Ralf Glüsing

Stroh machen

„Stroh machen“ - über diesen Ausdruck hat sich schon mancher amüsiert. Was, ihr habt Stroh gemacht? Du meinst wohl ihr habt es geerntet?“ hört man dann. Dem Nichtlandwirt sei gesagt, dass man Stroh tatsächlich macht. Geerntet werden die Getreidehalme, was der Mähdrescher dann wieder auf das Feld ausspuckt ist dann zwar schon Stroh, es ist aber noch längst nicht gemacht. Und um eben diesen Vorgang geht es hier.

Die folgende Geschichte ereignete sich vor etwa zwanzig Jahren. Vor einigen Monaten hatte ich ein Praktikum auf einem Bauernhof gemacht und auch jetzt nutzte ich gern noch jede Gelegenheit, mit gelegentlichen Arbeiten dort, meine ewig klamme Kasse aufzubessern. Eines schönen Sommertages kam Bauer Henning auf den Hof gefahren. „Hast Du morgen Zeit? Ich will Stroh machen!“ war seine Frage. „Klar, wann soll ich da sein?“ entgegnete ich. „Nicht zu früh, so gegen acht!“ Damit war alles besprochen. Am nächsten Morgen erschien ich dann pünktlich auf Hennings Hof. Noch ein weiterer Helfer stellte sich ein. Ein etwas untersetzter, aber sehr kräftig erscheinender Mann von vielleicht Mitte – Ende Dreißig. Wir fuhren mit Traktor und Hänger aufs Feld. Hier stand schon die Ballenpresse und dahinter war ein weiterer Hänger angekoppelt. Wir hängten den mitgebrachten Hänger ab und der Traktor wurde vor die Presse gespannt. Nun ging es los. Henning fuhr den Traktor. Mein Mit- Helfer hatte die Aufgabe, die Ballen von der Presse abzunehmen und sie mir zuzuwerfen. Meine Aufgabe war es die Ballen nach einem ganz bestimmten Schema auf dem Hänger zu stapeln. Dies war sehr wichtig, denn es sollte natürlich möglichst viel Stroh geladen werden, andererseits durfte die Ladung nicht instabil werden oder gar Übergewicht zu einer Seite haben. Dann konnte der Hänger umkippen. Dies war Hennings größte Sorge: „Pack das bloß so, dass es nicht umkippt, sonst lacht mich das ganze Dorf aus!“

Henning fuhr im zweiten Ackergang und wir hinten auf dem Hänger hatten alle Hände voll zu tun.

War es doch schon nicht unproblematisch sich auf dem wackelnden Hänger auf einem holprigen Acker überhaupt auf den Beinen zu halten. Nach dem wir schließlich zwei Hänger mit Stroh beladen hatten, ging es ins Dorf zurück. Henning wollte am Nachmittag noch einmal zwei Hänger Stroh machen, also mussten die beiden Hänger abgeladen werden. Dies war eine Arbeit, die einem zwar weniger Anstrengung abverlangte, wenn man unten auf dem Hof stand und ablud, bzw. die Ballen auf das Förderband warf. Das Förderband beförderte die Ballen dann auf den Dachboden der Scheune. Und hier stand ich und stapelte sie unter dem Dach auf. Der Schweiß lief mir in Bächen von der Stirn, denn hier oben herrschten an diesem warmen Sommertage Temperaturen jenseits der Dreißig Grad.

Wir hatten noch nicht den ersten Hänger leer, als unser Mit- Helfer erschöpft seine Forke zur Seite stellte und verkündete, dass er am Ende seiner Kräfte wäre. Da half auch kein gut Zureden von Henning, der mir recht kräftig erscheinende Mann war tatsächlich fix und fertig. Er ging nach Haus.

„Das hätte ich nicht gedacht, dass der so schnell schlapp macht!“ sagte Henning. „Was meinst Du, ich fahre etwas langsamer und Du nimmst ab und stapelst?“ fragte er. „Wir können es ja versuchen!“ entgegnete ich. Da hatte ich mich auf was eingelassen. Ich war am „Rennen“ und trotzdem musste Henning ein paarmal anhalten, weil ich mit dem Stapeln nicht nachkam.

Nach einem Hänger war ich am Ende meiner Kräfte. „Keine Chance Henning, noch einen schaffe ich nicht alleine!“ sagte ich. „Und wenn Du den Trecker fährst und ich nehme ab und staple?“ kam es nach einer Weile aus ihm heraus. „In Ordnung,“ sagte ich. „Zeig mir worauf ich achten muss!“

Dies geschah und ich setzte das Gefährt in Bewegung. Im zweiten Ackergang, so wie Henning es mir gesagt hatte. Henning war ein großer, sehr kräftiger Kerl, aber auch er hatte seine Mühe damit, die Ballen zu stapeln. Wir hatten vielleicht eine Ballenlage auf dem Hänger, als Henning plötzlich lauthals rief: „Halt, halt an!“ „Was ist denn los Henning, funktioniert irgendwas nicht?“ fragte ich verwundert. „Nein, alles in Ordnung, aber fahr bitte im ersten Ackergang weiter, der zweite ist einfach zu schnell!“ „Verfluchter Kape!“ dachte ich so bei mir. „Ich soll mich im zweiten Gang abhetzen und er selber bricht schon nach einer Lage zusammen.“

Dies war der letzte Hänger, den wir machten und das Abladen verschob Henning dann auf den nächsten Tag. „Ich bin fix und fertig, das hat Zeit bis morgen!“ sagte er. Mit einem Grinsen setzte ich mich auf mein Fahrrad und fuhr nach Hause.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Ralf Glüsing).
Der Beitrag wurde von Ralf Glüsing auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.02.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

Bild von Ralf Glüsing

  Ralf Glüsing als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Prügelstrafe, Kindererziehung - Erlebnisse - Gedichte und Kurzgeschichten von Ernst Dr. Woll



Erlebnisse über körperliche Züchtigung von Kindern in Elternhaus und Schule werden dargestellt. Damit in Verbindung gebracht werden einige Erziehungsmethoden.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (4)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Erinnerungen" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Ralf Glüsing

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Männer, Frauen und Schuhe von Ralf Glüsing (Humor)
Schatten an der Wand von Mirjam Horat (Erinnerungen)
RC1. Zerstörer der Erde. Fortsetzung der Trilogie von Werner Gschwandtner (Science-Fiction)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen