Manuela Plötz-Ehlert

Der Schlafwandler



Die Kirchturmuhr der großen Marktkirche schlägt 12 Mal. Auf dem Marktplatz leuchten nur noch die Straßenlaternen der kleinen Stadt, Mond, Sterne und das Licht aus dem Atelier von Willi Wibbelmann.
 
Der sitzt in seinem maigrünen Armsessel und blättert im dicken Buch der Künste, dass er Sonntagnachmittag auf dem Antik- und Trödelmarkt erstanden hat. Neben ihm dampft, auf einem kleinen Jugendstiltischchen, eine Tasse Tee still vor sich hin.
 
Gemütlich blättert Willi sich über farbenprächtige, ausdrucksstarke Bilder, bevor ihm sanft die Augenlider zufallen und er entspannt  in seinem Armsessel in bunten Schlummer sinkt.
 
„Schlaf schön“, flüstert der Mond dem Maler ins Ohr und pustet leise die Laternen auf dem Marktplatz aus, auf dem es jetzt dunkel  wird. Nur das warme Licht aus dem Atelierfenster leuchtet in die sternenklare Nacht.
 
Mond und Sterne wollen gerne über Willi Wibbelmann‘s Schlaf wachen, der leise in seinem Sessel schnarcht und lächelt. Doch der ist plötzlich wieder auf den Beinen. Mit wenigen Handgriffen packt er seine Straßenmalkreiden, seinen Hut und Mantel und tritt, wenige Augenblicke später, auf das Pflaster des dunklen Marktplatzes.
 
„Was soll denn das“, ruft ein kleiner Stern in die Nacht. „Was will er zu dieser blauen Stunde mit seinen taghellen Farben draußen auf dem Marktplatz?“
 
Mond und Sterne staunen leise, während der Maler sich sicher auf dem Marktplatz niederlässt und mit geschlossenen Augen zu Malen beginnt. Nur ein leises kratzendes, schabendes Geräusch können sie hören, wenn Willi Wibbelmann mit der Kreide über das Pflaster streicht.
 
„Ich kann nichts erkennen?“, mault der kleine Stern und platzt fast vor Neugier. „Es ist viel zu dunkel für die vielen Kreiden, die er aus dem Kasten holt!“
 
Doch Willi Wibbelmann, der tief versunken auf dem Marktplatz malt, bekommt  von alle dem gar nichts mit. Voller Freude lässt er die bunten Kreiden auf dem geraden Pflaster schwingen und seine Augen leuchten so sehr, dass sogar der kleine Stern es fühlen kann.
 
„Bitte lieber Mond, mach das ich besser sehen kann was er dort unten tut,“ jammert der kleine, ungeduldige Stern. Und weil der Mond seine Sterne liebt, taucht er den Marktplatz in helles, warmes Licht, damit der kleine Stern von oben alles genau erkennen kann.
 
„Wieso kann er so etwas Schönes im Dunkeln malen?“, staunt der kleine Stern und wird ganz still.
 
„Weil er mit seinem Herzen malt…..“, antwortet leise der Mond.
 

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