Petra von Breitenbach

bed&breakfirst


Lucia  hielt die Zusage für ihr Stipendium in den Händen: drei Monate Deutschland, in Mainz am Rhein!
Sie konnte es kaum glauben.
Mainz vergab einmal jährlich Stipendiatenateliers an bildende Künstlerinnen und Künstler aus den Partnerstädten.
Sie hatte Herzklopfen. Diese Nachricht löste in ihr unterschiedliche Reaktionen aus:
Einerseits große Freude über die besondere Auszeichnung – Lucia war eine von vielen Bewerberinnen für dieses begehrte Stipendium.
Ihre Nachforschungen hatten ergeben, dass das Niveau ausgezeichnet war.
Und auf der anderen Seite wieder diese Angst vor der Fremde. Sie war vor zwei Jahren von der Kunsthochschule in Valencia abgegangen und wollte als freie Künstlerin arbeiten.
Viele Fragen gingen ihr durch den Kopf: Wie ist die neue Umgebung, wie finde ich mein aktuelles Thema, welches Material nehme ich mit?
Sie war gespannt auf die neuen Begegnungen.
Sie beschloß, in den Osterferien vorab ein paar Tage in Mainz zu verbringen. Mit einem frühgebuchten Flug und einer Frühstückspension würden sich die Unkosten im Rahmen halten.
Bei der Gelegenheit würde sie sich die Stipendiatenwohnung ansehen und die Atmosphäre kennenlernen.
Im Internet fand sie eine bed&breakfirst Adresse in einem Vorort von Mainz, sie rief gleich dort an. Es meldete sich eine warme und freundliche Stimme.
Frau Römer, die Vermieterin hatte die Wohnung gerade frei. Lucia wirkte auf sie jung und etwas unsicher. Eine angehende Stipendiatin und Künstlerin – das ist ja interessant- dachte sie.
Lucia bekam gleich die Zusage. €150.- Pauschale für eine Woche mit Frühstück waren erschwinglich.
Der Tag der Abreise rückte näher. Lucia konnte es kaum erwarten. Ins Gepäck kamen natürlich Stifte und Skizzenbuch, Farben, Kamera, eine Taschenlampe zum Lesen,
falls sich keine Leselampe im Appartment befand, außerdem zwei Terrabänder für ihre tägliche Fitness.
Die Reise verlief ohne weitere Zwischenfälle. In Frankfurt landete sie pünktlich und Frau Römer erwartete sie, wie versprochen. Nach dem Foto, das sie von ihr hatte, konnte sie sie unter den Wartenden gut erkennen:
eine große, aschblonde Frau um die 50 mit einem Kurzhaarschnitt. Lucia fühlte sich herzlich willkommen und neugierige Erwartung wich der Angst.
Ihre ersten Eindrücke von Mainz sog sie begierig in sich auf. Es war sehr mild und alles blühte in prächtigen Farben. Das Frühjahr war hier üppig und bunt.
Nach einer Dreiviertelstunde waren sie angekommen: Das Haus lag in einem Gewerbegebiet, umgeben von einem Garten mit kleinem swimmingpool. Frau Römer nahm ihr die große Reisetasche ab und über eine Treppe nach oben gelangte sie in ihr neues Reich.
Hinter der Tür hörte sie schon das ungedulgige Kläffen eines Hundes, ein weißer Terrier kam angerast, voller Freude und Aufregung sprang er an ihr hoch. „Das ist Milan,“ die Stimme von Frau Römer war kaum zu verstehen. 
Lucia betrat das Appartment. Es war großzügig mit Küche und Bad, ein Wohnzimmer mit Kamin und zwei Fenstern. Sie blickte in einen Hof, in dem landwirtschaftliche Geräte und Fahrzeuge standen. „Mein Mann hat einen eigenen Gartenbaubetrieb“ meinte Frau Römer erklärend. „Ich habe hier vor 10 Jahren eingeheiratet. Meine Tochter Lydia wohnt im Parterre.“
Lucia fühlte sich zunächst fremd und beklommen zwischen den dunklen Möbeln. Die Rolläden waren halb heruntergezogen. Sie genoß den Blick auf den Balkon mit den kuscheligen Möbeln. 
„Ich lasse Sie nun allein, wenn Sie möchten, können wir in einer Stunde gemeinsam einen Kaffee trinken, meine Tochter hat ein paar Muffins gebacken!“ „ja, sehr gern, bis dahin mache ich mich ein wenig frisch.“
Lucia legte sich komplett angezogen auf das breite Bett. Es war angenehm, die Matratze gut. Nachdem sie sich etwas ausgeruht hatte, zog sie die Rolläden hoch, es wurde gleich behaglicher im Raum. Für ihre Kleidung hatte ihr Frau Römer einen Schrank und eine Kommode zugewiesen.
An der Wand befand sich ein Tisch, den sie gleich im rechten Winkel zum Fenster umstellte, an dem konnte sie arbeiten.  
Sie packte langsam aus, ihr Kulturbeutel  fand im Badezimmer platz. Auf dem Küchentisch stand ein transportabler Musikrekorder, den sie einschaltete, im Kultursender wurde über Soul gesprochen, sie liebte schwarze Popmusik. 
Jetzt war sie angekommen.
Das kalte Wasser war erfrischend, zum Duschen fühlte sie sich noch zu fremd im Haus.
Frau Römer klopfte nach einer Weile leise an die Tür: „Lucia, ich habe heißen Kaffee und die Muffins mitgebracht“. Sie öffnete, es duftete wunderbar.
Die warme Märzsonne erlaubte es, dass sie sich auf den Balkon setzen konnten. Milan war natürlich auch dabei und genoss es, sich streicheln zu lassen.
Er bekam von Frau Römer einen Kauknochen, den er mit Begeisterung bearbeitete.
Die  beiden Frauen kamen ins Plaudern. Ein flüchtiger Eindruck von der ersten Begnung am Flughafen, verdichtete sich, ohne dass sich Lydia dagegen wehren konnte: Frau Römer umwehte etwas Unheimliches. Lucia konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass parallel zu dem Redefluss ihrer Vermieterin ein anderer Film mitlief.

