Dietmar Penkert

Der Gnom und der Kupferdrache

Fast wäre Guntpalt Grotteldigger umgekehrt, enttäuscht, daß seine Ausbeute nur so gering war. Doch dann erspähte er etwas unterhalb eines kleinen Felsgrates. Etwas funkelte rot im Schein seiner Stirnlaterne, die der Gnom bei seinen Runden durch die Höhlen stets auf dem Kopf hatte, damit er auch die unscheinbarsten Steine besser sehen und analysieren konnte. Im Jutebeutel an seinem Gürtel klapperten die alten Werkzeuge, welche teilweise schon etwas rostig waren, aber neue konnte er sich nicht leisten. Meißel, Hammer, kleinen Spaten, Steinsäge und Feile waren die Werkzeuge, welche der verbittert wirkende Gnom bei seinen Suchaktionen nach Mineralien und Steinen brauchte.

Guntpalt war nicht besonders vermögend, und er beneidete die wohlhabenden Landsleute und Erfolgreichen seines Volkes, welche aus guten Schmiedenfamilien stammten oder durch glückbringende Funde in den Minen zu Ruhm gelangten. Guntpalt träumte stets von seinem Glück, das er nie hatte, von dem Ruhm, den er nie erlangte, und von den Reichtümern, die er nie gefunden hatte. Wie schön wäre es, sich einen Namen zu machen und Ansehen zu gewinnen durch einen großen Fund! Wie schön wäre es, ein stolzer Entdecker und gar Besitzer einer Silbermine zu sein und endgültig aus den erbärmlichen Verhältnissen herauszukommen, in denen er mit seiner Familie lebte! Er mußte hart schuften als Kesselflicker, um seinen Unterhalt zu verdienen und seine Frau und zwei Söhne zu ernähren. Obgleich er noch jung war (knapp hundertzehn Jahre war in seinem Volk durchaus als gutes Mannesalter zu bezeichnen), fühlte Guntpalt sich oft wie ein alter Mann mit schmerzendem Rücken und wunden Gelenken. Und nach seiner Arbeit in der Werkstatt ging er seit Jahren in die nahegelegenen Granithöhlen von Skumilbosh, um dort nach Erzen und Mineralien zu suchen, die ihm vielleicht eines Tages zu seinem erstrebten Glück verhelfen sollten. Und das trotz aller Müdigkeit und Knochenschmerzen. Bis jetzt aber hatte er nie etwas wirklich wertvolles gefunden. Meist waren es nur wertlose Nickelerze, Salze oder Katzengold. Und verbittert und enttäuscht ging Guntpalt am späten Abend oder in der Nacht dann wieder nach Hause, wo seine Frau oft weinend am Kamin saß und auf ihn wartete. Sie war dagegen, daß ihr Mann nach der Arbeit zu Hause noch in die Granithöhlen ging, denn es war gefährlich und ihrer Meinung nach töricht. Guntpalt aber war ein sturer Gnom und gab seinen Traum nach Reichtum und Glück nicht auf.

Der eigensinnige Gnom war dieses Mal besonders weit in die Granithöhlen vorgedrungen und wagte sich in einen Höhlengang vor, der weit abseits in einem entfernten Bergrücken lag, verborgen hinter einigen großen Felsen. Es schien alles wieder aussichtslos und ertragsarm zu sein wie immer. Doch als Guntpalt diesen funkelnden Stein erspähte, hüpfte ihm das Herz vor Aufregung bis zum Hals. Hastig kroch er auf den Knien den schmalen Grat entlang, hinter dem sich eine Grube befand. An deren Rand lag dieses wundervolle Entdeckung.
