Andreas Rüdig

Eitelkeit

Die Eitelkeit ist die übertriebene Sorge um die eigene körperliche Schönheit und die eigene geistige Vollkommenheit. Der eigene Körper, das eigene Aussehen und die eigene Attraktivität stehen dabei im Vordergrund. Es kann auch um die Wohlgeformtheit des eigenen Charakters gehen. Die Grenzen zwischen natürlichem Verhalten und Eitelkeit sind dabei fließend. Insbesondere in der katholischen Theologie gehört die Eitelkeit zu den Sünden.

 

So habe ich es in einer Internetenzyklopädie gelesen.

 

Er ist schon ganz schön ungerecht, mein Herr Klassenlehrer. Er unterrichtet uns in Deutsch und Geschichte. Im Deutschunterricht reden wir gerade über ein Stück, das „San Marino“, „Liechtenstein“, „Monaco“ oder so ähnlich heißt. Irgend so ein komischer österreichischer Schriftsteller hat ein noch komischeres Zwergvolk im Ural beschrieben. Total langweilig, das Stück. Aber unser Herr Lehrer wollte ja unbedingt darüber im Unterricht reden. Ich hin natürlich prompt geistig eingeschlafen. Transusig, wie ich nun mal bin, habe ich dann meinen Taschenspiegel aus meinem Rucksack herausgezogen und begonnen, zu kontrollieren, ob mein Äußeres noch perfekt ist. Sitzt mein Haar? Bin ich ordentlich rasiert? Ist auch wirklich nichts zwischen meinen Zähnen? All´ dies ist wichtig für mich. Ich will doch den Mädchen gefallen, wenn ich zur Schule komme. Ich will der schönste Junge der Schule sein.

 

Ich hätte ja viel lieber über andere Themen geschrieben, über die Liebe im Allgemeinen, über die Liebe von und zu schönen Frauen und wie schwierig es ist, ihr Herz zu erobern. Der schwierigste Akt kommt gleich zu Beginn. Man muß sich von seinem eigenen Antlitz losreißen, sich eingestehen, daß es auch noch einen anderen schönen Menschen auf Gottes weiter Erde gibt und sich eingestehen, daß er einem selbst ebenbürtig und gleichwertig ist.

 

Vor der Eitelkeit

ist nichts gefeit.

Am Morgen und am Abend

macht sie uns trabend

wir brauchen Lippenstift und Spiegel

manchmal auch Rougetiegel.

Ich will schön sein, geil,

erst dann ist meine Seele heil.

 

 

Das kannst du aber besser, mein Sohn. Das wirst du also noch einmal machen, mein Sohn. Aber nicht in Gedichtform. Nein, du wirst es viel besser machen. Du wirst ein kleines Musical schreiben. Sein Thema: die Eitelkeit; du wirst darin schildern, wie viel Herzblut du vergißt, wenn es um dich und deinen Körper geht.

 

Ha! Die Herausforderung nehme ich doch gerne an!

 

Ode an mich

 

(die Kulissen zeigen ein Klassenzimmer aus dem 19. Jahrhundert, also Holztische, Holzbänke, ein Lehrerpult, Schiefertafel, ein Konterfei des Kaisers)

 

(es spricht eine tiefe Grabesstimme im Hintergrund)

 

Zacharias ist traurig

 

(Frauenstimme im Hintergrund)

traurig, so traurig

 

Schuld daran sind die Mädchen

 

die Mädchen, die bösen Mädchen

 

sie weisen ihn zurück

 

oh, welche Unglück

 

doch was soll er tun?

 

Was tun? Was tun?

 

(ein etwa jähriger Jüngling, in damaligen Schülertagen bekanntlich ein Anachronismus, betritt das Klassenzimmer, setzt sich auf eine der Bänke, blickt sich zur um und schaut dann traurig aus der Wäsche)

 

die Liebe ist ein eitel Ding

als daß sie mich in die Knie zwing

ich bin so hübsch, ich bin so toll

doch nimmt mich kein Mädchen mehr für voll

denn wenn ich in der Werkstatt mit dem Hammer schwing

ich nur noch dreiste Lieder für sie sing

 

(kurze rockige Einlage)

 

ich lieb´ dich

ja ja ja

ich lieb dich sehr

ja ja ja

das ist wie Eifelglühn´

 

(wieder in Rezitationsform)

 

Daß dann auch der Daumen leidet

es sich nicht oft vermeidet

 

(ein junges, hübsches Mädchen betritt die Bühne, beide singen, er in Sprechgesang, sie schrill und lebendig)

 

(sie) Hey, Zacharias, was sitzt du hier?

Komm heraus zu mir!

 

(er) Ich bin geboren, um einsam zu sein.

 

(sie) Hey, hey, hey,

Zacharias Bey

Ich bin so allein

willst du nicht bei mir sein?

 

(er) Mein Herz ist zerbrochen

 

(sie) ich habe es gesehen

hier hast du was Leim (sie gibt ihm eine Kette mit einem Kreuz als Anhänger)

und wenn du kommst heim

dann reparierst du das Herz (sie küßt das Herz)

das befreit dich von allem Schmerz

 

(ihr Gesicht strahlt) (er nimmt den Anhänger, guckt aber immer noch traurig und skeptisch) (sie geht ab, Marie-Luise betritt schüchtern die Bühne)

 

(sie) Hallo.

 

(er reagiert nicht sie noch einmal schüchtern)

 

(sie) Hallo Zacharias.

 

(er) Hallo, Oh, hallo Marie-Luise, du bis es. Was gibt`s?

 

(sie) Ich habe dich gerade mit Dorothea zusammen gesehen.

 

(er) Ja, und?

 

(sie) Liebst du sie?

 

(er) Ja, warum.

 

(sie) Du zeigst es ihr nicht.

 

(er) Ach ein? Aber warum auch? Sie beachtet mich ja doch nicht.

 

(sie) Komm mit zu mir, ich helfe dir.

 

(Szenewechsel) (ein typisches Mädchenzimmer in hellrosa mit viel Plüsch und Teddybären)

 

(sie) So, Zacharias, mein Herzblatt, ich zeige dir jetzt, wie man sich schön macht.

 

(im Hintergrund läuft Volksmusik der schmalzigsten Art. Marie-Luise greift zu Puder, Quasten, Lippenstiften, Nagelfeilen und anderen Accessoires, um sich schön zu machen Zacharias gerät dabei immer mehr ins Staunen seine Augen werden größer und größer als sie fertig ist, steht er hächelnd vor ihr)

 

(sie) So, Zacharias. Ich bin fertig. Wie gefalle ich dir? (er steht sabbernd vor ihr) (sie) So, jetzt bist du an der Reihe.

 

(bei ihm kommt viel Pomade zum Einsatz der Stilbruch dabei: die Elvis-Tolle Zacharias ist am Ende nicht mehr wiederzuerkennen)

(sie) Meine Güte. Mir ist ganz heiß in meinem Busen.

(sie setzt sich auf eine Couch und fächert sich Luft zu)

 

(Szenewechsel, wieder in dem historischen Klassenzimmer)

 

(Zacharias, dieses mal sehr forsch und selbstbewußt auftretend) Dorothea, oh Dorothea

Zeig mir deine Hosea (weiter kommt er nicht – beide liegen sich freudestrahlend und sich küssend in den Armen. Der Vorhang fällt, das Publikum applaudiert stürmisch und auch umgekehrt)

 

Ja, ja, ich weiß, was mein Lehrer jetzt sagen wird: „Und was ist mit Marie-Luise? Warum kommt sie hier nicht mehr vor?“ Daher ist mein Stück mit dem Schlußapplaus noch nicht zu Ende. Mitten in den Applaus hinein wird sie noch einmal vor das Publikum treten und ein letztes Mal ein Gedicht deklamieren.

 

(Marie-Luise vor dem Vorhang im Scheinwerferlicht)

 

Sehe ich `nen Schönling

ist das nicht mein Ding.

Ich kannte mal `nen Mann, `nen tollen

und wollte schöpfen aus dem Vollen

ich war eitel, gab mir Mühe

nutzte jede Schönheitsbrühe

doch dann kam `ne Frau, die war viel besser

sie war der Typ von Männeresser,

die erobern jeden Mann ganz schnell

ihr Stern strahlt einfach viel zu hell

da werd´ ich klein und kleiner

es kommt und sagt mir keiner:

Marie-Luise, auch du bist gut

dann fehlt mir schlicht der Mut

denk ich an Männer, wird mir bang und bänger

ich will nicht mehr leben lang und länger

Vorsicht, da vorne, ihr Erste-Reihe-Sitzer

Jetzt kommen gleich meine Blutesspritzer.

 

(Marie-Luise zieht ein Schwert hervor und fällt damit von der Bühne. Unten bleibt sie in ihrem Blute und mit einem Schwert in den Weichteilen liegen. Pflichtgemäß springt das Publikum entsetzt auf; einige Damen kreischen. „Man hole einen Arzt! Es hole doch jemand einen Arzt!“ ruft ein Mann im Publikum. Es kommt tatsächlich ein Arzt und untersucht Marie-Luise kurz. Dann richtet er sich auf und spricht das Publikum direkt an: „Meine Damen und Herren, ich bin entgeistert! Marie-Luise hat sich gerade vor Ihren Augen entleibt. Aus lauter Verzweiflung und Liebeskummer hat sie ein Leben im Himmel dem irdischen Leben vorgezogen.Warum hat denn niemand etwas gegen diesen eitlen Gockel unternommen. Nun gut – wenn Sie zu feige sind, dann mach ich das eben.“ Er zieht zwei Duellpistolen aus der Tasche und stürmt damit hinter die Bühne. Von dort sind Schüsse zu hören. Seitdem hat je wieder von Zacharias noch dem Arzt gehört.)

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.02.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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