Sebastian Müller

Cailandiar - Viacha Lethia

Durch den schmalen Schlitz in der brüchigen Wand, welches durch ein paar Stangen gesichert wurde, fiel das Licht des Mondes genau auf den steinigen Boden, der von Moos überrwuchert war. Feucht glänzte das Gestein der Wände und des Bodens dabei, sodass der gesamte kleine Raum mit der hohen Decke in ein sanftes silbriges Licht getaucht wurde. Auch die Geräusche der Nacht drangen von diesem kleinen Fenster hinein. Man hörte die entfernten Rufe von Eulen und das Zirpen der Grillen.
Inmitten dieses Raumes saß ein kleiner Schatten, der sich zusammenkauerte. Die Knie wurden eng an die schmalen Schultern gezogen und mit den Armen umschlungen, das Kinn letztlich auf diesen abgestützt. Wirre rote Strähnen hingen in dem Gesicht, welches noch eindeutige Jugend durch seine rundlichen Züge aufwies. Die hellblauen Augen, die einst mit dem Himmel um die Wette strahlten, waren trüb und von Traurigkeit geprägt.
Der schmale, abgemagerte Leib bewegte sich, wobei das verrutschte, was früher einmal ein Kleid gewesen war, nun aber nur noch als Lumpen benannt werden konnte. Ein dünner, weißer Stoff in grober Webung, den man der Gestalt einfach übergeworfen hatte, bevor sie in diesem Loch gelandet war.
Die Augen richteten sich hin zum einfallenden Licht und beobachteten mehr in Abwesenheit als in Aufmerksamkeit die hereinfallenden Strahlen. Das Kinn hob sich dafür langsam ein Stück weit von den Knie, so als wäre es schwer und nur mühsam zu bewegen. Der Blick fiel hinaus in die Nacht, die vom Mond gekrönt und den Sternen besiedelt draußen thronte.
Lange Momente verharrte die bleiche Gestalt in dieser Pose, eh die Laute vor der Tür die Aufmerksamkeit auf diese lenkten. Instinktiv schob sie sich hin zur Wand, die der Tür gegenüber lag, wo sie sich an die Wand pressste und die Tür anstarrte, so als könnte in jedem Moment etwas hinein kommen, was ihr das Leben rauben wollte. Das Leben, von dem ohnehin kaum noch etwas übrig war. Doch es geschah nichts. Die Schritte und die Stimmen flogen an der Tür vorüber und verhallten wieder, ohne dass auch nur an der Tür gerüttelt wurde. Die Anspannung fiel und so sank die Gestalt wieder in sich zusammen, eh sie sich an der Wand hinab rutschen ließ, sodass sie zusammengekauert auf dem Boden lag. Die Knie waren dabei wieder eng an die Schultern angezogen und diesmal das Gesicht fest auf diese gedrückt.
Durch das Fenster gelangten die entfernten Rufe eines Raben, der die Nacht zu seinem Zuhause gemacht hatte. Die Rufe kamen näher und näher, verstummten und entfernten sich wieder. Von etwas berührt zuckte die Gestalt zusammen und blieb doch reglos liegen. Was auch immer sie da berührt hatte, es war ihr einerlei oder die Gewohnheit sagte ihr, dass dies öfter vorkam. Erst nach einer ganzen Weile löste sich die rechte, feingliedrige Hand mit den langen Fingern und tastete die eigene Körperseite ab. Die Finger fanden etwas, was jedoch im Ungeschick hinab geschoben wurde und so auf den Boden fiel. Der Blick richtete sich gleich auf das, was da lag und im Mondschein gut erkennbar war: Ein einzelnes Blatt mit der groben Form eines Schwertes und von einem graugrün, wie man es nur selten bei Blättern sah.
Die Finger tasteten wieder nach dem Teil der Krone eines Baumes und die Fingerspitzen striffen liebevoll darüber, so als wäre es ein Liebster oder ein Kind, welches diese Zärtlichkeit und Zuneigung brauchte. Die schmalen Lippen der Gestalt öffneten sich und formten ein einziges Wort, eh sie in einem Lächeln wieder geschlossen wurden. Das Blatt wurde langsam näher gezogen, bis hin zum Gesicht, sodass die Lippen nicht weit davon entfernt waren und auch schon auf dieses gedrückt wurden. Die Augen waren dabei geschlossen und kaum löste sich der Kuss, so atmete die Gestalt einmal tief ein und dann wieder aus, um sich schlussendlich langsam in eine sitzende Position aufzurappeln. Die kraftlosen Glieder schmerzten dabei.
In sitzender Haltung griff sie nach dem, was da herein geflattert war und drückte dies mit beiden Händen an die Brust, die von zwei kleinen Hügelchen geprägt war. Das Kinn sank auf das Brustbein hinab und wieder bewegten sich die Lippen in lautloser Manier, diesmal nicht nur für ein einzelnes Wort, sondern für ein ganzes Gebet. Die Lippen ruhten dann und so ruhte auch die gesamte Gestalt.


Riesige Felder von goldenem Getreide lagen rings um sie herum. Die Ähren waren so kraftvoll und schön, als wären sie der Schmuck dieser Welt, in dessen Mitte sie stand und ihre Hand glitt durch das reife Weizen hindurch, berührte die Halme und fuhr zum nächsten hin, um auch dieses liebevoll zu liebkosen. Der Blick richtete sich hin zum Himmel, an dem keine Wolke die helle Sonne versteckte und so der gelbliche Ball in einem Korb aus hellem Blau lag.
Eine Berührung ließ sie herum fahren und sie blickte in ein Gesicht oder das, was ein Gesicht sein wollte. Schemenhaft war es nur und sah man genau hin, so konnte man durch dieses hindurch sehen. Ebenso verhielt es sich mit dem Körper, der zwar eindeutig menschlich aber doch wieder nicht war. Die geisterhafte Hand hatte sie berührt und legte sich nun an ihre Wange, worüber sie strich.
"Wir haben viel durchgemacht." Erklang eine Stimme, ruhig und von einer Reinheit, wie es der klarste Bach nicht vermochte zu sein.
"Trotz deiner jungen Jahre durfte ich dich schon durch viele Gefahren und Situationen begleiten, die andere wie dich das Leben gekostet hätten. Aber du lebst und du wirst auch dies überleben."
Sie nickt der nur allzu bekannten, schemenhaften Gestalt zu und ein sachtes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Die Berührung der Hand schien ihr weder Schrecken noch Abscheu zu bereiten. Gar schmiegte sie die Wange sogar dieser entgegen.
"Ich weiß es und doch ist jede Situation aufs Neue ein harter Kampf einer Schlacht, die sich Leben nennt." Sprach sie und vermochte trotz der jungen Jahre mit Weisheit zu glänzen, was dem Schemen einen Ausdruck des Stolzes auf das halb durchsichtige Gesicht zauberte. Die Hand sank von der Wange hinab, legte sich auf die Schulter und drückte diese einmal sacht, eh sie wieder abließ.
"Wir werden noch viele Tage durch diese Welt streifen, die auch einst unsere Welt war, Lethia. Ich freue mich schon darauf, dich zu begleiten und eines Tages, dem bin ich mir gewiss, wirst du mich auch außerhalb deiner Träume aufsuchen können." Versprach man und kaum war das letzte Wort verklungen, begann die Gestalt auch schon wieder schwächer zu werden, verblasste langsam und verschwand dann ganz. Lethia stand dort, ruhig und besonnen ob der Worte, und richtete ihren Blick hin zum Licht der Welt.


Die Augen öffnete sie und schloss sie sofort auch wieder, als das grelle Licht ihr in diese fiel. Ein nächster Versuch endete nicht weniger erfolggos und auch ein weiterer war nicht von Erfolg gekrönt. So blinztelte sie viele Male, eh sich ihre Augen an das Licht gewöhnt hatten, welches durch das Fenster hinein fiel. Die Hände lösten sich von der Brust und das Blatt fiel hinab, welches sie die gesamte Nacht über an sich gedrückt hatte. Hätte sie nur eine Tasche oder eine andere Möglichkeit dieses zu verstauen, so hätte sie es nun an sich genommen. So blieb dem, was ihr so viel wert war aber nicht mehr als der steinige, moosige und nasse Boden, an dem es sein Ende finden würde.
All ihre Kraft nahm sie zusammen, um den schmalen Leib langsam zu erheben. Die Beine zitterten unter dem geringen Gewicht, welches der restliche Körper hatte. Viel zu lange hatte sie schon in diesem Loch verbracht und viel zu lange war es her, dass sie den letzten Versuch der Flucht unternommen hatte. Die schmerzende Stelle knapp unterhalb der linken Brust erinnere sie genau in diesem Moment daran und ließ sie zusammenfahren. Die Augen kniff sie zusammen, besann sich aber schnell wieder einer geraden Haltung.
