Thomas Kleinrensing

Selbstgespräch Nr. 10

Neue Schuhe sind auch mir nicht fremd. Hin und wieder steh ich sogar drauf und drin. Ich habe allerdings bitter erfahren müssen, besser gesagt erlaufen müssen, dass solides Schuhwerk nicht immer gleichzusetzen mit sofortigem Laufkomfort und frei von unangenehmen Nebenwirkungen ist. Langlebige Fußummantelungen können bisweilen schmerzhafte und verborgene Einblicke bis in die Zehenspitzen eröffnen, zum Beispiel durch ein Hühnerauge oder auch zwei.

Beim Schuhkauf wird mir jedes Mal bewusst, dass die trendige Fashion in einem rasanten  Tempo an mir vorbei zieht und eine traditionelle Ausrichtung auch im Fußbereich manchmal zu Komplikationen führt. Wenn zwei Drittel aller männlichen Artgenossen, gleich welchen Alters, in den Straßen, Theatern und Restaurants, Turnschuh beschlagen herumflitzen, manche sogar in Fitnessstudios, kann ich mit meinen Tretern nicht mehr mithalten. Schon allein das ich Turnschuh gedacht habe, zeigt meine Langsamkeit im Abrollverhalten und Geiste. Was für ein antiquierter Begriff aus Unterzeug Feinripptagen, denke ich erschaudernd. Das sind Sneaker, Laufperformer, Lightcrosser, zumindest aber Sportschuhe. Mir wird klar, dass man nur mit diesen Hightech Sohlen heute noch Schritt halten kann. Massive Lederschuhe mit genagelten Absätzen aus echtem Holz und Ledersohlen im Brogue, Budapester oder Oxford Stil, sind Kriechspursohlen und tonnenschwere Klötze am Bein.

Soweit die Füße tragen, drängt sich mir aber doch eine Frage auf. Was  ist schlimmer? Der Hightech Renner zu jeder Tages- und Nachtzeit, zu jeder Gelegenheit und Kleidung inklusive Schweißfüßen oder das ganz private Hühnerauge infolge eines brettharten knarrenden Massivlederfußboliden. Fest steht zumindest, dass der Sportlerfuß auf das soziale Umfeld eine wesentlich konkretere Auswirkung hat als gemeine Gockelaugen an den Zehen. Die Namen der Supertreter wie Air, Eskape, Gel-Pulse oder Ultra-Kilowatt können nur in einem direkten Zusammenhang mit der nach der Öffnung des Kunstfaserchassis explosionshaft austretenden Geruchswolke und der immensen Geschwindigkeit stehen, mit welcher sich Freund und Feind aus geschlossenen Räumen bewegen. Sobald der super schnelle Kunststofftreter mit schmatzendem Geräusch gewaltsam vom Fuß getrennt wird, ist man einsam. Dieser Effekt kann eine weitere Erklärung dafür sein, warum die Kommunikation heutzutage oftmals nur noch über das Smartphone läuft. Neben der Logophobie (Angst vor dem Sprechen) kann die Halitophobie (Angst vor Geruch) als Ursache angesehen werden. 

Noch vor mich hin sinnierend, stehen mein rechter und linker Neuzugang rahmengenäht vor mir, während mich zwei rotgeränderte Clavi (Hühneraugen) anstarren. Besonders das Rechte hat anscheinend Spaß daran gefunden, mit seinem Sporn tief unten auf der Knochenhaut meines mittleren Zehs einen groovigen Takt zu schlagen. Ich halte Augenkontakt. Darin war ich schon als Kind sehr gut, ich habe nie als erster geblinzelt, fällt mir ein. Aber diese beiden sind mir ebenbürtig. Doch ich habe eine Geheimwaffe. Mir ist bekannt, dass die Mitgliedstaaten der UN 1997 das Verbot des Einsatzes chemischer Kampfstoffe beschlossen haben. Aber besondere Herausforderungen bedürfen besonderer Maßnahmen. Aufgrund eines Insidertipps von einem Bekannten eines Freundes, der wiederum jemanden kennt den ich besser nicht kennen sollte und wollte, wurde mir nach einem kurzen Telefonat alles Notwendige beschafft.  Ich erhielt gegen Vorkasse auf ein anonymes Konto innerhalb von 24 Stunden, einen Scholl Stift mit dem aggressiven Kampfstoff Salizylsäure gegen subversive Hühneraugen und andere Terrorschwielen. Zu einem vertretbaren Aufpreis habe ich noch harmlos aussehende Pflaster mit tödlichem chemischen Inhalt, getarnt als Panthenol, aus Restbeständen der NVA dazu bekommen. Wie versprochen finde ich das Päckchen im meinem toten Briefkasten.

Das nervöse Stakkato Blinzeln der zwei Clavi angesichts der Schollschen Chemiebombe werde ich wohl nie vergessen. Wie Django platziere ich mit dem innovativen Präzisionsapplikator beiden eine Säureladung in die vor Angst jetzt weitaufgerissenen Pupillen. Als der Schmerz nachlässt, bringe ich noch jeweils zwei dieser Pflaster auf jedes der Hühneraugen auf. Sicher ist sicher, denke ich. Nach kurzer Zeit stellt das rechte Hühnerauge tatsächlich das Trommeln auf meinem Zehenknochen ein. Ich fühle mich erleichtert, auch wenn ich darüber nachgrübele, ob ich jetzt gegen meine Überzeugung der Gewaltlosigkeit und Gesetze verstoßen habe. Mir fällt der Roman Schuld von Ferdinand von Schirach ein, der jetzt als Serie im Fernsehen läuft. Nein, sage ich mir, Bleibtreu und ganz unbesorgt, es war Notwehr.
Während meine Vollleder Fußklötze Dehnübungen machen, muss ich noch erwähnen, dass das Tragen von Nice Cloudrunnern nicht nur den Heilungserfolg im Zehenbereich drastisch beschleunigt, sondern auch meine Tippgeschwindigkeit beim simmen. Natürlich weiß auch ich wie bescheuert die Wolkenrenner in Türkis mit gelben Schnürsenkeln und orangenen Gumminoppensohlen zu einem grauen Anzug aussehen. Durch geschickte PR kann man aber „sieht beschissen aus“  in  „voll krasser Kult“ wandeln, denke ich. 

Tom
24. Februar 2015
www.tom-kleinrensing.de  
 

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