Thomas Raich

Geist der Vergangenheit (4)

 

Wir saßen das erste Mal gemeinsam im Oskars, dem Restaurant, das mit dem Cineworld-Kino in einem Gebäude war. Leckeres und gutes Essen gab es da. Aus diesem Grund schaute uns die junge hübsche und charmante Bedienung ein bisschen pikiert an, als ich mir nur eine Bruschetta pomodoro und mein Partner sich ein Flat-Bread bestellten. Auf den Anruf von Inspektor Schmidt mussten wir dann doch etwas länger warten, der eigentlich erfolgen sollte, BEVOR wir wieder einmal ins Kino gehen wollten. Als wir schon unruhig wurden, weil es nur noch wenige Minuten waren, bis der Film anfing, klingelte endlich das Handy von meinem Partner.

"Bartels, hallo?"

"Hallo Herr Bartels! Ich habe eine Nachricht für sie, wo ich nicht weiß, ob sie sich darüber freuen! Sie können ihren 'Urlaub' doch noch etwas verlängern, da die letzten Wochen rein gar nichts in dem Fall 'Mainfrankenpark' passiert ist. Wir glauben zwar nicht, dass diese Geldfälscher es aufgegeben haben, aber womöglich legen sie eine 'Sommerpause' ein! Sollte sich etwas Neues darin ergeben, werde ich ihnen natürlich bescheidgeben! Ansonsten wünsche ich ihnen noch einen angenehmen Abend! Wo sind sie gerade?"

"Wir sitzen im Oskars und haben auf ihren Anruf gewartet, Inspektor!"

"Gut! Vergessen sie nicht, sich einen Beleg geben zu lassen! Genießen sie noch den Film, in den sie jetzt reingehen!"

"Woher wissen sie..."

"Ich dachte eigentlich sie sind die Privatermittler!? Finden sie es raus, wenn es sie so sehr interessiert!"

Und bevor es in der Ohrmuschel klickte, weil Inspektor Schmidt aufgelegt hatte, war nur noch ein amüsiertes Lachen zu hören.

Mein Partner brauchte mir irgendwie nichts zu sagen, an seiner grießgrämigen Miene konnte ich ihm ansehen, dass Inspektor Schmidt etwas gesagt haben muss, was ihn doch nicht wenig erregt hat. So ungezwungen als möglich fragte ich ihn, was der Inspektor Schmidt denn gesagt hätte.

"Aus dem 'Einsatz im Mainfrankenpark' wird erst einmal nichts, denn da ist die letzten Wochen nichts passiert. Sollte sich etwas ändern gibt er uns bescheid! Er wünscht uns noch einen angenehmen Kinoabend und falls wir wissen wollen, woher er das schon wieder weiß, sollen wir es herausfinden. Wir sind doch die Privatermittler, ... wie er gedacht hat; also ist das unsere Aufgabe! Etwas 'Nettes' zum Üben! Damit wir das Ermitteln nicht verlernen!"

Ich musste mich wirklich beherrschen, dass ich nicht lauthals das Lachen anfing, was mein Partner natürlich überhaupt nicht verstehen konnte.

Insgesamt wurde der Abend dann doch recht angenehm.

 

Dadurch, dass uns die letzten beiden Fälle so viel Arbeit gemacht hatten und es auch verstärkt mit Kirchen zu tun hatte, war ich gar nicht mehr dazu gekommen, sonntags eine heilige Messe zu besuchen. In der Regel pflege ich das jedoch zu tun, weil es die einzige Möglichkeit unter der Woche ist, einfach einmal Ruhe zu finden. Bevor sich unsere Wege an dem Kinoabend getrennt hatten, fragte ich meinen Partner noch, ob er denn Lust hätte am darauffolgenden Sonntag mit mir eine heilige Messe zu besuchen. Um ihm einen Gefallen zu erweisen, schlug ich ihm vor, dass wir gerne ins Käppele gehen könnten. Er war einverstanden und schließlich fanden wir uns rechtzeitig zum Gottesdienst dort ein.

Meinem Partner gefiel der Vorschlag sehr gut, da das Käppele sowieso seine liebste Lokalität von Würzburg war, aus mehreren Gründen, aber überwiegend auch wegen der wunderbaren Aussicht.

Wir verblieben noch etwas vor dem Käppele und genossen die Aussicht, als von hinten links ein Ordensbruder der im Käppele ansässigen Maria-Schmerz-Bruderschaft auf uns zugelaufen kam. Offensichtlich wollte er mit uns sprechen und das aus keinem so erfreulichen Grund, schloss ich aus seiner Mimik.

"Verzeihen Sie, sind sie nicht die Privatermittler Raich und Bartels?" Verwundert blickten wir uns an. "Wer will das wissen?" fragte ich misstrauisch. "Mein Name ist Pater Albwin und ich würde sie gerne vertraulich sprechen!" Argwöhnisch schauten wir ihn an, tauschten selber noch einen Blick und folgten ihm schließlich in die Privatgemächer der Bruderschaft.

Erst einmal stellte ich mir laut die Frage, woher der Pater wohl von uns und wie wir aussehen wissen konnte, kam nach kurzem aber selber drauf: "Sie haben die beiden Kurzkrimis in der Presse und im Internet gelesen, die über uns veröffentlicht worden sind und das 'offiziell' erdachte Interview das geführt wurde!?"

Pater Albwin nickte: "Aufgrunddessen habe ich mich bei der Polizei über sie informiert..."

"Wie nett und vertrauenserweckend!" fiel ich ihm ins Wort, was er aber nicht weiter beachtete.

"...und erfuhr, dass die Polizei sehr zufrieden mit ihnen ist wegen ihrer ausgezeichneten Arbeit. Deshalb wollte ich mit ihnen sprechen und sie aber darum bitten, dass sie sich in Schweigen über die ganze Sache hüllen, ..." Er schnaufte tief durch. "... so weit es nicht sowieso schon bekannt ist!"

Zur Bestätigung nickten wir, doch wollte ich, dass Pater Albwin nun endlich zum Punkt kam: "Worum geht es denn genau?"

Statt mir klar und deutlich auf die Frage zu antworten, stellte er mir eine Gegenfrage:

"Glauben sie an ein Leben nach dem Tod?"

"Ich bin eigentlich ein gläubiger Christ, ja!"

Schon stellte er die nächste Frage: "So können sie sich auch vorstellen, dass es unter Umständen Geister und ruhelose Seelen gibt!"

"Schon möglich! Worauf wollen sie eigentlich hinaus? ... Ich meine ... in dem Punkt verfüge ich über keinerlei Erfahrung und mein Partner mit Sicherheit auch nicht. Bisher hat mich noch keine ruhelose Seele heimgesucht!"

"Nun ja...!" Man sah ihm an, dass es ihm schwer fiel, uns von dem Problem zu erzählen. "In gewisser Art und Weise ist die Zeit gekommen, dass sie darin Erfahrungen sammeln können!"

"Was?" entfuhr es meinem Partner.

"Ich verstehe nicht ganz...!"

"Mein beziehungsweise unser Problem ist, dass seit kurzem in unregelmäßigen aber fast alltäglichen Abständen zu unterschiedlichsten Uhrzeiten eine gewisse 'Erscheinung auftaucht, aber auch nur dann wenn ich, einer meiner Mitbrüder, Mitarbeiter oder Gläubige alleine im links gelegenen Kirchenschiff vom Käppele sind. Es ist fast so, als wolle diese ruhelose Seele mögliche Zeugen vermeiden."

Ich schüttelte etwas verwirrt den Kopf. "Pater Albwin! Ihre Bitte um Hilfe in allen Ehren, aber da sind wir in jedem Fall die falsche Anlaufstelle! Wir haben keinerlei Erfahrung in paranormalen oder übernatürlichen Phänomenen! Da müssen sie sich an Parapsychologen oder ...!"

"Ich habe mich jetzt selbst schon ein bisschen in diesen Bereich eingelesen!" redete er schon wieder weiter. "Doch es ist unumgänglich, dass SIE sich mit dem Fall befassen! Insbesondere SIE, Herr Raich!"

"Warum ausgerechnet ich?"

"Weil diese ruhelose Seele unmissverständlich gleich wem gegenüber sinngemäß ein und dieselben Worte äußerte: 'Bringt mir Thomas Raich!'"

Entgeistert starrte ich den Pater an und versuchte es etwas auf die leichte Schulter zu nehmen. "Also ich soll 'hierhergebracht' werden... zu dem Geist ... im Ganzen, ... also nicht nur mein Kopf oder eben gerade nur meinen Kopf!"

Durch diese Bemerkung erntete ich einen bösen Blick, nicht nur von Pater Albwin. "Ich will nur sichergehen, dass es kein böser Geist ist, der mir... aber nun einmal Scherz beiseite!" Tief atmete ich durch, denn schließlich wurde ich mit einer nicht gerade alltäglichen Situation konfrontiert. "Gibt es denn viele, denen dieser bereits Geist erschienen ist?"

