Benedikt Ernst

Die Geschichte des Ivan Wratislav Nikolaijewitsch Buskat

Ivan Wratislav Nikolaijewitsch Buskat war hoffnungslos verliebt. Hoffnungslos deshalb, weil seine Geliebte in einer fernen Stadt und er im Gefängnis saß; und das, wie es ihm schien für noch sehr lange Zeit. Erschwerend kam hinzu, dass seine Geliebte nicht wusste dass er im Gefängnis saß. Ja, eigentlich wusste sie nicht einmal dass sie seine Geliebte war.
In dem Moment als er sie das erste Mal sah, wurde er verhaftet. Bevor er ihr seine Liebe gestehen konnte, geschweige denn das erste Mal ansprechen konnte, bevor er ihren Namen erfahren oder den seinen nennen konnte, noch ehe sie ein Wort miteinander wechseln konnten, war sie mit dem Moment, als sie in sein Leben trat für ihn bereits unerreichbar. Und nun saß er an so unendlich weit entferntem und verschlossenem Ort, fern von ihr und voller Verlangen und warmer Gefühle zu ihr.
Viel zu kurz war dieser Augenblick gewesen, von der unbarmherzig kurzen Dauer eines Augenaufschlages, ein vager Moment, in dessen Stille nur ein Herzschlag und ein Atemzug hallten und der ihm dennoch das Gefühl von Unendlichkeit zu erkennen gab. Der eine Wimpernschlag genügte um sie wahrzunehmen, ihrem Blick zu begegnen, ihr Wesen zu erahnen und das genügte ihm um zu verstehen was Liebe war und wie unendlich und tief sie in ihm begraben lag.
In diesem einen Moment war alles wahr gewesen, alles hatte einen Sinn gehabt und jegliche Mühen, Sorgen und Nöte schienen verblasst zu sein, durch das kurze Aufleuchten dieses hellen Sterns, dessen Schemen er bereits nur mehr entfernt wahrnahm, als man ihn in Handschellen über den Asphalt zog und in den Streifenwagen zerrte. Nichts nahm er wahr von den Rufen, den Stimmen, die sich aufregten, noch die Fäuste die ihn trafen und das Dröhnen der Sirenen. Sein Blick und seine Gedanken verharrten in jenem Moment, der nun vergangen war und doch unendlich in ihm weilte.
Ivan Wratislav Nikolaijewitsch Buskat formte die Worte, die er Ihr sagen wollte, die Geheimnisse, die er ihr anvertrauen wollte, das Geständnis das er ihr geben wollte in Gedanken und übergab sie seinem Herzen. Sie ist es und sie war es schon immer gewesen, der Inhalt seines Lebens, seine Bestimmung, seine eigene Bedeutung, die er so lange zu erkennen gehofft hatte. Sie war das Licht des Tages, der sich auf eine scheinbar nicht enden wollende Nacht legte und jegliche Hoffnung die schon in den Tiefen seiner Seele vergraben lag nun doch noch sprießen lies.
Für sie war er nur ein Schatten gewesen, der wie im Vorüberfahren eines Zuges im Sonnenlicht aufflackerte und dann verschwand. Sie aber war der Schein, der ihn zum Schatten machte und damit eine Gestalt und einen Sinn gab, das Licht das ihn blendete, wärmte und die grauen Wolken des trostlosen Umstandes, in dem er sich befand, durchschnitt.
Sie war wie ein Funke eines unsichtbaren Feuers, der durch die Unendlichkeit wanderte und in ihm den fernen Ort fand, der vertrocknet durch die Einsamkeit, den passenden Hort bildete um einen Flächenbrand zu entfachen. Sie entflammte seine Seele, welche nun fortwährend brannte und bei jedem Gedanken an sie aufloderte. Die Asche die zurückblieb glühte heiß.
Welch unerträgliche Leichtigkeit, wenn man sich der Liebe bewusst ist und doch unfähig bleibt diese zu entfalten. Wie schrecklich bedrückend, wenn das eigene Leben die Mauern errichtete, die einen im Moment des Fliegens einsperrten.
Denn nichts war wahr gewesen in seinem Leben. Jeder Moment ein Trugbild eines anderen, dessen er vorgab zu sein, nur um irgendjemand zu sein. Eine erfundene Geschichte, um seiner eigenen eine Bedeutung einzuhauchen. Nichts war wahr, nicht einmal sein Name und dennoch war er es, der nun festsaß, obwohl er ein Leben lebte, das nicht seines war.  Sein Leben, ein Konstrukt aus den schweren Steinen der Verleumdung, Verleugnung, Verkleidung und Blendung. Ein wackliges Gebilde, dessen poröse Struktur nicht sich selbst, sondern ihn selbst zerstörte und ihn nun gefangen hielt in einem Netz, das er selbst gesponnen hatte.
Zu spät kam die erlösende Erkenntnis, dass sein Leben ein anderes war. Es schien ihm als hätte sein Dasein nur aus einem Moment bestanden. Nur dieser eine Augenblick war es, den er als sein Leben betrachtete. Die Jahre vergingen, die Taten verblassten.
Nichts war wahr gewesen, außer seiner Liebe zu ihr.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.05.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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