Christa Astl

Heimepisoden: "Nasse Haare"


 
 
Frau G., ein Neuzugang im Heim, lernte ich im Aufenthaltsraum kennen. Eine gepflegte Erscheinung, sorgfältig gekleidet, leicht geschminkt,. Sie saß mit nassen Haaren am Tisch, Tropfen rannen noch über Stirn und Wangen. Die Wangen leicht gerötet, blickte sie mich lachend an, als ich sie begrüßte. "Waren Sie duschen? Sie sollten sich eigentlich noch föhnen..." meinte ich. "Ich war doch draußen, weiß gar nicht, warum ich nass bin", antwortete sie immer noch lachend.
Draußen ging gerade ein Gewitterregen nieder. Hatte sie das nicht bemerkt? Ich begleitete sie ins Zimmer, damit sie sich die Haare trocknen und einen frischen Pulli anziehen konnte. Noch immer wusste sie nicht, warum sie nass war. - "Ich wollte doch nur - " versuchte sie zu berichten, der Rest des Satzes blieb ungesagt, sie hatte ihn vergessen.
Als ich um 17 Uhr das Haus verlassen wollte, traf ich sie wieder - an der Haustür. Sie war zu Fuß vom 4. Stockwerk herunter gestiegen. Ich begleitete sie in den Lift, drückte ihr Stockwerk und hoffte nur, dass sie oben von einer Schwester empfangen wurde. Ich musste mich beeilen zum Zug.

Die Woche drauf wurde ich schon auf der Station begrüßt: "Bitte nehmen Sie Frau G. mit, am besten in den Garten. Dauernd läuft sie uns nach ins Büro, oder sie rennt davon!" Gerne lief sie auch mir nach, zuerst ließ ich mir ihr Zimmer zeigen. Die Zimmernummer sagte ihr nichts, aber als sie den Namen las, meinte sie: "Das bin ich". Ein großes Bild hing an der Wand, ein hoher Berg, Ich fragte, ob sie auf dem auch schon war, denn ich kannt ihn. Sie konnte den Namen des Berges nennen, erzählte, dass sie ihn von ihrem Haus aus sehen konnte, sie war auch schon einmal oben mit ihrem Mann.... Das Reden tat ihr gut. Ich hatte also schon einen Anhaltspunkt, um ein Gespräch zu beginnen. Leider hatte sie nicht viele Bilder, ich bat, der Sohn möge ihr doch welche mitbringen.
Begebenheiten aus der Vergangenheit ihrer Familie, von ihren Eltern und dem Bruder, ihrem Mann und dem Sohn erzählte sie mir, doch immer öfter begann sie Bruder und Sohn, Vater und Mann zu verwechseln. Über ihre strenge Mutter klagte sie oft. Sie erzählte lebhaft, Stimmungen wechselten zwischen Lachen und Weinen, da wollte sie wie ein Kind in den Arm genommen werden.

Dann war sie zwei Wochen in der Klinik und kam verändert wieder. Mit starrer Miene ging sie ihre Wege, eingefrorenen Züge, wie eine Maske, undurchdringlich, meist auch unerreichbar. Die Wege führten sie immer wieder aus dem Heimgelände. Nun war es nicht mehr leicht, sie zurück zu führen. Sie wurde böse, aggressiv, schlug mit dem Stock nach einem.

Wieder später saß sie im Rollstuhl, sie war gestürzt. Bis der Bruch geheilt war, blieb sie wirklich sitzen, doch dann trieb sie die Unruhe wieder weiter. Mit ganzen Sätzen und Fragen konnte sie nicht mehr erreicht werden. Da wir ein ähnliche Bluse trugen, verglichen wir Muster, Blumen, Knöpfe, und sie hatte großen Spaß dabei.

Einmal begleitete ich sie wieder ins Zimmer, setzte mich neben sie aufs Bett. Plötzlich klammerte sie sich an mich, umarmte mich und weinte herzzerreißend. Nur durch Streicheln und fest an mich Drücken konnte ich sie beruhigen. Was geht in so einer verlorenen Seele vor? Sie hat sich vom Körper entfernt, sich hoffnungslos verloren in Raum und Zeit. Eine alte Frau, die jahrelang Pflichten und Verantwortung getragen hat, wird in meinen Armen zum kleinen Mädchen, ich als die viel Jüngere, die altersmäßig ihre Tochter sein könnte, vertrete eine Art Mutterstelle...
 
ChA  31.08.15

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.10.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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