Der Gnom spürte es kaum, daß er sich die Knie wund schürfte beim Kriechen entlang des Grates mit den scharfkantigen Granitfelsen. Es war nicht leicht, an diesen herrlichen Stein zu gelangen, den Guntpalt im Schein seiner Stirnlampe nun besser sah. Es war ein faustgroßer, fast völlig runder Edelstein von atemberaubender Schönheit. Feuerrot funkelnd und halbdurchsichtig war dieses Mineral, und es schien einzigartig in dieser Höhle, da keine Gesteine von ähnlicher Art und Struktur zu finden waren. Es konnte nur jemand verloren haben. Oder vielleicht hatte jemand es versteckt, damit es verborgen blieb. Doch er, Guntpalt Grotteldigger hatte es gefunden! Es sah so aus, als würde er doch noch zu seinem Glück kommen. Er würde den steilen Grat bis zu dem gähnenden Abgrund, neben dem der Edelstein lag hinabsteigen müssen. Aber um nichts auf der Welt würde er sich den Fund entgehen lassen! Endlich hatten all die strapaziösen Wanderungen sich gelohnt!
Schweißüberströmt hangelte sich Guntpalt an den scharfkantigen Steinen herab zu dem Abgrund und verzichtete, sich auch noch mit dem Strick anzuleinen, welchen er seinem Rucksack mitführte. Er war ja gleich unten. Außerdem war doch Eile geboten, dachte er sich panisch, denn der Edelstein lag so instabil am Abgrund, sodaß eine kleine Erschütterung vielleicht reichen würde, um ihn in die Tiefe gleiten zu lassen.
Der Gnom war schon so nahe. Mit einer Hand hielt er sich noch an einem Granitvorsprung, mit der anderen zittrigen Hand konnte er das Juwel fast berühren! Was für eine Schönheit! Der Stein war mit nichts zu vergleichen, aber seine Struktur und Beschaffenheit glich einem Feueropal. Wenn dies ein Opal war, dann wäre er ein Vermögen wert, allein die Größe! Dann passierte es! Guntpalts Hand entglitt dem Fels, den er nur noch mit seinen Fingerkuppen hielt, damit er den Edelstein greifen konnte. Und schon fiel er herunter. Der Gnom prallte noch gegen den kleinen Vorsprung an dem Abgrund, berührte den Edelstein, nach dem er greifen wollte und rollte dann in die Tiefe hinab. Und mit ihm der feuerrote Stein.
Nachdem Guntpalt während seines kurzen Falls am felsigen Rand des Schachtes den Kopf gestoßen hatte, rutschte er die glatte Felswand des Schachtes weiter nach unten, wodurch sein Fall etwas verlangsamt wurde. Dann prallte er ungeschickt am Grund auf, sodaß er sich den Knöchel verstauchte und etliche Rippen prellte. Doch es war dennoch Glück, denn der Abgrund hätte tiefer sein können. Und die schräger werdende Felswand des Schachtes hatte seinen Fall gebremst. Das hatte den Gnom vor dem Tod bewahrt.
Guntpalt blieb einige Zeit ohnmächtig am Grund liegen. Benommen erwachte er wieder und setzte sich unter Schmerzensstöhnen auf. Die Stirnlampe funktionierte zum Glück noch, damit er sich orientieren konnte. Er war in eine größere Höhle gestürzt, in welche der Schacht endete. Es war eine nasse Höhle mit Tropfsteinen und glitschigen Felsen. Unwirtlich und klamm. Fluchend und schnaubend verwünschte der Gnom die Höhle und vielleicht auch seine Nachlässigkeit, da er zu hastig und gierig hinter dem Edelstein her gewesen war. - 'Der Feueropal! Wo ist er?', fragte sich Guntpalt panisch. Deswegen war er doch in diesen Abgrund gestürzt. Das darf doch nicht umsonst gewesen sein! So tastete der Gnom hektisch um sich, griff dabei auch in einige Wasserlöcher, die durch das Tropfwasser entstanden waren. Schließlich fand er den kostbaren Edelstein auch. Er war einige Meter entfernt von ihm in eine Mulde gerollt. Dort lag er funkelnd und unversehrt. Gierig, aber unter großen Schmerzen humpelte Guntpalt auf den Schatz zu, um ihn endlich in die Hände zu nehmen.
