Ernst Dr. Woll

Kriegsende, Erlebnisse II

Es ist heute genau 70 Jahre her, da sah ich die ersten leibhaftigen Amerikaner. Wie es zu dieser Begegnung kam, die für mich eher bedrückend als erfreulich war, will ich erzählen. Dabei muss ich etwas weiter ausholen, denn es hängt damit zusammen, wie ich in meiner Heimat in Ostthüringen das Kriegsende erlebte. Es war Anfang April 1945 und die französischen Kriegsgefangenen, die bei uns in der Landwirtschaft arbeiteten, durften wegen der anrückenden Front ihr Lager nicht mehr verlassen. Damit fehlten diese Arbeitskräfte in den  Bauernhöfen, die Frühjahrsbestellung war gefährdet. Ich war damals 14 Jahre alt und musste als Junge mit einspringen, um die Frühjahrsarbeiten auf den Feldern zu erledigen.
Allein mit dem Pferd auf unserem Acker bereitete ich die Feldfläche für das Kartoffellegen vor. In der Ferne Richtung Westen hörte ich ein dumpfes Grollen. Wir hatten im Radio im „Feindsender“ gehört, dass die Amerikaner schon die Westgrenze Thüringens erreicht hatten, das war knapp 200 km von uns entfernt. So deutete ich richtigerweise diese Geräusche  als fernen Frontlärm. Die deutschen Radiomeldungen beschönigten den Frontverlauf, immer erst einige Tage später wurde zugegeben, wie weit die Amis schon vorgerückt waren.
Während meiner Tätigkeit hielt am Feldrand ein Geländewagen, ein deutscher Oberst stieg aus und kam auf mich zu. Er sagte: „ Du bist Jungvolkführer hier im Ort und sollst dich in der Gegend gut auskennen. Ich bitte dich um Auskünfte und auch die Überlassung eventuell vorhandener Generalstabskarten.“ Ich war richtig stolz, dass ein so hoher deutscher Offizier zu mir kam  und um Unterstützung bat. Ich fuhr mit ihm nach Hause und übergab die Karten aus unserer Gegend, die ich noch von unseren Geländespielen hatte. Außerdem konnte ich seine Fragen über unseren Ort und die nähere Umgebung recht genau beantworten. Er bedankte sich und meinte, dass wir unbesorgt sein könnten, denn er würde die Amerikaner aufhalten und sogar zurück drängen. Noch heute - nach 70 Jahren - sehe ich das Bild vor meinem geistigen Auge, wie respektvoll ich mit dem Oberst sprach und in gewisser Hinsicht wollte ich sogar irgendwie seinen Worten glauben.
Kinder sind immer neugierig, ich war keine Ausnahme. So erkundeten wir, dass dieser Oberst mit seiner Geschützeinheit im östlichen Tal meines Heimatortes Stellung bezogen hatte. Das Terrain war abgesperrt, wir konnten nur aus der Ferne das Hantieren der Soldaten beobachten, die mehrere größere Geschütze aufstellten.
Am übernächsten Tag – es war der 14. April 1945 – beobachteten wir von unserem Garten aus, dass am Rande eines Waldgebietes – etwa 10 km entfernt – hin und wieder amerikanische Panzer aus ihrer Deckung auftauchten, wahrscheinlich schossen und wieder verschwanden. Über uns zischten in  Abständen von ungefähr 10 Minuten Geschosse hinweg. Wir waren uns der Gefahr nicht bewusst und gingen erst am späten Nachmittag in den Keller, als die Pausen zwischen den Salven geringer wurden. Das war für uns wie eine Vorsehung, denn kurz danach schlug eine Granate in unserem Garten ein. Sie hinterließ ein großes tiefes Loch und die Splitter beschädigten die nahe Hauswand.
