Helmut Wurm

Sokrates und sein kritisches Urteil über Gutmenschen

 
 
- Ein kurzes Lehrstück aus der historischen Realität für die Realität -
 
1. Die Fragestellung:
 
In einer Pause eines soziologisch-politischen Kongresses fällt in größerem Gesprächskreis um Sokrates die lockere Bemerkung, dass eine bestimmte Person eben „ein Gutmensch“ sei und anschließend wird über den Typus Gutmensch amüsiert gesprochen und leicht gespottet. Sokrates hält sich zurück und schweigt, wiegt aber gelegentlich den Kopf.
 
Das veranlasst einen jüngeren Teilnehmer zu der Frage an Sokrates, was Gutmenschen eigentlich seien und welche Einstellung er zu Gutmenschen habe. Gutmenschen seien doch ehrenvolle, verdienstvolle, idealistische und nützliche Menschen, die nur das Beste wollten, die für alle Vorbilder seien und von denen die Menschheit zu wenig hätte. Die Menschen benötigten Gutmenschen als Orientierung und viele neigten dazu, als Anhänger und  Jünger Gutmenschen zu folgen.
 
2. Die allgemeine Beschreibung:
 
Sokrates: Gutmenschen hat es schon immer gegeben und wird sie auch künftig geben, in der Politik, in der Gesellschaft, in den Familien, zu jedem Themenbereich, im Kleinen wie im Großen. Teilweise sind sie harmlos, manchmal sind sie sehr nützlich, ihre Wirkungen in Politik und Gesellschaft können aber auch so gefährlich und negativ werden, dass es falsch ist, sie generell aufzuwerten und zu Idolen zu machen.
 
Denn Gutmenschen haben eine Schwäche oder Unvollkommenheit im Denken. Ihnen fehlt das kritische Analysieren ihrer Ziele, Pläne, Illusionen… Bei ihnen sind überproportional das Bedürfnis und der Glaube entwickelt, Gutes und Richtiges zu tun und tun zu müssen. Dabei übertreiben sie im Übereifer. Sie sind weitgehend oder völlig kritikresistent. Ihre Kraft und auch Macht kommt aus einem Art Glauben. Wenn dann noch ein Aktivitätszwang und ein missionarischer Eifer bei ihnen dazu kommen, können sie lästig und gefährlich werden.
 
Es gibt im menschlichen Gehirn und damit in der Psyche verschiedene Zentren, die bei den einzelnen Individuen unterschiedlich entwickelt sind und unterschiedlich in ihre Umwelt und in die Gesellschaft einwirken. Das ist auch bei den Gutmenschen der Fall. Ich möchte das veranschaulichen:
 
Wenn das musikalische oder das malerische oder das dichterische Zentrum bei Individuen überdurchschnittlich entwickelt sind, dann neigen diese Personen dazu, ihre Erlebnisse gern musikalisch, malerisch oder dichterisch zu verarbeiten, sich musikalisch, dichterisch usw. zu entspannen und im Gespräch mit anderen Menschen schnell das Gespräch auf Musik, Dichtung oder Malerei usw. zu bringen. Man kann sich ihnen leicht entziehen, indem man das Gesprächsthema einfach wechselt, dann werden sie meistens stumm und nicht mehr lästig. Sie wirken dann wie abgeschaltet.
 
Bei Individuen, bei denen das Sprachzentrum überdurchschnittlich entwickelt ist, besteht die Neigung, Gespräche sofort an sich zu reißen, überall mitzureden und ihre Umgebung zu „bequasseln“. Bei ihnen ist ein Abschalten, Entkommen sehr viel schwieriger. Sie drängen sich in jedes Thema ein, denn es geht ihnen nicht darum, worüber sie reden, sondern nur darum, dass sie reden.
 
