Andreas Vierk

Göttliche Schokolade




O göttlicher Xocolatl! Aztekisches Getränk der Himmlischen. Rotes Gemisch aus Beeren, Chili und Schoten, aus allem, was dunkel die Erde opfert den Menschen.
„Dies ist mein Blut, für euch vergossen“, spricht die Gottheit, „pflanzlich und rot, wie Tomaten und Paprika.“
„Und eventuell“, so könnten wir hinzusetzen, „so rot, wie die frische Schote des Kakao.“
Wenn es so war, wenn der Kakao mit im Spiel war, so müssen wir uns vor Augen führen, dass die Azteken Eroberer waren. Wir sehen all die Arbeitssklaven aus den unterjochten Völkern vor uns, wie sie nackt und hakennasig das Blut der Götter ernten: die letzten Nachfahren der alten und heiligen Olmeken, Erbauer der schwarzen Mondpyramiden, die Chichimeken, die Mixteken und wie sie alle hießen.
Moctezuma. Dies war der Name des Herrschers, Genießers des göttlichen Xocolatl und schon der letzte seines Geschlechtes. Schon schritten die weißen Götter durch den Dschungel und über den roten Ocker der sonnigen Erde. Himmlische Wesen, die Regenschlangengötter, vierbeinig, zweiköpfig, der obere Teil glänzend wie Silber. Die Leute Cortés‘, des Eroberers der Eroberer, Rebellen, aus Spanien vertrieben, erste Soldateska des Allerkatholischsten Königs, Auswurf der Renaissance und des ausklingenden Mittelalters.
Moctezuma residiert in Tenochtitlán, von Seen umgebene, brunnendurchsetzte Stadt. Sie bildet das Zentrum des heutigen Mexiko-City. Es ist ein heller Festtag mit Sänften und Umzügen. Cortés kommt in die Stadt. Moctezuma verbeugt sich unterm Baldachin, verlässt seine Sänfte jedoch nicht. Des Herrschers Fuß darf die Erde nicht berühren. Später kostet Cortés den roten Xocolatl. Er speit das Getränk aus.
„Welch ein Schweinesud!“ ruft er angewidert aus. Der Gott ist beleidigt. Der blutige Eroberer schreckt bestürzt zurück, als er in die Tempel Tenochtitláns geführt wird, angeblich seine Stätten. In dicken Schichten klebt das Blut der Geopferten an den Säulen und rinnt zähflüssig über Wände und Treppen. Cortés hat einen moralischen Grund gefunden, dieses goldene Barbarenvolk auszurotten.
 
 
II
 
Dennoch gelangt die Kakaobohne (und mit ihr die Kakaopresse zur Herstellung der Fladen) durch Cortés nach Spanien. Dort wird die königliche Schokolade ängstlich gehütet. Ihr bitteres Geheimnis wird in winzigen Schlucken zu medizinischen Zwecken in Apotheken dargeboten: kostbarer Trank in Regalen zusammen mit den zerpulverten Mumienbinden aus uralten ägyptischen Gräbern, mit ersten Brillengläsern und Tinte von Sepien, Entdeckungen neuester Zeit und dem dunklen Mummenschanz der letzten Welle der Pest.
Königliche Schokolade! Bald schon trittst du wieder ins Sonnenlicht. Lang lässt sich dein Geheimnis nicht hüten. Schon trinken dich die adligen Madrileninnen täglich. Europa verneigt sich vor dir wie vor chinesischem Tee und arabischem Kaffee. Zucker umkleidet, umkrustet dein bitteres Herz. Wie Gold und Silber wirst du in kleine Barren gepresst, zunächst noch, um dich in heiße Milch zu schmelzen und schließlich, um dich süß und kalt als Tafel zu genießen. Pfefferminze und andere Aromen, Nüsse und Früchte werden dir zugesetzt.
Noch immer muss der Arbeiter in Brasilien und Mexiko hart und lang für dich arbeiten. Schlecht bezahlt und von der Sonne gepeitscht, muss er schuften für die Märkte im kalten Europa. Bitter wird ihm dein bitteres Herz. Chili tritt in der neuesten Zeit wieder zur Süße, der Anteil des Kakao erhöht sich wieder. Was bitter und kostbar war im Aztekischen Reich: das göttliche Blut hört nicht auf zu pulsieren. Königliche Schokolade!

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.12.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Andreas Vierk schreibt seit seinem zehnten Lebensjahr Prosa und Lyrik. Er verfasste die meisten der Gedichte des „Septemberstrands“ in den Jahren 2013 und 2014.

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