Richard Lenz

Ein netter Versuch

Ich war eigentlich schon in jemand anderes verliebt, als ich sie das Erste mal sah. Dachte ich zumindest. Aber das war offensichtlich nur Einbildung gewesen. Oder Wunschdenken. Wie sonst hätte mich ein bloßer Anblick – noch dazu aus der Ferne – so packen können. Ich verstand gar nichts. Ich wusste nicht im Geringsten, was mit mir geschah, aber ich wusste, dass ich mich gerade richtig verliebt hatte. In echt. Woran es lag war mir schleierhaft. Ich sah sie ja nur durch die Schaufensterscheibe. Durch IHRE Schaufensterscheibe. Sie stand vor einem Kleiderständer und sortierte Kleider. Oder Röcke. Vielleicht auch Pullover. Was man eben so sortiert und aufhängt, wenn man in einer Boutique arbeitet. Wieso war sie mir noch nie aufgefallen? Ich gehe doch öfters hier vorbei, auf dem Weg zur U-Bahn oder zurück. Hatte ich noch nie einen Blick in diesen Laden geworfen? Oder war sie nur neu? Ich versuchte mich zu erinnern. Viel fiel mir nicht ein. Klar, ich kannte diesen Laden, hier zwischen dem Bäcker und der Falafel-Bude. Er gehörte schon seit Jahren zum Straßenbild, nur drin war ich noch nie gewesen. Auch klar, es war ja eine Frauenboutique.
Es war der 10. Dezember, es war kalt und etwas windig und während ich meinen Gang verlangsamte schlug ich mir den Kragen über den Hals um der Kälte etwas entgegen zu wirken. Kurz hinter der Bäckerei blieb ich stehen und kehrte um, den Blick gerade aus, bis ich auf Höhe der Boutique war, dreht dort den Kopf , beiläufig interessiert, Richtung Schaufenster, und versuchte, mehr zu sehen als beim ersten Mal. Vergeblich. Sie dreht sich gerade weg, wahrscheinlich, um neue Kleider zu holen. Es war sonst niemand im Laden, so viel konnte ich sehen, dann war meine Zeit auch schon vorüber und ich war beim Falafel-Laden angelangt. Kurz überlegte ich, ob ich Hunger haben könnte. Stattdessen verlangsamte ich wieder meinen Gang und bereitete mich auf die erneute Kehrtwende vor. Ich lies mir ein bisschen mehr Zeit, denn sie musste ja sicher auch erst mal wieder ihre Klamotten sammeln. Als wir beide schätzungsweise soweit waren trottete ich wieder beiläufig vorbei und hatte die Boutique fest im Blick. Bingo, sie war wieder da und sortierte oder faltete. Ich war verzaubert. Diesmal konnte ich sie genau sehen und es muss vielmehr ein Starren gewesen sein.Wieder schlich ich langsam weiter, ohne sie aus den Augen zu verlieren, bis ihr Anblick aus meinem Blickwinkel verschwand und mein Hals ob seiner Drehung zu schmerzen anfing.
Als ich das vierte oder fünfte mal diese Tour wiederholen wollte kamen mir plötzlich Bedenken, ob ich nicht inzwischen jemandem aufgefallen sein musste. Aber egal, dachte ich. Hauptsache SIE merkt nichts. Und just in diesem Moment sah ich, wie eine etwas ältere, nicht unelegant gekleidete Dame die Tür zur Boutique öffnete und eintrat. Die sanfte Türklingel konnte ich bis zu meinem Platz vor der Bäckerei hören. „Oha“ dachte ich. „Jetzt wird es spannend“, und ich erkannt sofort meine Chance. Wenn sie ich um eine Kundin kümmern musste, dann wird sie wohl kaum darauf achten, wer bei ihr draußen vor dem Laden steht. Euphorisiert machte ich mich auf den Weg und stellte mich, nach dem ich mich wieder beiläufig genähert hatte, direkt vor das Schaufenster und tat so, als würde ich mich für einen dort ausgestellten Rollkragen-Pulli interessieren. Diesen Pulli trug praktischerweise eine abwegig schlanke Schaufensterpuppe, und so konnte ich noch unauffälliger meine Augen vorbei geradeaus richten und hatte sie fest im Blick, etwas links der rechten Schulter der Puppe. Sie sprach mit der Kundin und schien sie zu beraten. Ich klebte an ihren Lippen. Ihre stummen Worte waren Zauber für mich. Ihr Lächeln, ob aufgesetzt oder nicht, war traumhaft. Und ich war ein glücklicher Zeuge.
Ich fing ob der Kälte an von, einem auf das andere Bein zu wippen und betrachtete Alibi-mäßig alle Ausstellungsstücke immer wieder, ohne SIE dabei aus den Augen zu verlieren.
Dann der Schock. Die Kundin, offensichtlich erfolgreich beraten, machte sich mit einem Kleidungsstück in der Hand auf den Weg in den hinteren Bereich des Geschäfts, und genau in dem Moment, in dem die Dame das Blickfeld meiner Verliebten verlassen hatte, fiel IHR Blick auf mich! Sie sah mir direkt in die Augen. Ich Blick durchbohrte mich, mein Herz fing an, Marathon zu rasen und meine Verdauungsorgane meldeten sofortige Vollzugsbereitschaft. Dann wollte ich wegrennen, wie im Reflex, doch ich konnte gegensteuern. Ihr Blick währte nur kurz, sie drehte sich schnell wieder weg und hatte offensichtlich vor, ihre vorherige Beschäftigung, das Sortieren, wieder aufzunehmen. Ich war komplett fertig. Ich fühlte mich wie der letzte Spanner, inflagranti ertappt. Ein Paparazzi ohne Kamera. Abschaum. Wie konnte ich nur?Schuldbewusst eilte ich nach Hause, denn ich musste wirklich auf Klo.
Und dort machte ich mir einen Plan.

Schon am nächsten Tag, oder besser Abend, stand ich in der Falafel-Bude. Ich aß meinen Schawarma im Brot und nippte an einem frisch gepressten Karottensaft. Ich war aufgeregt. So aufgeregt wie noch nie, dachte ich. Aber ich hatte auch Zuversicht. Ich hatte einen Plan und den musste ich jetzt nur noch durchziehen. Noch die letzte Stärkung zu mir nehmen, und dann auf ins Gefecht.
Die Stärkung aber lies sich Zeit. Vor allem der Karottensaft leerte sich immer langsamer. Irgendwann aber konnte ich auch ihn nicht mehr hinauszögern und schließlich machten die Geschäfte ja alle um halb sieben dicht, unter anderem auch die Boutique nebenan. Noch einmal ging ich im Geiste alles durch, dann war ich soweit. Jetzt musste ich funktionieren wie geplant. Einfach Programm abrufen und nicht beirren lassen. Und so lief ich zielstrebig durch die Türen. Erst die vom Falafel-Laden hinaus auf die Straße, und dann, nach nur noch einem kurzen zögern vor dem Schaufenster, durch die der Boutique. Einfach so. Ich öffnete die Tür, die sanfte Klingel, die mir schon bekannt war, machte ihr Geräusch, und ich trat ein. Sie stand am Tresen und beugt die gerade über einen Ordner mit Schriftstücken, vielleicht Bestellungen oder so etwas. Sie blicke auf, sah mich kurz an und spuckte wie reflexartig ein „Guten Abend“ aus. Dasselbe tat ich. Ihr Blick aber verriet alles. Sie erkannte mich. Es dauerte einen Bruchteil von einer Sekunde aber es war offensichtlich. Es war ja auch erst gestern. Und männliche Kunden sind mit Sicherheit auch eher eine Seltenheit vor ihrem Schaufenster. Es war kein böser Blick, oder abwertend. Einfach nur verwundert, würde ich sagen. Was macht der Herr hier in meiner Boutique? Sie konnte ja nichts ahnen. Nachdem ich meine ersten Schritte vorsichtig um mich guckend durch den Laden absolviert hatte, fragt sie mich erwartungsgemäß „Kann ich ihnen helfen?“ Die Show konnte beginnen. „Ja, vielleicht“ erwiderte ich ohne sie zu anzuschauen. „Ich suche eigentlich ein Geschenk“.