Pater Albwin schüttelte den Kopf. "Die meisten sind alleine schon davongelaufen, sobald dieser Geist auch nur anfing Kontur anzunehmen, um sichtbar zu werden. Bis auf mich gibt es nur noch zwei Gläubige, welche diesen Geist gesehen haben sowie einen Mitbruder!"

"Gut! Dann sollten wir uns zu sechst heute abend einmal zusammensetzen, damit sie mir alle der Reihe nach das Aufeinandertreffen von ihnen allen und dem Geist zu schildern!" Als ich den fragenden Blick von Pater Albwin sah, erklärte ich mich. "Verzeihen sie, doch reine Vorsichtsmaßnahme! Nicht, dass ich an etwaigen Dingen zweifle, dass es sie geben könnte. Erstens jedoch habe ich keinerlei Erfahrung in dem Bereich und zweitens kann ich so ganz leicht feststellen, ob sie die Wahrheit sagen!"

Pater Albwin schien empört, mein Versuch ihn wieder etwas milde zu stimmen, fruchtete nicht wirklich: "Es könnte ja sein, dass einer der Gläubigen von der ganzen Sache mitbekommen hat und jetzt behauptet hat, er hätte ebenfalls den Geist gesehen, nur um im Mittelpunkt zu stehen und eventuell damit an die Öffentlichkeit zu gehen!"

Zumindest ein bisschen besänftigt war Pater Albwin und am Abend des darauffolgenden Tages war beabsichtigt, dass wir die Ermittler mit den beiden Gläubigen und Pater Albwin und seinem Mitbruder, welche diese Erscheinung gesehen hatten uns treffen sollten.

Das sogenannte 'Verhör', wie Pater Albwin es betitelte verlief ganz entspannt und in der Tat hatten alle vier -die zwei Geistlichen sowie die zwei Gläubigen- zwar ihre eigenen persönlichen Erlebnisse, doch alle vier Erlebnisse hatten alle denselbigen Ablauf:

Sobald jeder der vier im stillen Gebet alleine im Käppele gewesen war, vernahmen sie -wie sie im ersten Moment dachten- ein Rauschen oder ein ähnliches ungewöhnliches Geräusch. Dieses jedoch verstärkte sich zu einem unheimlichen Flüstern, welches immer wieder mit ein und derselben 'Botschaft' endete: "Bringt mir Thomas Raich! Sowie ich mich ihm zu erkennen geben werde, wird er den Grund verstehen, warum ich nur IHN zu sprechen wünsche!" Verschreckt schaute sich ein jeder um und erblickte die Silhouette einer jungen Frau -vielleicht im ungefähren Alter von 20 Jahren- deren Konturen jedoch wie Nebel stetig in Bewegung waren und auch nur rudimentär erkennen ließen, dass es sich um eine paranormale Erscheinung handelte.

"Es hilft nichts!" bemerkte ich. "Wir müssen uns die nächsten Tage längere Zeit immer wieder dort oben aufhalten, wenn dieser Geist wirklich mich zu sprechen wünscht!" Also nahmen wir uns vor die nächsten Tage jeweils zwei bis vier Stunden im Käppele uns aufzuhalten. Bruder Albwin half uns insofern, dass er vorgab, die Bruderschaft würde außerordentliche Exerzitien jetzt die nächsten Tage betreiben, weswegen es unvermeidlich wäre für zwei bis vier Stunden das Käppele zu schließen. Somit konnten wir alleine sein, in der Hoffnung, die metaphysische Erscheinung dieser jungen Frau würde sich uns zu erkennen geben. Allem Anschein nach war es jedoch eine trügerische Hoffnung, da ...

"... wir nicht einmal den Rockzipfel eines lumpigen Bettlakens zu Gesicht bekommen haben!"

"Ich verstehe nicht!?" entgegnete mir Pater Albwin verwirrt, als mein Partner und ich ihn unbedingt zu sprechen wünschten.

"Naja... man braucht doch ein Bettlaken, das man sich überziehen kann, bevor man dann zwei Gucklöcher reinschneidet, um dann herumzugeistern!?"

"Sie nehmen die ganze Sache nicht ernst!?" entgegnete mir Pater Albwin verbittert.

"Oh doch, das tue ich, doch vielleicht sollten sie dem 'Geist' meine Adresse aushändigen, dass er einmal bei mir vorbeischauen kann, denn ich kann ja nicht 24 Stunden am Tag hier ausharren, bis er sich dazu herablässt, meine Gesellschaft aufzusuchen!"

"Das ist nicht witzig!" fuhr mich Pater Albwin erbost an.

"Allerdings nicht!" erwiderte ich ihm mit vergleichbarer Heftigkeit. "Ihre Geschichte scheint schlüssig, doch von diesem 'Geist', den sie vier gesehen haben wollen, fehlt jedwede Spur! Ist er vielleicht ausgewandert?"

"Ich muss doch sehr bitten!"

"ICH muss doch sehr bitten, HERR PATER ALBWIN!" Ich atmete tief durch, bevor ich es in ruhigerem Ton nochmals versuchte. "Vielleicht passt ihnen allen meine Ablehnung gegen Geistliche und die katholische Kirche nicht, vielleicht haben sie alle einfach nur zuviel über den Durst getrunken oder leiden unter zu großem Einfallsreichtum! DAS wovon SIE ALLE erzählt haben, ... beruht im Moment ausschließlich auf ihren Schilderungen. Ich habe keinerlei Nachweis dafür, dass an der Geschichte überhaupt etwas dran ist... und ich fange an, berechtigterweise die Glaubwürdigkeit von dieser Erzählung -was sie letzten Endes vielleicht tatsächlich ist- anzuzweifeln!"

Pater Albwin beteuerte wütend aber auch leicht verzweifelt, dass nichts erfunden oder auch nur ausgeschmückt wäre. "In keinster Weise möchte ich sie beide zum Narren halten und schätze ihre Arbeit sehr! Ich kann ihnen nicht erklären, ..."

"Verzeihen sie Pater, doch wir sprechen uns nächste Woche noch einmal, um uns noch einmal darüber zu beraten, ob wir uns weiterhin damit beschäftigen wollen! Guten Tag!" Dann drehte ich mich zu meinem Partner um. "Komm! Gehen wir! Hier haben wir nichts mehr verloren!" Und wie einen begossenen Pudel ließ ich den Pater stehen wo er stand ohne mich von ihm zu verabschieden oder ihn auch nur noch eines Blickes zu würdigen.

ETWAS hatte ich dem verehrten Pater Albwin NICHT erzählt und es mir auch nicht anmerken lassen:

Es war am Abend zuvor, bevor wir das eben geschilderte Gespräch hatten.

Seit Tagen hatten wir zu unterschiedlichen Uhrzeiten uns beim Käppele postiert und wie jeden Tag beobachteten wir die Leute wie sie herkamen und wieder wegfuhren. Des öfteren saßen wir alleine in der Kirche, an der Kirche.

Nichts! Nicht einmal der Wind leistete uns große Gesellschaft, so dass wir einer zumindest geringfügigen Täuschung hätten erliegen können, dass vielleicht doch etwas wäre.

Am Vorabend des Gespräches -die Nacht war bereits hereingebrochen- diskutierten wir leidenschaftlich:

"Thomas! Ich glaube wir verschwenden hier nur unsere Zeit! Wir sind jetzt seit Stunden hier und die letzten Besucher! Wir sollten mit diesem Pater noch einmal reden, denn irgendwie..."

"... kommt mir das auch komisch vor! Eine wunderbare Geschichte, die aber einfach nur wie eine Geschichte klingt, weil kein Geist nicht einmal annährend zu erblicken ist!"

"Richtig!" Mein Partner Mr.Lumpi war sauer und ich auch nicht gerade gut auf den Pater zu sprechen. Wir hatten gerade aufgehört zu diskutieren und wollten noch etwas darüber nachdenken, als auf einmal heftig das Hauptportal rüttelte, als wäre jemand eingeschlossen, der unbedingt nach draußen wollte und in panische Angst verfallen war. Während mein Partner sich an die Mauer lehnte, um zu beobachten, was das war, schlich ich mich etwas weiter weg, um ... in Sicherheit zu sein? Das Portal öffnete sich und schloss sich wieder ... und da erblickten wir etwas, wo wir nicht wussten, ob uns unsere Sinne einen Streich spielten oder dies 'wirklich' war:


- Mr.Lumpi beobachtet erstaunt den Schatten vor dem Eingangsportal des Käppele -

Ein schwarzer Schatten glitt aus der Tür, kaum sichtbar, schwebte zwei, drei Meter vom Eingang weg und mit einem Mal löste er sich auf mit einem leisen Rauschen. Mein Partner zuckte verschreckt zusammen und ich wusste nicht, ... hatten wir uns das eingebildet oder nicht.

Vorerst wollten wir dann nach dem Gespräch mit dem Pater nichts mehr zu tun haben und ich noch mehr als mein Partner hatten dieses erste Erlebnis als irgendeine unbedeutende Sinnestäuschung abgetan.

Es dauerte nur wenige Tage, da läutete mein Telefon und am anderen Ende war ein gewisser Doktor Harun Aulis, welcher seit ungefähr zwei Jahren in der Gerichtsmedizin arbeitete. Wir sollten bei ihm in der Pathologie vorbeikommen, am besten gegen Abend, weil er uns einen -wie er sagte- ungewöhnlichen Todesfall zeigen wollte, bei dem er nicht so recht weiterkam. Da er von uns durch die Polizei schon gehört hatte, vertraute er darauf, dass wir zur Klärung der seltsamen Umstände vom Tode einer 52-jährigen Frau beitragen könnten.

Einige Zeit später standen wir -mein Partner und ich- mit Doktor Aulis vor der Leiche der durch einen Herzinfarkt verstorbenen Azadeh Erdem. Mit einem etwas schmunzelndem Lächeln fragte uns Doktor Aulis: "Sollen wir erst mit der merkwürdigen Todesursache eines ungewöhnlichen Herzinfarkts anfangen oder dem noch seltsameren Umstand, warum eine Muslimin ein christliches Gotteshaus aufsucht?"

Wir lachten beide verhalten und nur geringfügig, weil uns diese ganze Begebenheit ebenfalls sehr zu denken gab. Schließlich fing Doktor Aulis mit der Todesursache an:

"Azadeh4 Erdem war bis zu ihrem Tod in guter körperlicher Verfassung mit einem starken gesunden schlagenden Herzen. Ich habe mich mit ihrer Familie noch etwas unterhalten an dem Tag, wo ich ihnen die traurige Nachricht ihres Todes überbringen musste. Dabei habe ich mich über diese Frau etwas informiert! Sie hat regelmäßig Fitness und Sport betrieben, war vor zwei Jahren sogar einmal beim Residenzlauf dabei und hat sich ansonsten auch gesund ernährt. Es gibt kein einziges Anzeichen in ihrer Lebensweise, welches auch nur annährend darauf hindeutet, dass der Herzinfarkt durch körperliche Mangelerscheinungen ausgelöst worden sein könnte. Des weiteren herrschte keine persönliche Stresssituation oder ähnliches vor. Dadurch bin ich nach eingehender Untersuchung zu dem Schluss gekommen, dass die Ursache des Herzinfarktes ein massiver Schock gewesen sein muss. Interessant ist auch, wo sich das alles ereignet hat!"

"Wo denn?"

"Im Kirchenschiff des Käppele!"

"Was?"

DAS war eine Neuigkeit, welche uns vollkommen überraschte.

"Pater Albwin hat mich davon in Kenntnis gesetzt und hat sich aber nach ihrem letzten gemeinsamen Gespräch nicht mehr getraut, direkt auf sie zuzukommen! Er erzählte mir auch von der momentan prekären Situation, dass eben mehrfach jetzt schon ein Geist erschienen ist, sich aber ihnen beiden scheinbar noch nicht zu erkennen gegeben hat."

Ich bestätigte dies durch ein nachdenkliches Nicken.

"Was mir jetzt zu denken gibt ist die Frage, was eine Muslimin für einen Grund gehabt haben könnte, ein christliches Gotteshaus aufzusuchen und was sie GESEHEN haben muss, das so einen massiven Schock bei ihr auslöste, dass ihr Herz aufgrunddessen versagte." Tief atmete Doktor Aulis durch. "Ich kann nur vermuten, dass dies alles tatsächlich mit dem Umstand zusammenhängen kann, ... naja... vielleicht ist dieser Geist die Erscheinung ihrer Tochter, welche vor ungefähr 15 Jahren verschwunden ist! Herr Erdem wollte darüber nicht sprechen!"

"Erdem sagen sie ist der Familienname?"

"Ja!"

"Irgendwie kommt mir dieser Name bekannt vor, doch ich komme einfach nicht drauf, woher ich ihn kenne!" Ich fing das Grübeln an.

"Unter diesen Umständen sollten sie vielleicht doch noch einmal versuchen dem Geist dort oben zu begegnen! Ich halte es nämlich für durchaus möglich, dass sich dies alles aufklären lässt, eben unter anderem WARUM Azadeh Erdem dort oben war. Mit Sicherheit nicht, um zu beten!"

Wir verließen die Pathologie und fuhren förmlich geistesabwesend zum nächsten Fast Food - Restaurant, irgendwie hatten wir beide jetzt Appetit darauf, wollten bei einer ordentlichen 'Mahlzeit' -wenn man das in Fast Food-Restaurants überhaupt so nennen kann- ergründen zu können, wie das alles zusammenhing.

Noch am selben Tag telefonierte ich mit Pater Albwin und wollte mich mit ihm oben in seinen Räumlichkeiten treffen.

Pater Albwin war sichtlich erfreut uns zu sehen. "Was verschafft mir die Ehre ihres Besuches?"

Ein leichtes Lächeln huschte über meine Lippen und ich musste Schmunzeln. Ich schätzte Pater Albwin so ein, dass er ungeachtet persönlicher Zwistigkeiten stets freundlich und höflich blieb und eine angenehme wohlgewählte Ausdrucksweise an den Tag legte. Vielleicht gab es vereinzelt doch einige Geistliche, die den wahren Sinn des Christentums verkörperten.

"Wir waren bei Doktor Aulis in der Gerichtsmedizin gewesen und er zeigte und erzählte uns von dem ungewöhnlichen wenn nicht gar merkwürdigen Todesfall der Frau Erdem. Es ist schon eigenartig, dass eine persische Muslimin das Käppele aufsucht. Noch seltsamer ist, dass sie dort stirbt durch einen unnatürlichen Herzinfarkt, ausgelöst durch einen massiven Schock. Doktor Aulis kam nun zu dem Schluss... vielleicht ist der Geist die Erscheinung ihrer Tochter, die vor gut 15 Jahren spurlos verschwunden und nie wieder aufgetaucht ist."

"Das ist der Grund, warum wir die ganze Sache wieder aufnehmen wollen!" sprach mein Partner die Absicht unseres Besuches aus.

"Sie glauben...?"

"Wenn diese Annahme stimmt, dann könnten vielleicht tatsächlich zwei bisher ungelöste Fälle geklärt werden. Das Wichtigste ist erst einmal, dass wir nun eben ausharren müssen, bis der Geist..."

"...sich dazu herablässt auch uns zu erscheinen!" fiel ich meinem Partner ins Wort.

Erleichtert atmete Pater Albwin aus und schließlich setzten wir unsere Arbeit in dieser Sache schon am darauffolgenden Tage fort.

 

Wir dachten schon, wir würden unverrichteter Dinge abziehen, als auf einmal kaum dass wir uns zum Gehen abgewandt hatten ein starker Wind durch das geschlossene Nebengebäude fuhr und mehrere Kerzen ausblies, die gerade noch gebrannt hatten. Verwirrt schauten wir uns an und verharrten noch einige Minuten dort wo wir standen. Weiterhin passierte jedoch nichts, also zogen wir es doch vor, erst einmal aus der Kirche zu gehen. Ich hatte aber die Tür noch nicht erreicht, als die Tür aufging und sich wieder schloss. Wieder schauten wir uns in der ganzen Kirche um, doch wieder passierte ansonsten nichts.
 


- Ein starker Windstoss lässt die Kerzen ausgehen -

"Sag' mal! Habe ich mir das jetzt nur eingebildet, oder..."

Da mein Partner lachend den Kopf schüttelte bestätigte er mir, dass nicht nur ich diese ungewöhnliche Begebenheit erlebt hatte. Noch einige Zeit verblieben wir beim Käppele, durchliefen das Gebäude, doch weiteres passierte nicht mehr.

Am darauffolgenden Tag spitzte sich die Situation noch etwas zu. Wieder waren wir alleine -offiziell waren erneute Exerzitien von Pater Albwin angesetzt- und abermals als wir gehen wollten, spielte sich etwas ab, was rational nicht erklärbar war. Die Orgel fing an, 'verrückt' zu spielen. Je länger sie jedoch spielte, desto deutlicher wurde mir, dass es eine bestimmte Melodie war. Die Orgel oder was auch immer die Orgel spielte, stimmte das Lied 'Hilf Herr meines Lebens' an, Liednummer 622 aus dem Gotteslob.

Wir saßen auf den Stufen beim Käppele und dachten darüber nach.

"Ungeachtet dessen WAS für ein Geist es ist... Kann es sein, dass diese Erscheinung uns auf diese Weise etwas mitteilen will? Du kennst doch den Text des Liedes, oder?"

"Nicht genau!" entgegnete mir Mr. Lumpi. "Also ich kenne das Lied aber..."

