Thomas Kleinrensing

Selbstgespräch Nr: 22 (Meinstream)

Ist Selbstdenken im Gehirnnetzwerk noch gefragt oder kann das weg. Was hat die innovativste aller Erfindungen, das Internet aus uns, mit unserer Skepsis und Meinungsfindung gemacht?

Die Frage ob und was uns gegeben und ermöglich wurde, stellt sich mir nicht. Was wir uns selbst genommen und vernetzt noch nehmen werden, bewegt mich. Was haben wir verloren in unserer stetigen Verbundenheit und Anwesenheit im World Wide Web. Gläsern und katalogisiert harren wir bewegungslos, selbstvergessen vor Tastaturen und Bildschirmen aus. Wir sind Cyberblutkörperchen die milliardenfach in Glasfaserkabeln für Bewegung und ewig währende Präsenz sorgen, während wir Identität und jegliche Selbstbestimmung abgeben.

Was gestalten wir noch mit unseren Gedanken und Händen, was schreiben wir noch in unser Tagebuch? Wir können nichts mehr bei uns behalten. Es klickt und schon ist es geschickt. Was können wir unseren Eltern und Kindern antworten auf die Frage, was wir gemacht haben aus dem Erbe des 19. und 20. Jahrhunderts und aus uns selbst? Wir sind dabei alles von uns zu vernichten, auf das auch die einfachste Kreatur keinen Frieden mehr finden wird. Computer gestützt im ungeschützten Verkehr der Datenübertragungen, schlägt unser Herz schneller als die Zeit und wir folgen können. Oftmals kommt es mir vor, dass mit den tausenden von Informationen, Einlassungen und Auswürfen wir unser Herz immer mehr entleeren und das atmende Leben immer kürzer wird, obwohl wir älter und im Netz unsterblich bleiben.

Das Miteinander zeigt sich angefüllt mit Angst und Besorgnis, mit Hass und Verleumdung, Übertreibung und Überreaktion, in Banalität und Selbstdarstellung. Kriege flimmern wie Aktion Serien direkt neben dem Börsenbarometer und der Werbung für die Pille gegen Verstopfung. Im Wohnzimmer ist der Krieg so wunderbar real und ungefährlich. Experten erklären uns warum und wo wir stehen, während wir postend Gemeinschaft suchen. Wie die Pinguin Mutter Halbverdautes dem Jungen hochwürgt, schlingen wir kritiklos vorgekaute Meinung in uns hinein. Angstzeitlose und Besorgniserreger überall und immer wenigsten eine Expertenmeinung. Wir verschlucken uns nicht mehr an den Gräueltaten, eher am Chip während wir surfen. Wir gehen jeder noch so idiotischen Erklärung auf den Leim und stellen unser Profil wie eine Fahne in den Mainstream. Wir surfen zwischen den weltweit 380 blutigen Konflikten, 20 Kriegen, Check24 und spielen Candy Cruch Saga.  

Ich bin überzeugt, dass Last Minute bald schon eine ganz neue Bedeutung erfährt. Aufgeregt pocht jedes Jahr die eine aller Fragen an die germanische Stirnplatte. Wo kann der surfbegeisterte Deutsche jetzt noch Urlaub machen? Da wo es schön und billig ist, kann er nicht mehr hin. Vorbei die Zeit, dass der schlanke Muslim im weißen Kaftan mit einem freundlichen Lächeln all inklusiv Cocktails am Pool serviert. Wer weiß was da jetzt drin ist. Türkei, Tunesien und Marokko sind keine Optionen mehr. Also doch wieder an die Ostsee, alternativ ins saubere Oberösterreich, vielleicht in die Nähe von Braunau am Inn. Mit den Gestaden der deutschen Ostküste wie mit Austria verbindet uns eine national und sozialistisch zusammenhängende Geschichte der Ursache und Wirkung. 

Im Netz gefangen, fühle ich mich wie ein Verlorener und Verratener. Und in Stunden der Besinnung wie ein Verzweifelter. Diese WiFi Zeit hat alles was Philosophen, Historiker und große Denker hervorbrachten weit hinter sich gelassen. Ohne Ethik, Moral und Gewissen, dem Fortschritt und dem Wachstum nach hinten gewandt hörig, posten wir uns zu allem und jedem unsterblich, obgleich wir innerlich absterben. Konsum berauscht stehen wir online vor dem Paradies, welches uns von allen Gipfeln verheißen und online rabattiert verkauft wird, betteln um Einlass. Ich erinnere mich an Novalis: “Noch hat jeder, der vorgab, das Paradies auf Erden zu errichten, die Hölle geschaffen“.
 
Bin immer wieder ein Flüchtling aus dem Netz und empfinde Wehmut. Wehmut, jene vergessene Emotion, die sich auf wunderbare Weise aus unverlierbarer Erinnerung, Geschichte, Resignation, Zorn, Trauer, Freude, Zuversicht, Respekt und dem Geruch von staubigen Büchern wie ein Puzzle zu einem unverzichtbaren Ganzen zusammenfügt. Die täglich auf mich einprasselnden Informationen und unsäglichen Meinungen haben in mir eine unendliche Sehnsucht nach Frieden, Wärme und einer angenehmen Unwissenheit hervorgerufen. Es gab schon Tage, da verließ ich meine Wohnung nur, wenn mir vorab schriftlich bestätigt wurde, dass dieser Tag als ein innerhalb der Urlaubszeit von der Wirklichkeit liegender zu werten ist.

Welche Töne ich da schreibe, wie bösartig und negativ meine Sprache daherkommt. Ich bin halt nicht jedermanns Freund. Ich schreibe mit dem Herzen und somit am virtuellen Leben vorbei, auch wenn ich Teil und Nutzer bin. Jedoch droht die allgewärtige WiFi Gegenwart mich manchmal zu ersticken. Wann haben wir das letzte Mal vor Entzücken in die I-Phone leeren Hände geklatscht. Haben fröhlich in der Stadt vor uns hin gepfiffen ohne Stöpsel im Ohr, einfach jemanden spontan und offener Freude angelächelt. Wann haben wir in der Vergangenheit mit einem Grinsen rund um den Kopf einen Sonnenuntergang bestaunt, ohne ein Selfie zu versenden. Wie lang ist es her, dass nur wir vor den kleinen Wundern die unsere Welt so einzigartig vielfältig und großmachen, fast erstorben sind vor Glück, ohne Community.

Was nutzt uns ein intelligentes Internet, wenn Intelligenz nicht teilbar ist. Wir sind auf der ganzen Welt per Mausklick zuhause und viele führen sich auch so auf. Mir nehmen die Informationen im Sekundentakt, die stetigen Kommentare und Einlassungen zunehmend die Luft am Leben. Ich hoffe auf den Tag, an dem sich der Gigakonsument und der Megaexperte selbst eine neue Software aufspielen oder sich zur Regeneration einfach mal abschalten.  

Der Tom
24. Januar 2016
www.tom-kleinrensing.de








 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.01.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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