Ganz schwierig wird es bei Individuen, bei denen im Gehirn und damit in ihrer Psyche das Gutes-tun-Zentrum überdurchschnittlich, übermaßvoll im wörtlichen Sinne entwickelt ist. Diese Menschen wollen die Welt positiv verändern/besser verlassen, als sie sie angetroffen haben, wollen die Gesellschaft oder die ganze Welt retten. Vor ihnen hat man keine Ruhe, sie belasten ihre Umgebung kontinuierlich mit ihren Ermahnungen, Idealen und Utopien, sie laufen den Menschen regelrecht mit ihren Illusionen und Verbesserungsutopien nach, sie verweigern sich Kompromissen und gehen aggressiv gegen Andersdenkende vor. Ihr innerer Zwang lässt ihnen keine Ruhe. Ein harmonisches Zusammenleben mit ihnen ist innerhalb einer pluralistisch denkenden Gruppe oder Gesellschaft nur schwer oder gar nicht möglich.
 
Wenn ihre Pläne, Ideale, Illusionen, Utopien scheitern, sind immer die anderen oder die Umstände daran schuld. Sie beruhigen sich dann mit der Begründung, dass sie ja das Gute, das Richtige, das Vernünftige, das Notwenige gewollt und versucht hätten, aber nur die anderen hätten das nicht eingesehen und wären ihnen nicht gefolgt. Wenn zusammen mit ihrer Gutmenschen-Psyche und ihrem Weltverbesserungszwang in ihren Gehirnen noch Redefähigkeit und charismatisches Auftreten entwickelt sind, dann werden sie geradezu gefährlich. Häufig drängen solche Personen dann in die Politik oder zu religiösen Posten.
 
3. Einige Beispiele aus Geschichte und Gegenwart:
 
- Wenn Inhaber religiöser Machtpositionen aus tiefster Überzeugung andere Religionen, für den Glauben angeblich gefährliche Mitmenschen oder allgemein Andersdenkende verfolgen, dann  steht oft ein religiöser Gutmenschen-Zwang dahinter. Für die vielen Religionskriege, die Inquisition, die Hexenverbrennungen, die Zwangsmissionierungen und Vertreibungen aus religiösen Gründen in der Vergangenheit und Gegenwart waren/sind häufig zwanghaft-intolerante religiöse Gutmenschen verantwortlich, die selber aber bezüglich des von ihnen bewirkten Leids und Elends keine Schuldgefühle hatten/haben. Sie wollten/wollen aus ihrer Sicht nur die Welt verbessern, indem sie Irrmeinungen, Wirkungen des Bösen, Aufweichung der reinen Lehre usw. bekämpfen und vernichten.
 
Solche überzeugten, intoleranten religiösen Gutmenschen können sich nicht vorstellen, dass man den Kosmos, die menschliche Geschichte, Unbegreifliches, Schaden, Böses…  unterschiedlich religiös interpretieren kann und dass man zwar Achtung vor jeweiligen  Interpretationen haben sollte, sich aber bewusst sein muss, dass es keine absolute religiöse Wahrheit gibt.
 
- Wenn in sich völlig überzeugte Soziologen glauben, dass das Besitz-Denken ein negativ zu bewertendes Gehirnzentrum ist und andere Anlagen und Fähigkeiten negativ beeinflusst, dann bleibt für solche Gutmenschen nur die Zielsetzung, allen Privatbesitz abzuschaffen und dafür alle verfügbaren Mittel einzusetzen. Der Zweck heilige die Mittel und im Zuge dieser Abschaffung des Privatbesitzes zeitlich begrenzt auftretendes Leid sei entschuldbar.
 
Solche kommunistisch überzeugten, völlig kritikresistenten Gutmenschen können sich nicht vorstellen, dass das Bedürfnis nach Privatbesitz im Menschen eine genetische Anlage ist und auch viele positive Kräfte mobilisieren kann, die anderen wieder zugute kommen. Auch bei diesem Thema gilt, dass Ausgewogenheit und ein begrenzter, kontrollierter  Pluralismus in den Wirtschaftsformen für eine Gesellschaft am nützlichsten sind.  
 
