Hans K. Reiter

Dritter Advent

Zünftig sehen’s aus, die Burschen, wie sie da oben so auf dem Tanzboden stehen und rhythmisch ihre Goaßln schnalzen. Ein scharfes Peng, Peng…, Peng, Peng, und noch einmal Peng, Peng hallte durch die Nacht. Trocken und hart knallte es, wenn die Burschen mit geübter Hand ganz abrupt den Schwung ihrer Peitschen in der Luft stoppten.

Niemanden lässt das kalt. Jeder bekommt eine Gänsehaut dabei und bei so manchem schimmert auch eine verborgene Träne im Auge. Ursprünglich war das Goaßlschnalzen ein heidnischer Brauch, der aus dem Salzburgischen und Bayerischen herrührte und auch in Tirol und Südtirol gepflegt wurde. Im Frühjahr sollte mit dem Geknalle die Kälte vertrieben werden.

Aber weil es halt so schön unter die Haut geht, heißt man die Goaßlschnalzer heute gerne bei jeder sich bietenden Gelegenheit willkommen. So auch am dritten Advent in der kleinen beschaulichen Gemeinde nahe Freilassing an der österreichischen Grenze. Beifall brandete auf als die Burschen nach der letzten Runde ihre Fuhrmannspeitschen einrollten und sich anschickten, den Tanzboden zu verlassen.

Während vorne bei den Buden um den Tanzboden bereits eifrig dem Bier und auch dem Schnapps zugesprochen wurde, tummelte sich weiter zurück eine Gruppe nicht näher identifizierbarer Personen. Immer neue Gesichter stießen hinzu und so waren es schon sehr bald an die fünfzig oder sechzig Leute und, wie es schien, sollten es ihrer noch mehr werden.

Neugierig schauten sie auf das entfernte Treiben an den Buden, schüttelten den Kopf und tuschelten leise, gerade so, als wollten sie vermeiden, erkannt zu werden.

Als die Goaßlschnalzer gerade in einen bereitgestellten Bus stiegen, um zur nächsten Veranstaltung zu eilen, machten sich ein paar Männer die Dunkelheit zunutze, zogen ihre beitkrempigen Hüte tief in die Stirn und verschwanden in einer Seitengasse neben dem Sternbräu.

Zur gleichen Zeit verließ der Pfarrer die Kirche, um sich dem lustigen Hin und Her bei den Buden anzuschließen. Da sah er sie. Aus den Augenwinkeln zunächst – dann erfasste er sie genauer. Mist!, entrang sich ein Stoßseufzer seinen Lippen. Die Haberlander Brüder mit Gefolge! Das bedeutete nichts Gutes.

Die Schar der Neugierigen war mittlerweile doch beträchtlich angewachsen. Jetzt waren auch einige Frauen unter ihnen. Fremdländisch irgendwie. Manche trugen eine Art Schleier vor dem Gesicht, andere waren mit Kopftüchern bedeckt und nur ganz wenige sahen aus, wie auch die Frauen bei uns aussehen. Hätte eine Fremder genau hingehört, so hätte er Sprachfetzen vernommen, die ihm gänzlich unbekannt waren. Aber noch war niemand vor Ort, der die Ansammlung hätte sehen oder gar verstehen können.

Die Haberlander Brüder und ihr Anhang, es waren mittlerweile so an die 15 Männer und ein paar weitere kamen noch hinzu, hielten hinter dem Bären so etwas wie einen Kriegsrat, bis der ältere Haberlander Bruder den Anwesenden plötzlich irgendwelche Anweisungen oder Befehle erteilte und die Gruppe sich sehr schnell auflöste, als hätte es sie nie gegeben.

Der Pfarrer eilte besorgt zu den Leuten bei den Buden, schnappte sich im Vorbeigehen ein paar schon sichtlich beschwingte Burschen und bedeutete ihnen, ihm zu folgen.

Der Bus mit den Goaßlschnalzern war längst abgefahren und die Menschen gaben sich ausgiebig anderen Freuden hin. Wie bei all solchen Ereignissen waren die Imbiss- und Getränkebuden dicht umlagert, während es bei den Vertretern des Kunsthandwerks eher sehr beschaulich zuging.

