Marc Schmidt

Aber bitte keine Clowns

Lustig, wie die Kinder mit vor Anstrengung rotem Kopf die quietschbunten Plastiksäcke mit ihrem Atem füllen und an allen unmöglichen Orten für die Feier aufhängen. Es hat den Anschein, als hätten sie bereits ein Gespür für wichtige soziale Ereignisse entwickelt und wollten ihren Teil dazu beitragen. Der ganze Garten erinnert mit seinen Luftballons an Ikeas Småland – und mindestens genauso viele Kinder wie dort rennen über die kurzgeschnittene Rasenfläche.

Der Nachbarsjunge, nennen wir ihn Felix, feiert seinen achten Geburtstag, was seine Eltern als Anlass nahmen, die komplette Schulklasse einzuladen – auch die Eltern (die meisten Väter gaben irgendeinen Vorwand an, um nicht auftauchen zu müssen). Mein Sohn wollte unbedingt hin, also begleitete ich ihn, Er muss hier irgendwo zwischen den Luftballons rumspringen. Flüchtig sehe ich den strohblonden Haarschopf von meinem Kurzen neben dem Kirschbaum aufblitzen, da ist er bereits wieder verschwunden. Den Sprösslingen ab und zu ein mahnendes Wort zuwerfen, so handhaben das die anderen Eltern. Um nicht negativ aufzufallen, nehme ich sie mir als Beispiel und rufe: »Nicht so schnell!« Mir wird anerkennend zugenickt.

Ich stehe in einer Traube Eltern, überwiegend Mütter, und lasse den Sektempfang über mich ergehen. Das Geschnatter blende ich aus und beobachte die spielenden Kinder. Ihre Unschuld kann nicht einmal von dem erdrückenden Starrsinn und der biederen Ernsthaftigkeit der anwesenden Erwachsenen übertüncht werden. Über das Wetter zu reden kann auch nicht über die Leere hinwegtäuschen, um die sich unsere Gespräche drehen.

Felix ist nicht der geduldigste, Felix hat mit seinen acht Lenzen bereits gelernt, seinen Kopf durchzusetzen. Felix‘ Eltern wissen um diesen feinen Charakterzug und haben deshalb beschlossen, seine Geduld nicht unnötig zu strapazieren. Das Geburtstagskind wird herbeigerufen, damit es endlich den Berg an verpackten Gegenständen, den seine Eltern ihm bereitgestellt haben - und den die Nachbarn großzügig haben anwachsen lassen - von all dem Papier befreit.

Geschenke auspacken ist eine heikle Angelegenheit, bei der vieles zu beachten ist, schließlich sollte man dem Schenker etwas Respekt zollen und nicht wie ein Berserker darüber herfallen. Etwas Anstand zu zeigen ist ratsam. Kinder achten natürlich nicht darauf. Sie reißen sie einfach auf.
Felix ist da keine Ausnahme. Kurzerhand bildet sich neben dem abschmelzenden Geschenkestapel ein Hügel voller bunter Schnipsel, der aussieht wie zusammengekehrtes, übrig gebliebenes Konfetti von Karneval. Der Vater schießt stolz einige Bilder von seinem herumwütenden Sohnemann. Die anderen Kinder haben einen bewundernden Kreis um das Geburtstagskind gebildet und stoßen bei jedem neuen Geschenk, das vollständig zum Vorschein kommt eine Art Jubelschrei aus. Süß, wie sie sich noch für einander freuen können.

Felix hat mehr als die Hälfte ausgepackt, als diese Aktivität plötzlich für ihn seinen Reiz verliert. Da er eh schon alles doppelt und dreifach besitzt, kann er sich für die immer gleichartigen Geschenke nicht künstlich begeistern – er ist ja kein Erwachsener. Sein spontan heraufbeschworener Tobsuchtsanfall kommt deswegen wenig überraschend – zumindest für mich. Er wolle jetzt sofort Kuchen mit Schokoladenglasur und Waffeln mit Kirschen und Puderzucker. Seine Mutter, die bei seinem herrischen Geplärre direkt panische Züge aufweist, animiert umgehend einige der Erwachsenen, Kaffee und Kuchen herbeizutragen und alles vorzubereiten.

Felix überanstrengt sich beim Kerzenausblasen und schrammt gerade noch so am Rande der Bewusstlosigkeit vorbei. Nachdem er wieder zu Atem gefunden hat, darf er halbherzig seine Geburtstagtorte anschneiden. Das Kuchenmesser berührt kaum die Torte, da nimmt es ihm sein Vater schnell aus der Hand. In seinem Gesicht mischt sich Anspannung mit einem Hauch von Erleichterung. Felix schmollt zwar, aber akzeptiert. Das Messer sah riesig aus in seinen Händen. Wir anderen singen ein schiefes Ständchen, lassen Felix dreimal hochleben und spenden Applaus. Im Hintergrund füllen Mütter maschinengleich unter Hochdruck Getränkebecher und schneiden weitere Kuchen an.

Ich wittere den Geruch von frischen Waffeln und weiß: jetzt gibt es kein Halten mehr. Gefräßigkeit lässt sich mit großem Willen bändigen. Einfach langsamer kauen. Nicht meine Stärke. Den Hals nicht vollzukriegen, verschafft mir ein Gefühl von tiefster Zufriedenheit. Während des Essens wird weniger geredet, dennoch fühlen sich einige verpflichtet weiterzusprechen. Kein Sprechorgan wahrzunehmen führt bei vielen anscheinend zu großer Verunsicherung, der sie vorbeugen wollen, indem sie diese Situation niemals eintreten lassen.

Meine Abscheu zu verbergen ist mir ein Leichtes, da alle nur mit sich selbst beschäftigt sind. Sie reden über sich, einer nach dem anderen. Wenn einer mit seinem Monolog fertig ist, beginnt der nächste. Sie beherrschen dieses Spiel im Schlaf, lachen immer an den richtigen Stellen. Aufgesetzte Fröhlichkeit ist mir fremd. Ich stimme ebenfalls mit einem falschen Lachen ein, um nicht aus der Reihe zu fallen. Ich hätte mich gerne an den Kindertisch gesetzt, an dem es frei und unbeschwert zugeht, aber als - im wahrsten Sinne des Wortes - Erwachsener wäre ich aufgefallen.

// 15 gefräßige Minuten später //

Die Lage am Tisch der Erwachsenen hat sich dramatisch verschlechtert. Süßstoff ist ausgegangen. Felix ist vom vielen Kuchen schlecht geworden. Nun klagt er lauthals über Bauchschmerzen. Seine Mutter streichelt ihm besorgt den Kopf und gießt schnell Limonade nach. Meinem Kurzen geht es bestens. Für ihn ist das hier gelebtes Schlaraffenland. Ich werde von den anderen ausgefragt, wie es so ist, als alleinerziehender Vater. Ich sage »gut«. Sie sagen »schön« und jammern über ihre Bälger. Ich beschließe, mich ein wenig zu betrinken.

Nach den Kuchenessen rennen die Kinder mit vom Zucker verklebten Mündern und Patschehändchen durch den Garten. Sie lassen sich ihren Spaß nicht von den Zurufen der Erwachsenen verderben. Sie täuschen ein Unterlassen der aktuell gescholtenen Aktion vor, bis sie merken, dass die Aufmerksamkeit ihrer Überwacher nachlässt. Ich schaue ihnen zu, wie sie Seilspringen, Fangen spielen, singen, sich freuen, total verausgaben, rumspringen und ins Gras fallen, wiederaufstehen – stets mit einem Lachen auf dem Gesicht.

Felix hat sich einen Clown gewünscht, also bekommt Felix einen Clown. Aber Felix bekommt nicht nur einen, Felix bekommt ihn gleich im Doppelpack. Ein gewöhnlicher Clown, der aus seinen Luftballons ein paar Giraffen knotet und lustig mit seiner Wasserblume herumspritzt wäre für einen wie Felix zu ordinär. Deshalb also das Clownsduo, das als Beppo & Peppo vorstellig wird. Ihre Ankunft verursacht einen riesen Aufruhr.
Diese krampfhafte Heiterkeit, die Clowns in der Regel versuchen auszustrahlen, schlägt mir meistens aufs Gemüt. Normale Menschen verkleiden sich nur an Karneval – und nicht mal die sind normal. Dieses Clownsduo ist anders.

Ich rieche die Fahne vom Clown mit der roten Perücke bis zu meinem Tisch herüber, zumindest bilde ich mir das ein. Es ist Beppo. Die Kinder lachen über sein Herumtorkeln, ich lehne mich zurück, um nichts zu verpassen. Der andere Clown, Peppo, mit dem gelben Hut grinst den Kindern zu und stellt Beppo ein Bein. Offenbar war das so nicht abgesprochen. Angestachelt vom hämischen Kinderlachen springt der Gestrauchelte auf und schupst Peppo nach hinten. Ehe man es sich versieht, liegt ein rotierendes Clownknäuel auf dem Rasen. Die Kinder johlen. Die Mütter sind sich unschlüssig, ob sie eingreifen sollen oder es geschehen lassen sollen. Ich weiche ihren hilfesuchenden Blicken aus.

// eine chaotische Minute vergeht //

Felix‘ Vater hat sich heldenhaft dazwischengeworfen und nur einen kleinen Kratzer an der Backe davongetragen. Die Clowns stehen mit sauertöpfischer Miene getrennt voneinander und schnaufen. Ihre Clownsschminke ist verwischt, Beppo hat kleine Rasenstücke in seiner Perücke hängen. Die Erinnerung an die noch ausstehende Gage hat die streitlustigen Clowns zur Vernunft gebracht, also kann die Show beginnen. Peppo begrüßt die Kinder und fragt, wer das Geburtstagskind sei. Felix springt auf und reißt seinen kleinen, dicken Arm nach oben. Seine Mutter schluchzt entzückt auf. Peppo stellt sich vor Felix, greift in seine Tasche, bläst kurzerhand einen Luftballon auf und nach ein paar Bewegungen hält Felix einen grünen Dackel in seinen Finger. Felix‘ schmollender Blick ist Goldwert. Immerhin keine Giraffe, will ich ihm zurufen und beobachte Beppo dabei, wie er sehnsüchtig auf den Eiskübel mit der Sektflasche schielt.

Vielleicht hätten sich die Clowns zusammengerissen und ihre Show durchgezogen, aber ausgerechnet das Geburtstagskind verhindert den Auftritt. Vor lauter Aufregung (oder aus Trotz, wegen seines Dackels), wohl aber eher wegen dem halben Kuchen, den er sich reingestopft hat, reihert Felix Peppo auf die übergroßen Clownsfüße. Peppo stößt einen entsetzten Schrei aus, macht einen großen Schritt nach hinten und rempelt dabei Beppo an, der das als erneuten Angriff missinterpretiert und mit einem Schwinger antwortet.

Die Kinder lernen eine Vielzahl neuer Kraftausdrücke, die auf dem Pausenhof bestimmt der Hit werden. Außerdem werden sie Zeuge einer richtigen Schlägerei – auch Felix vergisst vorübergehend seine Übelkeit. Die angetrunkenen Mütter erwachen nach und nach aus ihrer Schockstarre, schnappen sich ihren Nachwuchs und suchen hastig das Weite. Felix‘ Mutter rennt durch die Menge, entschuldigt sich am Fließband und ist den Tränen nahe. Der Vater hält Beppo im Schwitzkasten und kassiert gerade einen Leberhaken von Peppo.

Auch wenn ich finde, dass der Geburtstag jetzt erst richtig schön wird, schnappe ich mir meinen Jungen, der mich mit großen Augen verständnislos ansieht. Ich bin ihm wohl eine Erklärung über Clowns schuldig. Erst jetzt sehe ich, dass mein Sohn etwas in seinen Händen hält. Es ist der grüne Dackel, den Peppo für Felix geknotet hat. »Guck mal, die Giraffe«, sagt er zu mir. »Guck mal, die Sektflasche«, antworte ich. Und so verlassen wir in der allgemeinen Hektik mit unseren Andenken die Feier.

Es ist spät geworden. Nachdem wir gemeinsam die Zähne geputzt haben, trage ich den Kurzen ins Bett. Erschöpft versucht er seine Müdigkeit wegzublinzeln. Ich streichle ihm durch seine blonden Locken und frage ihn, ob das ein schöner Geburtstag gewesen sei. Er erwidert, dass er von nun an keine Clowns mehr mag. Ich frage ihn, was er sich denn zu seinem Geburtstag wünsche. Seine Augen fallen zu und er seufzt leicht auf bevor er spricht: »Eine Mama. Das wäre schön. Aber bitte keine Clowns.«
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.06.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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