Nach einer Weile hatten sie die köstlichen Muffins vertilgt und der Kaffee wirkte anregend. Frau Römer zündete sich eine Zigarette an. Lucia verspürte das Bedürfnis, sich in der Umgebung etwas umzusehen.
Sie bekam den Haus- und Zimmerschlüssel und nun war sie unabhängig.
„Wann möchten Sie frühstücken?“ „Ich bin ein Frühaufsteher, gern um acht Uhr, wenn es Ihnen recht ist.“
„kein Problem, morgen werden Sie auch meinen Mann und meine Tochter Lydia kennenlernen, er arbeitet immer bis spät abends, aber morgen kommt er zum Mittagessen nach Hause.
Also, dann bis morgen früh, machen Sie es sich bequem und wenn Sie möchten, können Sie gern den Kaminofen anmachen, nachts wird es frisch. Ich habe Ihnen ein wenig Gemüse vom Markt hingestellt, vielleicht möchten Sie sich noch eine leckere Suppe zubereiten?“
Damit verschwand sie und lief die Treppe hinab.
Lucia atmete tief durch. Dann zog sie ihre Jacke an und begab sich nach unten. Durch einen kleinen Hof gelangte man auf die Straße, die eine Sackgasse war. Einige große LKWs waren dort geparkt.
Hinter hohen Bäumen war ein weiteres Privathaus zu erahnen, ansonsten war das Grundstück von Industriebetrieben und Logistikhallen umgeben. Wie kann man hier leben und glücklich sein, fragte sie sich. Ohne Nachbarn, Läden und Leben auf der Straße?
Sie schlenderte so umher und merkte sich den Weg. Außer einem Radfahrer und einem Postboten war keine Menschenseele zu sehen.
Sehr viel zeit verging nicht, bis die Dämmerung einsetzte, sie wollte vor der Dunkelheit zurück sein. Als sie zurückkam, brannte in den Büroräumen im Parterr noch Licht, sie schlich sich unbemerkt ins Haus.  Das Appartment wirkte bei  Dunkelheit  dumpf und trüb, sie empfand das körperlich, es war belemmend hier oben. Was war das für eine eigenartige Energie, die man fast riechen konnte?
 
Sie beschloß, ihre düsteren Gedanken zu vertreiben und begann, das Gemüse zu putzen und sich eine Suppe zu kochen. Das Schneiden der Karotten und der frische Duft lenkten sie ab und als dann die Brühe ihr Aroma entfaltete und die Küche erwärmt wurde, war sie in guter Stimmung. Sie nahm sich ein Glas und füllte es mit dem Rotwein, der im Vertiko stand. Während sie den wohltemperierten Burgunder genoss,  sinnierte sie über die vergangenen Stunden und war zufrieden.
Wenn ich jetzt einen Krimi schreiben sollte, was würde mir da alles in den Sinn kommen? dachte sie bei sich und mußte lächeln, ihre blühende Fantasie machte sich wieder einmal bemerkbar.
Sie machte das Licht aus. Die Dunkelheit lag wie eine undurchdringliche Wolke über ihr.
Frau Römer hatte es sich inzwischen unten im Wohnzimmer gemütlich gemacht. Auch sie ließ die vergangenen Stunden nocheinmal revuepassieren. Da kam ihr ein Gedanke, der sie aus der Behaglichkeit aufschrecken ließ: hatte sie die Tür, die zum Vorratsraum hinter der Küche führte, wieder verschlossen, nachdem sie kurz vor dem Eintreffen von Lucia nocheinmal nach dem Rechten gesehen hatte? Das mußte unbedingt sichergestellt werden – aber jetzt war das nicht möglich -
Gegen 22 Uhr legte Lucia sich schlafen, die Decke bis hoch unters Kinn geschoben und zur Beruhigung blätterte sie noch ein bißchen in dem Stadtführer von Mainz.
Bald löschte sie das Licht und schlief schnell ein. Ein Lichtstrahl holte sie aus ihrem offenbar leichten Schlaf, ein Schatten war auf der Wand zu sehen. Sie setzte sich auf und sah, dass sich Frau Römer, nur mit einem Nachthemd bekleidet in der Küche zuschaffen machte.
Lucia stellte sich schlafend. Sie hörte dass die Türklinke zu dem Raum hinter der Küche heruntergedrückt wurde, sich aber nicht öffnen ließ.
Dann vernahm sie die leisen Schritte auf Pantoffeln oder Strümpfen hinausgehen. Was hatte das zu bedeuten?
Sie brauchte lange, um wieder einzuschlafen.
Am Morgen schien die Sonne herein und  Frau Römer klopfte an ihre Tür: „Lucia, sind Sie wach?“
„Ja, treten Sie ruhig ein“.  „Guten morgen, haben Sie gut geschlafen?“ „Ja danke, alles bestens.“
Frau Römer stellte das Tablett ab und Lucia freute sich auf den frischen Kaffee. „ich wünsche Ihnen einen wunderschönen Tag, Lucia“, damit verschwand sie.
Lucia empfand eine leichte Befangenheit gegenüber Frau Römer, sie mußte mit jemandem darüber sprechen und beschloß, ihre Freundin in Valencia anzurufen.
Es schaltete sich die mailbox ein, sie war nicht erreichbar.
"Wozu bin ich eigentlich hierhergereist?" Fragte sie sich, um in die Gegenwart zurückzufinden: „wegen des Stipendiums und um das Atelierhaus anzusehen!“ sagte sie energisch zu sich selbst.
Sie packte ein paar Sachen zusammen und fuhr nach dem Frühstück in die Stadt. Mithilfe eines Stadtplans war die Jugendstilvilla, in der sich die Stipendiatenatelliers befanden, leicht zu finden.
Die Eingangstür stand offen und sie betrat das große Treppenhaus mit einem sich spiralförmig nach oben windenden Holzgeländer. Im ersten Stock war  die Anmeldung und eine freundliche Sekretärin gab ihr Auskunft.
„schön, dass sie sich vorab einen Eindruck verschaffen wollen, möchten sie, dass ich ihnen die Ateliers zeige?" Sie gingen gemeinsam durch die einzelnen Räume.
Eine Stipendiatin stand malend an der Staffelei und grüßte kurz. Lucia stellte sich vor, wie sie dort arbeiten würde und wurde von großer Freude erfüllt.
"Dies wird ihr Atelier sein, - gefällt es ihnen?"
Ihr künftiges Reich war wunderschön: ein lichtdurchfluteter Raum im 2. Stockwerk, von dort hatte man einen weiten Blick auf die Altstadt von Mainz. Eine Kochnische und ein kleines Bad lagen nebenan.
In der Villa herrschte eine angenehme Atmospähre, irgendwo lief ein CD Player und spielte klassische Musik. Es war eine ausgesprochen ernsthafte und geistige Stimmung, die ihr wohltat.
In einem anderen Atelier wurde Akt gezeichnet, sie setzte sich eine Weile dazu und lauschte den Anweisungen und Erläuterungen des Dozenten.
Nach einer Stunde verabschiedete sie sich und machte einen Spaziergang am Rhein entlang.
Auf einem Plakat wurde eine Ausstellung im Rathaus angekündigt, es lag ganz in der Nähe.
 