„Ich glaube es nicht! Ich bin reich! Reich!", triumphierte Guntpalt und barst fast vor Freude und Erfolgserlebnis. Er vergaß sogar beinahe seinen verstauchten Knöchel und seine geprellten Rippen und war ganz mit dem Juwel beschäftigt, das sich so glatt, so perfekt anfühlte und fast eine innere Wärme ausstrahlte. Er schien von innen zu glühen, oder war das Einbildung? Eines stand jedenfalls fest: so etwas schönes und wertvolles hatte der Gnom in seinem ganzen, jämmerlichen Leben noch nicht gesehen.

„Und jetzt?", ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihm. Erschrocken drehte Guntpalt sich um. Doch da war niemand! Weder Mann noch Frau noch Kind war außer ihm hier. Aber er hatte sich die Stimme nicht eingebildet.
„Was geschieht nun, Gnom?", schallte wieder die Stimme, eine männliche, sonore Stimme.
Guntpalts Herz hämmerte wild vor Schreck und Angst. Nun rappelte er sich mühevoll auf, um im Stehen mehr sehen zu können und leuchtete hektisch mit seiner Stirnlampe herum, damit er sehen konnte, wer da gesprochen hatte. Aber da war doch niemand!
„Wer ist da?", rief Guntpalt hysterisch und umklammerte verkrampft den Edelstein, voller Angst, jemand wäre hinter diesem her. „Zeige dich! Ich kann dich nicht sehen!"
„Wirklich nicht?", ertönte die Stimme zurück. Diesmal versuchte Guntpalt, die Quelle zu orten und die Richtung zu erfassen, aus der die Stimme gekommen war. Er leuchtete mit der Stirnlampe in die Ecke, aus der die Stimme kam. Aber das einzige was er sah waren Tropfsteine, kleine Pfützen. Und eine Kröte, die auf einer kleinen Erhöhung saß. Von der konnte die Stimme ja nicht gekommen sein!
„Du hast es erfaßt, Gnom!", schallte wieder die sonore Stimme. Und sie kam doch von der Kröte! Ungläubig hinkte Guntpalt auf das kleine Tier zu, um sich zu vergewissern, ob er sich das nicht bloß einbildete. Alles vielleicht ein Trugbild, das ihm sein angespannter Verstand vorgaukelte?
„Ja, vergewissere dich nur! Ich bin echt, so echt wie Du selber", fuhr die Stimme fort. Kein Zweifel, es war die Kröte, die da sprach! Eine handtellergroße Kröte von rot schimmernder Farbe. Und sie hockte starr auf dem kniehohen Felsen vor ihm.
„Eine Kröte die spricht? Das habe ich noch nie gesehen!", entgegnete Guntpalt nun und hatte wieder Mut gesammelt, nachdem nun wenigstens feststand, daß es kein Bandit oder Riese war, der ihm seinen Schatz stehlen wollte.
„Die Dinge sind nicht immer, wie sei scheinen, Gnom", meinte die Kröte mit der paradox klingenden, tiefen Stimme, die jedoch einen sanften Ton hatte. „Aber da wir nun beide hier sind, können wir uns ja ein wenig unterhalten, was meinst Du?"
„Was ich meine?", erwiderte Guntpalt spöttelnd. „Ich meine, daß ich dich Hirngespinst hier lasse und ich mich auf dem Weg mache zu meiner Familie mit meinem neuen Schatz! Auf mich wartet ein neues Leben!"
„Wirklich? Wie stellst Du dir das denn vor?", sagte die Kröte, und nun war sie es, die spöttelte.
„Ein edles Haus? Eine Schar von Dienern vielleicht? Oder eine Kutsche aus Gold?"
„Was geht dich das an?", schimpfte Guntpalt die Kröte an. „Wer bist Du überhaupt?"
„Nenne mich Dalurian. Wenn Du möchtest", entgegnete die Kröte gelassen.
„Pah, ein fauler Zauber bist Du! Ein Trugbild meines Gewissens vielleicht. Ich gehe nun heim! Meine Frau macht sich sicher schon Sorgen!"
