Es war tiefste Nacht, als er sich durch das tiefe Dickicht des Waldes kämpfte. Seine Augen hatten sich schon längst an die trübe Dunkelheit um ihn herum gewöhnt. Selten durchbrach ein Mondstrahl diese Dunkelheit, die sich bei Tage zu einem trüben Grünton wandelte.
Wie lange war er nun schon in diesem Wald? Drei Tage? Eine Woche? Zwei Wochen? Er konnte sich diese Frage nun schon seit einiger Zeit nicht mehr beantworten.
Wahrscheinlich würde dies auch keine Rolle mehr spielen. Er war sich sicher, dass er eh zu spät kommen würde. Er hatte bei seinem Auftrag kläglich versagt. Niemals würde er es noch rechtzeitig schaffen an den Toren Taradins zu sein. Er hielt für einen Moment inne. Hatte es überhaupt noch einen Zweck seine Reise weiterzuführen? Wollte er überhaupt noch einen Fuß vor den anderen setzen? Was würde ihn wohl erwarten, sollte er es doch schaffen aus dieser grünen Hölle zu entrinnen? Was, wenn er doch zu Taradin durchkam? Was würde ihn dort wohl erwarten? Gab es doch noch einen Hoffnungsschimmer, dass er die wichtige Nachricht rechtzeitig überbringen würde?
Er setzte sich auf den Waldboden und schloss seine Augen. Oft seit er hier in dem Wald war hatte er sich diese Fragen gestellt. Er war immer zu der gleichen Antwort gekommen. Es gab keine Antwort auf seine Fragen, solange er hier weilen und im Selbstmitleid zerfließen würde. Er musste einfach weitergehen, nur um zu sehen was er zu verantworten hatte.
Hätte er doch nur auf die Templer gehört. Wäre er doch nie aufgebrochen, diese schwere Last zu tragen. Doch auch dafür war es zu spät. Nun saß er dort, seine Kräfte waren am versiegen, sein Mut schon lange nicht mehr das was ihn hätte auszeichnen sollen, sein Wille war längst gebrochen und sein Geist so mit Sorgen und Vorstellungen umnebelt, dass er keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Er seufzte und die Bilder von Taradin erschienen ihm wieder vor seinem geistigem Auge.
Die grünen Flächen, auf dem die Bauern ihrer Arbeit nachkamen. Die saftigen Wiesen die die Stadt umhüllten und durchzogen. Die kleinen Hütten die am Stadtrand lagen. Die Kinder die fröhlich durch die Gassen tollten und ihren Eltern das Leben schwer machten. Die großen und imposanten Gebäude die tiefer im inneren dieser Stadt lagen. Die überheblich anmutenden Geschäftsleute die ihre Waren zu einem überteuerten Preis den unvorsichtigen Kunden feilboten. Und tief innerhalb Taradins das Herz der Handelsstadt. Der Tempel von Usheia. Der heiligen Mutter und Erschafferin des Lebens. Dort war er aufgewachsen, gelehrt und trainiert worden. Taradin. Das war seine Heimat.
Doch ebenso schnell wie dieses Bild vor seinem Auge erschien, flammte mit einem mal ein sehr viel deutlicheres Bild auf.
Flammen züngelten über den Dächern Taradins. Die grünen Wiesen und Äcker hatten sich aschfahl gefärbt. Das Land war von einer großen Schlacht zerwühlt worden. In den Gassen stapelten sich die Leichen. Der süßliche Duft von Verwesung stand in der Luft. Der Tempel, das Wahrzeichen von Taradin, war zerstört. Schutt und Asche wohin man schaute. Seine Heimat war gefallen.
Er öffnete seine Augen schnell um die heraufbeschworenen Bilder zu verdrängen. Diese Bilder erschienen ihm immer öfter, je länger er sich in dem Wald aufhielt. Mit jeder Minute die er in diesem Gewirr von Ästen, Nebel und Sträuchern verbrachte, wurde die Vision immer mehr zur Gewissheit.
Er erhob sich erneut und seufzte resignierend. Hätte er doch niemals diesen verfluchten Wald betreten. Wäre er geradewegs durch die Reihen des Feindes gegangen, so hätte es nicht minder schlimmer kommen können. Es war nicht so, dass er sich nur verirrt hatte. Nein vielmehr schien es ihm als hätte sich der Feind mit diesem Wald gegen ihn verschworen.
Er hatte gewusst, dass dies kein normaler Wald war. Zumindest gab es genügend Sagen die sich um diesen Wald rankten. Er hatte all dem bei seiner Entscheidung hier lang zu gehen keine Beachtung geschenkt. Er war einzig und allein von dem Gedanken getrieben worden so schnell und unbeschadet wie möglich nach Taradin zu kommen. Hätte er den Wald umgangen, hätte dies eine Verzögerung von mindestens einer Woche bedeutet und er wäre unter umständen direkt in die Arme des Feindes gelaufen. Der Weg durch den Wald erschien ihm nicht gefährlich, schließlich war er ein geschulter Templer der Usheia. Er war im Einklang mit der Natur, gehörte es doch zu seiner Ausbildung sich in der Natur zurecht zu finden. Und er war nicht unerfahren, viele Wege war er schon gegangen und war immer heil und erfolgreich angekommen. Dies war auch einer der gründe warum man ihm mit dieser Queste belegt hatte. Und so hatte er sich entschieden seinen Weg durch den Wald zu nehmen.
Dies war, wie sich herausgestellt hatte, sein Fehler gewesen.
Schon nach ein paar Tagen entstand bei ihm der Eindruck sich verlaufen zu haben. Er orientierte sich wie gewohnt an den Merkmalen der Natur. Doch kam er wieder und wieder an Stellen vorbei die er just vor ein paar Stunden passiert hatte. Und egal wie sehr er versuchte sich zu orientieren, sich Wegmarken zu legen, das Ergebnis war doch immer wieder das selbe. Nach ein paar Tagen , so schien es ihm, entschloss er sich dem Wald den Rücken zu kehren und sein Glück doch über die anderen Wege zu versuchen. Doch der Wald gab ihn nicht frei. Er fand keinen Ausgang aus dem Wald. Panik stieg in ihm auf und der Verdacht, dass der Wald ein Eigenleben hatte, wurde zur Gewissheit. Viele Stunden hatte er damit verbracht seine Göttin anzurufen, doch es wurde nichts erwidert. Er war gefangen und hatte keine Möglichkeit zu entrinnen. Und doch setzte er immer wieder einen Fuß vor den anderen und versuchte sich aus dem grünen Dickicht zu befreien. Bis zu diesem Zeitpunkt war es ihm nicht gelungen.
Er schüttelte seine Gedanken ab und begann sich erneut durch das Gestrüpp zu schlagen. Doch schon bald plagten ihn wieder seine Gedanken. Er wusste nicht wie lange er am heutigen tage gelaufen war, doch seine Glieder waren fast taub und er konnte sich nur noch mit Mühe und Not auf den Beinen halten. So entschloss er sich zu ruhen. Er sank auf den weichen Moosboden, rollte sich ein und sank in einen unruhigen Dämmerschlaf. Nicht schlafend, nicht wachend lag er nun auf dem Grund des Waldes und die Sinnlosigkeit seines Weges wurde ihm immer deutlicher. So sehr er sich auch bemühen würde, so entschlossen er noch sein konnte, er würde Taradin nicht mehr rechtzeitig erreichen. Eine tiefe Ohnmacht, die Erkenntnis nichts mehr tun zu können, schnürte ihm seine Kehle zu. Seine Glieder waren nun so schwer wie Blei, sein Kopf pochte immer schneller, bis das stetige pochen einem rasendem Schmerz wich. Kein klarer Gedanke rann ihm nun mehr durch seinen Geist, den er hätte fassen können. Tausende von Fragen schossen wie Blitze durch sein Hirn. Was für einen Zweck hatte seine Reise nun noch? Was hatte er getan, dass ihn die Götter so sehr straften? Er hatte sein Leben seiner Göttin geweiht, war bereit gewesen sich für sie zu opfern, hatte alle Gebote befolgt, die es zu befolgen gab, niemals hatte er sich etwas zu schulden kommen lassen. Also warum passierte ihm das nun? Er wollte Menschen, seine Heimat, retten. Waren seine Ziele nicht edel genug? Oder war es gar vorher bestimmt, dass Taradin fallen sollte? Und wenn es so war, war dies der Wunsch von Usheia? Wie konnte es der Wunsch seiner Göttin sein, wo die Menschen ihr zu ehren doch gerade in Taradin den prunkvollsten und erhabensten Tempel erbaut hatten, den wie Welt je gesehen hatte? Mit einem mal festigte sich ein Gedanke den er nie zu denken gewagt hätte. Unaussprechlich war er, so das er verzweifelt versuchte diesen Gedanken zu verdrängen.
Er lag gekrümmt auf dem Boden des Waldes, erbrochenes lag neben ihm und sein Schweiß rann an ihm herunter. Immer schneller zuckte er hin und her, Krämpfe schüttelten ihn durch, er focht einen Kampf mit sich selbst den er nur verlieren konnte. Mit einem mal lag er reglos da, keinerlei Bewegung war mehr zu vernehmen, bis auf das langsame und rhythmische heben und senken seines Brustkorbes. Der Gedanke, die Frage, hatte sich gefestigt.
Gab es eine Göttin? Gab es die Götter?
Man konnte ein leichtes Gelächter vernehmen, das langsam anschwoll, bis es nur noch aus hysterischen und irren Lauten bestand. Er hatte seine Wahl getroffen. Er blieb liegen und mit ihm die Nachricht die niemals Taradin erreichte.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.06.2003.
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