„Das hab ich mir fast gedacht“ erwiderte sie prompt und als ich nun in ihr charmantes Lächeln schaute, war ich schon im siebten Himmel. Hatte sie etwa schon angebissen?
„Für wen soll es denn sein, wenn ich fragen darf?“ fuhr sie fort.
„Für meine Freundin“ erwiderte ich. Und weiter „Ich zerbreche mit schon länger den Kopf. Und als ich gestern hier vorbeigelaufen bin, da kam mir die Idee, ich könnte es ja mal mit einem hübschen Kleid oder so probieren“.
„Ein gute Idee“ bestärkte sie mich. Sie war schon professionell! „Ich wette, das trauen sie die wenigsten Männer. Darf ich fragen welche Größe ihre Freundin hat?“
„Ich weiß es gar nicht genau“ stellte ich mich dumm, „aber sie hat in etwa ihre Figur“ sagte ich, sie prüfend musternd „und sie ist auch in etwa so groß wie sie.“
„Ach wie praktisch“ lachte sie und lief sofort in Richtung eines Kleiderständers in der Ecke.
„Hier finden sie unsere neue Kollektion, und die Größen, die sie suchen, gehen ab hier los.“
Dabei drückte sie mit der Hand ungefähr die Hälfte der auf dem Ständer an Bügeln hängenden Kleider nach rechts, so das eine Lücke einstand.
„Vielen Dank“ sagte ich und trat näher.
„Wie ist denn in etwa ihr Geschmack?“ fragte sie weiter.
„Das ist eine gute Frage“ sagte ich. „Da bin ich mir auch unsicher“
„Trägt sie denn eher knallige Farben oder lieber warme oder bedeckte?“ sie war wirklich engagiert.
„Vielleicht haben sie ja ein Foto von ihr?“
Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich war irritiert und gleichzeitig verzückt von ihrer Forschheit.
Schnell überlegen. Kein Foto von der Freundin in der Brieftasche – wie verdächtig ist das?
„Leider nein, ich hab meine Brieftasche gar nicht dabei“ log ich.
„Was könnten sie denn empfehlen?“ versuchte ich, wieder zu meinem Plan zurückzufinden.
„Ich meine, worüber würden SIE sich zum Beispiel richtig freuen?“
„Oh“ lachte sie, „ich glaube, ich würde mich schon allein schon über den Gedanken freuen.“
„Aber den kann man ja nicht anziehen“ sagte ich und sie lachte wieder. Ich war richtig glücklich in diesem Moment!
„Also, ich muss sagen, als ich die neue Kollektion gesehen habe, da hab ich mich sofort in dieses Kleid hier verliebt“ fuhr sie fort und sie griff nach einem Bügel mit eben diesem Kleid und hielt es mir in einem angemessenem Abstand vor die Nase.
„Wirklich?“ fragte ich neugierig. „und was gefällt ihnen so daran“
Doch ich hörte auf, zuzuhören. Ich sah ihr nur zu, wie sie schwärmend dieses Kleid vor mir hoch hielt und es (wahrscheinlich) mit allen Mitteln anpries.
Als sie es dann noch vor sich selber hielt und mich lächelnd fragte „mir würde es jedenfalls gut stehen, finden sie nicht?“ konnte ich es mir nicht mehr verkneifen.
„Würden sie es für mich anprobieren“ fragte ich „Wie gesagt, sie haben ja genau dieselbe Statur“.
Sie zögerte verlegen und ich merkte, dass es ihr jetzt etwas unangenehm wurde.
„Ich habe es schon anprobiert“ versuchte sie sich aus der Situation zu retten „und mir passt es hervorragend“.
Wie gerne hätte ich sie in diesem Kleid gesehen, es sah wirklich reizend aus, doch ich musste nicht mehr weiter gehen. Mein Plan war bis hierhin voll aufgegangen.
„Darf ich mal?“ fragte ich und nahm ihr den Bügel mitsamt Kleid vorsichtig aus der Hand. Ich betrachtete es vorgeblich ausgiebig, dreht es prüfend um und schaute sogar noch aufs Etikett.
„Feinste Seide“ sagte sie. „Es fühlt sich wunderbar an, glauben sie mir.“
Ich glaubte ihr. Schon die ganze Zeit, schon seit gestern als ich sie zum ersten Mal sah. Und ich wollte ihr für den Rest meines Lebens glauben!
„In Ordnung, ich nehme es“ sagt ich entschlossen. Das schien ihr zu gefallen, und ich triumphierte. Es war nämlich nicht nur die Freude einer Verkäuferin, die soeben erfolgreich etwas an den Mann gebracht hatte, sondern es war mehr. Es gefiel ihr als Frau. Sie war sozusagen stellvertretend geschmeichelt. Es war Erfolg auf der ganzen Linie. Wir bewegten uns zur Kasse, und als ich auch noch geistesgegenwärtig schaltete, wie ich gerade in Begriff war, meine Brieftasche zu zücken, die ich ja angeblich gar nicht dabei hatte, war meine Zufriedenheit mit mir selbst vollkommen.
„Kann ich mit Karte zahlen?“ fragte ich und fingerte dabei klammheimlich meine EC-Karte aus der Brieftasche in meiner Mantelinnentasche, während sie schon das Kleid mit aller Sorgfalt zum einpacken bereit faltete. Ich schwebte nach Hause auf mindestens sieben Wolken. Alles, was mich noch bedrückte, war die Zeit, die noch verstreichen musste, bis ich den zweiten Teil meines Plans angehen konnte.

Es war ein neues Jahr angebrochen. Endlich! Ich hatte schon befürchtet (oder vielleicht hatte ich es ja auch gehofft), dass ich sie über die Feiertage vergessen würde. Dass sich das alles wieder einmal nur als eine blöde Spinnerei entpuppen würde. Ich hätte mich wieder in irgendwas hineingesteigert, was aber eigentlich nur stellvertretend für irgendwelche anderen Probleme oder Sehnsüchte steht. Nein, Fehlanzeige. Ob über die Weihnachtstage bei meinen Eltern, die einsamen Spaziergänge zwischen den Jahren oder die rauschende Silvester-Party, die mich im Prinzip null interessiert hatte, außer dem Alkohol, mit dem ich mich schnell und erfolgreich weg-betäuben konnte - nicht eine Sekunde konnte ich nicht dem neuen Jahr, der ersten Januarwoche entgegenfiebern, konnte meine Worte nicht wieder und wieder durchgehen, ebenso alle Eventualitäten. Ich war gewappnet und ebenso entschlossen. Und ich konnte es kaum erwarten.
Und nun war er da. Der Tag der Entscheidung, der Tag, an dem mein Plan seine Vollendung erfahren sollte.
Es war schon spät. Und dunkel. Aber die Geschäfte hatten noch auf. Und so machte ich mich pünktlich um 18 Uhr zehn auf den Weg. Zu Fuß waren es ca. 10 Minuten bis zu ihrem Geschäft, also hätte ich noch 10 Minuten Zeit bis zum Ladenschluss. Auf dem Weg wurden aus den angepeilten zehn Minuten aber plötzlich fünf. Das musste die Aufregung sein. Ich versuchte, die Tatsache, dass ich unter Aufregung wohl zur Eile neigte, noch für meinen Plan zu berücksichtigen und redete mir gut zu „Nicht zu schnell reden. Lieber ein paar Denkpausen zu viel, als dass sie mitbekommt, dass ich mir alles schon zurechtgelegt habe..“
Ich stand diesmal weder vor der Bäckerei, noch vor der Falafel-Bude, sondern genau gegenüber auf der anderen Straßenseite, und tat so, als würde ich SMSe tippen. Mein Kopf zeigte nach unten, doch meine Augen stierten schnurstracks geradeaus und ich hatte alles im Blick. Ich hatte SIE im Blick.
Wie schön war es, sie wiederzusehen. Sie sah erholt aus. Zumindest hatte ich aus der Ferne den Eindruck. Sie hopste beschwingt durch den Laden, holte hier etwas aus dem Regal oder packte dort etwas in die Auslage oder notierte etwas auf dem Tresen. Sie schien sich auf den Feierabend zu freuen. „Da hast du auch allen Grund zu“ dachte ich in mich hinein grinsend. Dann schaute ich auf die Uhr – es war genau 18 Uhr 24 - und ich machte mich auf den Weg.
