jahr ist mir die post mortem Überwachung der Familie kein Gedanke wert. Doch in dieser Zeit zwingt es mich geradezu mit mir darüber zu reden, wie alle Jahre. Danach kann ich mittlerweile die Uhr stellen, egal wohin. Erspart mir aber die Couch und das Honorar bei einem Zuhörer, beruhige ich mich dann. Ich kann meinen Ahnen wie auch mir dann nicht aus dem Wege gehen, wie einem Laternenpfahl. Obwohl auch an einem solchen kann ich jederzeit die Erfahrung machen, dass eine mit mir selbst geführte Konversation ausreichend Potential bietet, mir den Kopf anzuschlagen und die Anziehungskraft der Erde mich ganzkörperlich spüren zu lassen.

Während die da Oben sich noch ausschütten vor Lachen, tapse ich als dann zu meiner Heimstatt, lege meine geschundenen Knochen auf meine Couch und warte auf den letzten Tag im Jahr. Denn an just diesem Tag werde ich um punkt Null Uhr das neue Jahr begrüßen, zum vierzigsten Mal nicht mit dem Rauchen aufhören. Mich zukünftig weiterhin nicht nur auf das Wesentlichste beschränken und ganz im Besonderen die Eigenkonversationen weiterhin zulassen. Die ist sowas wie eine Umstimmungstherapie. Zu diesen Naturheilmethoden kann zum Beispiel auch die Indikation gehören, seinen eigenen Harnsaft nach dem Aufstehen auf nüchternen Magen zu trinken. Soll helfen, frischgezapft und handwarm. Davon war zumindest Tante Irmgard felsenfest überzeugt. Es entzieht sich allerdings meiner Kenntnis, wie die Gute jetzt darüber denkt, nachdem die aktive Dreiundfünfzigjährige an einem herrlichen Nachmittag im Juni 88 feststellen musste, von ihrem Kurzschläfchen aufgewacht, unvermittelt in einem wallenden Gewand auf einer Wolke zwischen der totgeglaubten Verwandtschaft zu sitzen. Selbstgespräche schützen als Naturheiltherapie gesehen anscheinend besser vor solchen unumkehrbaren Überraschungen, nicht nur geschmacklich sage ich mir dann.

Mir: “Stimmt das auch Alles was Du da erzählst“?
Mich: “Wieso, haste Dich gelangweilt“?
Mir: “Nein“.
Mich: “Na siehste“!

Der Tom
29.12.2014
www.tom-kleinrensing.de
 

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