Damit kehrte Guntpalt der Kröte trotzig den Rücken zu und humpelte zur Höhlenmitte. Er blickte nach oben zu der Schachtöffnung, aus der er gefallen war. Doch diese war mehr als fünf Meter über ihm. Wie sollte er dort hinauf gelangen?
„Es gibt keinen Ausweg, Gnom", erklärte die Kröte, die sich Dalurian nannte, gelassen.
„Das werden wir ja sehen", murmelte Guntpalt und sprach eher zu sich selber als zu der Kröte, die er immernoch für ein Hirngespinst seines Gewissens hielt. Vorerst versuchte er sich zu beruhigen und machte sich die Mühe, ein Feuer zu entfachen. Der Gnom hatte stets Feuerstein und Stahl sowie ein wenig Zunder dabei. Er brachte eine kleine Fackel zustande, die er aus einem langen Hammerstiel bastelte, welche er mit Stofffetzen umwickelte. Das gab wenigstens mehr Licht und vor allem Wärme in dieser klammen Höhle. Dann sah der Gnom sich genauer um. Irgendwo mußte es ja einen Ausgang geben!
Die glatten Höhlenwände waren naß und glitschig. Es gab keine Löcher und keine Furchen. Nichts, woran man hochklettern hätte können. Und so sehr Guntpalt auch suchte, eine weitere Öffnung oder einen Tunnel fand er nicht. Verzweiflung kam in ihm auf. Dann betrachtete er seinen schönen Edelstein, der ihm sofort wieder Freude und Hoffnung gab. Der Fund kann doch nicht umsonst gewesen sein! Vielleicht mußte er einfach nur Geduld haben, dann würde er schon herauskommen. Schließlich wartete eine glorreiche Zukunft!
„Glaubst Du mir jetzt?", wollte die Kröte wissen, die immer noch auf dem Stein saß und geduldig wartete. Erschöpft ließ Guntpalt sich auf die Knie sinken und schüttelte den Kopf und blickte wütend zu dem Reptil hinüber.
„Du willst hier rauskommen, Gnom?", meinte die Kröte sanft, als rede sie mit einem zornigen Kind. Der Gnom nickte müde und betrachtete den feuerroten Edelstein mit verträumten Lächeln.
„Nun, dann werde ich dir sagen, wie Du wieder die Freiheit erlangst!", fuhr die Kröte sanft fort, und Guntpalt blickte hoffnungsvoll zu ihr. „Du mußt den Stein zerstören!"
Empört stand der Gnom auf und hinkte zur Kröte. In seinem Gesicht stand der Zorn.
„Niemals würde ich das tun!", rief er schließlich erbost. „Endlich habe ich einmal Glück gehabt und etwas wertvolles gefunden! Und alles was Du mir sagst ist, ich solle diesen größten Schatz meines Lebens zerstören? Ich habe mein ganzes Leben geschuftet, für nichts! Du häßliche Kröte! Vielleicht sollte ich dich einfach zertreten! Wie wäre das? Dann würdest Du endlich still sein!"
„Sicherlich", argumentierte die Kröte sachlich. „Aber das würde an deiner Situation nichts ändern, Gnom!"
„Dann hätte ich zumindest Ruhe!", schrie der Gnom weiter und machte tatsächlich Anstalten, die Kröte zu zertreten.
„Warte!", rief diese schnell. „Du sollst wissen, daß ich es gut mit dir meine! Also hör mich an, danach kannst Du mich immernoch zertreten!"
„Also gut, dann rede", meinte Guntpalt mürrisch. „Du bist ja wahrscheinlich doch nur Einbildung. Mich wundert nichts mehr".
„Der Edelstein, den Du in den Händen hältst, hat nichts als Unglück gebracht", begann die Kröte bedächtig. „Auch ich bin deswegen hier, allerdings aus einem anderen Grund als Du, Gnom. Auch ich bin aber gefangen hier, und ich bin erst frei, wenn der Stein zerstört wird, denn ein Zauber hält mich hier fest"
„Das ist lachhaft! Was für ein Zauber soll das denn sein?", wollte Guntpalt verächtlich wissen und kam sich in dem Augenblick albern vor, da er mit einer Kröte sprach, die wie er glaubte, nur eine Illusion war, die ihm sein Gewissen vorgaukelte. „Und was soll das mit dem Stein zu tun haben?"