Als ich eintrat hörten wir beiden das sanfte Klingeln der Tür, was bei mir vor-freudige Glücksgefühle erzeugte, bei ihr aber eher für ein überrascht bis genervtes Aufschauen sorgte. Schließlich war sie ja mit den Gedanken schon beim Feierabend gewesen.Wie der Koch, der kurz vor Küchenschluss noch eine Bestellung hereinbekommt. Mist!
Sie schaute mich an und schien nur kurz zu überlegen, dann hatte sie mich erkannt. In Sekundenbruchteilen hatte sie die Situation eingeordnet und sich professionell drauf eingestellt, inklusive zuvorkommendem Lächeln. Dafür liebte ich sie schon jetzt. „Ok, das wird ein Umtausch, schnelle Sache, ich werde trotzdem pünktlich hier raus sein.“ oder so ähnlich musste sie gedacht haben.
„Hallo“ sagt ich „ich hoffe, ich komme nicht zu spät für Heute“
„Kein Problem“ lächelte sie charmant lügend „ich bin ja noch da“
„Lassen sie mich raten“ fuhr sie fort. „Die Größe stimmt nicht.“
Ich zögerte.
„Sie hatten doch vor Weihnachten ein Kleid für ihre Freundin hier gekauft, oder bringe ich das jetzt durcheinander?“ fragte sie, nur leicht verunsichert.
„Nein nein“ beschwichtigte ich, „Sie haben sich völlig richtig erinnert. Ein gutes Gedächtnis!“
„Danke, aber das bringt wohl der Beruf mit sich.“
Sie schaute mich weiter fragend an und so machte ich weiter
„Also es ist so“ fing ich an „an der Größe hat es nicht gelegen.“
„Dann die Farbe?“ unterbrach sie neugierig.
„Nein, daran lag es auch nicht“.
„Was kann ich dann für sie tun?“ wollte sie jetzt wissen.
„Nun,“ ich wollte sie nicht mehr länger hinhalten „es war wohl einfach das falsche Kleid“
„Das Falsche?“ fragt sie überflüssig, „Was ist denn so falsch daran?“
Bingo, ich hatte sie schon auf meiner Seite. „Nun, es trifft einfach nicht ihren Geschmack, ganz im Gegenteil“
„Oh“ raunte sie erstaunt, lies ihre Augen leicht durch den Laden kreisen und stellt fest „Da kann man wohl nichts machen die Geschmäcker sind dann doch verschieden, oder?“
„In der Tat“ stimmte ich ihr zu. „Aber das es so schlimm sein würde, das hätte ich nun nicht gedacht“
Sie blickte mich erstaunt an. Jetzt hatte ich ihre ganze Aufmerksamkeit.
„Wie, schlimm?“ fragt sie leicht erbost, aber nahm sich dann sofort wieder professionell zurück.
„Entschuldigung, es geht ich ja gar nichts an.“
Ich lächelte freundlich und erwiderte „Nun ja, sie haben es mir ja empfohlen. Vielleicht haben sie ja eine Idee, wie wir so daneben liegen konnten“. Sie war jetzt voll interessiert, aber ich war nicht sicher, ob ihr diese plötzliche Komplizenschaft behagte. Sie schaute auf die Uhr, dann zögerte sie einen Moment, schaute zur Tür , dann wieder zu mir, schien mich kurz noch einmal zu mustern und fragte dann „haben sie noch ein paar Minuten? Ich müsste nur kurz das Schild umdrehen, es ist nämlich schon halb sieben.“ Sie zeigte in Richtung Tür, an der das Schild hing, dessen uns zugewandte Seite noch „Closed“ anzeigte. „Warum läuft nicht immer alles so glatt?“ dachte ich frohlockend.
„Natürlich“ sagte ich, „sehr freundlich von ihnen“.
Sie lief beschwingt zur Tür, drehte erst das Schild und danach sich selber genauso schwungvoll wieder um und wollte es jetzt genau wissen.
„Also erzählen sie doch mal, was war mit dem Kleid denn so schlimm?“
„Sie fand es einfach furchtbar“ knallte ich es ihr vor die Füße.