"Hilf Herr meines Lebens, dass ich nicht vergebens hier auf Erden bin!" unterbrach ich ihn. "Wenn ich richtig vermute, dann ist unser Gott auch der Gott aller Menschen und verstorbene Seelen erlangen Kenntnisse sämtlicher Religionen und Glaubensrichtungen. Nur so kann ich mir erklären -wenn es wirklich der Geist der verschwundenen Tochter Erdem ist- wie sie von diesem Lied wissen kann!"

"Also müssen wir hier noch längere Zeit verweilen, bis sie uns schließlich erscheint!"

"Ich denke einmal, das wird nicht mehr so lange dauern, bis sie uns erscheint. Vermutlich kostet das einer ruhelosen Seele, einem Geist, einer Erscheinung oder wie auch immer sehr viel Energie, sich zu materialisieren... auch wenn es in Form von beispielsweise transparentem Nebel ist!"

"Lass' mich erst einmal für einen Augenblick alleine!" beendete mein Partner das Gespräch. "Ich brauche Zeit zum Nachdenken!" Und ungewöhnlicher Weise zündete sich mein Partner auf der Bank sich hinsetzend eine Zigarette an, wobei er doch gerade in der Phase war, sich das Rauchen abzugewöhnen. Also schien ihn das ebenfalls ähnlich mitgenommen zu haben. Naja... schließlich bekommt man nicht jeden Tag ein 'Privatkonzert' von einer Orgel, die ein Liedchen anstimmt ohne dass überhaupt jemand die Tasten betätigt.

Da wir uns sicher waren, dass an diesem Tag nichts mehr Ungewöhnliches passieren würde, verließen wir für heute das Käppele. Wir waren jedoch überzeugt, es stand kurz bevor, dass uns dieser Geist erscheinen würde und somit würden wir auch einige Antworten finden.

Am nächsten Tag kamen wir recht früh zum Käppele und wurden von Pater Albwin erwartet, welcher ein sehr bedrücktes Gesicht machte. Wortlos wies er uns an, ihm zu folgen.

"Es hat einen zweiten Todesfall gegeben, ... vor vielleicht ein bis zwei Stunden!"

Wir waren zu schockiert, als dass wir uns dazu hätten äußern können.

"Wie jeden Tag haben wir heilige Messe gehalten, die meisten Gläubigen waren bereits gegangen, als ich mit einem Mal ungewöhnliche Geräusche von draußen hörte. Als ich dazukam sah ich nur noch, wie ein Mann wie wahnsinnig vor etwas davonzulaufen schien, es sträflich vernachlässigte, darauf zu achten, wohin er überhaupt lief und rettungslos

über die Mauer in den sicheren Tod stürzte."

Schweigsam verließen wir die Privatgemächer von Pater Albwin und entschlossen uns zu zweit für die beiden Todesopfer zu beten. Ein bisschen hegten wir die Hoffnung, die Erscheinung würde uns endlich aufsuchen. Zwar kam es nicht ganz so, wie wir gedacht hatten, doch erneut ging im geschlossenem Kirchenschiff ein Wind durch den Raum und schien dieses Mal die Tür aufzublasen. Mehr intuitiv folgten wir diesem 'Wink' und gingen nach draußen.

Dieser Windhauch schien nicht natürlichen Ursprungs zu sein, denn auf einmal änderte der Wind seine Richtung und blies in Richtung des einen Nebengebäudes. Wir folgten dieser neuen Windrichtung und schritten ins Nebengebäude. Interessiert schauten wir uns alles an, doch scheinbar hatte es sich entweder der Geist wieder anders überlegt oder seine Energie hatte noch nicht ausgereicht, sich uns zu zeigen.

Gerade schauten wir uns den Schaukasten an, unterhielten uns darüber und mein Partner zeigte mir etwas, als das 'Schauspiel' von selbst anging, ohne dass wir etwas getan hatten. Nachdem es abgespielt war, verstummte es. Einige Zeit warteten wir noch, doch es passierte weiter nichts.
 


- Die Ermittler vorm Schaukasten der sich selbstständig einschaltet -

Dieses Mal entschieden wir uns jedoch dafür zu bleiben. Doch wieder passierte nichts.

Es war gegen Abend, als wir noch etwas spazierengingen beim Käppele und wollten uns schon auf den Weg zum Auto machen, als mit einem Mal die Orgel von innen zu hören war, immer nur die ersten Anschläge von dem Lied 860 im Gotteslob: Kommt her ihr Kreaturen all. Ein jedes Mal wurden aber nur die Takte angespielt 'Kommt her ihr'. Mein Partner und ich entschlossen uns, nochmals in die Kirche reinzugehen. Gerade als mein Partner im Begriff war die Tür zu öffnen, sah ich etwas, was nicht natürlichen Ursprungs sein konnte, da es unter anderem keinen Schatten warf. Hinter meinem Partner Mr. Lumpi manifestierte sich für mehrere Augenblicke ein schwarzer Schatten, so dass nur ich ihn sehen konnte. ... 'Moment mal!' ... dachte ich bei mir, 'Irgendwie kommt mir das sehr bekannt vor!'

"Eddy warte!" Mein Partner drehte sich um und der schwarze Schatten war verschwunden. Wir verblieben noch eine ganze Weile, in der ich ihm von dieser Erscheinung erzählte, bevor wir wieder nach Hause fuhren.

In dieser Nacht konnte ich nichts schlafen, hatte zuviel geraucht und zuviel Kaffee getrunken, war also dementsprechend aufgedreht gewesen. 'Warum?' fragte ich mich, 'Warum tauchte diese Erscheinung dieses Mal so auf, dass nur ICH sie sehen konnte?' Ich kam damit nicht weiter und wurde nur noch mehr aufgewühlt, weil ich am darauffolgenden Morgen das Haus der Familie Erdem aufgesucht hatte. Herr Erdem war in der Unterhaltung mit mir höflich und freundlich geblieben, wobei ich merkte, dass er keine sonderlich große Sympathie für mich empfand. Die Unterhaltung mit ihm nahm mir auch noch den Rest an Gelassenheit und Ruhe, sollte überhaupt noch etwas davon dagewesen sein. Dies hatte auch einen entscheidenden Grund:

Seine Tochter war Sirin Yaren Erdem!

Als er diesen Namen aussprach, traf es mich vollkommen unerwartet und wie einen absoluten K. O. - Schlag:

Sirin Yaren Erdem war eine ehemalige Schul- und Klassenkollegin von mir gewesen mit der mich eine sehr gute Freundschaft verbunden hatte. Mit der Zeit hatte sich eine sehr große Zuneigung meinerseits zu ihr entwickelt, wo ich aber niemals gewagt hatte, es mir auch nur anmerken zu lassen. Durch die konservative und religiöse Führung des Vaters und des Elternhauses war es auch nicht immer leicht gewesen miteinander wegzugehen. Ein heimlicher Vertrauter und guter Freund, der uns stets hilfsbereit zur Seite stand, um dies zu ermöglichen war der 'kleine' Bruder Bahadir Enis Erdem von Sirin Yaren. Er freute sich, mich nach so langer Zeit wiederzusehen und ich versprach abschließend, alles zu tun, was in meiner Macht stand, um diesen Fall aufzuklären.

Bevor mein Partner Mr. Lumpi und ich uns abermals zum Käppele aufmachten, saßen wir noch bei mir zusammen.

"Eddy!" sprach ich ihn nach einigen Minuten an, wo wir für uns selber nachgedacht hatten. "Mir kam ein Gedanke! Wir zwei haben diese metaphysischen Momente gemeinsam erlebt, wie zum Beispiel, dass die Orgel von selbst angefangen hat, zu spielen, dass der Schaukasten von alleine anging und die Türen sich wie von selbst geöffnet haben. Die Botschaft von ihr war aber, dass ICH 'hergebracht' werden soll. Den Schatten habe beim zweiten Mal auch nur ich gesehen. Darum kam mir die Vermutung: Sie akzeptiert und respektiert womöglich dich als meinen Partner, möchte aber tatsächlich mich ALLEINE sprechen! Deswegen wäre mein Vorschlag: Wir fahren zwar gemeinsam hoch, doch ich werde diesmal alleine im Kirchenschiff verweilen! Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie sich mir dann tatsächlich zu erkennen gibt!"

Der Tag ging schon zur Neige. Während mein Partner sich vor der Kirche positionierte, ging ich rein.

Kühl war es im Kirchenschiff und mich fröstelte leicht, wobei ich das Gefühl hatte, dass die Kälte nicht alleine natürlichen Ursprungs war. Ich kniete im Seitenkirchenschiff und wollte gerade anfangen zu beten, als ich ein leises Geräusch, wie ein Flüstern vernahm. Verwirrt blickte ich mich um, konnte jedoch keine Veränderung ausmachen. Als ich meinen Kopf wieder drehte und zufällig nach rechts blickte, sah ich einen schwarzen Schatten, der immer mehr Kontur annahm.

