Thomas Kleinrensing

Selbstgespräch Nr. 09

Ich muss wesentlich früher gehen. Während ich die spärlich ausgeleuchtete Siedlungsstraße entlang schlendere, bin ich in einem Gespräch verwickelt, tief in mir.
Mach dir keinen Kopf, dein Bauch hat gesprochen, beruhige ich mich. Hast doch deinen ad hoc Abgang mit einem entschuldigenden Lächeln in die Runde souverän gemeistert. Unter dem Vorwand einer wichtigen Handy Nachricht, müsse ich sofort die Welt retten. Ein erleuchteter Lotse hat mal gesagt, man solle seiner inneren Stimme folgen um sich zu befreien. Du hast die inhaltsleeren Lebensweisheiten auf deiner Seite. 

„Raus hier, bevor es wieder mit Dir durchgeht“, ermahnt mich mein Alter Ego. „Lass Opa zum Xten Mal sterben, betriebliche Bereitschaft oder Hai Alarm in der Elbe, egal - aber geh“! Wenn das passiert weiß ich, dass es kurz vor zwölf sein muss. Reagiere ich dann nicht, könnte meine Selbstbeherrschung umständehalber abgegeben werden, mit fatalen Folgen für meine Umwelt.
„Erinnere dich“, sagt mein Zweitich. „Als Du mich noch ignoriert hast, bist du auf jede Partie gerannt, hast jede Einladung angenommen. Mit der Faust in der Tasche bist Du selbst auf den ödesten und beruflich unwichtigsten Einladungen bis zum Abwinken geblieben. Du warst ein widerlicher Opportunist. Allerdings immer häufiger unter Inkaufnahme zynisch auf- oder des Alkohols überfüllt umzufallen, manchmal beides gleichzeitig. Du hast das an einem Abend sogar mehrfach hintereinander geschafft. Bei dieser Edelclique der crystalienen und lacosten Immobilien, Finanz- und Anlageberater. Aber daran möchtest Du ganz sicher nicht erinnert werden“, mahnt mein Alter Ego.

„Sieh der Tatsache ins Gesicht, dass aus Schutz deiner Selbst vor Schadensersatzleistungen, vor Verleumdungsklagen und aus Fürsorge deinen Mitmenschen gegenüber, dieser Weg vor die Tür der einzig richtige ist“, erklärt mein zweites Ich. „Hast Du nicht gemerkt wie der männliche Gastgeberteil, dieser Olaf, auf dich herunter geschaut hat? Du vor ihm auf der Ikea Fußmatte kauernd Du dir die Schuhe anzogst und er blubberte, dass es Schade sei, wo es doch grad so schön, gemütlich und interessant würde. Aber das die Bereitschaft wegen des Haisichtung  wichtiger sei und er hofft, dass Dein Opa nicht schwer verletzt sei oder so ähnlich. Zu dem wünschen er und seine Heidi sich, dass es Dir gut gehen solle und Du gerne zur nächsten Gelegenheit wieder eingeladen bist. Den ersten Wunsch hast Du dir erfüllt, du bist Draußen. Den zweiten solltest Du als Drohung werten“. 

„Ich lass nochmal den massiven Eingriff in die mentale Infrastruktur vor Deinem geistigen Auge ablaufen. Du saßt zwischen dem Ich bin zwei Öltank Ingenieur Mark und diesem grienenden mittelalterlichen Priesterseminaristen Ulli, der sich sehr engagiert in die Gespräche über Kinder einbrachte, dabei mit den Handrücken sich stetig Schweiß von der Stirn wischte und an deiner Hose abstreifte. Daneben schmatze Olaf. Gegenüber eine hauptberufliche Chantalle, stolze Inhaberin mehrerer Nagelstudios, was immer damit gemeint sein mag, und eines Tills, einem mummelnden Schweiger. Rechts davon die psychologische Betreuerin Simone mit ihrem Probanden Peter. Am linken Tischkopf Karin, Marks Vier-Kinder-Überfrau und an der gegenüber liegenden Stirnsite Olafs Häschen, die Heidi. Im Übrigen hatte die Flutlicht ausgeleuchtete moderne Wohnzimmer Großraumküchenhalle aus Edelstahl- und Kunststoff mit den  unbequemen Sitz- und den an Tupper War gemahnenden Wohnmöbeln des teuren Minimalismus, den Charme der Pathologieabteilung einer Unfallklinik“, so meine innere Stimme.

