Hans K. Reiter

Der Zettel - (Rätselhafte Kriminalgeschichte)

 

YOGTZE schrieb Günther Stoll am 25. Oktober 1984 auf einen Zettel. Stunden später war er tot. Ermordet. Weder die Sendung Aktenzeichen XY ungelöst (zu sehen bei YouTube) noch die umfangreichen Ermittlungen der Polizei brachten Licht ins Dunkel. Experten versuchten das geheimnisvolle Wort zu entschlüsseln. Spekulationen, sonst nichts.

Oben auf einer Hütte bei Garmisch saßen 30 Jahre später zur nächtlichen Stunde ein paar Männer um den kargen Schein einer Petroleumlampe versammelt. Hat net jemand eine g’scheite Lampn dabei?, fragte einer aus der Runde, der, wie es schien, das Sagen hatte.

Unten im Dorf war am Nachmittag von Spaziergängern die Leiche eines Mannes entdeckt worden. Es sah so aus, als wäre er Opfer eines Verkehrsunfalles geworden. Rätselhaft allerdings war, dass es am Fundort keine Spuren eines solchen Unfalls gab.

Des is grad so, wie seinerzeit bei diesem merkwürdigen YOGTZE-Fall, bemerkte der Mann von vorhin. Den hat man nie aufklären können. Ein Toter, ermordet. Grad wie hier, ein Unfall, der aber am Fundort der Leiche nicht stattgefunden haben konnte. Ja, ich erinnere mich, sagte ein anderer. Auf der Polizeischule haben sie uns davon erzählt.

Jetzt waren sie heraufgekommen, weil der Tote einen Zettel in der Tasche gehabt hatte, auf dem der Weg zu dieser Hütte vermerkt war. Und noch etwas war seltsam. Mehrfach durchgestrichen stand auf dem Zettel noch etwas, beinahe so, als hätte der Mann es beiläufig notiert, es dann aber wieder verworfen. Hat die Kriminaltechnik das Durchgestrichene schon entziffern können?, wollte der Wortführer der Gruppe wissen.

Die Gruppe, drei Kriminaler vom LKA aus München, war zur Verstärkung der hiesigen Polizei geschickt worden. Später würde noch eine Frau, Dagmar Hochfellner, dazu stoßen. Na, bis jetzt no net, gab der Jüngere von den Dreien, ein Kriminalassistent, zur Antwort. Ich werd‘ aber gleich no amoi nachfragen. Ja, mach des, bevor d’Chefin da is.

Zwei Stunden später, sie waren wieder unten im Dorf, wussten sie es. Dagmar Hochfellner hatte sich gerade eine Tasse Polizeikaffee eingegossen, als der Assistent die Neuigkeit verkündete. Pemzek hoasst des durchg’strichene Wort. Pe E eM Zet E Ka, wiederholte er noch einmal. Wobei des letzte E auch ein C sein könnte, dann hieße das Wort Pemzck, aber des kunst ja gar net gscheit aussprech’n, also is des andere wahrscheinlicher, ham de Kriminaltechniker g’moant. 

So, so, Pemzek oder Pemzck, wiederholte Kriminalhauptkommissarin Dagmar Hochfellner gedankenverloren. Habt ihr oben in der Hütte nichts gefunden, was uns einen Hinweis auf diese merkwürdige Notiz geben könnte? Die Männer verneinten. Sie hatten nicht nur darauf hin nichts gefunden, sie hatten überhaupt nichts gefunden, was einen Hinweis auf den rätselhaften Tod des Ermordeten gegeben hätte.

Mittlerweile hatte sich die Nachricht von der Mordgeschichte in Windeseile sogar bis nach Garmisch hinein verbreitet. Dort, in der Apotheke beim Rathausplatz, erfuhr man von der Geschichte allerdings erst am späten Vormittag des nächsten Tages. Und die ganze Geschichte war es natürlich sowieso nicht. Jeder dichtete etwas hinzu oder ließ etwas weg. So hörte man lediglich, dass im Nachbardorf ein Mord geschehen war, und man nicht wusste, wer der Tote ist. Von einem Zettel und der Hütte war nichts durchgesickert.

Dagmar Hochfellner und einer der Kommissare waren noch einmal rauf zur Hütte gefahren. Irgend eine Spur musste es doch geben. Weshalb sonst der Zettel bei dem Toten? So sehr sie sich auch abmühten, es schien nicht einen noch so winzigen Hinweis zu geben. Und doch, etwas passte nicht. Dagmar roch es förmlich. Jedenfalls sah es so aus, als ihre Nasenflügel mit einem Mal anfingen zu vibrieren.