"Wenn du dem Ende ins Gesicht blicken willst, musst du aufrecht stehen." Murmelte sie vor sich hin. Worte, die einst ihr Vater sagte, bevor er aus dem Leben wich und sie somit in die Obhut dessen übergab, was der Anfang vom Ende sein sollte. Ein paar Schritte machte sie durch den Kerker, die sie auch schon wieder zur nächsten Wand brachten und so begann sie im Kreis die Wände abzulaufen. Erst langsam, dann aber immer festen Schrittes. Die Kraft schien allmählich der Müdigkeit der Knochen zu weichen.
Gerade als sie an der schweren Holztür vorüber schritt, öffnete sich der Spalt, der mit einem eisernen Schieber verdeckt wurde und ein grünes Augenpaar blickte der Gefangenen entgegen, die sich sogleich an die Wand unter das Fenster drückte. Die schwere Tür schwang auf und eine bullige Gestalt trat ein, die in eine Kettenrüstung gekleidet war, über welcher ein Wappenrock lag, der als Wappen eine schwarze Lilie auf gelbem Grund trug. Ein Nasenspangenhelm saß auf dem Kopf, der dadurch aussah, als würde er in diesen hinein gezwängt werden und das Metall des Helmes in jedem Moment nachgeben. Den mitgebrachten Teller stellte die scheinbare Wache auf den Boden ab, eh sie rückwärts wieder aus dem kleinen Kerkerraum hinaus trat und mit einem dumpfen Knall die Tür ins Schloss fiel. Nur der eiserne Schieber blieb geöffnet.
Von der Wand löste sich die junge Frau, um vor dem Teller auf die Knie zu gehen. Mehr als einen Kanten Brot, hauchdünn mit Fett bestrichen, gab es nicht und doch verschlang sie es, als wäre es ein Festmahl und das Beste, was sie jemals zu sich genommen hatte. Der hölzerne Teller blieb in der Mitte des Raumes ohne seinen einstigen Inhalt stehen.
Nachdem der letzte Bissen geschluckt war, setzte sie sich unter das Fenster an die Wand. Die Beine wurden ausgestreckt und die Hände stützten sich auf dem Boden ab, während ihr Blick auf dem noch geöffneten Spalt in der Tür ruhten. Dank diesem drangen nun die vielen Stimmen der Wachen und anderen Gefangenen besser hinein. Verständlich aber waren sie dennoch nicht, so sehr sie sich auch anstrengte, sie zu verstehen. Immer wieder sah man Schatten sich an der Tür vorüber schieben.
Wieviel Zeit innerhalb ihres Gefängnisses vergangen war, wusste sie nicht. Sie hatte nie begonnen die Tage zu zählen, die am Fenster vorüber gestrichen waren, in der Erwartung, dass man sie schon nach wenigen wieder gehen ließ. Dass dem nicht so war, dies wusste sie nun und wenn sie nicht schon am ersten Tag angefangen hatte, so brachte es nun auch nichts mehr.
Eine weitere Gestalt schob sich an der Tür vorüber, wendete sich um und kam zurück, sodass man die Augen durch den Schlitz hindurch sehen konnte. Die Iriden waren von einem Grün, welches mehr in ein Blau überging. Eine eher ungewöhnliche Augenfarbe, gerade wenn man bedachte, zu wem sie gehören mochten.
"Viacha." Erklang von draußen eine tiefe Stimme. Die Aussprache war so grazil und verschnörkelt, selbst bei diesem einen Wort. Einen Moment lang geschah nichts, eh neue Schritte hin zur Tür traten, durch die noch immer die Augen penetrant hindurch starrten. Ein kurzer, unverständlicher Wortwechsel, dann schwang die Tür auf und der Besitzer der grünblauen Augen trat ein. Die Bewohnerin der Zelle musste die Augen schließen, so sehr spiegelte sich das Licht der Sonne im goldenen, weit geschnittenen Gewand der Person wieder, die da hinein getreten war. Eine Körperstatur konnte man unter dem nicht erahnen, was wie ein Kleid wirkte, das Gesicht aber war von einigen kleineren Fältchen geziert und schmal geschnitten. Haare gab es nicht, weder am Kinn oder den Wangen, noch auf dem Kopf. Nur ein goldener Reif ruhte auf diesem.
