Patrick Rabe

Trauriger Vogel

Ihr Fleisch war weich und weiß. Warm war es eigentlich nicht. Es war von jener Konsistenz, die einen Mann erschauern lassen kann. Vor Angst und Begierde. Sie war der Tod. Und sie kotzte mich am Ende so übermäßig an, sie ließ eine solch widerwärtige Mischung aus Gleichgültigkeit, Ekel, Verzweiflung und Traurigkeit in meiner Brust hervorspringen, dass ich nicht wusste, welches abartige Wesen ich zuerst vernichten sollte: Sie oder mich.
 
Ihnen schreibt ein Toter, Madame. Oder vielmehr ein Begrabener. Denn ich bin nicht tot. Tief in mir brennt immer noch die Flamme des Lebens. Sinnlos. Nur so für sich. Evolutionäres Feuer, aus sich selbst entstanden, für sich selbst brennend, sich erhaltend wider alle Vernunft.
 
Ich könnte durch die Tür des Irrsinns gehen. Aber ich will es nicht. Etwas von der trotzigen Resistenz in mir sagt, dass ich es meiner Vergangenheit schuldig bin, nicht wahnsinnig zu werden und dass es hinter oder neben meinem Hadern noch eine andere Lösung, irgend eine grüne Wiese gibt – geben muss! - , die ich nur noch nicht gesehen habe.
 
Ihr Körper! Welche unglaubliche, geile Wohltat es war, als ihr Körper sich an meinen presste, in der schummrigen Atmosphäre eines Hinterzimmers auf einem den ganzen Raum ausfüllenden Bett unter fließenden Decken. „Endlich!“, stöhnte ich zitternd. Nach all den unendlich sich hinziehenden Anspielungen, Blicken und Neckereien nebenan, nach den tastenden Spielen unter den Laken – endlich! Wir trafen aufeinander wie zwei entgegengesetzte, elektrisch aufgeladene Luftströme, es knallte nur so.
 
Wir hatten eine ganze Zeit schwer atmend nebeneinander gelegen, einander wahrnehmend, erahnend in den Konturen unter den Laken, spürend in der aufsteigenden Wärme des jeweils anderen.
 
„Glaubst du an Tarot?“, fragte Tina. „Na ja.“, meinte ich, „Es ist schon was dran. Aber ich würde es nicht machen. Es ist unsinnig. Die Karten zeigen einem nur, was in einem selbst ist.“ Ich versuchte mich abgeklärt zu geben, was ich nicht war. Ich hatte einen ungeheuren Respekt vor all diesen magischen Dingen und versuchte, mich nicht in ihre Macht ziehen zu lassen. Ich klammerte mich an mein bröckelndes Bauwerk rationaler Vernunft. In Wirklichkeit war ich längst von der Magie durchdrungen und besessen, wie hätte ich mich sonst Tina, diesem Meer an Magie hingeben können?
 
„Die Karten haben mir gesagt, dass du verletzt bist.“, setzte Tina nach. „Und dass du eine zärtliche und temperamentvolle Frau suchst und brauchst.“
 
„Ich brauche eine Frau? Das bist ja dann wohl du.“, entgegnete ich.
 
Sie verdrehte die Augen: „Platt wie mein Fahrradreifen!“, feixte sie und ließ mich eine Abstoßung spüren, so als wäre ich irgendein ekliger, klebriger Gegenstand aus dem Straßengraben.
 
Ich war gerade dabei, mich auf die andere Seite zu wälzen, da spürte ich ihre Aura mit zärtlichen Fingern nach mir greifen.
 
„Weißt du“, hauchte sie, „dass deine Haare irgendwie poetisch in dein Gesicht fallen? Das sieht – erregend aus…“
 
(Für alle Uninformierten: ‚Zuckerbrot und Peitsche“ nennt man diese Taktik.)
 
Mein Problem war, dass ich sie wollte. Wider jede Vernunft. Ich hätte humorvoll kontra geben sollen, aber ich gab mich ihr hin. Später lernte ich ihre Spielchen noch zu genüge kennen. Heute verachte ich sie. Wie kann man eine wirkliche Beziehung führen, wenn alles nur aus opportunistischem Geplänkel besteht?
 
Also reagierte ich auf ihr „erregend“, indem ich mich zu ihr hindrehte und wie zufällig ihre Hand berührte. „Findest du?“, fragte ich mit belegtem, samtig-fordernden Unterton. Sie floss ein Stückchen näher zu mir. Mein Gott, wie ich es genoss, ihr Spielball zu sein! Ich wollte Hingabe. Bekam ich sie?
 
Unsere Hände berührten sich wieder. Langsam umspielten sich unsere Finger. Ich glitt über ihren Handrücken, wir pressten unsere Fingerspitzen aneinander und rieben unsere Handballen. Herrlich – Handballen! An ihnen erkennt man sein Gegenüber. An diesem schwitzenden, empfindlichen Stück Haut. „Du hast ziemlich transpirierende Handballen.“, flüsterte ich. Sie lachte kurz, ließ sich aber ihre Taktik nicht zunichte machen.
 
Nachdem wir kurz pausiert hatten, drückte sie durch das Laken ihre Knie an meine. „Mein Gott!“, dachte ich. Dann rann es mir durch alle Glieder (und ich betone ‚durch alle‘!) Diese Beine nackt zu spüren!
 
Mit zitternden Händen legte ich ihre Schultern frei und liebkoste ihre Arme. Sie kam ein Stückchen näher zu mir. Jetzt konnte ich alle ihre üppigen Konturen spüren. Ihre Brüste waren erstaunlich. (Welch eine Konfektion!?) „Was meinst du“, fragte sie mit dem Höchstmaß an Sünde in ihrer Stimme, „wollen wir uns ganz ausziehen?“ Ich nickte und schlüpfte keuchend aus meinem Hemd. Dann schlug ich die Decke zurück – und da lag sie vor mir. Das nackte, weiße Mädchen. Sie stöhnte begehrlich. Ich fasste kurzerhand unter ihren BH und schob ihn hoch. (Madame mögen verzeihen; ich habe keine Ahnung, wie man die Dinger hinten öffnet – und bei den Proportionen ihrer Brüste ging das auch so ganz fabelhaft.) Jetzt lagen ihre beiden Hügel vor mir. Weiches, bebendes Fleisch, kaum von einem BH, geschweige denn einer Hand zu bändigen. Ich packte sie, schob sie hoch, presste sie zusammen, während ich mich in der Tiefe des unteren Bettes das erste Mal entlud.
 
Dann prallten wir aufeinander, wälzten uns übereinander, und irgendwo hoch oben sang ein trauriger Vogel ein Klagelied, und der Vogel war ich.
 
Ja, Madame, so war es das erste Mal mit Tina, und ich möchte ihnen die folgenden Einzelheiten ersparen, sie kennen dergleichen ja.
 
Am anderen Morgen, an dem wir uns in klammem, ekligem Schweiß wälzten, und versuchten, in dem leichigen Raum wieder zu Wärme zu kommen, meinte sie schlicht zu mir, sie hätte mich nicht für so zupackend gehalten. Und in der Tat. Ich war zupackend gewesen. Aus Angst. Aus Angst, nicht zupackend genug zu sein. Deswegen auch der traurige Vogel, Madame. Sein Name war Zärtlichkeit.


(c) by Patrick Rabe, 1999.

Dies ist ein Teil eines fragmentarisch gebliebenen Romans über den Jahrtausendwechsel, an dem ich zwischen 1999 und 2001 schrieb - sozusagen in Echtzeit.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.03.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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