„Furchtbar?“ wiederholte sie ungläubig „aber wieso denn das?“
„Ich kann es nicht genau sagen, sie hat es ausgepackt und sofort nach dem ersten Blick in die Ecke geschmissen. Sie konnte es kaum ertragen. Sie fing, an mich anzuschreien und schimpfte wie wild, was mir denn einfiele, wie ich nur im Traum darauf kommen könnte, ihr so etwas zu schenken“.
„Das gibt’s doch gar nicht“ murmelte sie offenmundig und schaute mich dabei skeptisch an. Sie hatte ja auch Recht.
„Dachte ich auch“ sagte ich „aber es kam ja noch schlimmer.“
„Wie denn“ fragte sie.
„Schon am nächsten Tag hat sie mich verlassen. Sie wolle nie mehr etwas mit mir zu tun haben“.
Sie starrte mich ungläubig an.
„Wegen-einem -Kleid?!“ fragt sie nochmal und machte ein paar Schritte zurück Richtung Tür.
„Ganz genau“ bestätigte ich.
„Dann muss ich mich wohl bei Ihnen entschuldigen, ich fürchte, ich hab sie da ganz falsch beraten.“ stellte sie kühl fest.
„Aber ihnen hat es doch gefallen?“ fragte ich.
„Natürlich“ sagte sie überzeugt. „Ich kann auch beim besten Willen nichts Schlimmes daran entdecken.“
„Ich weiß es auch nicht“ sagte ich seufzend und setzte meinen traurigsten Blick auf.
„Dann sollte ich es jetzt wohl am Besten wieder umtauschen“ schlug sie vor.
„Deswegen bin ich nicht hier“ sagte ich.
„Nicht?“ fragte sie. „Aber weswegen dann?“
„Ich würde es ihnen gerne schenken“ haute ich es heraus.
Ihr Blick enttäuschte. Irgendwas lief hier schief, aber ich konnte jetzt nicht mehr zurück.
„Doch!“ legte ich nach „Schauen sie, ich wollte es eigentlich wegwerfen, aber ich wusste noch, wie sehr es ihnen gefallen hatte, als ich es gekauft habe. Sie würden mir eine große Freude damit machen.“
Sie schaute mich noch ungläubiger an als zuvor und schien jetzt gründlich zu überlegen. Es ratterte förmlich in ihr. Ihre Mine blieb dabei starr und ich wartete auf irgendeine Regung, ein Zeichen des Geschmeichelt-seins. Stattdessen aber der Schock. Sie lief resolut zur Tür, hielt sie auf und befahl „Nein danke, ich bitte sie jetzt zu gehen!“
Ich war gelähmt.
„Bitte, ich habe Feierabend.“ insistierte sie. „Denken sie, ich falle auf so eine Geschichte rein?“
Das saß! Ihr Blick war jetzt zornig und geradezu gekränkt. Das hatte ich nicht in meinem Plan!
Sie hatte mich durchschaut! Sie hatte kapiert, dass ich sie nur kennenlernen wollte! Warum schmeichelte ihr das nicht wenigstens ein bisschen? Ich war komplett fertig.
Ich konnte weder schlucken noch sonst irgend etwas sagen, nur noch langsam zur Tür trotten gelang mir noch. Kein Abschied, nicht mal in ihre Augen konnte ich noch einmal schauen. Es war mir plötzlich alles nur noch peinlich.
Als ich auf der Straße war, hörte ich noch, wie sie den Schlüssel im Schloss umdrehte, dann erlosch auch schon das Licht, und mein Schatten, der eben noch meine gebückte Haltung auf dem Asphalt dokumentiert hatte, verschwand ebenfalls. Wie hatte das nur passieren können? War meine Geschichte so unglaubwürdig gewesen?
Ich habe es nie herausgefunden. Ich habe mich noch einige Tage damit gegrämt und der Ärger über mich selber war dabei das Schlimmste. Aber zum Glück dauerte es nicht lange, ehe ich mich wieder neu verliebt hatte, diesmal in die Blumenverkäuferin aus dem Geschäft unten in der U-Bahn-Station. Ich fahre wieder regelmäßig. Nur mein Weg zur U-Bahn ist jetzt ein anderer.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.02.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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