Christa Astl

Wie die Sonnenblume wächst

Eine Geschichte für Dreijährige

 
Bernie ist gerade drei Jahre geworden. Zum Geburtstag schenkt ihm die Oma einen Blumentopf, nur mit Erde drinnen. "Gieß sie recht gut", sagt die Oma, "und warte ab, was da draus wächst."
Bernie stellt den Topf aufs Fensterbrett, denn draußen war es noch zu kalt für Blumen. Es war ja gerade erst Ostern vorbei und die Bäume hatten noch gar keine Blätter.
Aber mit jedem Tag schien die Sonne ein bisschen wärmer.
Bernie vergisst es nicht, seinen Blumentopf zu gießen, er ist ja so neugierig, was da wachsen wird. Und wirklich, eines Tages schaut eine kleine grüne Spitze heraus, aus der sich nach ein paar weiteren Tagen ein Blatt bildet. Ein zweites kommt nach, und sie werden größer und größer, immer mehr Blätter kommen, der Stängel wird immer höher.
Die Mama erkennt schon, dass da eine Sonnenblume zu wachsen beginnt und erzählt Bernie, dass die sehr hochwerden kann. "So hoch bis zur Sonne, weil sie so heißt?" - "Nicht ganz", lacht die Mama, "aber warte nur ab".
Bernie setzt nun seine Blume in den Garten, die Mama hilft ihm dabei. Er gräbt mit seiner Schaufel ein großes Loch, Mama stellt die Blume hinein und er darf vorsichtig Erde auf die Wurzel schaufeln. Sie drückt die Erde fest, steckt einen kleinen Stock hinein und bindet den Blumenstängel an, damit der oft so stürmische und übermütige Wind die Blume nicht knickt oder gar abbricht, und auch damit sie gerade wächst, genau so gerade wie der Stock.
Jetzt ist sie schon so groß, dass sie ihm bis zum Knie reicht, bald muss die Mama einen höheren Stock suchen. Und dann reicht sie Bernie bis zum Bauch. Alle paar Tage sieht er, wie sie oben neue Blätter bekommt. Nun kann sie ohne Stock stehen, der Stängel ist fast schon ein kleiner Baum geworden und so groß wie Bernie. Aber zur Sonne ist es noch sehr, sehr weit.
Da holt die Mama einen Meterstab und steckt ihn daneben. Sie muss jeden Tag vorlesen, wie hoch die Blume wieder gewachsen ist. Schon Einen-Meter-zwölf, Bernie muss sich jetzt strecken, um hinauf zu reichen - und sie wächst noch immer. "Wird das auch wirklich eine Blume?", fragt er ungeduldig die Mama, denn er sieht keine Blüte, und andere Blumen im Garten blühen bereits. "Wart nur ab!", meint die Mama lächelnd.
Ach es dauert doch so lang, und Pflanzen wachsen so langsam! Bernie muss viel Geduld haben. Und die Pflanze wächst und wächst. Jetzt ist sie schon fast so groß wie die Mama, und bald drauf sicher so wie der Papa, wenn er noch hier wäre. Und was an ihrer Spitze passiert, sieht Bernie gar nicht mehr. Allmählich interessiert er sich nicht mehr dafür, vergisst das Gießen und geht lieber spielen. aber die Mama achtet weiter darauf.
Und eines Tages, als er gerade aufgestanden ist und zu seiner Baustelle im Sandkasten gehen will, leuchtet ihm aus der Höhe etwas entgegen: Eine kleine Sonne! Ganz oben auf der Spitze dieses langen grünen Baumes, wie er diesen Stängel jetzt immer genannt hat. Bernie hat nicht mehr geglaubt, dass da eine Blume werden könnte.
Aufgeregt läuft er zur Mama: "Auf meinem Baum sitzt eine Sonne!", ruft er schon von weitem. Mama muss gleich mit, und beide bestaunen die Sonnenblumenblüte, die sich im Laufe des Tages ganz öffnet. Nach ein paar Tagen neigt sie ihren gelben Kopf, so dass Bernie in ihr Blumengesicht schauen kann. Das muss auch die Oma sehen, und sie wird zum Sonnenblumenfest eingeladen.
Nach ein paar Wochen werden die gelben Blütenblätter welk und fallen ab und eines Tages sieht Bernie einen Vogel in der Mitte sitzen. Er will ihn verjagen, doch Mama meint: "Das ist eine Meise, die holt sich jetzt die Kerne, die schmecken ihr so gut! Im Winter hatten wir doch auch welche im Vogelhaus, erinnerst du dich? Deine Kerne dürfen sie später fressen, jetzt finden sie noch genug anderes." Und sie stülpt eine Tüte über die Blume.
Der Herbst ist gekommen, Bernie muss längst wieder lange Hosen und einen Pullover anziehen, viele Vögel sind schon in warme Länder geflogen, da nimmt die Mama die Tüte weg. Kaum haben es die Meisen bemerkt, fliegen sie auch schon hin. Bernie und Mama stehen drinnen im Haus am Fenster und schauen zu, wie sich die Vögel an die Kerne heranmachen. "Eins, zwei drei und vier" zählt Bernie. "So alt werde ich beim nächsten Geburtstag, und dann will ich wieder eine Sonnenblume. Die schenke ich jetzt den Vögeln."
 
 
ChA 08.08.15

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.08.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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