Es ergreift mich zu dem tiefes Mitleid beim Gedanken an die Muscheln und den verkochten Nudelklumpen. Weder die Langweizenware noch die Schalentiere haben das verdient, denke ich. Heidis Spagetti a la cozze (Spagetti mit Miesmuscheln) erfüllen jegliche Kriterien, die einem beim Namen cozze im Deutschen einfallen können und machen auch dem ersten Wortteil der Miesmuschel alle Ehre. Worauf auch die stechenden Krämpfe in meinem Unterleib hindeuten. Vielleicht färbt die berufliche Tätigkeit des Heimherdhäschens doch mehr ins Private ab als erwartet und gesund ist. Heidi arbeitet als Sachbearbeiterin für Haus- und Sondermüll bei einem großen Umweltservice.

Das vom Diplomchemiker Olaf dargereichte raumtemperierte tschechische Schwarzbier Kozel, lässt zwar auch Assoziationen zu, ist aber geschmacklich dem Rotwein aus dem fünf Liter Dispenser weit überlegen. Was man vom energetisierten naturtrüben Wasser aus dem eigenen Brunnen hinterm Haus leider nicht behaupten kann. Der Geruch nach faulen Eiern und die Eintrübungen seien vollkommen ungefährlich, gibt Olaf mit einem lustigen Ausschlag umrahmten Grinsen in die Runde. Zur Unterstützung hat er den Ordner mit den von ihm selbst durchgeführten chemischen Analysen immer griffbereit.

An den anderen Fertigbau Ökowürfeln der Marke Atombunker mit Glaseinschlüssen für Familienverwahrung in Richtung Innenstadt laufend, muss ich meinem zweiten Ich in allen Punkten beipflichten. Auch wenn ich leise denke, dass manchmal etwas mehr Langmut und Kompromissbereitschaft ihm gut zu Gesicht stehen würde. Doch zu widersprechen ist zwecklos, beim letzten Mal hatte ich fünf Tage Verdauungsprobleme und rasende Kopfschmerzen.

Weißt Du, eigentlich bist Du ein richtig überhebliches und ignorantes Weichei“, beginnt mein Inneres überraschend die Unterhaltung von neuem. „Eine Stunde wäre doch noch mindestens drin gewesen. Aber nein, der Herr muss bei Nieselwetter ziellos in den angebrochenen Frühabend flüchten. Weder das Bier noch der Wein stellten eine Gefahr für eine unkontrollierte physische und psychische Entgleisung da. Ich habe Dir nur eine Empfehlung gegeben. Ich hätte Dich innerlich mental gestärkt, verbale Ausrutscher und aufkeimenden Zynismus unterbunden und Deine Verdauung beruhigt. Nein Tom. Du hast bewusst in Kauf genommen, dass Du denen unter einem fadenscheinigen Vorwand selbstgefällig vor den Kopf gestoßen hast“! Ich bin fassungslos, aber nicht überrascht. Das kenne ich und weiß, das Reden jetzt sinnlos ist.
In einer Fastfood Werkstadt stelle ich mich trotz des heftigen Protestes meines Alter Ego in die Warteschlange. Praktiziere Burgernähe in Form von Hintern an Bauch. Zwei Big Mac Menü, zuzüglich drei Watteteiglinge mit Dichtungskäsemasse, vierfach Mayonnaise und ausreichend Dessert ersticken meine Bauchstimme umgehend. Ruhe.

Nur mit selbstverachtenden und fast suizidalen Aktionen kann ich dann meinem Alter Ego begegnen, quasi als Notbremse. Natürlich hätte ich bei Olaf und Heidi auch eine zweite und dritte Portion essen können und mit dem Wasser die Masse und Gespräche runterspülen können. Ich hänge aber zu sehr an meinem Leben. Lieber einen Abend ohne Mahnungen und Zwischenrufe aus meinem Inneren auf der heimischen Toilette verbracht, als mit mir gar nicht mehr sprechen zu können.
 
Der Tom
09.02.2015
www.tom-kleinrensing.de

 

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