- Völlig in sich überzeugte schulpädagogische Gutmenschen mit der Illusion/der Ideologie, dass alle Kinder lernpsychologisch ähnlich oder sogar gleich seien, werden aus innerem  Glaubenszwang heraus die Einheitsschule mit bestimmten Lernmethoden anstreben und alle anderen Schulformen und Lernformen ablehnen, ja verteufeln.  
 
Sie können sich nicht vorstellen, dass die Menschen, gerade Kinder und Jugendliche, sehr unterschiedlich in ihrer Bildbarkeit, ihrer Lernreife und bezüglich der zu ihnen passenden Lernmethoden sind und dass es deswegen Lernorte voller Individualitäten bezüglich der Ansprüche, Ziele und Methoden geben sollte.    
 
Die Leidtragenden dieser Lernort- und auch Methodennivellierung sind einmal alle begabten Kinder, sind Kinder mit besonderen Interessensschwerpunkte, sind Kinder mit deutlichen Begabungsschwerpunkten und Kinder, die eine individuelle Lernbetreuung benötigen. Diese Schüler können im schulischen Einheitsbrei einer Gesamtschule nicht genügend gefördert werden. Und prinzipiell wird in Einheitsschulen das allgemeine Lernniveau sinken, denn es wird sich in der Praxis an den Mäßigbegabten und Lernschwachen orientieren. Aber unsere Gesellschaft benötigt tüchtige Führungspersonen auf allen Ebenen, die den Wirtschafts-Wagen ziehen und Fachkräfte, die Facharbeiten ordentlich und kompetent erledigen. Die Heranbildung solcher Kompetenzen sollte schon in früher Schulzeit beginnen.
 
Wenn man eine solche Nivellierung und Orientierung an den Schwächeren auf Sportvereine übertragen würde, gäbe es kaum noch Spitzensportler. Solche Sportvereine brauchten bei Sport-Wettkämpfen nicht mehr anzutreten.   
 
- Die Jagd waren früher, vor allem zu den Zeiten des Adels, rücksichtsloses Jagen, Töten und Felder verwüsten. Was litten die Bauern für Schäden, wie arrogant und gleichzeitig primitiv haben sich die Jäger bei ihren Treibjagden und anschließenden Festen verhalten. Viele hatten einen Tötungsdrang, waren Tier-Sadisten, denen es überwiegend nur darum ging, Wild zu erlegen und Trophäen zu sammeln.
 
Jeden echten Tierliebhaber musste ein solcher Jägertypus erschrecken. In den letzten Jahrzehnten hat man, im Ansatz völlig richtig, Jagd durch Hege zu ersetzen versucht und Ausgewogenheit zwischen Jagd und Naturschutz herzustellen angestrebt. Aber so richtig war das noch nicht gelungen, denn die Zusammensetzung der Jägerschaft hat sich nicht konsequent genug gewandelt. Immer noch ist bei vielen Jägern das Erlegen, besonders starker Tiere, um der Trophäen willen mehr ausgeprägt als die Bereitschaft zur Hege der Tierwelt.
 
Deshalb haben die Natur-Gutmenschen beschlossen, die Jagd schrittweise abzuschaffen, indem sie über neue Jagdgesetze die erlaubten Anzahlen an Wildtieren reduzierten, das Füttern des Wildes in Notzeiten verboten und die Jagdzeiten verkürzten.
 
Und in Zukunft möchten sie über die angebliche Wiederherstellung der natürlichen Tierwelt in den Wälder auch Luchs und Wolf großflächig einbürgern. Diese Großräuber reduzieren natürlich das Jagdwild erheblich. Was diese Natur-Gutmenschen einführen wollen, ist der nackte Darwinismus, auch wenn sie das abstreiten. Dadurch soll immer weniger Jagdbeute für die Jäger übrig bleiben, man möchte die Lust am Jagen verderben. Die notwendigen Wildregulierungen zur eventuellen Reduzierung von Wildschäden soll kleinen Gruppen von Berufsjägern übertragen werden.
 
Diese Natur-Gutmenschen übertreiben offensichtlich ausgewogene Reformen. Sie können sich nicht vorstellen, dass Wölfe langfristig auch Menschen, besonders Kinder, angreifen können, dass sie frei lebende Nutztiere wie Schafe und Kälber töten werden und dass sich Wanderer, Jugendliche und Familien weniger unbesorgt in den Wäldern aufhalten und erholen können. Für die Natur-Gutmenschen zählt offensichtlich hauptsächlich das Gefühl, die früheren Naturzustände wieder hergestellt und böse Jagdmenschen blockiert zu haben.
 
Dabei könnte man sich klugerweise die Energien, Aktivitäten und auch das Geldvermögen jagdinteressierter Menschen zunutze machen im Rahmen einer ausgewogenen Wild-Hege. Man müsste nur die ausgewogen veranlagten Hege- und Jagdinteressierten zu gewinnen versuchen. Wölfe und Luchse gehören in keine dicht besiedelten Länder wie Mitteleuropa. Die Menschen, besonders Jugendliche, müssen sich unbeschwert in den Wäldern aufhalten und den Anblick relativ ungefährlicher Wildtiere erleben können.
 
- Es gibt noch so viele weitere Beispiele vom lästigen, phantastischen, nutzlosen, dummen, gefährlichen, kontraproduktiven und abschreckenden Wirken von Gutmenschen, dass sie Bücher füllen könnten. Alleine aus der Gegenwart ließen sich ernste Beispiele aus den Themen Sexualerziehung, Gleichstellung von heteroerotisch und homoerotisch, Migration, Frauenemanzipation, EU, Pädagogik, Naturschutz, angebliche Menschengleichheit usw. anführen. Wenn man sich einmal mit negativen Gutmenschen-Wirkungen zu beschäftigen begonnen hat, entdeckt man sie in der Geschichte und Gesellschaft überall.
 
Es wäre sehr nützlich, wenn einmal ein „Schwarzbuch der Gutmenschen und der durch sie angerichteten Schäden“ zusammengestellt würde. Dadurch würde manche Gutmenschen-Träumerei im Keim erstickt.
 
4. Zusammenfassung und Ausblick:
 
Gutmenschen können nicht nur harmlose Phantasten, Utopisten, Nervensägen oder Spinner sein, sie können auch sehr gefährlich werden. Besonders, wenn sie bei aktuell-politischen Themen wohlklingende Vorschläge machen, durch Redebegabung, Charisma und Methoden ihre Mitmenschen beeindrucken, notwendige Reformen übertreiben usw., dann können sie großen Schaden anrichten, viel Leid und Not auslösen, das kritische Denken einengen, die Gesellschaften langfristig auf gefährliche Bahnen führen. Dann können sie so schädlich wie Kriminelle und Bös-Menschen werden.
 
Am besten sind immer noch für den Einzelnen und für eine Gesellschaft Ausgewogenheit in allem, das Meiden von Utopien und Illusionen, Toleranz und ein verantwortungsbewusster Pluralismus. Dieses Bewusstsein anzuerziehen ist die Kernaufgabe einer guten Pädagogik. Und das ist mein Anliegen, das verfolge ich seit meiner Zeit in Athen. Deshalb bin ich dem Typus „Gutmensch“ gegenüber sehr kritisch.  Nur mit diesen Zielsetzungen darf ich in gewisser Weise selbst ein stets aktiver Gutmensch sein.   
 
Ich darf trotz aller Enttäuschungen die Hoffnung ausdrücken, dass die Menschheit mit einer  solchen Breiten-Erziehung…
 
(In diesem Augenblick beendet die Glocke die Pause und ruft zurück zu den Vorträgen und wissenschaftlichen Diskussionen. Die anfangs so lockere Gesprächsgruppe um Sokrates geht nachdenklicher als vorher zurück in die Kongresshalle.)
 
(Aufgeschrieben vom discipulus Sokratis, der auch auf diesem Kongress und bei dem Pausengespräch dabei war)
 
 
 
 
 
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.01.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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