Wenige Augenblicke später stand in einer transparenten aber deutlichen Kontur tatsächlich Sirin Yaren Erdem vor mir, so wie ich sie das letzte Mal gesehen hatte:

Sirin Yaren war etwas kleiner als ich, hatte dunkle, schwarzbraune leicht gelockte Haare, die zu einem Zopf zusammengebunden waren. Wie ich hatte sie diesselbe Vorliebe für schwarze Kleidung und so war der Schemen ihrer ruhelosen Seele schließlich auch in einen schwarzen weiten Pulli und eine schwarze Jeans gekleidet. Nun stand ihr Geist leicht schräg rechts vorne an meiner Seite und lächelte mich freundlich an. Mir stand der Mund offen und die ersten Augenblicke war ich nicht fähig, auch nur irgendetwas zu sagen. Bis SIE MICH schließlich ansprach: "Salam Thomas! Es freut mich, dass du gekommen bist! Wie geht es dir?" Eine ungewöhnliche Eröffnung eines Gesprächs, nachdem man sich zwar jahrelang nicht gesehen hatte, aber es die Tatsache war, dass einer von uns beiden nicht mehr menschlicher Natur war. Es dauerte geraume Zeit, bis ich mich einigermaßen fassen konnte; wie sehr hatte ich ihre süße Stimme vermisst, die stets meine Sehnsucht nach dem Orient entbrannt hatte. Wie sehr ich ihre Freundschaft vermisst hatte. "Sirin! Warum... warum willst du mit mir sprechen, warum gerade jetzt und was... was ist überhaupt passiert?"

Ich sah, wie eine leichte Traurigkeit ihr Lächeln fast einfror und Schwermut ihrem Gesicht einen deutlichen Ausdruck versetzte, der erkennen ließ: Etwas Gewichtiges hatte sich auf ihr Herz gelegt und machte sie betrübt, eine Angelegenheit, welche noch nicht geklärt war und sie nicht ruhen ließ.

"Die ganzen Jahre über, seit das Leben in mir erstarb suchte ich nach dir, doch ich hatte nicht das Glück, dich aufzufinden, bis ich dich endlich erblickte. Der Ort Würzburg war meine Heimat und hat mich nie losgelassen und als ich dich endlich mit deinem Partner sah, folgte ich euch. Ihr ward auf dem Weg zum Käppele gewesen, wo eine Leiche versteckt gelegen hatte. Mir war klar, dass ihr im Moment zu beschäftigt sein würdet und folgte euch nicht weiter, doch wieder verlor ich eure Spur und so entschloss ich mich, hier für eine gewisse 'Unruhe' zu sorgen, in der Hoffnung, dass euch außergewöhnliche nicht erklärbare Umstände wieder hierherführen würden."

"Was ist der Grund, weswegen du mich zu sprechen wünschst?"

Sie legte einen Finger auf den Mund und zischte sanft und lieblich dazu, um mir zu Verstehen zu geben, zu schweigen; sie würde es mir erklären:

"Ich will, dass du deine Augen schließt, damit ich dir meine letzte Erinnerung von den letzten Minuten meines Lebens ins Gedächtnis legen kann! Dann wirst du verstehen, denn ich bin mir sicher: Du bist der Einzige, der mir helfen kann!"

Also kniete ich mich in die Bank, schloss meine Augen. Es dauerte nur einen Herzschlag, bis ich das Gefühl hatte, eiskaltes Wasser und eiskalte Winde würden von außen in mich eindringen und meinen ganzen Körper durchspülen. Doch so schnell dieses Gefühl gekommen war, so augenblicklich verschwand es wieder, allerdings um einer anderen Außergewöhnlichkeit zu weichen:

Vom ersten Augenblick an wusste ich was es war:

Ich würde in den nächsten Minuten die letzten Minuten ihres Lebens sehen und erleben, wie sie es erlebt hatte. Wie intensiv, das sollte ich noch deutlich zu spüren bekommen:

 

Es war ein Freitag Abend und Sirin Yaren Erdem hatte beschlossen mit ihrer besten Freundin Nese Feiern zu gehen aus einem Anlass heraus, der niemals Realität würde, wie Sirin bisher überzeugt gewesen war:

Ihr Vater war ein streng gläubiger und sehr konservativer Mann, der ihr kaum Freiheiten ließ und seit wenigen Jahren sie drängte, dass sie jetzt reif wäre zu heiraten. Zwar hatte Sirin ihren Vater immer wieder bereden können, doch vor einem Jahr hatte ihr Vater einen jungen recht wohlhabenden Türken kennengelernt, von dem er begeistert zu sein schien. Als die gesamte Familie einmal versammelt gewesen war, hatte er diesen Türken als den Zukünftigen von seiner Tochter Sirin Yaren vorgestellt. Sie, die davon nichts gewusst hatte, war aus allen Wolken gefallen und war noch in derselben Nacht ausgerissen und hatte sich heimlich bei einer sehr guten Freundin -ihrer Freundin Nese- versteckt, welche ihrer Familie jedoch nicht bekannt war, außer ihrem Bruder Bahadir Enis vielleicht. Vater Erdem hatte dies bemerkt und herausgefunden und seinen Sohn Bahadir so lange unter Druck gesetzt, bis er schließlich verraten hatte, wo Sirin sich versteckt hielt. Auf Drängen des Vaters war sie zurückgekommen und hatte sich bereiterklärt, mit ihrem Vater noch einmal zu reden. Mit einer Härte und Konsequenz, die sich Sirin Yaren selbst nie zugetraut hätte, hatte sie ihrem Vater eindringlich klar gemacht: Würde er ihr nicht die Freiheiten gewähren, welche ihr zustünden, indem sie Freunde treffen dürfe ohne Begleitung eines Familienmitglieds, mit Demjenigen zusammensein und sich vermählen, den IHR Herz begehren würde, so sähe er sie heute zum letzten Male. Voller Wut warf sie ihm abschließend noch das Gedicht des arabischen Dichters Khalil Gibran 'Eure Kinder sind nicht Eure Kinder' vor, um ihm endgültig klarzumachen, dass er in keinster Weise das Recht hätte über ihr Leben zu bestimmen. Nur sie alleine hätte dieses Recht und würde dies in der Verpflichtung Allah gegenüber in demütiger und gottesfürchtiger Weise tun. Augenblicke verstrichen, in denen ihr Vater sie erst wutentbrannt ansah, bevor dieser Zorn brach und er scheinbar gebrochen auf dem Sofa sich hinsetzte. Es war noch ein harter Kampf gewesen, doch ihr Vater rückte schließlich ab von der engstirnigen konservativ religiösen Ansicht und wurde ihr gegenüber liberaler. Dem Türken, der eigentlich schon Sirin als seine Frau an seiner Seite sah, sah sich getäuscht und verfiel fast in Raserei, doch spätestens da zeigte sich, dass ihr Vater für sie einstand. Kurzerhand rief er die Polizei und warnte ihn: Würde er sich noch einmal blicken lassen, um ein Recht einzufordern, welches ihm nicht zustünde, dann würde er dies bitter bereuen.

Aus diesem Grunde, wie sich alles in der letzten Zeit entwickelt hatte, war Sirin mit ihrer besten Freundin Nese eben in die Discothek gegangen, welches im alten Hafen in einem 'gestrandeten' Boot war und eine absolut 'coole Location' war, wie sich die beiden neuerdings ausdrückten. Der Abend war spaßig gewesen, doch Sirin beschloss schon kurz nach 01.00 Uhr nachts, wieder nach Hause zu fahren, während Nese gerade dabei war aufzudrehen. Alles schien künftig wunderbar zu werden: Die neue Freiheit, welche sie gewonnen hatte, das Studium, was bald beginnen würde, ....

Sie hatte etwas weiter weg von der Discothek geparkt und gerade als ihr Auto in Sichtweite kam und sie allein in der Dunkelheit war, entlanglaufend am Mainufer, vernahm sie Schritte hinter sich. Zuerst dachte sie, es wäre jemand, der ebenfalls in der Nähe oder im Parkhaus geparkt hatte, doch ... ihr Auto war hinten am Eck am alten Kranen das einzige Auto, was dort stand. Was sollte sie jetzt tun?

Erst einmal beschleunigte sie ihre Schritte. Die Person hinter ihr folgte ihrem Beispiel und hatte nun auch einen schnelleren Gang. Schließlich drehte sie sich um und sah genügend von der Person hinter sich, um zu erkennen, dass es der geprellte ehemalige türkische Verlobte war.