„Das ist eine lange Geschichte", erwiderte die Kröte seufzend. „Aber Habgier und Gewinnsucht sind schuld, daß ich hier bin und in dieser Gestalt darauf warte, daß jemand mich befreit."
„Und dieser jemand soll ich sein?", fügte der Gnom müde hinzu. „Du willst mir also weismachen, Du bist verzaubert worden und wirst nur befreit, wenn ich diesen schönen Stein zerstöre? Da mußt Du dir schon was besseres einfallen lassen, Du häßliche Kröte. Und wenn Du verzaubert bist, wer bist Du denn in Wirklichkeit?"
„Ich darf das nicht preisgeben, Du mußt mir vertrauen!", meinte die Kröte ruhig. „Die Wahrheit ist, daß der Zauber nur gebrochen wird wenn der Stein zerstört wird. Aus freiem Willen. So sind die Regeln. Der Stein hat dich hierher geführt, Gnom. Er kann dir aber auch wieder die Freiheit schenken. Wenn Du ihn zerstörst!"
„Warum sollte ich damit wieder meine Freiheit erlangen?", fragte Guntpalt.
„Weil ich dich dann aus der Höhle bringen werde", erwiderte die Kröte. „An dieses Versprechen bin ich gebunden. Es ist mein Eid meinem Befreier gegenüber".
Daraufhin lachte Guntpalt herzlich, aber dennoch war es ein verbittertes Lachen.
„Eine Kröte will mich befreien! Eine häßliche, kleine Kröte wie Du? Und das, wenn ich meinen kostbarsten Fund aller Zeiten zerstöre? Was für eine dumme Geschichte! Ich sage dir, durch diesen Feueropal habe ich mehr, als ich mir je erträumt habe. Damit kaufe ich mir die Freiheit aus meinem wertlosen Leben, das ich bis jetzt führte. Diesen Schatz werde ich niemals zerstören!"
Damit beendete Guntpalt vorerst das Gespräch mit diesem sprechendem Tier und sammelte erneut seine Kräfte und seine Hoffnung, einen Ausweg aus der Höhle zu finden. Doch so sehr er auch suchte, er fand nichts. Es gab keine Möglichkeiten, den Schacht zu erreichen, da es nichts zum klettern gab. Zum ersten Mal bemerkte Guntpalt auch die blassen Knochen, die hier und da aus den Pfützen ragten. Es waren offenbar schon andere Lebewesen hier unten verendet, vielleicht Ratten oder Fledermäuse. Allerdings hatte der Gnom noch keine zu Gesicht bekommen. Das einzige Lebewesen außer ihm selber war die Kröte.
„Auch deine Sturheit wird einmal gebrochen, Gnom. Vielleicht denkst Du dann noch einmal über meinen Vorschlag nach!", rief die Kröte dem Gnom hinterher.

Guntpalt Grotteldigger blieb starrsinnig und weigerte sich, der Kröte zu glauben und sich weiter mit ihr zu unterhalten. Denn um nichts in der Welt würde er das zerstören, was für ihn eine bessere Zukunft bedeuten würde. Er hielt echten Reichtum in den Händen. Damit würde der Gnom sich all die Träume erfüllen können, die er in den harten Jahren seines ärmlichen Lebens hatte. Ein gemütliches wohlhabendes Heim, eine glückliche Familie ohne Sorgen, und als reicher Gnom auch das Ansehen seiner Landsleute.
Er harrte aus und träumte von seiner herrlichen Zukunft, während er zusammengekrümmt am klammen Höhlenboden döste. Es waren fast zwei Tage vergangen, aber Guntpalt hatte das Zeitgefühl verloren. Frierend und von Hunger geplagt kauerte er dort und sah schließlich wieder zur Kröte herüber. Er hatte viel Kraft verloren und konnte nicht mehr aufstehen, so kroch er also zu dem Felsen, auf dem das Geschöpf immernoch reglos saß. Er fragte sich, ob er die noch die Kraft besäße, sie zu erschlagen, um sie zu essen. Sonst würde er verhungern, und was anderes gab es nicht. Die spärlichen Vorräte, die er dabei gehabt hatte, waren längst gegessen.