Malerei und Environments in den halbkreisförmigen Nischen waren zu sehen.
Das war interessant, sie hatte sich in der letzten Zeit mit Rauminstallation befasst und einige Projekträume kreiert.
Sie ließ sich ausgiebig Zeit, alles auf sich wirken zu lassen und die Ideen einiger Exponate weiterzuspinnen. Bevor sie wieder nach draußen ging, suchte sie die Toilette auf.
Die Sanitärräume befanden sich um die Ecke hinter einem Saal. Man mußte durch einen schmalen Gang gehen, dort stand auch ein Münzkopierer.
Hier verharrte sie ersteinmal einen Moment, denn ihr Blick fiel auf  eine Reihe öffentlicher Aushänge mit Fotografien in Glasrahmen, die  teilweise schon vergilbt waren. Manche Abschriften hatte jemand handschriftlich ergänzt.  Es handelte sich um die Suche nach Vermißten, viele ausländische Namen konnte sie lesen. Einer sollte seine Abschiebekosten begleichen, außerdem ging es um Mahnbescheide überwiegend mit ausländischen Adressaten, offenbar das letzte Mittel der Wahl, auf diese Weise die Bevölkerung einzuschalten. Lucia dachte an Denunziation.
Dann sah sie eine Anzeige mit einem Foto: vermisst seit 2010. Darunter Angaben von Telefon- und faxnummer. Dieser Mann hatte feine Gesichtszüge und einen sinnlichen Mund, er hatte etwas längeres, dunkles Haar und sah gepflegt aus.
Das ganze Arrangement fand sie sehr merkwürdig – Menschen wurde an den Pranger gestellt.  Sie machte ein Foto als Souvenier. Gab es das in ihrer Heimatstadt Valencia auch?
 Die Sonne und die leichte Brise waren wohltuend als sie wieder aus dem Rathaus trat, sie brauchte eine Stärkung. Von Weitem sah sie den Dom und beschloß, in diese Richtung zu laufen. Sie erreichte den Marktplatz, es herrschte reges Treiben. Vor dem Domcafé waren Tische und Stühle aufgestellt. Sie bestellte sich einen Kakao und ein Stück Apfeltorte. Die Leute um sie herum waren fröhlich. Es herrschte eine gemütliche frühlingshafte Stimmung. Sie sah sich das Foto auf ihrerm handy nocheinmal an und ertappte sich dabei, in den Gesichtern der vorbeilaufenden Passsanten die Vermißten zu suchen.
Frisch gestärkt lief sie in Richtung Fastnachtsbrunnen und dann links die steile Gaustraße hoch, ihr Ziel:  die  St. Stephanuskirche mit den berühmten Chagallfenstern. Auf dem Kirchenvorplatz standen Platanen und warfen große Schatten. Der Kirchenraum war durch das Glas der Fenster in blaues Licht getaucht, das durch rote und gelbe Farbflecken, die auf dem Boden reflektierten, aufgehellt wurde. Sie war begeistert.
Der Organist spielte eine Bachfuge, wenige Menschen befanden sich um diese Zeit hier.
Am Nachmittag war sie wieder zurück. 
„hallo Lucia, wie war Ihr Tag?“ Frau Römer trat gerade aus dem Büro, als sie zurückkam. Lucia wollte eigentlich gerne gleich nach oben gehen, doch Frau Römer forderte sie auf, sich mit ihr und ihrer Tochter Lydia auf die Terrasse zu setzen. Lydia war ein zartes Mädchen, sie ging herzlich und unbefangen auf Lydia zu, die beiden mochten sich auf Anhieb. Sie stammte aus der ersten Ehe von Frau Römer.
Lucia erzählte von ihren Eindrücken und Besichtigungen.
Dann holte sie ihr handy hervor und zeigte Frau Römer die Fotos, die sie auf ihrer Erkundungstour gemcht hatte auf dem Display. "Dies ist meine künftige Stipendiatenwohnung – ich werde dort sehr gut arbeiten können.“
Frau Römer war sehr interssiert an Lucias Erlebnissen.
Es wurde langsam kühl und sie erhoben sich vom Kaffeetisch. Lucia hielt einen Moment inne, sie interessierte die Meinung von Frau Römer wegen dieser Anschläge im Rathaus. Nun rief sie auch diese Fotos auf, deren Qualität zu Wünschen übrig ließ.
„Frau Römer ich habe da mal eine Frage, Leute werden mit diesen öffentlichen Aushängen im Rathaus gesucht, wegen offener Rechnungen oder illegalem Aufenthalt, wie finden Sie das?“
 