Die strahlende Gestalt trat näher hin zu Rothaarigen und ging vor dieser in die Knie. Das Kinn wurde mit der Hand gepackt. Fest war der Griff nicht, aber er zwang das Mädchen, die Augen zu öffnen und in die ihr entgegen gerichteten zu blicken, woraufhin auch schon wieder von ihrem Kinn abgelassen wurde. Die Hand holte aus und verpasste ihr einen Schlag mit der flachen Hand auf die Wange, dass ihr der Kopf zur entgegen gesetzten Seite ruckte. Tränen stiegen ob des brennenden Schmerzes in ihre Augen. Keine davon rollte über ihre Wange. Diese Genugtuung wollte sie ihrem Peiniger nicht geben.
"Du hast mich nur anzuschauen, wenn ich das erlaube!" Waren die harschen Worte, die nicht zur Aussprache passesn wollten und auch nicht zur Tat. Dieser Mann war ein Widerspruch in sich. Den Blick senkte sein Opfer gen Boden.
"Ich hoffe, deine Henkersmahlzeit hat dir geschmeckt. Mehr wirst du in diesem Leben nicht mehr bekommen." Setzte er dann fort und sein Blick wanderte an dem mageren Körper hinab. An den weiblichen Rundungen blieb er für einen Moment hängen, gar so als würden ihm diese gefallen und die Hand streckte er auch schon aus, da riss ihn eine Stimme von hinten aus seinem Vorhaben:
"Priester Serliel, man erwartet euch bei den Vorbereitungen."
Mit einem Schnaufen erhob sich der Priester und wendete sich langsam hin zur Quelle der Stimme, die von der Wache ausging, die zuvor das Essen brachte. Feste, energische Schritte brachte das Goldgewand auf sie zu und für den Moment schien es, als wolle sie nach dem Gerüsteten ausschlagen, doch blieb es ruhig. Die Tür fiel ins Schloss, der eiserne Schieber verdeckte wieder den Sichtschlitz. Ruhe.
In Wellen schoss der Schmerz immer wieder in ihr hinauf, den die nunmehr rote Wange verursachte. Den Drang ihre Hand an diese zu legen kämpfte sie nieder und richtete das Blau der Augen wieder hin zur Tür, die da geschlossen ruhte. Ein sachtes Zittern des Körpers setzte ein. Sie wusste genau, von welchen Vorbereitungen die Rede war. In diesem Königreich war es üblich die zu verbrennen, die sich der Magie bedienten, doch eine andere Möglichkeit hatte sie nicht gesehen, sich ihres verhängnisvollen Peinigers zu erwehren. Ihre Herkunft erleichterte die Wahl der Strafe zusätzlich.
Fest schloss sie die Augen wieder um darüber nachzusinnen, wie sie ihrer aussichtslosen Lage entkommen konnte. Der Einsatz ihrer Magie wäre eine Möglichkeit, doch hatte sie die Befürchtung, dass man für diesen Fall bereits vorgesorgt hatte und so verwarf sie den Gedanken so schnell wie er kam. So sehr sie auch nachdachte, so wenig wollte ihr in den Kopf kommen und umso mehr sank sie an der Wand zusammen, bis sie halb liegend ruhte.
Ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf, der sie aufspringen ließ, was sie schnell ob der schmerzenden Knochen bereute und wieder in die Knie ging. Es konnte sie nicht von ihrem Vorhaben abhalten und so kroch sie auf allen Vieren schnell duch den Raum, um den Boden abzusuchen, ohne das zu finden, was ihr Begehr war. Die Unruhe stieg dadurch in ihr heran und die Suche wurde ungeduldiger. Aufgeben wollte sie nicht.
Als sie bereits ein drittes mal den gesamten Raum abgesucht hatte, fiel ihr Blick auf den Holzteller hin, zu dem sie auch schon schnell krabbelte und ihn anhob. Da war es, was sie wollte. Das Blatt, welches ihr in der Nacht gebracht wurde. Dieses nahm sie an sich und betrachtete es. Die feinen Rippen, die sich durch das grüngraue Pflanzenteil zogen und wie Adern wirkten. Die Ränder des Blattes waren glatt und fasste man es an, so merkte man die Stärke, die in ihm lag. Dieses Blatt stammte eindeutig von einem Baum aus einer unwirtlichen Gegend und sie wusste gnau von welchem Baum es stammte.