Das Auto war nur noch ein paar Meter weit weg und sie begann zu rennen. Sie erreichte das Auto und zitternd versuchte sie verkrampft den Autoschlüssel ins Schloss zu bringen und ihr Auto aufzuschließen. Im nächsten Moment hatte sie der Mann erreicht, riss sie vom Auto weg, zerrte sie ein paar Meter weit und schleuderte sie mit aller Wucht, zu Boden. Kaum, dass sie sich etwas gedreht hatte, saß er schon auf ihr und prügelte sie fast in die Bewusstlosigkeit, so dass sie zwar noch mitbekam, was als nächstes passierte, ihn aber nicht mehr daran hindern konnte.

Mit brutaler Gewalt riss er ihr die Kleider ab der Gürtellinie vom Leib und fauchte ihr gehässig mit diabolischem Grinsen entgegen: "Ich bekomme immer was ich will ... 'mich reizt deine Gestalt, Sirin, und bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt!' ... Oder habt ihr es nicht so in eurem Deutschkurs im Gymnasium gelernt von diesem komischen lüsternen deutschen Dichter! Du entkommst mir nicht... und wenn du still hältst, dann tut es auch nicht so weh, ... dein erstes Mal! Du bist doch noch Jungfrau oder?"

Sirin konnte nur noch wimmern und wollte es über sich ergehen lassen, doch von einem zum anderen Moment packte sie eine rasende Wut! Niemals würde sie sich einfach in ihr Schicksal ergeben. Mit aller Kraft die sie aufbieten konnte, holte sie aus und traf mit ihren messerscharfen Fingernägeln, welche den Krallen einer Raubkatze hätten Konkurrenz machen können, das Gesicht des Mannes. Er schrie auf, doch er ließ nicht locker und schlug ihr mit voller Wucht in die Magengegend, dass ihr fast die Luft wegblieb. Diesen Moment der Ohnmacht nutzte er, um schließlich zu bekommen, was er begeherte. Ein unbeschreiblicher Schmerz durchfuhr sie, als er gewaltsam in sie eindrang und immer und immer wieder. Schließlich, als er fertig mit ihr war, stand er auf und ließ sie wie ein benutztes Taschentuch liegen. Als er gerade aufgestanden und damit beschäftigt war, die Hose zuzumachen, stand sie geschwächt auf, nachdem sie sich wieder angezogen hatte. Wieder überkam sie ein Augenblick unermesslichen Hasses. Mit voller Wucht trat sie ihm zwischen die Beine, worauf er endlich zusammensank.

Doch dann geriet die Situation außer Kontrolle:

Er zog eine Waffe aus der Seitentasche seiner Jacke und wollte sie erschießen, doch sie stürzte sich mit letzter Kraft auf ihn. Es begann ein Ringen um den Besitz der Pistole, bis Sirin sie zu fassen bekam, sie an die rechte Seite des Mannes hinhielt und abdrückte. Er schrie schmerzhaft auf, doch scheinbar hatte sie sein Herz verfehlt. Verzweifelt und mit letzter Kraft packte er sie am Hals und fing an, sie zu würgen. Am Boden liegend mit allerletzter Kraft, Kräften die fast nicht mehr menschlicher Natur waren, fuchtelte sie wieder wild mit ihren Händen vor seinem Gesicht herum. Der Mann, der daraufhin erst einmal beschäftigt war, ihre Arme festzuhalten bewies eine Kraft, der kaum etwas entgegenzusetzen war. Sie ließ nach, um etwas Kraft zu sparen, näherte sich blitzschnell im nächsten Moment seinem Gesicht und biss ihm ein Stück von seiner Wange ab und schluckte es herunter.

Sie war davon überzeugt, dass sie gerade die letzten Augenblicke ihres Lebens durchleben und der Mann sie umbringen würde. Ihre einzige Hoffnung war, er würde sie zumindest so schnell ermorden, dass ihr Körper diesen Hautfetzen nicht würde verdauen können, so dass dies vielleicht ein notwendiges Beweisstück wäre, für die Überführung dieses Mannes.

Wieder setzte er seine Hände an ihren Hals und würgte sie, bevor er mit einem Mal am Kiefer packte und ihren Kopf grausam und ruckartig herumriss. Ein lautes Krachen war zu hören und ein letztes Mal mit einem Blick absoluter Feindseligkeit blickte sie ihrem Mörder ins Gesicht, welcher ihr gerade das Genick gebrochen hatte.

 

Ein Stöhnen und Schreien oder Kreischen einer jungen Frau war zu hören gleichzeitig zu dem Stöhnen und Ächzen seines Partners, der in der Kirche verweilte. Mr. Lumpi erschrak bis ins Mark und wusste nicht, was er tun sollte.

Eine Minute verstrich, zwei Minuten verstrichen, die Zeit raste vorbei und Mr. Lumpi stand wie zur Salzsäule erstarrt vor dem Hauptportal. Als er einen letzten Schrei seines Partners in solcher Lautstärke vernahm, dass er selbst draußen noch deutlich zu hören war, wollte er schon die Tür aufreißen und in die Kirche rasen. Er setzte schon an, von der Mauer, wo er gestanden hatte, loszurennen, doch da öffnete sich die Tür, sein Partner Thomas Raich wankte förmlich raus, unzählige Schweißperlen auf der Stirn, die Tür fiel ins Schloss und für einen Augenblick stand er bewegunslos da, bevor seine Kräfte ihn zuerst in den Beinen verließen und er wie ein nasser Sack zusammensackte, wie einer Marionette, welcher man die Fäden durchgeschnitten hatte. Er eilte zu seinem Partner hin und rüttelte und schüttelte ihn, um ihn wach zu bekommen.
 


- Los Thomas komm wieder zu Dir..! -

Sirin Yaren Erdem war in mich gefahren und hatte so ihre letzte Erinnerung in mein Gedächtnis abgelegt. Da eine Erinnerung mit sämtlichen Sinneseindrücken verwoben ist, konnte ich es nicht nur mit ihren Augen sehen, was sie in ihren letzten Minuten erlebt hatte, sondern auch auf grausame Art und Weise spüren. Irgendwann musste ich dann das Bewusstsein verloren haben, da mir der Atem stockte, als in der Erinnung dieser Mann ein letztes Mal Sirin Yaren gewürgt hatte, bevor er ihr schließlich das Genick brach.

Ich spürte, wie ich ständig gerüttelt wurde und geistesabwesend dachte ich, es sei dieser Türke, warum ich erfolglos und halbherzig anfing, wild um mich schlagen zu wollen, doch eine satte Backpfeife machte mich schlagartig wach und ich sah meinen Partner vor mir. Immer noch wie in Trance, ließ ich mich von ihm zum Auto schleppen und bekam nur teilweise mit, dass er mich zum Krankenhaus fuhr. Im Krankenhaus wollte ich entweder nicht reden oder war nicht fähig zu sprechen. Jedenfalls ergaben einige wenige Tests, dass ich vollkommen in Ordnung war. Eine kurze Verschnaufpause vor dem Klinikum legten wir ein, bevor mich mein Partner nach Hause fuhr. Heute nacht ließ er mich nicht mehr fahren und blieb auch bei mir, bis er am Morgen danach sicher sein konnte, dass mit mir wirklich wieder alles in Ordnung war.

Was wir an diesem Tag zu tun hatten war klar!

Wir mussten nochmals zum Käppele!

Mein Partner war allerdings alles andere als begeistert, als ich ihm sagte, ich wolle nochmals ALLEINE im Käppele verbleiben, da mir Sirin Yaren noch nicht den Ort verraten hatte oder verraten hatte können, an dem ihr lebloser Körper lag.

Während ich ruhelos hin und her schritt, saß mein Partner auf der Bank hinter dem Kreuzdenkmal links neben dem Hauptportal des Käppele.

Verzweifelt, aber auch absolut entschlossen sorgte ich dafür, dass unser Unterhaltung lauter und leidenschaftlicher wurde:

"Es ist die einzige Möglichkeit, den Ort zu erfahren, wo ihre Leiche liegt!" Mit wild abwinkender Gestik seiner Hände und Arme versuchte mein Partner mir klar und unbezweifelbar deutlich zu machen, dass er nichts von dieser Idee hielt. Mehr und mehr merkte er jedoch, dass meine Entschlossenheit nicht zu brechen und mit mir nicht zu reden war, da ich teilweise etwas apathisch und geistesabwesend war.

Also sagte er nichts mehr dazu und ich entschloss mich ein weiteres Mal, alleine ins Seitenkirchenschiff zu gehen, damit mir Sirin Yaren hoffentlich ein letztes Mal erscheinen würde.

Wieder betete ich, dieses Mal dafür, dass wir den Fall endgültig abschließen könnten und Sirin Yaren endlich ihre Ruhe finden würde. In mir trug ich die Hoffnung, dass sie mich nicht zu lange auf sich warten lassen würde.

Es dauerte so einige Zeit, bis vor meinen Augen sich so etwas wie schwarzer Nebel bildete, der jedoch immer dichter wurde und wenige Augenblicke später stand abermals der Geist von Sirin Yaren Erdem vor mir.