Nach angemessener Zeit, immer lauschend, ob der Beschuss auch wirklich zu Ende war, verließen wir gegen Mitternacht den Keller. Ich ging mit meinem Vater zum Marktplatz. Das Bild, das sich uns dort bot, war für mich erschütternd. Ich hatte bisher noch keine größeren unmittelbaren Zerstörungen durch Bomben oder Granaten gesehen. Unsere Schule brannte, es waren nur die Mauern übrig geblieben, die gespenstisch in den vom Feuer erhellten Himmel ragten. Inmitten der teilweise zerstörten Häuser stand fast unbeschädigt die Kirche. Später wurde erzählt, dass sich auf dem Kirchturm der deutsche Beobachter befunden hätte. Die Amerikaner sollen versucht haben, den Turm zu beschießen, hatten aber keinen Erfolg. In den brennenden Gehöften lagen überall tote und verletzte Tiere, ein ganz schauriges Bild.
Dann kam der 15. April 1945. Wieder beobachteten wir von unserem Garten aus wie vom Westen über die von uns einsehbaren Felder und Wiesen in großen Formationen amerikanische Soldaten auf unseren Ort zukamen. Die vom deutschen Oberst versprochene weitere Verteidigung blieb Gott sei Dank aus, denn damit wäre ein Blutvergießen programmiert gewesen. Trotz strengen Verbots hissten wir als  Zeichen der Kapitulation eine weiße Fahne (ein zerschnittenes Betttuch). Wir waren dabei nicht frei von Angst, weil von Nachbarorten bekannt geworden war, dass fanatische SS – Offiziere selbst Zivilisten erschossen hatten, weil diese eine weiße Fahne zum Zeichen der Kapitulation, zeigten.
Mein Elternhaus und die Nachbarhäuser waren von dichten Heckenzäunen umgeben. Die amerikanischen Soldaten betraten deshalb sehr vorsichtig die Gärten und Gebäude. Sie trauten der weißen Beflaggung nicht 100 %ig. Mit sichernden Gewehren betraten 2 weiße Amerikaner und ein schwarzhäutiger Korporal unser Haus. Der gut deutsch sprechende Vorgesetzte beorderte uns in die Stube, in der mein kranker Großvater im Bett lag. Wir mussten die Hände über den Kopf halten, er behielt seine Waffe im Anschlag. Er fragte immer wieder, ob im Haus oder der Umgebung noch deutsche Soldaten wären. Die beiden anderen Amerikaner durchsuchten derweil Haus, Scheune, Stall und Garten.  Sie fanden meinen feldmarschmäßig gepackten Tornister, den ich aus der Jungvolkzeit hatte. Dort drin war alles recht gut zu verstauen und die außen herum festgeschnallten  Decken und Zeltplanen konnten im Notfall gute Dienste leisten. Ich hatte mir dieses zweckmäßige Gepäckstück ausgesucht, weil wir nicht wussten, was durch den Einmarsch der „Feinde“ alles auf uns zukommen könnte. Ob wir vielleicht  wegen des Kriegsgeschehens flüchten müssten, oder gar obdachlos würden, weil all unsere Häuser zerstört würden. Es entstand eine sehr brenzlige Situation. Die Amerikaner glaubten, mein Vater und auch ich, der ich für mein Alter groß (1,68 m) und kräftig war, wären Soldaten. Sie meinten, wir hätten uns nur zur Tarnung Zivilkleidung angezogen. Die Papiere meines Vaters über seine Tätigkeit in einer  Rüstungsfabrik wurden schließlich akzeptiert. Mich aber wollten sie als Gefangenen mitnehmen.  Meine Mutter verteidigte mich wie eine Löwin ihr Junges. Sie sagte immer wieder: „ Sie sehen doch, das ist noch ein Kind.“ Sie zeigte meine Kleidung und Schulhefte als Beweisstücke. Durch ihre intensiven Bemühungen gelang es ihr schließlich, mich vor der Gefangennahme zu retten. So sah ich erstmals leibhaftige Amerikaner und einen Schwarzhäutigen.
Über die Erlebnisse mit der amerikanischen Besatzung und den bald darauf einrückenden Sowjets werde ich in folgenden Beiträgen berichten.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.04.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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