Martina Wiemers

Aufrichtiges Beileid



„Mein aufrichtiges Beileid Frau Neumann“ sagte Dr. Sievers, setzte sich an den Küchentisch, stellte den Totenschein aus und notierte „Tödlich verlaufende infektiöse Lungenentzündung“ in sein Notizbuch. Er stand auf, verbeugte sich ehrfurchtsvoll vor der trauernden Witwe, zog die Bügelfalten seiner Hose glatt und verlies leise die Wohnung. Regina Neumann putzte sich mit ihrem neongelben Taschentuch geräuschvoll die Nase, tupfte die Tränen aus den rotgeweinten Augen und sah hinter der Gardine dem Arzt dabei zu, wie er in sein schon recht klappriges Dienstauto stieg. „Sicher der Keilriemen“, dachte sie bei den vergeblichen Startversuchen. Der alte Knacker könnte sich auch mal ein Neues leisten. Dieser Geizkragen verdient schließlich genug an uns Patienten.

Sie ging ins Schlafzimmer zu Robert, ihrem toten Mann, wusch ihn, griff zum erstbesten Handtuch und tupfte damit ein letztes Mal sein Gesicht trocken.Nach dem sie ihn zum Abschied auf die Wange geküsst hatte, sagte sie boshaft lächelnd in die Stille des Raumes: „Damit hast du wohl nicht gerechnet mein Lieber, wolltest mich für dumm verkaufen. Jetzt ist es aus und vorbei mit all diesem Firlefanz von Jungendwahn und Traumerfüllung. Hättest die beiden Tickets nach Amerika für Dich und dieses kleine Miststück von Vorzimmerdame nicht so offen im Büro rumliegen lassen sollen. Ich dachte zuerst, du hättest unseren Hochzeitstag, übrigens den 30., diesmal nicht vergessen und freute mich riesig.

Doch als ich es erwähnte und dieses Biest hinter meinem Rücken die Tickets in ihrem Schreibtisch verschwinden lassen wollte, wurde mir schlagartig klar, warum du im letzten Jahr geradezu süchtig nach der Arbeit im Büro warst.

Hast nie gemerkt, dass ich seit dem jeden Abend Schlaftabletten in dein Bier mischte. Lagst nächtelang allein laut schnarchend bei Minus 10 Grad und offenem Fester aufgedeckt in unserem Ehebett, während ich im warmen Wohnzimmer auf der Couch schlief. Die Lungenentzündung war nur eine Frage der Zeit. Schließlich hat mich deine Mutter jahrelang ermahnt auf deine Gesundheit zu achten. Verpimpelt wie du warst, hat dich die Grippe mit hohem Fieber und tagelangem Schüttelfrost auch sofort erwischt."

Regina richtete sich auf, tippte die Nummer des Beerdigungsinstitutes ins Handy und regelte schnell das Nötigste. Nach der Abholung des Leichnams von Robert zur Verbrennung, nutzte sie die Gelegenheit und kaufte sich im Möbelgeschäft nebenan ein neues Bett. Das wurmstichige ihres Mannes , lies sie am nächsten Tag mit dem Sperrmüll entsorgen.

Am offenem Grab vergießt Regina viele Tränen. Die Nachbarschaft versucht zu trösten, beschenkt sie mit eingekochter Marmelade, hausgeschlachteter Wurst und geizt auch nicht mit guten Ratschlägen. Sie erbt die Firma, entlässt das Miststück von Vorzimmerdame, frequentiert öfter Parship, sucht und findet dort immer gutaussehende und potente Partner, gönnt sich mit ihnen zauberhaften Firlefanz mit allem Drum und Dran, vermisst nichts und geniesst ihr Leben als selbstständige und starke Frau.

Im Frühjahr und Sommer geht sie regelmäßig mit frischen Blumen zu Roberts Grab und auch zum Totensonntag, im November, lässt sie sich beim Grabschmuck weder lumpen noch etwas nachsagen.

                                (C) Martina Wiemers

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