Sie schaute kurz darauf und wurde blass. Lucia spürte sofort, dass sie zutiefst erschrocken war.
Frau Römer brachte kein Wort heraus und suchte nach Fassung.
„Das ist wirklich eine Schande“, meinte sie nach einer Weile – „nein davon habe ich nichts gewußt“. Sie ließ sich das handy geben, um das Foto von Klaus besser sehen zu können. Es gab keinen Zweifel, da wurde Klaus Eiselt als vermißt gemeldet. "Könnte ich das Foto löschen – ganz aus Versehen", schoß es ihr durch den Kopf. Sie hatte mit der festen Überzeugung gelebt, dass dieser Fall zu den Akten gelegt worden war.
Während Frau Römer das Zigarettenpäckchen ergriff, zitterten ihre Hände so verräterisch, dass sie es unverrichteter Dinge wieder zurück auf den Tisch legen mußte.
Lucia war das nicht entgangen und sie zog es nun vor, sich zurückzuziehen. Frau Römer wünschte ihr einen schönen Abend.

Einige Jahre früher
„Wie war denn dein Tag, Rudi?“ Fragte  Frau Römer  ihren Mann, seit langem saßen sie wieder einmal abends zusammen bei einem Glas Wein. Auf dem Grill brutzelten zwei Steaks, vom swimmingpool ging eine angenehme Frische aus. Monika, ich bin froh, dass wir heute endlich einmal wieder Zeit haben, einen Abend miteinander zu verbringen. Ich wollte Dich damit nicht belasten, aber du sollst es jetzt doch erfahren: er reichte ihr einen Brief von der Bank. „Sie wollen uns den Kredit nicht mehr verlängern.“
Seit Jahren stagnierte die Auftragslage. Die Kommune, ihr Hauptauftraggeber hatte jedes Jahr weniger Geld für die öffentliche Bepflanzung zur Verfügung. Er dachte darüber nach, wie er Kosten reduzieren könnte, auch die Entlassung von Mitarbeitern mußte in Erwägung gezogen werden. Noch im letzten Jahr hatten sie größere Summen in landwirtschaftliches Gerät investiert, außerdem einige Hektar Land erworben.
Rudi schlief schlecht in der letzten Zeit und hatte das Gefühl, sich allmählich zutode zu schuften. Er liebte Monika, seine zweite Frau, sie waren seit 5 Jahren glücklich verheiratet. Er war stolz auf das, was er aufgebaut hatte, aber wenn das so weiterging,- er mochte sich das gar nicht ausmalen.
Er ging auf die 50 zu und verspürte erste Erschöpfungserscheinungen, er mußte sich eingestehen, dass sie in einer tiefen Krise waren. Mit den Zahlen, die den kompletten Zustand des Betriebs schonungslos belegten, hatte er sich gegenüber seiner Frau bis jetzt, soweit es ging, zurückgehalten. Die Belastungen wuchsen und das war nicht mehr lange auszuhalten.
Mit der Zeit zog er sich zunehmend in sich selbst zurück. Seine Frau machte ihm deshalb Vorwürfe. Monika fühlte sich vernachlässigt und verstand ihren Mann nicht mehr. Sie litt unter seiner Sprachlosigkeit und dass er kaum noch zu Hause war. Die Abende wurden ihr lang.
Sie entschied sich, nach einem Hobby zu suchen und beschloß, einem langgehegten Wunsch zu folgen, sie wollte in einem Chor mitsingen. Der Kirchenchor der Christuskirche suchte noch Mitwirkende für das Weihnachtsoratorium.
Ihrem Mann war das recht, so konnte er sich etwas von der angespannten Atmosphäre in der Familie erholen.
Jeden Montagabend fuhr Frau Römer in die Stadt zur Chorprobe. Mit der Zeit entfaltete sie eine kraftvolle Altstimme. Mitglieder aller Altersgruppen waren vertreten und es herrschte eine ernsthafte und zugleich aufgelockerte Stimmung. Sie fühlte sich ausgesprochen wohl in dieser Umgebung. Der Chor wurde zu einem festen Haltegriff in ihrem Leben. Nach der Probe kehrten sie immer in der Stadt in ein Weinlokal ein. Eines Abends fragte sie Klaus, ob er neben ihr platznehmen dürfe. Er war ein gutaussehender Mann, etwa in ihrem Alter, eher etwas jünger. Sie hatte ihn bislang nur als sympathischen und selbstbewußten Mann wahrgenommen. Nun kamen sie in eine angeregte Unterhaltung, Monika fühlte eine geistige Verwandtschaft. Nach dem zweiten Glas Wein, wurden sie sogar recht fröhlich und flirteten ein wenig miteinander.
Mit der Zeit merkte sie, dass sie sich nicht nur auf den Chor und das Singen sehr freute, sondern besonders auf Klaus. Ihm erging es ähnlich. Sie trafen sich nun auch gelegentlich unter der Woche nur zu zweit und Monika stellte fest, dass sie gut mit ihm über ihre Sorgen sprechen konnte. Er hörte interessiert zu, er war klug. Klaus wurde ihr Seelentröster. Er selbst war seit einigen Jahren nach langer Ehe verwitwet. Ihm gefiel die warme und herzliche Art von Monika. Eines Tages lud er sie zu sich nach Hause ein. Er hatte eine schöne geräumige Wohnung mit Garten. Monika konnte sein Haus gut mit der Straßenbahn erreichen. Klaus hatte sie schon vom Vorgarten aus gesehen,  „herzlich willkommen, Monika", er ging auf sie zu und nahm sie in den Arm, er liebte ihren Duft, er küßte sie. Monika war glücklich.
Mach es Dir bequem, ich komme gleich!“  Er entkorkte eine Flasche Prosecco und kam mit zwei Gläsern und Salzgebäck zurück. Sie kamen beide in eine wunderbare Stimmung. „Ich habe etwas für uns gekocht“, meinte Klaus nach einer Weile. Es wurde ein romantisches Dinner für zwei, er hatte im Esszimmer festlich gedeckt und Kerzen angezündet.  Seit Jahren hatte sie sich nicht mehr so als Frau begehrt gefühlt. Ihr Mann war leider in diesen Dingen völlig ungeschickt und ahnungslos und sie hatte sich vor der Begegnung mit Klaus inzwischen daran gewöhnt.
Monika fing an, wieder mehr Wert auf ihr Äußeres zu legen und  kaufte sich schöne Kleider und Dessous aus schwarzer Spitze. Eine Wandlung ging in ihr vor, nicht nur äußerlich.
Rudi wunderte sich, aber er war so mit seinem Betrieb beschäftigt, dass er nicht weiter darüber nachdachte. Er war froh, dass in der letzten Zeit keine Spannungen mehr zwischen ihnen waren, sondern seine Frau offenbar mit sich zufriedener geworden war, das Singen tat ihrem Selbstbewußtsein sichtlich gut.
Er hatte dadurch auch ein wenig mehr Freiraum und verbrachte mit seinen Freunden und Mitarbeitern ausgelassene Kneipenabende.
Klaus wollte eines Tages gern Monikas zu Hause kennenlernen. " Ich weiß eigentlich gar nicht, wie du lebst, lass uns einmal bei dir zusammensein"  und so beschlossen sie, den folgenden Abend bei ihr zu verbringen, oben in dem leerstehenden Appartment, es war ungenutzt, wenn nicht gerade Studenten oder Kurzurlauber dort logierten.  Monika fand diese Idee sehr aufregend.
Sie würde mit ein paar Handgriffen eine zauberhafte Atmospähre improvisieren. Dafür besorgte sie eine neue Auflage für das Bett in weicher, hellroter Baumwolle und zog die Vorhänge zu. Sie zündete ein paar Kerzen an und legte eine CD auf. Es war warm in den Räumen.  Ein Strauß Blumen brachte etwas Festlichkeit hinein, sie hatte einen guten Wein besorgt, und ein paar Croissants gebacken. Der Kamin war vorbereitet.
Vor Freude konnte sie den Tag bis zum Abend kaum erwarten.
Rudi wollte erst spät nach Hause kommen und Lydia war bei ihrer Freundin.
Sie hatten etwa vier ungestörte Stunden vor sich.
Es klingelte zur verabredeten Zeit. Klaus sah gut aus, er hatte sich durch ihre Liebe um ein paar Jahre verjüngt. Er sagte leise: „Du bist so schön“  und küßte sie zärtlich. Sie gingen nach oben und er öffnete den kalten Rosé. Sie ließen sich Zeit. Er stieß sie  sanft auf das Bett, sie liebten sich leidenschaftlich. Er war ein wunderbarer Liebhaber – soetwas hatte sie noch nie erlebt. Seit sie mit ihm schlief, störte sie Rudis spröde Art nicht mehr.
Klaus drehte ein Musikstück etwas lauter, das er sehr liebte und gerade so in diese Stimmung passte.  
„ich liebe dich“ flüsterte Monika ihm ins Ohr, „lass uns für immer zusammensein, ich bin so glücklich mit dir,“  Klaus hatte solche Empfindungen noch nie erlebt.

