Marion Metz

Rufus Raffzahn

„Finanzamt München, Schmid“, meldete sich der Finanzbeamte. „Guten Tag! Bin ich hier richtig? Mein Name ist Rufus Raffzahn und mir geht es um den Einkommensteuerbescheid. Weshalb wurden die Kinderbetreuungskosten gestrichen?!“ „Nennen Sie mir bitte erst ihre Steuernummer.“ „Ach ja … Moment … ist das die 9148 000 12345? „Ja. Danke. Einen Moment bitte, ich hole mir den Vorgang.“ Der Finanzbeamte sichtet den Vorgang und erinnert sich sofort wieder an den Grund, weshalb er die Kinderbetreuungskosten gestrichen hatte. Herr Rufus Raffzahn wohnte in München und beantragte die Fahrtkosten, die die Anreise seiner Schwiegereltern aus Berlin verursachten als Kinderbetreuungskosten. Nach dem Gerechtigkeitsempfinden des Finanzbeamten sind jedoch diese Kosten von der privaten Lebensführung (nicht nur die Betreuung der beiden Enkel, sondern auch der Besuch der eigenen Tochter) zu trennen und demnach nicht von der Steuer abzusetzen. Abgesehen davon ist es schwerlich vorstellbar, dass der Steuerpflichtige seinen Schwiegereltern ein paar Hundert Euro Benzingeld in die Hand drückt. Alles in allem doch ein sehr klarer Fall. Meint der Finanzbeamte. „Die Fahrtkosten ihrer Schwiegereltern stellen keine Kinderbetreuungskosten dar. Ihre Schwiegereltern werden nicht nur die Kinder betreuen, sondern auch ihre Frau und sie besuchen“, fing der Finanzbeamte zu erklären an. „Meine Schwiegereltern kommen vier Mal im Jahr extra aus Berlin angereist um die Kinder zu betreuen und nicht um mich oder meine Frau zu sehen!“, erwiderte Rufus Raffzahn. „Sie sind mein erster Fall, der die Fahrtkosten der Schwiegereltern als Kinderbetreuungskosten absetzt. Nach meinem Empfinden ist dieser Besuch nicht von einem überwiegend privaten Anlass abzugrenzen und demnach sind nach Paragraph zwölf des Einkommensteuergesetzes die Kosten nicht von der Steuer abzusetzen. Abgesehen davon fallen die Reisedaten immer zufällig auf die Geburtstage der Kinder und ihrer Frau, was wiederum auch darauf hinweist, dass die Anreise überwiegend privater Natur war.“ „Ihr Empfinden ist hier völlig deplatziert! Es gibt sogar ein Urteil eines Finanzgerichts, das den Abzug erlaubt. Ich kann es Ihnen faxen!“, erwiderte Rufus Raffzahn. „Ja, gerne. Faxen sie es mir. Wenn sie nichts mehr von mir hören, bekommen sie in zwei Wochen einen geänderten Bescheid, ansonsten melde ich mich bei ihnen noch einmal!“ Fünf Minuten später hielt der Finanzbeamte das Fax in der Hand. Ein Finanzgericht hatte tatsächlich einem Steuerbürger Recht gegeben und die Fahrtkosten der anreisenden Großeltern als Kinderbetreuungskosten anerkannt. Nun stellten sich dem Finanzbeamten natürlich mehrere Fragen: - Was bewegt einen Richter, solch ein Urteil zu fällen? - Möchte der Richter künftig selbst die Fahrtkosten seiner Schwiegereltern von der Steuer absetzen? - Weshalb findet der Paragraph zwölf keine Anwendung? - Wie kommt man überhaupt auf die Idee, solche Kosten in seine Steuererklärung hineinzuschreiben?! - Weshalb findet man solche Anträge immer nur bei den Besserverdienern? (Rufus Raffzahn jährlicher Bruttoarbeitslohn beträgt 350000,-€) - Aus welchem Grund sollte sich die Allgemeinheit daran beteiligen, dass Herr Rufus Raffzahn zwei Mal jährlich den Besuch der Schwiegereltern erlebt? - Betrachtet Herr Raffzahn den Besuch als eine Art Verletzung seiner Privatsphäre und fühlt sich dadurch im Recht von der Allgemeinheit eine Art Schmerzensgeld zu erhalten? - Wenn Herr Raffzahn sich im Recht fühlt, weshalb geht er nicht gleich aufs Ganze und beantragt noch Verpflegungsmehraufwendungen für die Schwiegereltern? Bekanntermaßen sind Schwiegereltern im Unterhalt eher teuer. - Was dachten sich die Schwiegereltern dabei, als sie ihm die Quittung unterschrieben? - Dachten sie, Herr Raffzahn macht seinem Namen alle Ehre oder dachten sie, ihr Schwiegersohn ist so schlau, die Allgemeinheit an ihren Benzinkosten zu beteiligen? - Ist sich Herr Raffzahn darüber bewusst, dass Steuerbürger wie er ursächlich dafür verantwortlich sind, dass das deutsche Steuerrecht nur noch ein Flickwerk aus Einzelfallregelungen und Ausnahmen ist? - Weshalb ist noch niemand auf die Idee gekommen, die Fahrtkosten zum Kindergarten geltend zu machen? Oder existiert dahingehend auch schon ein Finanzgerichts-Urteil? Grundsätzlich war der Finanzbeamte nach wie vor der Meinung, dass die Besuche der Schwiegereltern überwiegend privater Natur waren. Die Geburtstage der Kinder und der Frau deuteten darauf hin. Doch vor einem Finanzgericht wäre es eine Indizienbeweisführung mit ungewissem Ausgang. Er betrachtete die lange Liste der unerledigten Fälle und änderte den Bescheid des Herrn Rufus Raffzahn. Er erkannte die „Kinderbetreuungskosten“ vollumfänglich an. Ein uraltes Gesetz wurde einmal mehr bestätigt. Derjenige, der am lautesten schreit erhält in der Regel recht. All diejenigen, die nicht einmal auf die Idee kommen, den Besuch von Oma und Opa von der Steuer abzusetzen, haben jedoch gegenüber Rufus Raffzahn einen erheblichen Vorteil: Sie betrachten den Besuch der Familie als Bereicherung und nicht als außergewöhnliche Belastung.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.01.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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