"Du brauchst mir nicht zu sagen, weswegen du mich nochmals zu sprechen wünschst! Um meiner Seele Ruhe zu verschaffen, müsst ihr nur meine sterblichen Überreste dort finden, wo sie liegen seit ich achtlos in den Main geworfen wurde ... und noch mehr!"

Und ganz genau beschrieb sie mir die Stelle, an der ihre Leiche lag, was in meinem Gesicht ein gewisses betretenes Lächeln auslöste, da ich an diese Stelle aus einem anderen Grund keine gute Erinnerung daran hatte.

Sie war schon wieder im Begriff sich aufzulösen, als ich noch einmal zu ihr sprach:

"Sirin! Halt warte noch einen Augenblick!"

Sie drehte sich zu mir um und blickte mich fragend an.

"Sobald der ganze Fall gelöst ist! ... Könnten wir uns ein letztes Mal unterhalten? Ein letzes Mal! Nur zum endgültigen Abschied!"

Geschmeichelt blickte sie mich mit einem bezaubernden Lächeln an: "Oh, es wird kein endgültiger Abschied sein, liebster Thomas! Nur für einen gewissen Zeitraum! Natürlich, ... was für mich nur wie ein Wimpernschlag an Zeit sein wird, wird für dich ein Zeitraum an Jahren und Jahrzehnten sein! Doch wir werden uns wiedersehen, sobald auch deine Seele ihre menschliche Hülle verlassen haben wird!" Und mit diesen Worten entschwand sie endgültig meinem Blick.

Ich stürzte nach draußen und sprach in drängendem Ton zu meinem Partner, war schon auf dem Weg zur Mauer.

"Was ist?"

Ich deutete mit meiner linken Hand zum Main und erklärte ihm, dass dort die sterblichen Überreste von Sirin Yaren Erdem waren und sie mir die Stelle ganz genau beschrieben hätte.
 


- Dort liegen ihre Überreste am Main -

Wir gaben der Polizei bescheid und gemeinsam fuhren wir zu der Stelle, um auf die Polizei zu warten. Es dauerte zwar geraume Zeit, bis sie mit den Leuten von der Spurensicherung kamen, aber wesentlich kürzere Zeit, bis Sirin Yarens Leichnam tatsächlich dort entdeckt wurde. Noch eine Weile und die ganze Angelegenheit war erledigt. Wir wussten, wir konnten uns Zeit lassen, da es doch längere Zeit dauern würde, bis die Untersuchung der Leiche abgeschlossen sei. Doch kaum, dass die letzte Helligkeit verschwunden war, klingelte mein Handy und Doktor Harun Aulis war dran.

Wieder waren wir in der Pathologie.

"Also! Erst einmal das Wichtigste! Es ist in der Tat die Leiche der jungen Frau Sirin Yaren Erdem und andererseits... grenzt es an ein Wunder, dass sie so gut wie unversehrt ist ... nach all den Jahren! Es klingt zwar absurd, aber vielleicht besitzen ruhelose Seelen tatsächlich so etwas wie metaphysische Magie oder Energie, womit sie dafür sorgen können, dass ihre sterblichen Überreste erhalten bleiben, so lange bis sie aufgefunden werden, ... aber das wäre alles Spekulation..." wehrte er selbst mit den Händen ab, "... und das gehört so gar nicht in meinen Tätigkeitsbereich! Wir konnten zwar Hautpartikel unter ihren Fingernägeln finden, doch die reichen für einen genetischen Test nicht aus! Ich habe mir nochmals den inneren Bereich angeschaut, weil sie am Telefon ja mir davon berichteten, sie hätte einen Hautfetzen verschluckt, dem sie ihrem Mörder aus dem Gesicht regelrecht abgebissen hat. Sie muss schon wirklich sehr starke Zähne gehabt haben, leider nicht mehr so gut festzustellen, doch dieser Hautfetzen hat tatsächlich für eine genetische Spurenanalyse ausgereicht. Jetzt müsste nur noch die Person zu finden sein, deren genetischer Fingerabdruck damit identisch ist!" Im nächsten Moment piepste das Handy von Doktor Aulis. "Moment!" Verwirrt blickte er mich an, während ich ihm ein wissendes Lächeln schenkte. "Eine SMS? Hm... scheinbar ist der Name des Mörders bekannt, ... wenn auch nur der Vorname! Dann kann man ja..."

"... gleich der Polizei bescheidgeben! Das habe ich bereits getan!"

"Ach das war das wichtige Telefonat, was du unbedingt führen musstest, während wir unten am Main gewartet haben, ... aber was ist eigentlich los... und wer ist der Mörder?" fragte mich mein Partner verwirrt. Statt ihm eine Antwort zu geben, zeigte ich ihm nur an, dass er mir folgen solle und gemeinsam verabschiedeten wir uns von Doktor Aulis.

Einige Zeit später waren wir bei mir zu Hause auf der Terasse.

"Sirin hat mir nicht nur den Ort genannt, an dem wir ihren Leichnam fanden, sondern auch WER ihr Mörder ist!"

Fragend blickte mich mein Partner Mr. Lumpi an.

"Wir kennen ihn beide... aus unserem ersten Fall, als wir noch nicht Privatermittler waren!"

Mr. Lumpi brauchte etwas um daraufzukommen.

"Jemand, der uns leider damals entwischt ist!"

"Serdal!!?"

Ich nickte.

"Sie hatte kurz vor ihrem Tod die ganze Sache mit den Drogen mitbekommen und eröffnete ihm furchtlos, dass sie bei Lust und Laune ihrem Vater und besonders der Polizei einen Tipp geben würde. Aus diesem Grund hatte -wie er es sah- Serdal keine Wahl! Er musste sie umbringen, um ungeschoren davonzukommen und seine 'Ehre' zu verteidigen, ... falls er so etwas jemals besessen hat!" beendete ich bitter meine Ausführungen.

"Jetzt heißt es eben nur noch zu warten, bis er hierhergebracht wird! Die Polizei will ihm ihren Leichnam zeigen, um seine Reaktion zu beobachten! Mörder verraten sich dann meist, ... alleine durch ihre Reaktion!"

Es dauerte dann auch nur Tage, in denen sie ihn observiert und schließlich festgenommen hatten. Serdal Vural -wie sein vollständiger Name war- hatte bei all seiner Schläue und Geschicktheit bewiesen, dass er auch grenzenlos dumm und unvorsichtig sein konnte:

Eines Abends war er in der Discothek gewesen, hatte übermäßig viel getrunken und hatte sich dann auch noch ans Steuer gesetzt. Die Hamburger Polizei hatte ihn blasen lassen und ihn mit auf die Wache genommen. Angeblich war der Test nicht eindeutig. So veranlassten die Polizisten einen Bluttest, die durch das BKA über den ungewöhnlichen Fall der Sirin Yaren Erdem informiert waren. Ein geringfügiger Teil seines Blutes wurde direkt an Doktor Harun Aulis geschickt worden, der eine 100%ige Übereinstimmung der beiden genetischen Spurenanalysen feststellen konnte. Kurze Zeit später saß Serdal Vural zum Abtransport in einem Sicherheitswagen der Polizei nach Würzburg. Behende wie ein Wiesel war er bei der Überlieferung ins Gefängnis abermals getürmt. Als ich dies erfuhr war ich voller Zorn und Verzweiflung, mein Partner voller Wut und Enttäuschung. Dieser verdammte Verbrecher schien fast wie Nebel, einfach nicht zu fassen!

Übermüdet schlief ich zwei Tage später auf meiner Couch ein. Ich hatte einen seltsamen Traum, an den ich mich nicht mehr erinnern konnte, darum umso besser an die Stimme, die im Traume zu mir sprach:

"Die Polizei sucht an der falschen Stelle! Serdal hat sich in der Nacht seiner Flucht herumgetrieben und am Vormittag des nächsten Tages die Moschee in Lengfeld aufgesucht. Dort traf er auf einen sehr religiösen Muslim, dem er vorgab, fatale Fehler in seiner Vergangenheit begangen zu haben. Er sei nach Jahren wieder hierhergekommen, um Buße zu tun. Dieser Muslim bot ihm eine Unterkunft, bis er schließlich etwas gefunden hätte, erwarte aber auch, dass er ihn täglich zur Mosche begleite! Sucht ihn gegen frühen Abend dort auf... und bringt ihn erst zum Käppele! Er soll zeigen, ob er wirkliche Reue empfindet oder dieser Muslim nur ein weiterer seiner Mitmenschen ist, den er zum Narren hält!"

Ich erzählte meinem Partner davon, der nicht wirklich davon begeistert war, doch schließlich fuhren wir am nächsten Tag zur Moschee. Wir warteten ab... und tatsächlich! Am frühen Abend kam Serdal raus und fuhr nicht gleich zu diesem Muslim beziehungsweise mit diesem Muslim, sondern ... zum Käppele, was uns sehr wunderte.

