Wir waren von der Strasse abgebogen, hinunter, zu dieser von Bäumen, Sträuchern und Hecken umwachsenen Weide. Links und rechts neben uns umgrenzten dichte Büsche den schmalen Weg. Der Himmel war blau, die Sonne strahlte, der Schatten der Bäume, der Duft der Blumen und Gräser und die Stille taten uns gut. Nach einer ausgiebigen Rast und einem kleinen Picknick im Stehen fuhren wir wieder jenen schmalen Weg hinauf zur Strasse. Ich fuhr ganz rechts, damit die mittige Grasnabe den Unterboden des Wagens nicht strapazierte, als der Wagen plötzlich seitwärts absackte. Der Boden gab nach, und nun war auch zu erkennen, dass die Büsche an der rechten Seite nicht, wie angenommen, zu ebener Erde wuchsen sondern schon an einem Abhang, der gute zwei Meter tiefer in einem Feld mündete.
Ich hielt den Wagen an, drehte die Räder stark nach links und wollte wieder anfahren, doch wir hatten uns festgefahren, und jedes weitere Manöver stellte angesichts des bröckeligen Erdreichs ein Risiko dar. Vorsichtig stiegen wir über die Fahrerseite aus, ganz langsam, damit der schrägliegende Wagen nicht den Hang hinabstürzte. Durchatmen. Danken. Überlegen.
Ich ging den restlichen Weg hinauf zur Strasse. Es war Mittagszeit, und der Ort, den wir als letztes passiert hatten, lag vielleicht 20 Minuten zurück. Der schwarze Asphalt reflektierte die glühende Mittagssonne, keine Vogelstimme war zu hören, nicht einmal die Insekten flogen, alles ruhte wie in einem tiefen Dornröschenschlaf. So kam erst nach 15 Minuten das erste Auto des Weges. Es hielt an, und heraus stieg ein Engel. Es war keiner dieser kleinen üppigen Jungen mit blonden Locken (– die hätten mir hier auch gar nicht helfen können). Nein, dieser Engel hier war schon recht alt, hatte weisses Haar, einen Bart, Haut wie gegerbtes Leder, und hinter seiner Brille leuchteten ein paar lebhafte Augen. Er wollte unser Auto mit seinem klapprigen Renault herausziehen, aber der Motor war zu schwach, und die Stossstange, an die er in Ermangelung einer Abschleppöse das Seil geknotet hatte, drohte abzureissen. Ich bat den Engel, doch jemanden seiner Bekannten im Nachbarort herzuschicken, doch er meinte, er kenne keinen (der eine Zugmaschine besass). So blieb mir nichts anderes als ihm alles in allem für den Versuch zu danken uns aus unser misslichen Lage zu befreien und schickte ihn fort. Das nächste Auto, das hielt, war ein Van, aber die Männer darin wollten uns nicht abschleppen – vielleicht hatten sie Angst, ihr Wagen könnte mit unserem bei einem missglückenden Versuch mit abstürzen. Schieben wollten sie aber, doch das wollte ich nicht, zu riskant, wenn ich an die wenigen Zentimeter bröckeligen Bodens dachte, der uns noch vor dem Absturz bewahrt hatte.
Wir waren noch am Verhandeln was zu tun sei, da kam mein Engel wieder auf der Strasse daher und rief schon von weitem, er hätte jemanden gefunden, der uns hilft. So wurde das Seil wieder in die Öse unseres Wagens geknotet, das andere Ende an einer Zugmaschine befestigt. Ich stieg in den Wagen, richtete die Räder aus, der Engel stand dicht bei mir und achtete darauf, dass ich auch alles richtig mache. Der Traktor zog an, und wenige Minuten später stand auch unser Wagen wieder auf der Strasse.
Flügel hatte ich bei diesem Engel nicht sehen können, aber auf jeden Fall hatte er vier Räder und einen Auftrag, von dem er vielleicht selbst nicht einmal etwas wusste....
(c) Antje Grüger 2003
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.05.2003.
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