Joachim Wickel

Görlitzer Park I

Sven hatte für den heutigen Vormittag einen Spaziergang durch seine neue Wohngegend geplant, in die er erst vor kurzem aus der Provinz zugezogen war, um sein Studium in Berlin zu beginnen. Er kannte bereits die eine oder andere Kneipe in diesem Kietz, wie man hier sagte, hatte auch schon in verschiedenen Geschäften eingekauft, aber so richtig abgelaufen war er dieses große Dreieck noch nicht, das sich zwischen Görlitzer Park, Skalitzer Str., Schlesische Str. und Landwehrkanal erstreckte. Insbesondere der Görlitzer Park mit seiner bekannten Drogenszene machte ihn neugierig, wenngleich ihm dieses eher unbekannte Terrain auch etwas unheimlich war.
Draußen war es kalt und grau an diesem Januartag, etwas Schneegriesel fiel vom Himmel, insgesamt nicht gerade motivierend, hinaus zu gehen und einen Spaziergang zu machen. Egal, er zog seinen warmen Wintermantel an, stülpte sich die Wollmütze über den Kopf und verließ das Haus. Er hatte hier am Landwehrkanal glücklicherweise ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft bekommen, was nicht einfach gewesen war. Das Viertel war unter Studenten als hip und trendy bekannt und es galt als ausgesprochen schick, hier zu wohnen. Er schlug den Weg in Richtung Schlesische Str. ein. Zu dieser Zeit herrschte auf der Hauptstraße reger Verkehr. Er überquerte sie daher nicht, sondern blieb auf seiner Seite und lief entlang der sich aneinander reihenden Bäckereien, Lokale und Zeitungsläden auf den U-Bahnhof Schlesisches Tor zu. In großen Scharen kamen ihm Touristen entgegen, den Blick meist starr auf ihre Smartphones gerichtet, pausenlos Informationen abrufend. Ihre Umgebung nahmen sie somit weniger wahr, sodass er ständig gezwungen war, stehen zu bleiben oder ihnen auszuweichen. Missmutig beschloss er, links in die Cuvrystr. abzubiegen, wo es sofort wesentlich ruhiger war. Er kreuzte die Wrangelstr. und hielt direkt auf den Görlitzer Park zu. Schon von weitem sah er große Gruppen von überwiegend Afrikanern am Eingang des Parks und beobachtete, wie sie nahezu jeden Passanten ansprachen und je nachdem, wie die Reaktion ausfiel, sich entweder mit dem "Kunden" entfernten oder sich abwandten, wenn dieser ungerührt seinen Weg fortsetzte. Sven wusste, dass die Dealer nur geringe Mengen des Stoffes bei sich trugen und die eigentliche Ware irgendwo im Park versteckt hielten. Neugierig ging er weiter und erreichte den Eingang. Sofort wurde er angehalten. "Hey, Man! Need something?" wurde ihm ins Ohr geraunt. Anstatt sich zu entfernen, blieb er stehen und fragte: "Wie bitte?" Der Mann hielt ihn am Arm fest: "Need some Gras or Crack or anything else?" Sven wehrte ab: "Oh no! No!" Der andere ließ sich jedoch jetzt nicht mehr so einfach abwimmeln: "Only....Euro." Er verstand den Betrag nicht, wollte aber nicht anfangen zu verhandeln und riss sich los. Ein zweiter und dritter Mann stellten sich ihm in den Weg und boten ihren Stoff an. Langsam wurde ihm mulmig zumute. Wie war er denn da hinein geraten. Hatte er nicht immer wieder von Schlägereien, sogar von Messerstechereien im Görlitzer Park gehört?. Welcher Teufel hatte ihn denn bloß geritten, ausgerechnet hier durch zu gehen und sich auch noch auf Gespräche einzulassen. Die Männer ließen nicht von ihm ab und er wich zurück. In diesem Augenblick kam eine korpulente Frau mittleren Alters den Weg entlang. Offenbar handelte es sich um eine Tagesmutter oder Kitaerzieherin, denn sie zog einen kleinen Wagen hinter sich her, in dem sechs lebhafte Kleinkinder saßen. "So meine Herren!" rief sie munter, "jetzt macht ma Platz da! Man kommt ja nich mehr voran. Und denn lasst ma den jungen Mann in Ruhe, der weeß ja schon nich mehr, wohin mit sich. Komm Se ma hier rüba!" wandte sie sich an Sven und hielt die Deichsel des Wagens hoch, "Sie könn mir helfen, die Bagage hier durchn Park zu ziehn." Die Männer lachten: "Hey Annie!" rief einer von ihnen, "alles ok?" "Logisch," antwortete sie, " und nu macht euch ma vom Acker. Ihr seht, wir ham zu tun." Sven wurde klar, dass sie eher harmlos waren und keinen Streit wollten. Er war eben doch noch ein echtes Landei. Trotzdem würde er in Zukunft einen Bogen um den Park machen, wie es inzwischen auch viele der Anwohner taten.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Joachim Wickel).
Der Beitrag wurde von Joachim Wickel auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.04.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Joachim Wickel als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Dämonen im Labyrinth der Lüste - Dämonenlady Band 3 von Doris E. M. Bulenda



Beelzebub hatte diesen riesigen Titan verloren. Irgendwo im Weltenlabyrinth hatte er ihn ausgesetzt, und der Titan war auf und davon.
Und dann bat Beelzebub ausgerechnet mich, die Menschenfrau, den Verlorenen zu finden.
Natürlich würde ich nicht allein gehen, dafür wäre das berühmte Labyrinth viel zu gefährlich. Mein dämonischer Geliebter Aziz würde mich begleiten. Neben der Gefahr würde allerdings auch manche Verlockung auf mich warten, in den Gängen des faszinierenden, gewaltigen Labyrinths hausten viele seltsame Kreaturen.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Alltag" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Joachim Wickel

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Platzangst von Joachim Wickel (Sonstige)
Odyssee am Quartalsanfang von Karin Ernst (Alltag)
Pilgertour XVII von Rüdiger Nazar (Reiseberichte)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen