Chiara Fabiano

Ein Brief aus alten Zeiten-Leseprobe

Eliza Brown war in vielerlei Hinsichten ein ganz besonderes Mädchen, das nicht davor zurück schreckte sich abzuheben. Gerade schlenderte sie gemütlich über den antiken Trödelmarkt, der jeden Sonntag von Bekannten aus ihrer Straße veranstaltet wurde und war wie versunken in all den Sachen aus anderen Zeiten, dass beinahe niemand sie hätte in die Realität zurückholen können. Ihre Hände ertasteten alles, das auf Eliza besonders wirkte. Sie war nicht wie andere in ihrem Alter, nein das Mädchen trug etwas Besonderes in sich, doch dies wusste sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Es ist wichtig, dass wir nicht aus der Zeit springen, so wie sie es tun wird. Also bleiben wir im Jetzt und hier! Eliza horchte dem verzückendem Klang alter Musik, als ihr plötzlich etwas in den Augenwinkel fiel. Sie drehte ihren Kopf ein Stück, sodass ihr kurzes Haar aus ihren Augen geweht wurde. Mit verwundertem Interesse betrachtete sie eine kleine Schatulle, aus dunklem Holz, die auf einem der Tische stand. „Gefällt es dir, Mädchen?“, eine alte Frau mit runder Brille und grauen Locken spähte hinter dem Tisch hervor. Eliza nickte nur leicht, denn sie fühlte sich wie unter einem Bann stehend. „Eins unser besonders wertvollen Stücke!“. Ihr Blick viel auf das vergoldete Schloss, das zu einer Rose gegossen war. „Sie ist wunderschön“, flüsterte Eliza. Die Frau lächelte freundlich. „Ich schenke sie dir, wenn du sie haben möchtest“. Als sie mit beinahe zitternden Händen die goldene Rose der Schatulle berührte, durchfuhr sie etwas, das ihr Herz schneller klopfen ließ. „Sie würden sie mir schenken?“, fragte Eliza überrascht. Die Frau nickte. „Aber ja“, sagte sie lachend. Eliza strahle übers ganze Gesicht, als die Frau die Schatulle nahm und sie Eliza in die Hände legte. Eliza bedankte sich wieder und wieder. Die Frau lächelte immer noch, als sie mit glücklichem Gesicht den Markt verließ, die Schatulle stolz in ihren Händen. „War sie das?“, ein Mann tauchte hinter der Frau auf, mit Haar so weiß wie Schnee und einer großen, runden Brille auf der Nase. „Ja“, sie nickte heftig voller Aufregung. „Das war sie“.

Vorsichtig trat Eliza vor die Haustüre und drehte mit zitternden Händen den Schlüssel im Schloss um. Sie fürchtete sich vor dem Moment, wenn sie sie sahen, jedoch hatte sie im gleichen Moment die Hoffnung, dass sie nicht zu Hause waren. Die Tür öffnete sich knarrend. Vorsichtig wagte sie einen Blick durch den kleinsten Spalt. Alles schien dunkel. Sie öffnete die Tür ein Stück weiter, nichts tat sich. Erleichtert atmete sie auf. Ein modriger Geruch brannte sich in ihre Nase, es war als würde sie ein altes Haus betreten, dessen Baujahr weit zurück läge. Doch dieses Haus barg zu viele schlimme Erinnerungen für sie, niemals würde sie freiwillig hier hin zurück kehren. Sie schloss die knarrende Tür hinter sich und legte die Schlüssel auf die alte Holanrichte, die im Flur stand. Die Schatulle immer noch fest umklammernd tappte sie leise die Treppe hinauf um den Klang ihrer Schritte zu dämpfen. Niemand sollte wissen, dass sie zu Hause war. Sie ging vorbei an den alten Gemälden, die ihre Vorfahren schildern sollten, die große Wendeltreppe hinauf, bis sie zu der Lucke stieß, die den Weg in ihr Zimmer freigab. Eliza zog die Holztreppe hinunter und stieg schwer atmend die Stufen hinauf. Ihr Zimmer war der Dachboden, und sie mochte es. Hier konnte sie sich verstecken vor den anderen, hier fanden sie sie nicht. Sie zog die Treppe hoch, als sie sich auf den Boden setzte und verweilte dort eine Weile. Ihr Blick wandte sich nach unten, und sie erschrak, als sie sah, dass ihr roter Mantel mit den goldenen Knöpfen, den sie für so wertvoll hielten an der Seite beschmutzt war. Dies würden sie sie spüren lassen. Hastig zog sie ihn aus und versuchte so lange den Schmutzt weg zu wischen, bis ihre Hände beinahe wund waren. Dann nahm sie ihn, und stopfte ihn in eine Ecke, sodass niemand wusste, dass sie ihn beschmutzt hatte. Eliza setzte sich aufs Bett und sah aus dem kleinen runden Dachbodenfenster. Ihr Blick versank in Neid und Sehnsucht. Ein Vogel müsste man sein, dachte sie sich. Frei von allem, ohne jeglichen Druck, ohne jeglichen Zwang und ohne Sorgen. Nie wieder Angst haben, nie wieder weinen. Bei diesem Gedanken wurde ihr Herz schwerer, denn er ließ sie an ihre Mutter denken. Wie gerne hatte sie mit ihr die Vögel beobachtet, ihr die verschiedenen Arten erklärt. Und jetzt war sie tot. Einen Grund gab es nicht, es passierte einfach, und Eliza fing an sich nach dem Sinn des Lebens zu fragen. Warum sollte sie Leben, wenn die Menschen, die nur Gutes wollen von ihnen genommen werden? Warum war sie hier? An diesem Gedanken hing sie, und sie schien auch nicht davon weg zu kommen. Noch nicht. Nicht jetzt.

„Jeden Tag das Gleiche, jeden Tag hängt dieser Rotzlöffel in seiner Höhle und verbringt die Zeit damit raus zu starren anstatt zu helfen!“, es war ein furchterregendes Geschrei, dass sich bis zu Eliza auf den Dachboden stiehl. Sie schreckte auf. „Eliza!“. Mit einer hastigen Bewegung nahm sie die Schatulle und schob sie unter das rostige Bett. Das Gestampf wurde lauter, Eliza pochte das Herz. Die Lucke öffnete sich, knallend fiel die Leiter nach unten. Sie hörte den schweren Körper des Mannes, der nun für sie sorgte, die Treppe hoch klettern. Sie wollte sich verstecken, fand jedoch nicht mehr die Zeit. „Du elender Satansbraten, wo hast du dich schon wieder rumgetrieben? Sieh dich mal an! Wenn das Miss Crown sieht, da bange dir jetzt schon die Knochen vor!“. Eliza traute sich nicht nur ein Wort zu sprechen. „Ich hätte dich auf der Straße vergammeln lassen sollen, da wo du hingehörst!“, schrie er. „Bist zu nichts gut, machst uns nur Unkosten! Was glaubst du wer du bist? Man möchte meinen du glaubtest du wärst weit mehr als dieses Namenlose, unwichtige Ding, das du bist! Es wird Zeit, dass du einen Platz in deinem Leben bekommst und arbeiten gehst!“. Eliza sah zu Boden, sie reagierte nicht mehr auf diese Art Angriffe. Sein Zorn verschwand und er legte ein gleichgültiges und dennoch fieses Lächeln auf seine Lippen. „Doch was erwartet man... Tochter wie Mutter, der Dreck der Straße“. Eliza richtete ihren Blick auf. Sie sah ihn an, der Zorn wuchs in ihren Augen. „Meine Mutter war kein Dreck!“, sagte sie in einem strengen Ton. Er blinzelte und fing an zu lachen. „Deine Mutter?“, lachte er. „Ich kann dir Dinge über deine Mutter erzählen, die würdest du in deinen schlimmsten Träumen nicht glauben, du kleines Scheusal!“. Eliza stand auf und ballte die Fäuste. „Sagen Sie nichts gegen meine Mutter! Sie haben keine Ahnung von ihr, Sie fetter Blödmann!“. Ein unerträglicher Moment der Stille folgte. Seine Augen starrten voller Hass in ihre, Elizas taten es ihm gleich. „Sie es endlich ein, Kind!“, sprach er in einem leisen und bestimmten Ton. „Aus dir wird nie etwas werden. Es ist besser du lernst damit zu leben“. Er stieg die hölzerne Treppe wieder herunter, die Lucke fiel zu. Eliza stand immer noch dort, die Hände geballt zu Fäusten und merkte wie ihr langsam und warm Tränen über ihre Wangen liefen. Sie kniete sich vor die Matratze und vergrub ihr Gesicht in ihrer Bettdecke, damit das laute Schluchzen nicht bis nach unten durchdring. Sie fühlte einen solchen Schmerz in ihrer Brust, dass sie gerne geschrien hätte. „Mama“, flüsterte sie leise. „Bitte hilf mir, Mama“. Ihre Tränen tropfen auf die Decke wie Steine. Sie sah hinaus aus dem Fenster. Dort am Nachthimmel, sah sie einen Stern. Bloß einen einzigen, er leuchtete hell und klar. Eliza stand auf. Sie nahm ihren Mantel, dessen Schmutz immer noch auf ihm war, und packte ihren einzigen Wertgegenstand in einen Rucksack, die Schatulle. Leise öffnete sie die Lucke. Ihre kleinen Füße tappten leise und vorsichtig die Stufen herunter. Sie rannte die Treppe herunter, keiner schien sie zu bemerken. Die Tür fiel hinter sie ins Schloss und ohne Furcht rannte sie in die Nacht hinein, dem funkelnden Stern in seine Arme, auf der Suche nach Antworten, die sie hoffte zu bekommen.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.07.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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