Der Kollege bemerkte es, sagte aber nichts. Er kannte die Chefin lange genug, um zu wissen, dass jetzt Schweigen angebracht war. Sie widerte etwas: eine Spur, einen Hinweis? Ist doch sonnenklar, stiess sie plötzlich hervor. Wir werden hier natürlich nichts finden. Komm, lass uns wieder runter fahren. 

Als Dagmar seinen fragenden Blick sah, meinte sie nur, er möge noch ein wenig Geduld haben, sie würde es gleich allen erklären. In der Apotheke hatte man den Vorgang mittlerweile schon wieder vergessen und rüstete sich für die Mittagspause. Von zwölf bis eins war immer zu. Die ältere Angestellte schloss ab, wünschte einen guten Appetit und ging zu einem kleinen Bistro in der Nähe.

Kommt mal alle her, sagte Dagmar zu den Kollegen und breitete ihre Theorie vor den staunenden Gesichtern aus. Ja da legst di nieder! So könnt es tatsächlich gewesen sein, stimmte einer zu und die anderen nickten beifällig. Dann schau i jetzat hoit, obs a Familie Pemzek gibt, sagte der Assistent und machte sich über sein Laptop her.

Hat der Chef was g’sagt, ob er heut später kommt, fragte die jüngere Angestellte. Nein, hat er nicht, aber Sie wissen doch, mal ist er so und mal so, war die zweideutige Antwort der Älteren. Der mit seine Weibergschichten allerweil, durchzuckte sie ein Gedanke, sagte aber nichts weiter.

Frau Hauptkommissar, meldete sich der Assistent nach einer Weile. Wir sind hier alle per Du, fiel ihm Dagmar ins Wort, das gilt auch für dich. Merk’s dir halt einfach mal. Ja, schon, stammelte der so Angesprochene, aber wissen Sie, Du, ich meine, Sie sind doch die Chefin. Dagmar lachte, klopfte ihm auf die Schulter und meinte: Wird schon noch. Einfach üben. Jetzt lass hören, was’d rausgefunden hast. 

Hier gibt’s weit und breit keine Familie oder auch allein Lebende mit dem Namen Pemzek. Ich habe alle Melderegister abgeklappert. Fehlanzeige. Aber, fuhr der Assistent fort, wir wissen jetzt, wer der Tote ist. Die Gerichtsmedizin hat angerufen. Spann uns nicht auf die Folter, sagte Dagmar und konnte ein Grinsen seines Eifers wegen nicht verbergen.

Der Mann heisst Wilhelm Pongratz, Apotheker in Garmisch. Sie erfuhren, man habe seine Identität aufgrund eines DNS-Vergleiches schnell herausgefunden. Der Apotheker hatte sich vor Jahren an eine junge Frau herangemacht. KO-Tropfen und so weiter. Die Frau hatte dann allerdings die Anzeige zurückgezogen und so war er noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen. Es ist vermerkt, die beiden hätten sich aussergerichtlich verglichen. Was immer das heisst, beendete der Assistent seinen Vortrag.

Dagmar kaute am Ende eines Bleistiftes. Eine Unart seit Ihrer Kindheit. Ihre schöne Theorie, wonach eine weibliche Person namens Pemzek den Ermordeten in die Hütte bestellt hätte, war nicht mehr zu halten. Wem gehört denn eigentlich die Hütte?, fragte sie plötzlich, wie aus der Pistole geschossen. Wieder war es der Assistent, der die Antwort nach ein paar Eingaben ins Laptop parat hatte. Im Grundbuch Garmisch ist als Eigentümerin eine gewisse Wilma Habesreuter eingetragen. 

Moment, was sagtest du, wie heißt die Dame?, fragte Dagmar mit einem verdutzten Gesichtsausdruck. Wilma Habesreuter, wiederholte der Assistent. Habesreuter Wilma, die Frau mit den KO-Tropfen!, brüllte Dagmar beinahe und blickte in die Runde. Wir fahren rüber zur Apotheke, sagte Dagmar und deutete auf den Kollegen, der sie schon zur Hütte begleitet hatte, und ihr findet inzwischen heraus, wo diese Wilma Habesreuter gemeldet ist.