Kaum dass er ausgestiegen war, sprang ich förmlich aus dem Wagen und rannte ihm hinterher. Serdal war vollkommen überrascht mich zu sehen und konnte dem nichts entgegensetzen, als ich voll abgrundtiefem Hass und maßloser Verachtung ihm mit meiner Faust mit voller Wucht in die Fresse schlug. Es knackte, die Nase brach und fing an zu bluten. Serdal von diesem heftigen Schlag überrascht und präzise getroffen torkelte und fiel hin. Spontan beabsichtigte er, in die Kirche zu flüchten. Schon hatte er die Tür aufgerissen, als sie ihm wie von Geisterhand aus den Händen flutschte und eine Stimme sich erhob mit markerschütternder Abneigung: "Dieser heilige Ort wird von solch einer schändlichen Kreatur wie du es bist nicht entweiht!"

Im nächsten Moment ging alles sehr schnell:

Nicht nur wir, aber insbesondere Serdal sah sich der Erscheinung seines Opfers Sirin Yaren Erdem gegenüber, die vor ihm schwebte mit einem Blick, welcher keine Verzeihung kannte und nur noch Vergeltung sah. "Ich kann es in deinem Herzen sehen! DU kennst keine Reue! Weswegen glaubtest du wohl, dass ich im Traum zu dir sprach, du solltest diesen Ort hier aufsuchen, um eine angenehme Überraschung zu erleben?"

"Das ... das ist doch nicht möglich!?" ächzte er und stand nun mit dem Rücken zur Mauer. "Hast du Angst vor mir? Mir, welche du so schändlich vergewaltigt und ermordet und so respektlos weggeworfen hast? Du bist schuld, dass meine Seele keine Ruhe fand und meine Familie in rettungslose Trauer verfiel! Bereue oder gib es endlich auf, vorzugeben zu sein, was du nicht bist! Du kannst deine Mitmenschen täuschen, doch Allah und die verstorbenen Seelen kannst du nicht täuschen, ... denn ich sehe... ! Ich kann in dein Herz blicken! Ich weiß, was du denkst und fühlst! Fürchtest du dich? Du fürchtest dich nicht genug, bei dem, was dich erwartet!"

Während sie in immer größerer Verachtung zu ihm gesprochen hatte, war er mehr und mehr der Mauer nähergekommen ohne sich dessen bewusst zu sein.

"N-nein!"

"Die Schmerzen, die du mir zugefügt hast, sind nichts im Vergleich, was dich erwarten wird, wenn du dein Leben nicht änderst!" Dann einen Atemzug später legte sich auf einmal Sänfte auf ihre Gesichtszüge. "Fast wäre ich noch im Tode zu etwas ähnlichem wie du geworden, ... doch ich verzeihe dir, denn es ist nicht mehr zu ändern! Aber komm' und flüchte nicht vor mir! ..." Sie sah, in was für einer Gefahr er sich befand und auf einmal lag etwas wie Gleichgültigkeit in ihr, so dass sie ihm die nächsten Worte förmlich entgegenschrie: "... oder verschwinde und fahr zur Hölle, wo die deinen dich bereits erwarten!" Mit diesem letzten erbarmungslosen Ausruf der Sirin Yaren Erdem sprang er fast förmlich rückwärts, hatte die Mauer erreicht, versuchte sich vergeblichst irgendwie noch festzuhalten und stürzte in den Tod.

Wir blickten nach unten und sahen ihn auf dem Bauch liegend und leblos, während nicht nur sein Kopf eine groteske Haltung eingenommen hatte.

Der dunkle Geist des nun toten Serdal verließ den Körper. Mit Genugtuung in der Stimme schenkte Sirin ihm ein sanftes Lächeln: "Leb wohl, lieber Serdal Vural! Auf ewig!" Dann wandte sie sich ab und im nächsten Moment schien die Nacht Augen zu bekommen. Unzählige dunkle Arme schienen nach ihm zu greifen und den Schrei, der ihm entfuhr war nur noch von uns, Sirin Yaren und den düsteren Erscheinungen zu vernehmen, welche ihn bedingungslos und gnadenlos mit sich nahmen. Seine Gegenwehr war zwecklos, er würde künftig sein Dasein in der Verdammnis fristen.

Im nächsten Augenblick schien die Nacht wieder so wie immer, wir blickten nochmals die Mauer hinunter, wo seine Leiche lag und gaben der Polizei noch bescheid, bevor wir es vorzogen diesen unseligen Ort -zu dem er zumindest in dieser Nacht geworden war- zu verlassen.

Der Todesfall 'Sirin Yaren Erdem' hatte sich aufgeklärt und sie würde das Käppele nicht mehr aufsuchen und somit dafür sorgen, dass wieder Ruhe im Käppele einkehren würde.

Um ihr endgültig Ruhe verschaffen zu können wurde ihrem Leichnam eine Bestattung im vertrautesten Kreise ermöglicht, welches durch Zufall von Geldern bezahlt wurde, die von den Konten eines gewissen Serdal Vural stammte. Die Bank konnte es sich nicht erklären, warum mit einem Mal sämtliches Geld verschwunden war... durch zwei Überweisungen:

Die eine ging -wie bereits erwähnt- an das Bestattungsunternehmen mit einer ordentlichen spendablen Prämie, die andere an ein Frauenhaus. Ob wohl Bahadir Erdem -ihr Bruder- etwas damit zu tun hatte, der sein Studium nach Hamburg verlegt hatte mit der Studienrichtung Schauspiel, Film- und Theaterwissenschaften, wie Sirin es hätte studieren wollen?

Jedenfalls zu diesem engsten Kreis gehörten an dem Tag auch mein Partner und ich dazu sowie Doktor Harun Aulis.

Ein kurzes Gespräch ergab sich noch zwischen Herrn Erdem und mir, der mir seinen Dank aussprach, während Bruder Bahadir mich freundschaftlich in den Arm nahm und mir sagte, ich solle bei ihm in Hamburg doch einmal vorbeischauen, sein Studium verliefe wunderbar.

 

Ein letztes Mal waren wir beim Käppele. Mein Partner Mr. Lumpi versprach draußen zu warten, während ich das Seitenkirchenschiff aufsuchte, ein letztes Mal, um Sirin Yaren Erdem 'Lebwohl!' zu sagen, damit ihre Seele nun endlich Ruhe und Frieden fand.
 


- Ein letzter Besuch um Lebwohl zu sagen -

Seltsam warm war es in der Kirche, ungewöhnlich warm, aber auch nicht zu warm und hell wurde es auf einmal, bevor ich bemerkte... diese Helligkeit kam nur von einem Punkt! Vorne vom Altar, wo eine hell leuchtende Erscheinung auf mich wartete: Sirin!

"Ein letztes Mal sehen wir uns, bis wir uns in Gegenwart der Allmacht wiedersehen werden!" Sie schenkte mir ein so unglaublich wunderschönes Lächeln. "Danke Thomas, dass du mir dazu verholfen hast, endlich Ruhe zu finden!" Dann veränderte sich ihr Lächeln in ein scheinbar wissendes Lächeln:

"Du brauchst es mir nicht zu sagen und es auch nicht auszusprechen!

Verstorbene Seelen und Engel können dir fast so wie die Allmacht selbst ins Herz blicken und ich weiß nun, dass du mich -ohne es lange Zeit selber zu wissen- von Anfang an geliebt und stets hochgeschätzt hast und für diese Achtung, welche mir durch dich zuteil wurde bin ich dir sehr dankbar!"

Traurig fing ich an mit den Tränen zu kämpfen, die anfingen sich zu bilden:

"So muss ich dir jetzt wohl 'Lebwohl!' sagen, liebste Sirin!"

"Sei nicht traurig! Sondern stolz darauf, dass du mir mehr geholfen hast, als jemand anderes es hätte bewerkstelligen können!

Wir werden uns wiedersehen! Bis dahin lebe wohl und pass' auf dich auf!"

Und dann schloss ich wie in einer Art Reflex die Augen und spürte etwas wie einen kalten aber deutlichen Windhauch an meiner Stirn und wusste, dass sie mir einen Kuss geschenkt hatte.

Ich hielt die Augen geschlossen, hörte das Geräusch von rauschendem Wind und wusste, dass sie für immer von mir gegangen war.

Wie benommen ging ich nach draußen und blieb wohl lange Zeit dort stehen. Nicht einmal als mein Partner neben mir stand, bekam ich wirklich etwas mit. Leichte Tränen standen mir in den Augen und verzweifelt legte ich meinen Kopf in die Arme, aufgestützt auf die Knie, während mein Partner versuchte mich zu trösten.

Ich hatte das Gefühl, dass ich meine gute und beste Freundin Sirin Yaren Erdem ein zweites Mal verloren hatte, obwohl ich wusste, dass das nicht stimmte, auch wenn mein Herz längere Zeit brauchen würde, dies zu begreifen.

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Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Thomas Raich).
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.03.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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