Heinz Werner

Brief an den Bundespräsident

Bundespräsidialamt
Zu Hd. Bundespräsident Gauck
Spreeweg 1
10557 Berlin
05. 09. 2015


Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

mit Entsetzen habe ich Ihre Äußerungen im „General-Anzeiger“ gelesen, nach denen wir uns vom Bild einer Nation lösen müssten, „die sehr homogen ist, in der fast alle Menschen Deutsch als Muttersprache haben, überwiegend christlich sind und hellhäutig“. Sie sagten, man müsse die Nation als „Gemeinschaft der Verschiedenen mit gemeinsamer Wertebasis“ definieren.

Wie, sehr geehrter Herr Bundespräsident, soll diese Nation aussehen, wie sollen gemeinsame Werte entstehen – die dann auch zu 100 Prozent akzeptiert und gelebt werden – wenn wir eine Gemeinschaft sind, die sich aus völlig verschiedenen kulturellen, religiösen, weltanschaulichen und geschichtlichen Bereichen zusammensetzt? Wie soll dies gelingen, wenn man die zunehmende Radikalisierung und kulturelle sowie religiöse Fundamentalisierung bedenkt?
Wie soll da eine Nation entstehen, die Heimat ist und mit der sich deren Bewohner identifizieren können, für die sie auch bereit sind, Opfer zu bringen und sich einzusetzen? Ein führender Minister der Bundesregierung hat gesagt, “ Heimat ist da, wo ich mich in der Mentalität geborgen fühle“. In welcher Mentalität soll sich die (noch) überwiegende Mehrzahl dieses großartigen Landes geborgen fühlen?
Welches Deutschland schwebt Ihnen vor, wollen wir tatsächlich in diesem angeblich „bunten, vielsprachigen und vielfältigen“ neuen Deutschland leben? Was wird geschehen, wenn sich die augenblickliche Wohlfühlphase negativ verändern wird, weil es wieder weniger Jobs geben wird, weil Arbeitsplätze rarer werden und es zu Entlassungen oder mindestens zu großen Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt kommen wird. Wenn dann Hunderttausende – oft nicht ausreichend oder gar nicht – qualifizierte „nicht christliche“ und nicht „hellhäutige“ Mitbewerber auftreten, sind Spannungen und gewalttätige Auseinandersetzungen nahezu zwangsläufig! Dies mag man bedauern, es


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erscheint aber unvermeidlich. Der oft vorausgesagte „Clash der Zivilisationen“ wird dann wohl Realität. Diese Entwicklung macht Angst und erfüllt mich mit großer Sorge, besonders, weil ich weiß, in welch großartigem Land wir leben und was wir zu verlieren haben.

Sehr geehrter Herr Bundespräsident, natürlich sind mir die Herausforderungen und gravierenden Veränderungen der Globalisierung – in allen Aspekten - und nötigen Anpassungen und Weiterentwicklungen bekannt. Ich komme nicht aus dem -wie Sie es nannten - „Dunkeldeutschland“ (eine sehr abenteuerliche und fragwürdige Schöpfung), sondern habe lange im Ausland gelebt und diese Welt sehr intensiv bereist. Gerade deshalb weiß ich um die Errungenschaften und großen Leistungen dieses Landes. Selbstverständlich sorge ich mich um gewisse Mentalitätsdefizite und wünsche oft eine etwas größere Weltoffenheit und Toleranz, die aber nicht so weit gehen sollten, wie es Ihren vorgenannten Interview-Äußerungen entspricht.
Ich glaube, die überwiegende Mehrheit unseres Volkes ist sehr offen und lernfähig und bereit, zu helfen wann immer nötig und sinnvoll. Ob die jetzige Euphorie und angebliche Begeisterung anhalten wird, wenn die unausweichlichen Folgen der übergroßen Migration wirtschaftlich und gesellschaftlich am eigenen Leib zu spüren sein werden, wenn es an die individuelle Existenz gehen wird, wage ich zu bezweifeln. Ob wir uns dann vom Bild der Nation, das wir kennen und in dem wir uns geborgen fühlen, lösen sollen, glaube ich nicht und wünsche ich mir auch nicht.

Künftige ernste Auseinandersetzungen, große Widerstände und evtl. Schlimmeres sind nicht Ergebnis fehlender Toleranz oder dumber Fremdenfeindlichkeit, sondern direkte Folge von Äußerungen, wie die, die Sie dem General-Anzeiger gegenüber machten. Widerstände werden dann auch aus der „Mitte der Gesellschaft“ kommen, verantwortlich werden Persönlichkeiten und Politiker sein, die solche Ansichten und Bemerkungen von sich gaben.

Mit freundlichen Grüßen
Heinz Werner

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