Rudi war am Nachmittag kurz im Büro gewesen um nach der Post zu sehen. Unter einem Stapel Rechnungen stach ein Umschlag mit Büttenpapier heraus. Er nahm den Brieföffner zuhilfe.
Da traute er seinen Augen kaum:

Betr.: Ausschreibung Rosengarten Mainz
sehr geehrter Herr Römer,
Sie haben sich mit Ihrem Betrieb für den Auftrag : "Der Rosengarten soll schöner werden" beworben und mit ihrem Vorschlag die Jury überzeugen können.
Gartenbaufirma Rudolf Römer erhält den Auftrag mit einer veranschlagten Investitionssumme in Höhe von 100.000 €.
Wir laden Sie hiermit ein, sich die Pläne mit uns anzuschauen und über erste Schritte ins Gespräch zu kommen.
Unterzeichnet: Grünflächenamt und Oberbürgermeister der Stadt Mainz.
Rudi fiel ein, dass er vor einem halben Jahr für diese Ausschreibung Unterlagen eingereicht hatte, ihn hatte diese Aufgabe gereizt.
"Das wird uns aus dem Schlimmsten herausholen," dachte er. "Das muss  gefeiert werden."  Er bestellte zwei Plätze auf Schloß Johannisberg und besorgte einen Strauß mit 50 roten Rosen.
Es sollte eine große Überraschung sein.
Als er im Hof angekommen war, rief er Monika schon, sie goß um diese Zeit immer die Blumen in den Kübeln. Doch  alles war still und verlassen. Im Hause war auch niemand. Er wählte ihre handynummer, es war ausgeschaltet. Wo steckte sie? Er lief durch das Haus, sah im Büro nach ihr, die Mitarbeiter waren auch schon nach Hause gegangen, nirgendwo fand er sie. Nun konnte sie nur noch in dem leeren Appartment sein, vielleicht war sie mit Saubermachen beschäftigt.
Er stieg die Treppe hinauf und schloß auf.
Hörte er recht? Aus dem Zimmer vernahm er ein helles Lachen, dann einen männlichen Seufzer.
Ihn durchfuhr es wie ein Blitz – das konnte doch nicht wahr sein. Er riss die Tür auf und sah seine Frau wie er sie noch nie wahrgenommen hatte, sie liebte sich gerade mit einem anderen Mann.
Er sah flüchtig auf den Boden und sah den schwarzen Slip, die Bettdecke war zerwühlt. Von der Türschwelle aus strömte ihm schwüle Wärme entgegen, es roch nach Aftershave und Schweiß. Die beiden waren so miteinader beschäftigt, dass sie nichts mehr um sich herum wahrnahmen. Er wurde unfreiwilliger Zeuge dieses Glücks.
Rudi war einen Moment lang völlig erstarrt. Er empfand rasende Eifersucht, zugleich tiefe Traurigkeit. Ihm wurde schlagartig bewußt, dass er seiner Frau nie wirkliche Zärtlichkeit und Liebe zeigen konnte.
Dieser fremde Mann vögelte seine Frau in seinem Haus!
Er fühlte sich gedemütigt und ausgenutzt.
„Was geht hier vor sich?“ brüllte er und schaltete die Musik aus. Monika schrie vor Angst.
Klaus setzte sich auf und sah Rudi direkt an. Sein Gesicht gerötet, die Haare wild, er hatte gar nichts mehr an. „Ich gehe sofort“ sagte er, es tut mir leid. Monika griff nach ihrem Slip und zog sich ihre Bluse über. Nun machte sie einen entscheidenden Fehler: sie ging zum Gegenangriff über:
„was hast du hier oben zu suchen?“
Kaum war dieser ungeheuerliche Satz ausgesprochen, war es auch schon passiert, Rudi hatte zu einer Broncevase gegriffen und sie in Richtung Klaus geschleudert. Dieser hatte sich weggedreht, um sein Gesicht zu schützen und da traf die schwere Vase ihn am Hinterkopf. Er sackte im gleichen Moment zusammen und war sofort bewußtlos. Monika wimmerte und schüttelte ihn, doch er rührte sich nicht. Wenige Augenblicke später war er tot.
„Du bist ein Mörder- was hast du getan“  schrie sie ihren Mann an und prügelte auf ihn ein. Nach einer Weile sackte sie völlig erschöpft in sich zusammen.
Rudi verließ das Zimmer und betrank sich unten in seinem Büro, die Rosen warf er vor die Tür.

