Patrick Rabe

Die Mysterien von Leben, Tod und Auferstehung

Die Maskerade bleibt bestehen,
bis die Menschlichkeit fällt,
solang das Morden der Welt
sich im Verborgenen hält.
Erst, wenn die ganzen
verdammten Schlachtfelder brennen,
wird die Welt meinen Namen kennen,
denn ich bin euer Tod…
                                                (Thomas D.)
 
Zunächst zur Begriffsklärung: Ich betrachte Leben, Tod und Auferstehung – wie schon in älteren Aufsätzen – als seelische Zustände oder Vorgänge, die innerhalb des irdischen Lebens stattfinden. Über eine Weiterexistenz nach dem physischen Tode vermag ich nichts zu sagen.
 
Wie schon C.G. Jung erkannt hat, werden wir von Mythen oder Urbildern geleitet, die aus unserem Unbewussten stammen. Sie veranlassen uns zu bestimmten Handlungen oder Denkweisen. Leben und Tod sind solche Urbilder, die tief in der menschlichen Seele verwurzelt sind. Der Mensch ist sich bewusst darüber, dass er lebt und weiß aus Erfahrung, dass er sterben wird. Aus diesem Bewusstsein heraus ist es zu erklären, dass es für Leben und Tod in der Mythologie so starke Bilder gibt. Aber vielleicht weisen diese Bilder – gerade die christlichen – weit über die physischen Gegebenheiten ‚Leben‘ und ‚Tod‘ hinaus und beleuchten in Wahrheit ein im Menschsein offenes Geheimnis der Seele.
 
Sobald der Mensch Bewusstsein entwickelt, nimmt er sich als lebendes Wesen wahr. Würde er nicht in seiner Umgebung mit dem Tod konfrontiert, würde er sich wohl nicht vorstellen können, dass dieses Leben einmal zu Ende gehen wird. So aber weiß er, dass seine Zeit begrenzt ist. Schon daraus resultiert manchmal Angst. Viel schlimmer aber wird die Angst, wenn der Mensch Bewusstsein erlangt über seinen Begleiter: den inneren, metaphysischen Tod. Das Erkennen dieses Begleiters beendet den paradiesischen, sorglosen Lebenszustand des Menschen schlagartig. Herbert Grönemeyer hat das mehrfach dargestellt. Im Video zu Bleibt alles anders taucht im Umfeld des Protagonisten plötzlich ein sonnenbebrilltes Ebenbild auf, das ihn verfolgt. Und im Song ‚Energie‘ bringt Grönemeyer es auf den Punkt: „Er ist dein Windschattenfahrer, sitzt dir im Genick; schlimmer als `ne Rattenplage; er ist dein Parasit!“
 
Der Mensch hat ererbt (siehe Bibel) Anteil am inneren Tod; er ist der Preis für die Erkenntnisfähigkeit. So wie in jedem Menschen das ganze Universum und Gott (er ist ja Abbild Gottes) zu finden ist, so hat auch jeder Mensch ‚seinen‘ Tod in sich. Es ist individuell unterschiedlich, wann der Todesschatten auf einen fällt, aber wenn es einmal geschehen ist, wird der Mensch erleben, wie ihm täglich, stündlich, minütlich, ja; sekündlich ein Teil seiner Lebensenergie abgezapft wird und im Schlund des Todes verschwindet. Dies erlebt der Mensch natürlich als Bedrohung. Er will doch nicht sterben! Doch da: ein Zipfel Hoffnung! Denn der Tod bietet dem Menschen einen Vertrag an: „Ich werde dich leben lassen, wenn du mir an deiner statt andere Menschen gibst!“ Die weitaus meisten Menschen nehmen dieses Angebot des Todes an. Um ihr eigenes Leben zu retten, machen sie sich zu Werkzeugen und Sklaven des Todes. So korrumpiert der Tod millionen braver Bürger, die im gesellschaftlichen Leben eine weiße Weste haben! Doch was sie auf metaphysischer Ebene anrichten, geht auf keine Kuhhaut! Manch einer ist schon in die Psychiatrie gekommen, weil er sich von seinen Mitmenschen ausgesaugt gefühlt hat. Solche Menschen werden zu Opfern, weil alle Menschen ein dunkles Geheimnis teilen. Der Tod wird nicht nur in der Psychiatrie, sondern auch in der Kirche mit einem Mäntelchen des Schweigens zugedeckt. Das Opfer hat nun die Wahl, selbst zum Täter zu werden, oder rücksichtslos dezimiert zu werden.
 
