Joachim Wickel

Platzangst

Uwe hatte gern Besuch von außerhalb. Das brachte Abwechslung, neue Einrücke und besondere Unternehmungen. Gespräche wurden oft freier geführt und kamen schneller zum Kern, vielleicht weil die Zeit begrenzt war und die Aussicht auf die schon bald wieder anstehende Trennung die Beteiligten mutiger machte.
Am letzten Wochenende war einer seiner besten Freunde bei ihm gewesen, den er nur selten sah, mit dem er sich jedoch immer wieder ausnehmend gut verstand. Sie hatten viel unternommen, waren auf dem Flohmarkt gewesen, hatten einen langen Spaziergang im Wald gemacht, viel geredet und gut gegessen. Für den Samstag hatten sie dann abends einen Kinobesuch geplant, wobei Uwe bei dem Gedanken daran ein wenig beklommen zumute war, weil enge, voll besetzte Räume ihm eher zuwider waren. Er hatte den Freund jedoch nicht enttäuschen wollen und sich eingeredet, dass er die lächerlichen zwei Stunden nun wirklich überstehen könnte.
Nach dem Abendessen machten sie sich auf zu einem kleinen Kino nicht weit entfernt von Uwes Wohnung. Am Eingang hatte sich bereits eine lange Schlange gebildet, eine der Kassen war defekt und der Verkäufer an der anderen völlig überfordert, zumal die meisten Besucher zusätzlich zu den Karten Getränke, Süßigkeiten oder Popcorn bestellten. Als sie sich schließlich mit ihren Eintrittskarten den Weg durch die Menschenmassen bahnten, die ebenfalls zu den verschiedenen Räumen strömten, war Uwe bereits die Freude auf den bevorstehenden Abend weitgehend vergangen. Der Raum, in dem ihr Film laufen sollte, war klein und vollkommen überheizt. Er war schon zur Hälfte besetzt und zu allem Überfluss stellte sich heraus, dass ihre Plätze sich am Ende der Reihe an der Wand befanden. Sie waren nur von einer Seite zu erreichen, unter der Voraussetzung, dass alle vor ihnen aufstehen mussten. Uwe fühlte ein Kribbeln im Magen, das sich bis in die Arme und Beine fortsetzte, als er sich auf seinem Platz niederließ. Aufgrund der unerträglichen Hitze hatten die meisten Besucher ihre Mäntel, Jacken und Pullover ausgezogen und auf ihrem Schoß deponiert, sodass sie nun wie unförmige Haufen eng nebeneinander saßen, in den Händen mühsam Flaschen oder Popcornschachteln balancierend. Uwe spürte, wie ihm der Schweiß in feinen Rinnsalen den Rücken hinunter lief. Mit Mühe wehrte er eine anbrandende Panikwelle ab. Er würde hier nie und nimmer heraus kommen.eingekeilt wie er war. Inzwischen hatte sich das Kino bis auf den letzten Platz gefüllt, das Licht erlosch und die ersten Werbespots wurden gezeigt. Uwe drehte sich der Magen um.: " wenn er es nun nicht mehr aushielt oder, um Gotteswillen, auf die Toilette musste." Das war ihm im Kino zwar noch nie passiert, " aber wenn nun," dachte er. Der Schreck traf ihn wie ein Schlag. Das halbe Kino würde aufstehen müssen. Alle würden ihn beschimpfen, anpöbeln, beleidigen. Ihm war elend zumute. Wäre er nur nicht auf den Vorschlag eines Kinobesuchs am heutigen Abend eingegangen und dann musste es auch noch hier sein in dieser Enge mit einer offenbar beinahe platzenden Heizung. Der Hauptfilm begann. Uwe versuchte, die Zeit auf seiner Uhr zu erkennen. Kaum eine halbe Stunde war vergangen. Er schloss einen Augenblick die Augen und vereinbarte mit sich, noch eine Viertelstunde zu bleiben und sich in dieser Zeit auf den Film zu konzentrieren. Es ging um eine deutsch-israelische Beziehung mit allen erdenkbaren Problemen und Konflikten, z.T. witzig, z.T. sarkastisch, aber nie zur Klamotte ausartend. Immerhin schaffte er es, dem Film zu folgen und damit seine qualvolle Lage zeitweilig auszublenden. Gleichzeitig konnte er so die immer wieder einsetzende Panik einigermaßen in Schach halten. Als er erneut auf die Uhr sah, war bereits eine weitere halbe Stunde verstrichen und er verabredete mit sich selbst noch einmal fünfzehn Minuten. Auf diese Weise überstand er den gesamten Film trotz der widrigen, z.T. unerträglichen Umstände. Er atmete auf, als sich der Vorhang schloss und das Licht anging. Niemals zuvor hatte er die kalte, winterliche Nachtluft mehr herbei gesehnt, als an diesem verunglückten Abend im Kino.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.02.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Da ich der Meinung bin, dass die Kinder heute viel zu wenig lesen ( sehe ich bei meinen 11 und 13 ), habe ich mir Gedanken gemacht, was man machen könnte um dieses zu ändern.

Es ist nämlich nicht so, dass die Kinder lesen grundsätzlich "doof" finden, sondern, dass die bisherigen Bücher ihnen zu langweilig sind. Es ist ihnen in der Regel zu wenig Abwechslung und Aktion drin und ihnen fehlt heute leider die Ausdauer für einen reinen "trockenen" Lesestoff.

Daher habe ich mir überlegt, wie ein Buch aussehen könnte, das gleichzeitig unterhält, spannend ist, Wissen vermittelt und mit dem die Kinder sich beschäftigen können.

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