„An mir würdest Du dich vermutlich nur vergiften", meinte die Kröte langsam, als ahnte sie, was der Gnom vorhatte. „Wie ich dir sagte, ich bin nicht das, was ich zu sein scheine".
„Aber wenn ich dich nicht esse, werde ich verhungern!", entgegnete der mager gewordene Guntpalt mit krächzender Stimme.
„Alles was Du tun mußt, um zu überleben ist, deinen Schatz zu zerstören", erklärte Dalurian, die Kröte. „Was nützt dir dein Schatz, wenn Du tot bist?"
„Aber wenn ich ihn zerstöre, verliere ich alles!", flüsterte Guntpalt weinend und am Rande der Verzweiflung.
„Nein, nicht alles!", konterte Dalurian. „Du wirst leben! Das sollte es wert sein!"
„Aber wie sollte ich einen Feueropal zerschlagen?", fuhr der Gnom fort und versuchte immernoch ein Gegenargument zu finden, um seinen wertvollen Edelstein zu wahren. „Er ist härter als Granit. Nicht einmal ritzen könnte ich ihn, sieh doch her!"
Demonstrativ zog Guntpalt ein Meißel aus dem Beutel und versuchte, mit aller Kraft den feuerroten Edelstein zu beschädigen. Nichts passierte.
„Natürlich nicht, weil Du im Grunde deines Herzens noch immer nicht willst!", erklärte die Kröte eindringlich. „Nur der reine und freie Wille kann ihn zerstören! Aber Du würdest dein Leben geben für diesen Stein! Aber was ist denn nun dieser Stein im Vergleich zu deinem Leben? Ist das nicht das kostbarste überhaupt?"
Guntpalt war nun gebrochen. Er hatte keine Argumente mehr. Und er war so nahe am Tod, daß er sich nur noch wünschte, nicht zu sterben.
„Gut, Du hast gewonnen!", preßte der Gnom heraus. „Ich zerstöre den Stein! Jetzt ist alles egal. Ich gebe mich geschlagen!"
Damit setzte Guntpalt, der nur noch aus Haut und Knochen bestand, den Meißel an den makellosen Edelstein, hob den Hammer aus dem Beutel und schlug mit der allerletzten Kraft, die er noch hatte zu.

Der Feueropal zerbarst mit einem kreischenden Geräusch in tausend Scherben. Und damit vollzog sich eine unglaubliche Verwandlung. Die Kröte auf dem Stein wuchs zu einem monströsen Etwas, wechselte ihre Gestalt wie durch Zauberhand. Aus den kleinen Füßen der Kröte wurden mächtige Klauen, aus dem Körper wuchsen riesige Flügel, ein gewaltiger Hals und Schweif. Dann sah sich Guntpalt einem enormen Drachen von metallisch-kupfrigem Glanz gegenüber. Triumphierend betrachtete ihn das mächtige Geschöpf mit seinen gelbglühenden Augen.
„Wie es aussieht, haben sich die Verhältnisse geändert, Gnom", donnerte der Kupferdrache mit der gleichen sonoren Stimme, wie sie die Kröte hatte. „Wie Du mich zertreten wolltest, könnte ich dich in meiner Klaue zerquetschen. Doch ich erfülle meinen Schwur, wie ich es versprach". Damit streckte das prächtige Geschöpf seinen langen Hals, sog inbrünstig die Luft ein und blies schließlich einen gewaltigen Odem aus einem flammenden Inferno in den Schacht nach oben. Schmelzendes Gestein und gelöstes Granitgeröll stürzten in die Höhle hinab. Schützend breitete Dalurian seine fächerartigen, riesigen Schwingen über dem Gnom aus, der das alles nur noch in einem Dämmerzustand miterlebte. Daraufhin nahm der Drache den Wicht vorsichtig in seine Klauen und schwang sich impulsiv in die Höhe, durch den Hagel von Gestein und Staub hindurch, bis er mitsamt dem Gnom aus dem einstürzenden Höhlenkomplex heraus barst. Heraus in die Freiheit. Tosende Gerölllawinen verschütteten das, was einige Augenblicke zuvor noch die riesigen Granithöhlen waren. Dann war alles still, und nichts mehr verriet, daß dort jemals Höhlen gewesen sind.