Nach den beunruhigenden Eindrücken der Nacht und der merkwürdigen Reaktion von Frau Römer auf ihr Foto von den Aushängen im Rathaus, dachte Lucia einen Moment, ob sie nach Hause fahren  oder sich eine andere Unterkunft suchen sollte. Aber irgendetwas hielt sie hier gefangen. Sie begab sich in die Küche und horchte an der Tür, deren Klinke Frau Römer gestern nacht heruntergedrückt hatte.  Es war ein  leises Brummen zu vernehmen, das von einem Kühlschrank oder einer Gefriertruhe ausgehen konnte.
Welches Geheimnis gab es hier?
Seltsam kam es ihr auch vor, dass sich der Mann von Frau Römer im Haus kaum blicken ließ.
Sie brauchte Ruhe und wollte auf andere Gedanken kommen. Da sie selbst nichts weiter zum Lesen dabei hatte, stöberte sie ein wenig in dem gut bestückten Bücherregal herum. Monika war eine fanatische Leseratte, das hatte sie aus ihren Gesprächen schon entnommen. Es gab eine Menge Krimis, aber auch Romane und Literatur.  Einige Bücher zog sie heraus, blätterte ein wenig darin herum, aber es war nichts Rechtes dabei, woran sie hängenblieb. Um an die oberen Regale zu kommen,  stieg sie auf einen Stuhl. Die Bücher schienen schon älter zu sein, das Papier war etwas gelblich geworden.
Sie nahm sich einen dicken Wälzer heraus, einen Roman. Beim Herabsteigen  sah sie eine Papierecke aus einem der Bücher herausstehen, das machte sie neugierig.
Und siehe da, ein ganzer Packen Briefe kam hinter der Bücherreihe zum Vorschein! Handgeschrieben.
Durfte sie das? Das Briefgeheimnis verletzen? Ja- sie durfte, sie mußte sogar. Lucia verspürte einen inneren Drang, einen Brief aus der Mitte des Stapels herauszunehmen, in dem Umschlag lag ein Foto. Dieses Gesicht kannte sie doch irgendwoher. Ja das war der Vermißte auf dem Aushang im Rathaus. Und dann sah sie, dass alle Briefe in der gleichen Schrift verfaßt waren, immer mit Klaus unterschieben. Dein Dich innig liebender K. Ich liebe Dich auf ewig, Dein (einziger) Klaus, usw..
 
Monika weinte und deckte Klaus mit einer Wolldecke zu. Sie betrachtete sein Gesicht. Leichte Spuren des Perlmutt vom Lippenstift glänzten auf seinem Gesicht. Sie nahm seine Hand.
So verweilte sie einige Stunden und verabschiedete sich von ihrem Geliebten. In den kommenden Tagen war sie wie in einer Trance. Mehrmals täglich schaute sie nach ihm.
Als sie am vierten Tag nach oben ging, war er verschwunden.
Sie fing an zu schreien. Man konnte sie unten im Hof hören. Rudi war nicht da und ein Mitarbeiter aus dem Büro rief nach oben: „alles in Ordnung, Frau Römer?“
"ja, ich bin ok".
Am späten Abend kam Rudi nach Hause, er hatte wieder getrunken, das hatte er sich in der letzten Zeit angewöhnt, die Trinkerei. Nun sprach sie ihn an:
“wo ist der Mann?“
„ich mußte ihn entsorgen, weil es sonst angefangen hätte, nach ihm zu riechen,“ meinte er bedrückt.
„was heißt entsorgen?, hast du ihn beerdigt?“
„Nein ich habe ihn in Sicherheit gebracht“
„was soll das heißen?“
„wenn du es genau wissen willst, ich habe ihn in die Kühltruhe getan, oben in die große, wo sonst immer das Wild lagert."
Monika fing an zu weinen.
„wie lange ging das schon mit Euch?“ wollte Rudi wissen.
„es fing an, als ich in den Chor ging,…“
 „Du hast mich also seit vielen Jahren betrogen, warum mußte das unbedingt hier im Haus geschehen?“
 „es war eine Ausnahme, er wollte sehen, wie ich wohne.“
 
Lucia  bekam es mit der Angst zu tun, was hatte das zu bedeuten: Klaus wurde als vermißt gemeldet und er war der Geliebte von Monika gewesen?
Man mußte nicht viel Phantasie haben, um da einen schlimmen Zusammenhang zu vermuten. Sie beschloß, ihre Sachen zu packen und  morgen früh abzureisen, heimlich.
Mit diesem Entschluß legte sie sich schlafen. Und wieder kam Frau Römer nach Mitternacht mit der Taschenlampe in das Appartment, diesmal öffnete sie die Tür zu dem Raum mit dem summenden Gerät.
Lucia hörte, wie  eine Tür geöffnet wurde, ähnlich dem Geräusch eines Kühlschranks.
Sie schlich sich aus dem Bett und trat auf leisen Sohlen in die Küche, um besser zu sehen, was Frau Römer da machte. Eine große Gefriertruhe war geöffnet und Frau Römer legte etwas hinein.
Lucia schlich sich gleich wieder in ihr Bett zurück, nach wenigen Minuten war Frau Römer wieder gegangen.
Lucia erhob sich aus dem Bett und zu ihrem Erstaunen war die Tür unverschlossen. Sie hob die schwere Haube der Kühltruhe an dem Griff hoch, diese war bis an den Rand voll. 
Alles war in dicke Plastikfolie verpackt, man konnte nichts Rechtes erkennen. Eine frische Rose lag obenauf. Lucia hörte gerade noch rechtzeitig, dass Frau Römer nocheinmal hochgekommen war.
Und da begegneten sich die beiden Frauen in der Küche.
„Können sie nicht schlafen, Lucia? Ich habe sie herumlaufen gehört und dachte, ich müßte mal nach Ihnen sehen.“
„Ich habe manchmal Schlafstörungen“ sagte sie verlegen.
“Ich mache Ihnen einen Tee, wenn Sie möchten“
„nein das ist sehr lieb von ihnen aber ich lege mich gleich wieder hin.“
„Dann gute Nacht bis morgen um acht Uhr.“

Monika und ihr Mann versuchten, mit diesem schauerlichen Geheimnis zu leben. Die Verhöre und kriminaltechnischen Untersuchungen waren eher oberflächlich über die Bühne gegangen.
Die Polizei war sogar oben im Appartment gewesen, aber  sie ließen sich nicht viel Zeit für gründliche Recherchen.
Undenkbar dass diese Familie etwas damit zu tun haben könnte, der Betrieb von Herrn Römer genoß hohes Ansehen. Für die Polizei war es ein großer Aufwand, alle Chormitglieder ausfindig zu machen, zumal viele von ihnen Klaus nicht kannten. Er hatte sich aus beruflichen Gründen auf unbestimmte Zeit freistellen lassen, um Tratsch zu vermeiden, als die Affäre mit Monika etwas Ernstes zu werden schien.

Lucia schlich sich morgens in aller Frühe aus dem Haus, bloß weg von hier. Sie fuhr zum Flughafen und bekam ein Ticket nach Valencia, der Flieger sollte um 12 Uhr mittags starten.
Frau Römer kam um acht Uhr mit dem Frühstück nach oben und staunte, als sie das Appartment leer vorfand. Lucias Kleidung war ausgeräumt, im Bad befand sich auch nichts mehr.
Sie war offenbar abgereist.
Ihr schwante das Schlimmste.  Sie nahm sich den Stuhl, um nach den Briefen zu sehen, eindeutig:
sie waren nicht mehr an dem gleichen Platz. Die Ecke des Briefes vom 5.3.,  ihrem Geburtstag – hatte sie herausstehen lassen, als Erkennungszeichen. Nun war die Sache klar, Lucia hatte ja die Vermißtenmeldung von Klaus im Rathaus gesehen und ihre fahrige Reaktion daraufhin bemerkt.
Wahrscheinlich war ihr auch nicht entgangen, dass sie nachts wieder ins Appartment geschlichen war, und wenn Lucia ihr aufgelauert hatte, als sie im Kühlraum war, dann war alles aus. Was sollte sie bloß tun?  Sie entschied sich, Rudi zu alarmieren.
“Rudi, ich habe Lucia nicht angetroffen, sie scheint abgereist zu sein, ihr Gepäck ist weg.“
„Warum regst du dich so darüber auf, vielleicht war es ihr hier zu langweilig“
„ich glaube, sie hat etwas gegen uns vor“, 
Monika konnte vor Angst kaum sprechen.
„da geht wieder einmal deine blühende Fantasie mit dir durch.“
Rudi hatte keine Ahnung, dass Monika dort oben noch Briefe von Klaus hortete und außerdem das Ritual pflegte, fast jede Nacht nach ihm zu sehen und ab und zu eine Rose in die Kühltruhe zu legen.
Für ihn war die Sache erledigt, schon lange.
 
Lucia war sehr nervös am Flughafen, vielleicht war Frau Römer auf dem Weg hierher, nachdem sie sie nicht vorgefunden hatte. Sie hatte plötzlich Panik.
Sie rief zu Hause an: "Mama ich habe so eine Angst, ich bin in Gefahr!“  Sie war nicht in der Lage, die komplexe Geschichte zu erzählen. Nun hatte sie auch noch ihre Mutter in Panik versetzt,
die ihr gar nicht helfen konnte. "Ich sage deinem Vater bescheid," rief sie in den Hörer und legte auf.
Da sah Lucia  Frau Römer und ihren Mann auf sie zurasen.
Sie wollte flüchten. Da wurde sie von zwei Polizistinnen festgehalten.
„Sie hat uns bestohlen!“ rief Rudi.
Da behaupteten doch diese beiden glatt, sie hätte ihnen Geld gestohlen, dachte sie empört. 
Sie wurde in den  Trakt geführt, wo verdächtige Personen vernommen wurden, und man durchsuchte ihr Handgepäck. Natürlich hatte sie  einiges an Bargeld in ihrem Portemonnaie, da sie ja noch ein paar Tage in Mainz bleiben wollte. Sie wurde verhört, Frau Römer und ihr Mann beschuldigten sie lautstark.
Ihr war klar, dass sie ihr Flugzeug verpassen würde.
Sie suchte das WC auf und rief wieder zu Hause an und da  war ihr Vater am Apparat. „Du hast ein Recht auf einen Anwalt“ sagte er. Lucia erzählte nun doch so gut es ging, was vorgefallen war.
Ihr Vater war im hohen Maße beunruhigt.
Monika wurde es allmählich sehr unbehaglich zumute. Lucia wußte inzwischen zuviel.