Beim Betrachten dieses von mir gezeichneten Bildes kann es einen schon erschauern! Die Menschheit als Opfer und Täter in der Maschinerie des Todes? Korrupte, widerwärtige Marionetten? Da kann man schon zum Menschenfeind werden! Jeder gegen jeden und Gott gegen alle! Gibt es – so werden viele fragen – aus dieser misslichen Lage denn keinen Ausweg?
 
Nun, zunächst gibt es sekundäre Lösungswege, wie Zweckgemeinschaften zwischen Menschen. („Wir halten zusammen und sind gegen die anderen!“) Aber solche Zweckgemeinschaften sind – wie alle anderen Versuche, dem Tod zu entgehen – nur Aufschübe. Das Unausweichliche können sie nicht verhindern. Ja, man muss es einmal deutlich sagen: Am Ende gewinnt der Tod!
 
Jedem wachen Menschen müsste doch eigentlich die Einsicht kommen, dass ein solches Leben mit dem Tod im Nacken und mit der Schuld der Tötung anderen Lebens gar nicht mehr lebenswert ist. Vielleicht würde er sich die Frage nach der Angst stellen. Denn es ist alleine unsere Angst, die den Tod so bedrohlich aussehen lässt, die ihn zum Feind werden lässt. Die Angst, innerlich leer zu sein, das Ich zu verlieren, stehen zu bleiben und sich nicht mehr weiterentwickeln zu können. Diese Angst ist ein wichtiger Mythos der Menschheit und somit eine nicht zu unterschätzende Triebfeder. Diese Angst wird versinnbildlicht durch den Sensenmann und die Sagen von Zombies, Vampiren und lebenden Leichen. Die größte Angst ist, selbst ein Zombie zu werden und ein Leben in der Hölle fristen zu müssen. Denn – so ein weiterer Mythos – hat man erst einmal den Kampf gegen den Tod verloren, ist man für immer in den Klauen des Teufels. Das irdische Leben ist nur eine Chance, Beelzebub zu entrinnen. Und wenn man es geschafft hat, nicht zu ‚sterben‘, ehe man gestorben ist, hat man gewonnen. Aber dieser Mythos ist ein fataler Irrglaube! Ein wohl nicht genügend bekanntes Sprichwort sagt: Wer nicht stirbt, eh‘ er stirbt, der verdirbt, wenn er stirbt. Denn unser angeborenes ‚natürliches‘ Leben ist sündig! Es erhalten zu wollen, bedeutet, etwas Verfaultes, Übles aufrecht zu erhalten. Ja! – Unser ‚natürliches‘ Leben ist das von Gott getrennte, in die Finsternis gefallene Leben.
 
Am Beginn meines Aufsatzes sprach ich aber von dem Dreischritt ‚Leben-Tod-Auferstehung‘. Die Auferstehung habe ich bisher nicht beleuchtet, um erst einmal das Problem des Todes zu verdeutlichen. Der erste Teil dieses eigentlich für jeden Menschen vorgesehenen Dreischrittes ist das Leben. Dieses wird uns gegeben, um einen Teil der Finsternis zu erlösen. Die Finsternis, solange sie nicht von der Liebe umfangen wurde, möchte aber ihren Machtanspruch verteidigen. Zumindest scheint uns das so, denn eigentlich will die Finsternis gar nichts. Sie ist völlig neutral, wie das Licht auch. Sie ist nur nicht ins Bewusstsein integriert und macht uns daher Angst. Was uns aber Angst macht, gewinnt Macht über uns. So scheint nun in der Finsternis selber keine teuflische Absicht zu liegen. Das Teuflische entsteht erst durch die Art, wie der Mensch sich mit der Finsternis auseinandersetzt. Da er sie nicht kennenlernen (lieben) möchte, wird sie sein Feind. Würde der Mensch Finsternis und Tod an sich heranlassen, würden diese seine Freunde. Eine gewagte Behauptung! Aber erinnern wir uns noch einmal an das Grönemeyer-Video zu Bleibt alles anders. Der Protagonist flieht vor seinem Ebenbild. Am Ende läuft er in eine Scheune, die mit ihm explodiert. Das Ebenbild nimmt seine Sonnenbrille ab und seufzt. Man gewinnt den Eindruck: Vielleicht wollte der Klon den Protagonisten genau davor warnen!
 