Dalurian trug den Gnom über die Gipfel des nächtlichen Berglandes. In einem geschützten Hain am Rande eines ruhigen Tals ließ er ihn bis zum Morgen genesen und gab ihm zu essen, damit er wieder zu Kräften kam. Und als der Morgen graute, flog der Kupferdrache ihn schließlich nach Hause, wo seine Familie voller Kummer und Sorge drei Tage auf ihn gewartet hatten. Es war still, denn Guntpalts Frau und Kinder schliefen noch erschöpft, nachdem sie lange kein Auge zu getan hatten.
„Mein Eid ist erfüllt", sagte Dalurian und setzte den Gnom vor seinem Haus ab. „Die Vernunft hat also doch gesiegt und so uns beide gerettet".
„Und wieder kehre ich mit leeren Händen heim", seufzte Guntpalt bedauernd, als er sich an das schöne Juwel erinnerte.
„Nein", widersprach Dalurian. „Du hast etwas gewonnen, was wertvoller ist als jedes Juwel auf der Welt"
„Was?", fragte der Gnom.
„Weisheit", antwortete der Drache und erhob sich mit seinen schillernden Flügeln wieder in die Lüfte. „Du hast es am eigenen Leibe erfahren in der Höhle. Besitz und Reichtum galt für dich als Freiheit. In Wirklichkeit aber war es dein Gefängnis. Denn wahre Freiheit kann man sich nicht erkaufen"
Dann flog der Kupferdrache fort, bis er als glänzender Punkt im Schein der aufgehenden Sonne in den Weiten des Himmels verschwand.

****

Guntpalt Grotteldigger hatte in der Tat etwas gewonnen und gelernt aus dem Erlebnis in der düsteren Höhle und der Begegnung mit dem Kupferdrachen. Zwar war er noch immer arm und mittellos. Doch er hatte an Selbstbewußtsein und innerer Stärke gewonnen, wie er sie nie zuvor hatte. Der Gnom hatte sich gewandelt seit dieser Geschichte, und lange Zeit hatte er über die Worte des Drachen nachgedacht. Schließlich erkannte er, daß seine Hartnäckigkeit und sein panisches Verlangen nach Reichtum ihn zum Gefangenen gemacht hatten, zum Gefangenen seiner selbst.
Guntpalt begann ein neues Leben. Er zog mit seiner Familie in die Täler der Menschen und vermittelte in der neuen Gemeinschaft eine seiner wichtigsten Fähigkeiten: das erkennen und deuten von Gesteinen. Bei all den jahrzehntelangen Suchen nach wertvollen Funden und Schätzen durch die einsame Bergwelt hatte der Gnom sich Wissen und Erfahrung über Gesteine und Mineralien angeeignet wie kein anderer. Die neugierigen Menschen profitierten davon, ob Frauen, Männer oder Schulkinder. Denn Guntpalt präsentierte seine vielfältigen Sammlungen verschiedenster Gesteine, gab Lektionen über Bergbau und machte mit Gruppen von Schulkindern ab und zu Ausflüge zu nahegelegenen Höhlen und Erzlagern.
Durch all das erntete er viel Anerkennung und Respekt. Was aber viel wichtiger war: Guntpalt wurde ein zufriedener Mann und wußte nun, was wahre Freiheit bedeutete. Und ab und zu sah er zum Himmel auf. Vielleicht würde er dort zufällig Dalurian erspähen, den Kupferdrachen der Granithöhle.

Ende

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.11.2001. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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