Chiara Fabiano

Letters from Hampshire (Part 1)

London, 2015
Ich zog die weiße Tür, deren Holz bereits beschädigt war, lautlos hinter mir zu, ohne auch nur einen Laut von mir zu geben. Ich schluckte, um den Kloß in meinem Hals zu vertreiben, doch es half nichts. Mit vollem Kraftaufwand versuchte ich mein Gepäck hinter mir herzuziehen, nachdem ich mir meinen weinroten Schal dreimal um den Hals gewickelt hatte. Es war ein kalter Wintermorgen, doch die Straßen waren trotzdem so überfüllt wie jeden Morgen. Die Menschen stürmten an einem vorbei, um noch einen Platz in der Bahn zu erhalten, doch mich störte diese unpersönliche Geste nicht. Ich zog meinen schweren Trolley  schnaufend hinter mir her. Im Winter auszuziehen erschien mir am besten, denn so konnte ich das neue Jahr bereits in einer völlig neuen Wohnung begrüßen. Auch hoffte ich sehnlichst darauf meine Schreibblockade lösen zu können, sobald ich in dem kleinen, idyllischen Städtchen angekommen war, das ich bald mein neues zu Hause nennen würde. Zwar hatte ich vorher noch nie etwas von einer Stadt namens „Hampshire“ gehört, was schon ziemlich peinlich war für jemanden wie mich, denn rein zufällig war ich Literatin und spezialisiert auf die englische Literatur der Romantik und ich wusste nicht recht, ob es beschämend oder einfach nur peinlich war die Geburtsstadt der bekanntesten Autorin eben dieser Epoche nicht zu kennen. Als ich jedoch dann endlich rausfand, dass es Jane Austen´s ehemalige Heimat war, war die Sache für mich klar. Es würde nicht einfach für mich als jahrelange Londonerin werden in ein kleines Cottage aufs Land zu ziehen, doch es war die richtige Entscheidung, das bezweifelte ich jetzt nicht mehr.

 Wie jede andere Frau hatte ich über die üblichen Wege nachgedacht eine Veränderung zu vollziehen. Haare färben, Kleidungsstil wechseln, Fitness treiben. Doch letztendlich war mir klar, dass mich alles hier in London an ihn erinnern würde. Selbst die Art und Weise, wie die Blätter im Herbst von den Bäumen fielen und sich in tausend verschiedenen Farben auf dem Boden sammeln würden, ließe sein Gesicht vor meinen Augen auftauchen. Der Schmerz war unerträglich. Und ich wollte etwas Neues. Ich brauchte es. Mich zu verändern kam mir dementsprechend schwachsinnig vor. Ich wollte niemand anderen im Spiegel sehen, nein, viel mehr, und das war die Tatsache die mich am meisten erschreckte, wollte ich selber tot sein. Dort wo kein Schmerz sich mehr in mein Herz brennen konnte.

Der Bahnhof war heute nicht so belaufen wie sonst. Einige Bahnen fielen sogar aufgrund des starken Schneefalles und Frost auf den Schienen aus. Ein heftiges Glücksgefühl überkam mich, als ich sah, dass meine Bahn fuhr. Ebenso jedoch füllten sich meine Augen mit Tränen bei diesem Gedanken. Ich sah um mich und versuchte mir klarzumachen, dass ich diesen Trubel am Londoner Bahnhof nicht wieder sehen würde. Nie wieder würde ich das Geräusch des Schlüssels hören, wenn er von der Arbeit kam. Und nie wieder fühlte ich die Wärme seiner Umarmung. Er war aus meinem Leben verschwunden, wie ein Traum aus dem man plötzlich aufwacht. Hektisch wusch ich mir die Tränen von der Wange, als ich bemerkte, dass der Zug einfuhr. Ohne zu zögern stieg ich ein und sah nicht mehr raus, als er aus ihm wieder raus fuhr. Ich begrüßte mein neues Leben mit halb offenen Armen.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.11.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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