Trotz ihrer Idee hatte sie nun noch immer keinen Aufbewahrungsort für das Blatt, mit dem sie sich knieend auf dem Boden neben dem Holzteller niederließ und es anstarrte. Der Schmerz und die Kraftlosigkeit raubten ihr dabei die Konzentration und auch wenn sie immer wieder einen Gedanken zu fassen bekam, so entglitt er ihr doch wie ein glitschigerFisch, den man versuchte mit der bloeßn Hand aus dem Wasser zu fangen.
Die Kerkerzelle wurde von rotem Licht durchflutet, als sich ein weiteres Mal die Tür öffnete. Noch immer in der Mitte knieend fand man die unfreiwillige Einwohnerin in dieser vor, das Kinn auf das Brustbein gelegt und die Hände im Schoß verschränkt. Wie eine Statue saß sie da, ohne sich zu regen und hätte man nicht das leichte Heben und Senken der fast unbekleideten Brust gesehen, so hätte man sie schon für tot gehalten.
Die bullige Wache trat in Begleitung einer etwas größeren und hageren hinein. Auch der Priester begleitete die beiden Wachmänner, die die vermeindliche Hexe unter den Armen griffen und gewaltsam vom Boden aufzerrten. Gegenwehr leistete sie dabei nicht und den Marsch durch den langen, schmalen Gang, der die Zellen miteinander verband, erlebte sie nur bruchstückhaft.
Erst als man sie auf den Platz zerrte, der von hohen Mauern und Gebäuden aus hellem Gestein umgeben war, hob das rothaarige Mädchen wieder langsam den Kopf. Die wenig an das Licht gewöhnten Augen nahmen die Umgebung nur schleierhaft wahr. Durch eine Reihe von gaffenden Bewohnern der Feste und der umliegenden Dörfer in einfacher Kleidung aus groben Stoffen wurde sie geführt, eh man eine Reihe aus gerüsteten und bewaffneten Wachen passierte und sie schlussendlich vor einem einzelnen Mann niederwarf, der am Ende der Versammlung stand. Ein Blick hinauf brauchte es nicht um zu wissen, wer dieser Mann war.
"Eure Erhabenheit, verkündet bitte die Anklage." Sprach eine Stimme, deren Quelle die Knieende nicht identifizieren konnte und die sie auch noch nie zuvor gehört hatte. In ihrem dämmerhaften Zustand aber wäre dies auch bei einer bekannten Stimme schwer möglich gewesen.
"Burier Meltier, diese Nordländerin wird der Hexerei angeklagt. Sie wurde neben der Leiche eines Mannes im naheliegenden Dorf wiedergefunden, der von einer Ranke erdrosselt wurde, die eindeutig den ekelhaften und verabscheuungswürdigen Künsten dieser Frau zuzuordnen ist. Die Nutzung der Magie ist in unserem über alles erhabenem Königreich verboten und diese Art der Magie umso mehr." Verkündete die Stimme des güldenen Priesters laut und verständlich für alle. Die Worte schallten im Hofe von den Mauern wider und riefen ein bedrückendes Schweigen hervor.
"Danke, eure Erhabenheit." So sprach die tiefe Stimme , die zum Mann gehörte, vor dem sie kniete, der Burier, Herr dieser Festung. Die mit Leder behandschuhte Hand griff raschelnderweise nach ihrem Kinn und im Gegensatz zum Priester zuvor, war der Griff so fest, dass sie befürchtete, ihr Kiefer würde unter diesem nachgeben und brechen. Der Kopf wurde gewaltsam gehoben und sie blickte in ein paar von wiesengrünen Augen in einem Gesicht, welches nur wenig älter als das ihre war. Langes, braunes Haar umspielte dieses. Über der Oberlippe prangte einkunstvoll gezwirbelter Bart, wie es bei den Edlen des Reiches üblich war.
"Nordländerin, aufgrund eurer Geburt habt ihr keinerlei Recht euch zu verteidigen oder von einem anderem verteidigt zu werden, somit seid ihr meinen Worten ausgeliefert." Dröhnte die Stimme und der Griff vom Kinn löste sich. Der Mann schien sich wieder dem Publikum zuzuwenden.
"Volk von Lilienfieste, Kraft meines Amtes und meiner Rechtmäßigkeit zur Gerichtsbarkeit in diesen Mauern verurteile ich diese Frau zum Tode im Feuer, auf dass ihr Körper von den Flammen verschlungen und zur Unkenntlichkeit verbrannt werde und niemals auferstehen kann, wenn Miren uns wieder aufsucht, um uns in sein erhabenes Reich einzugliedern." Wurde das Urteil fester Stimme vom Burier verkündet und Jubel brach unter den Zuschauern aus, zu dem sich das Klatschen von behandschuhten Händen gesellte. Das Nicken des Buriers bemerkte sie noch, eh ihr Kopf wieder auf das Brustbein herabsank. Wie sie schon hierher geschleift wurde, brachte man sie nun zu dem Haufen von Holz, in dessen Mitte ein Pfahl stand, an welchen sie geschwind gebunden wurde. Der verschleierte Blick striff über die Menge, die sich enger um das Spektakel sammelte, abgeschirmt durch die in Gelb und Schwarz gekleideten Gerüsteten der Feste. Nur den Burier sah sie unter diesen nicht. Er stand noch immer an seinem Platz, so als würde er nicht zur Menge gehören und sich dem Spektakel nicht widmen wollen.
"Eure Erhabenheit Serliel, vollstreckt die Verurteilung." Hörte man die Worte vom Burier noch und in Ergebenheit folgte der Priester der Anweisung. Eine Fackel nahm er zur Hand, die von einer Wache mittels Feuersteinen entfacht wurde. Die Wärme des Feuers konnte die Angebundene schon auf dem Gesicht spüren und sah, wie das Werkzeug der Hinrichtung noch einmal weit erhoben wurde und somit Jubel aufbranden ließ. Dann sank sie nieder, auf das aufgeschichtete, trockene Holz und setzte dies allmählich in Brand.
Langsam spürte sie, wie die Hitze näher kroch und das Feuer sich auf sie zubewegte, wie Finger die nach ihr greifen wollten. Die feinen Glieder des nahenden Todes. Lautlos bewegte sie noch einmal die Lippen für ein kurzes Gebet und dann schluckte sie schwer hinab. Als das Feuer nach ihren Beinen griff, spürte sie den Schmerz nicht, den die sich erst rötende, dann Blasen schlagende und schlussendlich aufplatzende Haut verursachte. Gebannt sah die Menge zu, still und aufmerksam, wie die Flammen an der Rothaarigen knisternd höher wanderten und ihr grausames Werk verrichteten.
Und als die erste Flamme nach ihrem Gesichte schlug, spaltete sich das Feuer plötzlich vor ihr auf, als würde es etwas Platz machen, was in es getreten war. Eine schemenhafte Gestalt wurde immer sichtbarer, ohne aber wirklich an Klarheit zu gewinnen. Die Menge schreckte zurück und man hörte, wie die Schwerter aus den Scheiden der Wachen gezogen wurden, die einen schützenden Halbkreis um die Unbewaffneten bildeten.
Der Schemen hatte den in Schrecken zurückweichenden Bewohnern den Rücken zugewandt, aus dem einzelne Fäden dessen sprossen, aus was er bestand. Trotz dass es aber nur ein Schemen war, so war seine Stimme klar und deutlich:
"Diesen Tod hast du nicht verdient, liebste Lethia. Du warst mir so lange Wirtin und riefst mich in diese Welt, auf dass ich dir einen Wunsch erfülle, der nur von wahren Freunden erfüllt wird und ich möchte dir diese Art von Freund sein."
"Ihr feigen Nichtsnutze, greift an!" Rief die Stimme des Burier von Wut verzerrrt und die Männer, die ihm untergeben waren, blickten einander in schierer Angst an. Nur einer von ihnen fasste den Mut, um voran zu stürmen, auf das Feuer zu. Dem Beispiel folgten die anderen und so schoss ein Dutzend Wachen mit einem Dutzend Schwertern auf den Schemen zu und versuchten diesen zu durchbohren. Doch statt sie den Schemen durchbohrten, fanden ihre Schwerter erst nur Luft und dann verbranntes, gequältes Fleisch vor. Der Schemen verging und die Flammen umfassten die Wachen, die sich mutig dem Schemen entgegen geworfen hatten. Mit brennenden Wappenröcken rannten die Gerüsteten in alle Richtungen davon, gefolgt von der Menge, die versuchte die in Flammen stehenden Stoffe zu löschen und so ihre Träger zu retten. Nur der Burier stand noch ruhig an seiner Stelle und betrachtete die Frau, die am Pfahle hängend von zwölf Schwertern durchbohrt ihren Tod noch vor den Flammen gefunden hatte, zu denen er sie verurteilte. Die Schwerter verstörten ihn nicht und auch nicht die verbrannte Gestalt, sondern das Lächeln, welches auf den Lippen der einstmals Rothaarigen lag. 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.05.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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