Mit besorgter Mine erklärte der Pfarrer seiner Schar, wie er die Haberlander Brüder nebst Gefolge gesehen habe. Die führen bestimmt nichts Gutes im Schilde, meinte er und kratzte sich am Kinn. S’is am Besten, wenn wir in Gruppen ausschwärmen und schaun, ob wir das Pack finden, meinte einer. Und dann mischen wir sie gleich sauber auf, fügte ein anderer hinzu. Aber, aber, sagte der Pfarrer nur. Dann machten sich des Pfarrers Getreue in Dreiergruppen auf den Weg, wobei das ein wenig übertrieben klang, denn sie waren ja insgesamt nur zu acht.

Langsam schob sich jetzt die Menge der fremdländischen Neugierigen auf die Buden zu. Nun sah es auch der Pfarrer. Das würde ein Desaster geben, dachte er. Wie nur konnte er die Leute stoppen?

Bevor er noch weiter überlegen konnte, sah der Pfarrer zu allem Überfluss mit einem Mal die Haberlander Brüder auftauchen. Das wird nicht gut ausgehen, schossen ihm tausend Gedanken durch den Kopf und verzweifelt sah er sich nach seiner Mannschaft um, aber die waren wie vom Erdboden verschluckt.

Die Polizei! Ja, die Polizei musste her. So schnell wie möglich und so zahlreich wie möglich. Ganz deutlich sah der Pfarrer das Bild der unmittelbar bevorstehenden Massenschlägerei vor sich. Kein Zweifel: Das da vorne waren Flüchtlinge aus dem nahen Lager und die Haberlander Brüder und ihre Schergen waren drauf und dran ein Gemetzel anzurichten. Lieber Gott steh‘ mir bei!, sandte er ein Stoßgebet zum Allmächtigen.

Nur noch wenige Sekunden, eine Minute vielleicht noch, höchsten, dann wird es passieren. Der Pfarrer, einer Ohnmacht nahe, griff mit zittrigen Fingern zum Handy, wählte den Notruf, brachte kaum ein Wort hervor und schilderte schließlich seine Befürchtungen. Wir kommen!, sagte die Stimme am anderen Ende.

Die Menschen bei den Buden wurden immer ausgelassener. Der Alkohol floss reichlich und die Mischung zwischen Bier, Schnapps und Glühwein tat ihr Übriges. Von den Nöten des Pfarrers bekamen sie nichts mit.

Jetzt war es soweit. Die Haberlander erreichten, gefolgt von ihren Mitstreitern, die vordere Reihe der Flüchtlinge. Jetzt erst wurde der Pfarrer gewahr, dass diese Sippschaft irgendwelche Dinge mit sich schleppte – Rucksäcke und anderes hatten sie über die Schultern geworfen. Lieber Gott, das gibt ein Blutbad!, stöhnte er und sank auf die Knie.

Aus der Ferne waren jetzt Martinshörner zu vernehmen und Blaulichter zuckten durch die Nacht.  Gott sei Dank!, stöhnte der Pfarrer und richtete sich wieder auf. Da sah er es: mitten unter den Fremden die Haberlander Brüder.

Der Pfarrer rieb sich die Augen, sah einmal hin, dann noch einmal. Das gab es nicht! Seine Nerven spielten ihm wohl einen üblen Streich. Da standen sie tatsächlich und …, kaum zu fassen! Die Haberlander Brüder und ihre Gesellen standen tatsächlich inmitten dieser Schar fremdländischer Gestalten und, der Pfarrer glaubte immer noch an eine Sinnestäuschung, verteilten aus ihren Rucksäcken und Säcken Geschenke an diese Menschen.

Das war nicht zu fassen: Die Haberlander, das Lumpenpack, wie er sie oft bezeichnet hatte, und jetzt das. Mittlerweile war die Polizei mit mehreren Mannschaftswagen am Ort des Geschehens eingetroffen, aber sie wussten nicht so recht, was sie jetzt hier tun sollten.

Endlich gelang es dem Pfarrer, den Einsatzleiter aufzuspüren. Entschuldigen Sie bitte, stammelte er, ich hatte Sie gerufen, aber es ist nichts, verstehen Sie, nichts! 

So schnell wie sie gekommen waren, waren sie auch wieder weg und ein friedliches Miteinander machte sich breit. Schweren Herzens ging der Pfarrer auf die Haberlander Brüder zu und sagte: Ich möchte mich entschuldigen, für alles, was ich über euch gedacht habe, für alles! Ist schon gut, sagte der ältere Haberlander und fügte noch an: Wissen Sie, nicht wie einer aussieht ist entscheidend, sondern was er tut, nicht wahr, Herr Pfarrer!


 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.12.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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