Chiara Fabiano
Ein Leben in grauen Zeiten
Kapitel eins
1940,
Jemand sagte einst, unser Schicksal liegt nicht in den Sternen, sondern in unserem Handeln. Doch was ich damals glaubte war, dass alles was passiert einen bestimmten Grund hat. Ich stand an unserer kleinen Küche, angelehnt an den Herd, während ich darauf wartete, dass das Wasser anfing zu Kochen. Es waren harte Zeiten, in denen jedes bisschen Luxus beinahe nicht real für uns gewesen wäre. Meine Mutter und ich lebten alleine in der kleinen Wohnung, nahe am Zentrum Londons. Es war auch bekannt als das Armenviertel. Mein Vater starb an der Front, ich lernte ihn nie kennen. Es hieß meine Mutter habe ihn geliebt, mehr als sie sich selbst liebte. Und es mag stimmen. Er war kaum neunzehn, als er sie verlassen musste um in den Krieg zu ziehen. Und meine Mutter schwanger. Doch trotz aller Liebe, Sehnsüchten und Hoffnungen, sahen sie sich nie wieder. Nicht gerade eine Liebesgeschichte wie sie im Buche stehen könnte, mochte man meinen. Doch nach all den Jahren, die ich alleine mit ihr verbrachte, und mir selbst einige Weisheiten des Lebens aneignete, begrüßte mich das wahre Leben wie ein alter Freund. Denn nicht alle Liebesgeschichten haben ein schönes Ende. Was ist, wenn die Liebe, die man in sich für einen anderen Menschen spürt, nie erwidert wird? Was ist, wenn die Liebe uns einfach verlässt oder wir sie niemals erleben dürfen? Für mich war die Liebe nichts weiter als ein Gerücht. Etwas, dass man auf der Straße auffängt jedoch nie selber sieht ob es wirklich stimmt. Und doch schenkte sie uns Hoffnung und wir erfreuten uns daran sie zu lesen. Doch kann man in Zeiten, in denen Krieg und Leid die Welt umringten wirklich darauf hoffen irgendwann mal seine einzig wahre Liebe zu finden? Ich glaubte, dass die Menschen gar keine Zeit dafür hatten sich zu lieben. Die Zeiten waren grau, und voller Gewalt. Es gab keine Liebe, Hoffnung oder Freude. Es gab Hunger, Furcht und Elend. Und ich hatte mich damit abzufinden. Ich hörte wie der Wasserkocher anfing zu brodeln, und nahm ihn herunter von der Platte. Es war kalt in der Wohnung, und meine Mutter hatte sich erkältet. Ich stellte ihn auf den Tisch, nahm eine Tasse und goss das heiße Wasser hinein. Zitternd rieb ich mir die Hände und ging mit der Tasse ins Schlafzimmer meiner Mutter. Doch als ich die Türschwelle überschritt, zerknallte die Tasse und das heiße Wasser traf mein Bein. Ganz starr lag sie im Bett, die Augen friedlich geschlossen, als wäre sie am schlafen. Ihr Haar war geflochten zu einem Zopf. Ich trat näher an das Bett, berührte ihre Hand. Ich verlor viele Tränen, doch tief in mir wusste ich, dass sie mein Vater mit offenen Armen dort erwartete, wo er sie zum letzten Mal sah. Sie trafen sich wieder. Und ich musste mir eingestehen, dass irgendwann jeder sein schönes Ende bekam. Und vielleicht war gerade die Liebe das, was uns am Leben erhielt in diesen Zeiten voller Kummer und Leid.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.04.2015.
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