Grüß Gott! Dagmar Hochfellner, LKA München, stellte sie sich vor und zeigte dabei ihren Ausweis. Wo können wir ungestört sprechen? Kommen Sie mit, sagte die ältere Angestellte, offensichtlich nicht überrascht ob des Besuchs der Polizei,  und geleitete die beiden Kriminaler in ein Büro im hinteren Bereich der Apotheke.

Gerade als sie anfangen wollte, die betrübliche Nachricht vom Tod des Apothekers zu überbringen, meldete sich Dagmars Handy. Entschuldigen Sie bitte einen Moment, sagte sie und nahm das Gespräch entgegen. Sie nickte ein paar mal und sagte zum Schluss nur: Ist ja kaum zu glauben. Danke, dass du so schnell warst.

Dann wandte sich Dagmar an die Angestellte und sagte betont ruhig: Sie sind also Wilma Habesreuter. Wollen Sie uns nun bitte erzählen, was sich zugetragen hat?

Eine Verkettung tragischer Zufälle, erklärte die Angestellte gefasst. Ich hatte ihn zu meiner Hütte gebeten. Zu was? Ihn zu erpressen?, fragte Dagmar dazwischen. Nein. Dieses Schwein hat wiederholt, was er mit mir damals gemacht hatte. Immer wieder hat er es gemacht. Obwohl er mir geschworen hatte, es nie mehr zu tun. Er hat mich eingestellt. Das war Teil unserer Abmachung. Dafür habe ich die Anzeige zurückgenommen. Und, ja es stimmt, er musste mir auch ein anständiges Gehalt bezahlen. Und er konnte mich nicht einfach hinauswerfen. Unser kleines Geheimnis war der Garant dafür. Er wäre ruiniert gewesen, hätte ich es ausgeplaudert.

Aber was wollten Sie von ihm auf der Hütte?, fragte Dagmar, die die Antwort schon kannte. Na was wohl?, entgegnete die Angestellte. Er hat mich ausgelacht und verhöhnt und mir gesagt, niemals würde er das tun. Ich solle mich zum Teufel scheren, hat er mich angeschrien und dabei ganz widerlich gelacht. Dann ist er rausgelaufen zu seinem Auto, hat dabei einen Stein übersehen oder etwas anderes, ist gestolpert und gestürzt. Da lag er nun und jammerte, weil er sich die Knie aufgeschlagen hatte und sein schöner Anzug ruiniert war. Ich hab‘ in diesem Moment nur noch rot gesehen, bin in seinen Wagen gestürzt, hab in angelassen und das Gaspedal bis zum Anschlag durchgedrückt. Den Rest kennen Sie. Wilma Habesreuter war völlig außer Atem und ihr Gesicht glänzte fiebrig.

Dann haben sie ihn runtergefahren und dort abgelegt, wo er gefunden wurde?, ergänzte Dagmar fragend. Ja, habe ich, gab Wilma Habesreuter unumwunden zu. Eine Frage hätte ich noch, sagte Dagmar. Auf dem Zettel mit der Wegbeschreibung zur Hütte stand der Name PEMZEK. Wer oder was ist das? Hat es mit Ihnen zu tun? Wilma Habesreuter lachte laut auf, schüttelte den Kopf und sagte: Mit mir zu tun? Nein, das nicht. Pemzek ist ein Blutdrucksenker, den er regelmäßig gebraucht hat. Auch oben in der Hütte. Er hat sich ja aufgeführt wie ein Berserker, da steigt der Blutdruck und … vielleicht hat er zu viel geschluckt und ist deshalb gestürzt … der Blutdruck ist plötzlich abgesackt und da hat’s ihm die Beine weggezogen … wäre möglich. Dann lachte sie nur noch, hysterisch, ohne Ende.

 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Hans K. Reiter).
Der Beitrag wurde von Hans K. Reiter auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.09.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

Bild von Hans K. Reiter

  Hans K. Reiter als Lieblingsautor markieren

Buch von Hans K. Reiter:

cover

Der Tod des Krämers von Hans K. Reiter



Wildau, eine kleine bayerische Gemeinde am Chiemsee, ist erschüttert. Der Krämer Michael Probst wird erhängt aufgefunden. Eine unglaubliche Verkettung von Macht, politischen Intrigen, Skrupellosigkeit, Korruption, Sex und Erpressung kommt an den Tag.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (2)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Spannende Geschichten" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Hans K. Reiter

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Tragik einer Beziehung von Hans K. Reiter (Groteske)
Ein seltsames Erlebnis von Marion Bovenkerk (Einfach so zum Lesen und Nachdenken)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen