Christa Astl
Jakobs Sonnenblume
Jakob ist seit einer Krankheit gelähmt und kann nicht mehr gehen. So sitzt er den ganzen Tag in der Wohnung und schaut aus dem Fenster. Allerdings ist der Ausblick vom ersten Stock einer Großstadtwohnung auch nicht gerade überwältigend, er sieht nur einige Fenster der Häuserblocks gegenüber. Vor manchen Fenstern sind zwar kleine Balkone, aber die sind höchstens mit halbvertrocknetem Grünzeug bepflanzt.
Jakob sehnt sich so sehr nach etwas Buntem, Lebendigem. Ein Haustier darf er in der Wohnung nicht haben, sonst hätte er sich eine Katze gewünscht, die auf seinem Schoß sitzen und die er streicheln könne, aber das ist hier verboten. Nur das alte Ehepaar im Parterre darf seinen dicken Dackel behalten, manchmal hört er sein schon heiseres Bellen.
Eines Tages bringt die Mutter von der Arbeit etwas mit: ein Tütchen mit Sonnenblumenkernen und einen Blumentopf mit Erde. Jakob darf die Kerne in die Erde stecken und gießen. Mutter stellt den Topf und eine kleine Gießkanne aufs Fensterbrett, so, dass er sie von seinem Rollstuhl aus erreichen kann. Jakob freut sich sehr darüber und wartet gespannt, aber geduldig auf das Keimen der Pflanzen.
Nach einigen Tagen spitzt bereits das erste Grün hervor, bald kann man kleine Blätter erkennen, die von Tag zu Tag größer werden. Sehr schnell wächst der Stängel in die Höhe. Jakob bittet die Mutter um einen Meterstab, denn sein Schullineal ist bald zu kurz.
Nun hat die Blume die Höhe des Fensterrahmens erreicht, und da auch Jakobs Wohnung einen kleinen Balkon hat, wird sie hinausgestellt. Aber das Gießen muss nun die Mutter besorgen. Die Sonnenblume reicht nun schon vom Boden bis zum Fenster, so dass er sie täglich sehen kann. Nun misst Jakob ihre Höhe vom Fensterbrett aus und rechnet die Länge unterhalb einfach dazu. Die Blume wächst und wächst, bald hat sie die Decke des Balkons erreicht. Mutter muss sie ganz nahe ans Balkongeländer stellen. Und nun wächst sie einfach weiter hinauf zum oberen Nachbarn!
Jakob ist enttäuscht. Er sieht nur mehr den hohen, dicken Stängel vor dem Fenster, eine Blüte wird er nie anschauen dürfen.
Eines Morgens ist die Blume nicht mehr vor seinem Fenster. "Warum denn das? Wer hat sie weggenommen?" fragt Jakob ganz erschrocken seine Mutter. Doch die hat sich was einfallen lassen: Sie hat mit dem alten Ehepaar mit Hund gesprochen und die Erlaubnis erhalten, die Blume unten in ihrem Vorgarten einzusetzen. Für Jakob sollte es eine Überraschung sein, denn die Sonnenblume hat inzwischen eine Blütenknospe gebildet und auch schon die Höhe, dass sie in Kürze wieder Jakobs Fensterplatz erreichen würde.
Wie staunt er, als sich eines Morgens etwas Grün-Gelbes vor seinem Fenster bewegt. Gerade zur richtigen Zeit und in der für ihn richtigen Höhe beginnt die Sonnenblume ihre Blüte zu entfalten. Welch wunderschöner, erfreulicher Anblick für den gelähmten Buben, der auf diese Art von der Natur so reich beschenkt worden ist.
ChA 13.08.15/3.4.16
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.04.2016.
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von Christa Astl
Weihnachten, Advent, die Zeit der Stille, der frühen Dunkelheit, wo Menschen gerne beisammen sitzen und sich auch heute noch Zeit nehmen können, sich zu besinnen, zu erinnern. Tirol ist ein Land, in dem die Krippentradition noch hoch gehalten wird. Ich habe meine Krippe selber gebaut und auch die Figuren selber gefertigt. So habe ich mir auch die Geschichten, wie jede wohl zur Krippe gefunden hat, dazu erdacht.
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