Der metaphysische Tod ist unser eigener Schatten (das Stück Finsternis, das von uns erlöst werden will, oder das Unbewusste, das wir in unsere Persönlichkeit integrieren müssen, um ganz zu sein.) Die Begegnung mit unserem Tod würde uns erleuchten und heilen. Der Mensch hat für diese Vorgänge im Christus-Mythos starke Bilder gefunden. Leider ist das Wissen um die Bedeutung dieser Bilder in den Kirchen schon lange einer dogmatischen, veräußerlichten Betrachtungsweise gewichen. Aber hier liegt wirklich die Lösung aus der Sklaverei des Todes! Christus lehrt, sich nicht gegen die Welt zu wehren, nicht zu verurteilen etc. In letzter Konsequenz dessen lässt er sich kreuzigen. Aber am dritten Tage nach seinem Tode ersteht er auf! Betrachtet man dies alles als seelische Vorgänge, werden einem schnell einige Lichter aufgehen. Der Mensch kann nämlich nicht durch Vermeidung des Todes demselben entgehen, sondern nur durch Annehmen. Mitten hindurch (der Name des Heilsbringers Parzival!) durch die Welt, den Tod und die Hölle führt der Weg zum Licht. Auf diesem Weg wird der Mensch mit Dämonen (verdrängten Wahrheiten) ringen müssen und auch den Punkt extremster Gottesferne erleben („Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!?“). Ist dieser Moment aber überstanden, wird ihm der neue Morgen dämmern. Ja – ohne Übertreibung – er wird von den Toten auferstehen! Das ist das zweite Leben, die dritte Stufe des Eingangs erwähnten Dreischrittes. Dieses neue Leben aus dem Geiste Christi ist ewig, was nicht bedeutet, dass man für immer leben wird. Es stellt vielmehr eine Lebensqualität dar. Man erlangt inneren Frieden, hat das Reich Gottes in sich gefunden. Denn nach der Auseinandersetzung mit dem Schatten (dem metaphysischen Tod) ist der Mensch ganz und heil, wieder Gottes Kind.
 
So sind Menschen, die durch dieses dunkle Tal gegangen sind, unendlich viel weiter als jene, die sich noch vom Tod korrumpieren lassen. Sie können wie Christus oder Parzival zu Heilsbringern werden, denn das tun sie tatsächlich: Sie heilen die Menschheit. Es scheinen immer nur wenige zu sein, die diesen Weg mitten hindurch gehen, und so lösen diese Menschen bei den anderen oft auch einen Schauer aus. Man muss vielleicht eine Zeitlang ein lebender Toter sein und mit Dämonen ringen. Aber wenn man diese Finsternis ins Bewusstsein gehoben und angenommen – somit integriert – hat, wird man zu einem viel er-und ge-lösteren Leben finden, als man es vorher hatte. Man kann mit Christus rufen: „Hölle, wo ist dein Sieg; Tod, wo ist dein Stachel!?“
 
Mit vielen guten Wünschen all denen gewidmet, die dies lesen!
 
Patrick Rabe, 5.2. 2004, Hamburg Langenhorn.



Ja, viel Zeit ist seitdem vergangen. Aber es tat gut, diesen Artikel nochmals zu lesen, weil er mich mit meinen ursprünglichen, gedanklichen Wurzeln rückverbunden hat. Heute weiß ich natürlich auch, was es heißt, TÄGLICH sein Kreuz auf sich zu nehmen, denn die Schattenarbeit ist ja nie wirklich vorbei... Ich hatte nur in meinen jungen Jahren einen ganzen Batzen davon aufeinmal durchschritten. War dann überzeugt davon, im Reich Gottes angekommen zu sein... Aber de facto kommt doch immer noch was nach. Wozu hat man auch sonst so'n langes Leben!? Und, ja: Ich bin ein Mystiker. Ich hab mir das nicht ausgesucht. Es ist eben so. By the way: Mystik ist etwas anderes als Religion. Organisierte Religion. Wobei ich gegen das Wort eigentlich nichts habe. Es kommt von re-ligio und heißt "Rückbindung". Treffender kann man's nicht ausdrücken. Denn man bindet sich ja tatsächlich zurück an etwas, von dem man getrennt wurde. "Werdet wie die Kinder!" Nicht: "Bleibt wie die Kinder!" Genug der Mystik für heute. Morgen stell ich wieder ein Quatschgedicht ein über Menschen, die aussehen wie Gorillas.

Patrick Rabe 5. Mai 2016.

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