Christa Astl

Schneebälle

 

 

 
Sie war in den Wald gelaufen, davongelaufen, wollte alles hinter sich bringen, von allem loskommen, sich freilaufen, - oder einen anderen Weg in die Freiheit suchen.
Sie, eine Frau mittleren Alters, Gattin, Mutter, Hausbesitzerin, unglücklich, depressiv. Sie hätte alles gehabt, wonach sie sich im Leben gesehnt hatte. Doch es war ihr zu viel geworden.
Ständig, tagaus, tagein war sie gefordert, lebte unter einer Anspannung, alles tun, erledigen, bestimmen, entscheiden zu müssen. - Und die anderen ließen sie machen, für sie war es angenehm, entband es sie doch vieler ihrer Pflichten. "Lass nur, Mama macht das schon", war bald das geflügelte Wort.
Mama machte es, erst gerne, bald aber nur noch gezwungenermaßen, weil es ihre Pflicht war, - eine von denen, die sie am Altar versprochen hatte.
Ob sie wirklich alles tun MUSSTE, darüber hatte sie sich keine Gedanken gemacht, es war eben ihre Pflicht. Die Gedanken kamen in der Nacht mit schlechtem Gewissen, was sie falsch oder vielleicht gar nicht gemacht hatte, was zur Folge hatte, dass sie auch in der Nacht Versäumtes erledigen musste. Die Folge: müde und abgespannt war sie am nächsten Tag, die Arbeit ging schleppend vor sich, wortlos quälte sie sich durch ihre Pflichten, deren sie kein Ende sah. Nun war sie am Ende.
Bewegung an der frischen Luft soll gesund sein? Einen Versuch war es wert, dachte sie und schlich aus dem Haus, die Tränen kaum noch beherrschend, denen sie erst in der Einsamkeit des Waldes freien Lauf lassen durfte. Vom Sonnenschein des milden Vorfrühlingstages hatte sie nicht viel gespürt, auch wenn sie zweimal mit dem Auto ihre Kinder aus der nächsten Stadt geholt hatte. Die Hausübungen waren gemacht, Vokabeln werden abends nochmals überprüft, nun machte sie sich auf den Weg, heimlich, da sie allein sein wollte. Das Gezeter bei der Hausübung war ihr wieder zu viel geworden, nun unterhielten sich die Kinder einträchtig mit einem lustigen Film. -
Im Dorf war es still, die Menschen saßen vielleicht auch schon vor dem Bildschirm. Wie gut, niemand hätte sie sehen dürfen. Die Berggipfel auf der anderen Talseite leuchteten im letzten Sonnenlicht.
Nun nahm sie der Wald auf, tief und dunkel. Der Weg war steil, eine Stelle war vereist, erforderte ihre ganze Konzentration. Endlich oben, noch ein paar Sonnenstrahlen, die sie erfreuten. Die Bank war bereits trocken, rundum lag Altschnee. Ermüdet setzte sie sich, es war eine wohltuende Müdigkeit, eine rein körperliche. Der Geist war aber nicht zur Ruhe gekommen, im Sitzen stellten sich die Alltagsprobleme wieder an. Der Weiterweg querte einen Graben, der manchmal reißende Bäche, aber auch Lawinen führte. Da hinunter gleiten, oder fallen, oder springen?... , ob man das wohl überlebte?
Gedankenverloren nahm sie eine Handvoll Schnee, spürte die Kälte angenehm in der Hand, und formte einen Schneeball. Mit aller Kraft warf sie diesen in den Graben, in dem allein eine junge Buche stand. - Ein Volltreffer auf den Stamm. Sie musste schmunzeln. - Ein Glückstreffer? Der nächste Ball flog daneben. Wieder und wieder warf sie Schneebälle, bis sie mit Glück einmal traf.
Die Zeit verging, sie merkte es nicht. Sie formte und warf, spürte dabei plötzlich bewusst diese Tätigkeit, in die sie Kraft und Konzentration legte. Für Momente schien dies das Wichtigste auf der Welt zu sein. Sie musste über sich selber lächeln, ja lachen! Befreit stand sie auf, die Dämmerung machte sich schon breit, und über die eisige Stelle möchte sie doch gerne noch sicher kommen. - Leben war wieder wichtig geworden, alles Schwere hatte sie mit Schneebällen von sich geworfen, sie glaubte zu fliegen, lief rasch trotz nunmehriger Dunkelheit zurück nach Hause und konnte mit Geduld und wieder gewonnener Freude die Vokabeln abfragen und dem Musiküben der Kinder zuhören.
 
 
ChA 19.01.16
 
 

 

 

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