Nach dem Verhör stand Aussage gegen Aussage, es gab keine Beweise und so blieb es bei einer Aktennotiz. Frau Römer wollte die brenzlige Situation auf einmal ganz schnell beenden.
„Ach lassen sie sie meinetwegen frei, ich ziehe die Aussage zurück, das Mädchen tut mir leid“ sagte sie schließlich.
 Lucia wurde nach zwei Stunden auf freien Fuß gesetzt, weil das Ehepaar versicherte, dass sie sie wieder mitnehmen würde. Sie klemmten Lucia zwischen sich und brachten sie ins Parkhaus, wo ihr Auto stand.
„Warum sind Sie abgereist, ohne sich zu verabschieden?“, fragte Rudi.
„Ich hatte auf einmal so ein Heimweh“ entgegnete sie.
„das kam aber plötzlich“, meinte er ungläubig. Ihm war nicht klar, was Lucia alles über Monika in Erfahrung gebracht hatte.
Sie ließen Lucia wieder aussteigen, sollte sie ruhig nach haus fliegen. Sie irrte durch das große Parkhaus und fragte sich zum Ausgang durch. Um 17.10 Uhr konnte sie den Flug nach Valencia endlich antreten.
Rudi und Monika hatten jetzt Wichtiges zu tun. Monika verbrannte die Briefe im Kamin, nahm die Rose heraus, bevor Rudi diese entdecken würde. Und nachts schafften sie die Leiche fort.
Sie fuhren zu einem Steinbruch in der Nähe von Wiesbaden. Es gab dort eine Gruft. Man konnte relativ nah mit dem Auto dorthinfahren.Dort würden die Leichenteile jetzt bei den schon recht warmen Temperaturen schnell verwesen oder sie würden von Tieren gefunden. Sie schaufelten eine Menge Schotter und Sand darauf und Rudi sicherte alles noch mit größeren Felsbrocken.

Lucia kam spätabens zu Hause an. Ihre Eltern waren fassungslos, als sie die ganze Geschichte hörten. Sie machte eine anonyme Anzeige und bezog sich hierbei auf die Vermißtenmeldung im Rathaus.
Sie beschrieb ihre Beobachtungen und schickte auch die Fotos einiger sehr aussagefähiger Briefe mit, die sie zum Glück gemacht hatte.  Dann zog sie einen Schlußstrich unter das Ganze.
Das Stipendium sagte sie ab – aus gesundheitlichen Gründen.
Monika und Rudi waren in den nächsten Tagen völlig aus der Bahn geworfen. Alles stand ihnen auf einmal wieder so drastisch vor Augen. Monika konnte nicht mehr schlafen und Rudi trank noch mehr.
Es dauerte nicht lange, da bekamen sie eine Vorladung auf das Polizeirevier. Man sagte ihnen, dass eine anonyme Anzeige gegen sie vorläge. Es gab kein Entrinnen, sie erschienen pünktlich zum Termin.
Das Foto von Klaus lag vor ihnen. Monika bekam einen Weinkrampf.
Sie war so mit den Nerven fertig, dass sie alles zu Protokoll gab.
„wo ist die Leiche von Klaus Eiselt?“ fragte der Ermittler. Rudi beschrieb den Ort: „wenn sie wollen, führe ich sie dorthin“. Tatsächlich mußte er dieses Grauen erleben.
Sie fuhren am nächsten Tag zum Steinbruch, eine ganze Polizeieskorte war dabei, alles war noch unverändert. Es wurde eine Obduktion angeordnet.
Das Urteil  war schon in wenigen Wochen zu erwarten, da man sich eine schnelle Abwicklung des Falles erhoffen konnte. Die Aussagen von Monika und Rudi stimmten mit den Ergebnissen der pathologischen Untersuchungen überein.
Strafmildernd wirkte sich Rudis Geständnis aus und die Unterstützung bei der Suche des  Fundortes der Leichenteile.
Er wurde wegen Totschlags im Affekt zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.
Für Monika war das ein radikaler Schnitt, der in  ihrem Leben zu einer großen Wende führte.
Sie begab sich in psychotherapeutische Behandlung. Es dauerte ein paar Jahre, bis sie wieder auf die Füße kam. Gleich zu Beginn des Haftantritts trennte sie sich von Rudi.
Als sie genug Selbstvertrauen zurückgewonnen hatte, nahm sie ihren alten Beruf als Versicherungskauffrau wieder auf und zog zurück in ihren Heimatort nach Ulm.
Dort hatte niemand etwas von der Sache erfahren.
Rudi hatte durch eine Brieffreundin einen Kontakt aus der Justizvollzugsanstalt in die Außenwelt aufgebaut. Seinen Betrieb hatte er vor Haftantritt noch verkaufen können, incl. das Haus.
Auch er wollte mit seinem alten Leben abschließen. Von dem Geld konnte er sich ein Reihenhaus in der Nähe von Köln kaufen, seinem Geburtsort, und Monika ihren Teil auszahlen.
Rudi und Monika haben sich bei Lucia entschuldigt. Monika hatte sie eines Tages angerufen und ihr alles erzählt. Die Anzeige gegen sie von damals war ohnehin mangels Beweisen eingestellt worden.
Lucia brauchte lange, bis sie diese Offenbarungen von Monika verkraftet hatte. Sie hatte sie aber in ihr Herz geschlossen und sie verband ein besonderes Vertrauensverhältnis.
Klaus Eiselt wurde anonym bestattet. Er hatte keine weiteren Angehörigen in der Stadt und es hat sich niemand die Mühe gemacht, danach zu suchen. Monika war froh, dass um diese grauenhafte Geschichte kein öffentliches Aufhebens gemacht wurde. Sie dachte täglich an Klaus.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 

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