Keine Angst, die Geschichte stammt nicht vom Schweizer Schrifsteller Dürrenmatt. Meine Erzählung
geht in die 50-er Jahre zurück. In jener Zeit gab es noch kaum Italiener in der Schweiz,
auch keine Türken. Billige Arbeitskräfte, Hilfsarbeiter, wurden deshalb aus der ungebildeten schweizerischen Arbeiterschaft
rekrutiert, auch bei einem eventuellen Intelligenzquotienten vo ca. 130, ...den man ja damals
weder messen, noch bei Arbeiterkindern so ohne Weiteres feststellen konnte oder wollte.
Wie dem auch sei, bei mir wurden in der Rekrutenschule (Schweizer Militärausbildung) eine
Vernarbung der Lunge festestellt wegen einer überwundenen und verheilten Lungentuberkulose,
von der ich allerdings nichts wusste.. Meine gebrochene und längst verheilte Rippen wurden mir
dann auf Roentgenbildern gezeigt. Elterliche Erziehungsmethoden waren halt damals
noch etwas rüde. Abitur war unbekannt, Aerzte waren in den Augen der Arbeiterschaft einfach nur Leute,
die nach 6 Jahren Primarschule im Spital eine "Arzt-Lehre" machten und dann plötzlich bei guter Führung
einen Doktortitel bekamen. Realistische Bildungwege wurden für Arbeiterkinder verschleiert.
Wie dem auch sei, in diesem Milieu bin ich frei und völlig unkontrolliert aufgewachsen und spielte mit Bruno und Hans
an einem Froschteich, der eingeebnet wurde. Heute steht da ein modernes Gymnasium.
Der Vater von Bruno war Metztger, also damals ein privilegierter Mann mit Geld und Auto.
In der Garage von Brunos Vater war eine aufgeladene Ersatzbatterie fürs Auto und wir
experimentierten damit mittels Klammern und Drähten am Froschteich mit gefangenen Fröschen :
Sie zuckten bei Stromschlägen, auch wenn sie tot waren...was uns faszinierte.
Als meine Tante Rosa starb, sie litt schon lange an gelegentlichem Herzflimmern, "kardiologische Rhythmustörungen"
nennt man das glaube ich, dann brachte man sie zum Friedhof in den Leichenaufbewahrungsraum,
der sich noch immer dort befindet.
Der Friehof hat im Zentrum ein grosses Christuskreuz, das man nun, gem. Zeitungsbericht
mit einem Sack zudeckt, auch ein frommes katholisches Bild im Leichenraum will man mit einer Gipsplatte verbergen, aus
Rücksicht auf den Islam...Die sterben ja auch gelegentlich.
Nun zurück zu Brunos Batterie: Als ich meine tote Tante sah, bin ich alleine mit meinem alten Fahrrad
zum Friedhof zurückgefahren, mit der Batterie für die Frosch-Experimente.
Bei der Tante hatte ich die zwei Pole mit den Drähten und Klammern an der Tante so befestigt,
dass sie eigentlich hätte "zucken" müssen : Statt dessen machte sie ein Geräusch und sperrte die grauen Augen auf
und starrte mich lange an. Dann hat sie angefangen, mich zu beschimpfen, sie richtete sich auf,
schlurfte mir nach bis zu einer nahen Bank unter einem Holunderbaum ..." Ich sah das heilige Licht, ich war schon beim Heiland und
du hast mich zurückgeholt, wehe dir !"
Ein wenig beunruhigt und mit schlechtem Gewissen fuhr ich mit dem Fahrrad und der Auto-Batterie dann halt nach Hause.
Am geichen Abend klopfte die Tante noch im Totenhemd an unsere finsteren Wohnung ohne Bad und Heizung,
mit einem Ofen ohne richtigen Rauchabzug (deshalb war mir auf dem Schulweg oft schlecht) und forderte
mit rauchiger Stimme Einlass. Sie sagte meinen Eltern, was für ein schlimmes Kind ich sei und dass ich
schuld daran sei, dass sie noch im Totenhemd mit der Strassenbahn als blinder Passagier ohne Fahrschein
hätte fahren müssen. Sie hätte sich vor den anderen Fahrgästen in Grund und Boden geschämt.
Nach einer kleinen Prügelstrafe war man sich einig, über die Sache buchstäblich "Gras wachsen" zu lassen,
weil wir den Arzt mit dem falschen Totenschein nur in Verlegenheit brächten, er sei doch so ein gescheiter und ein Lieber.
Wir bräuchten ihn ja noch später für uns selber !
Nun gut, diese Geschichte habe ich, wie viele andere Geschichten aus jener Zeit, verdrängt und vergessen, die Tante
starb ja nacher doch noch, ein paar Jahre später....
***
c/G.E.
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Das
Prekariat
1950 bis 1956
ZentralschweizGeorges Ettlin, Anmerkung zur Geschichte
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.03.2016.
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