Hans Fritz

Brückeneis

 

Gerade und weniger gerade Wege führen zum Olymp der Literaten. Steinig sind sie alle. Um den ausserhalb der üblichen 'legalen' Normen angesiedelten Fall eines Romans geht es hier, wo Abgekupfertes mit Gold belohnt wird. Gelegenheit macht Diebe, auch solche geistigen Eigentums; auf dieser Basis beruht die hier präsentierte, frei erfundene Geschichte. Sollten die verwendeten Personennamen ihre Parallelen in der Realität haben, so ist das völlig unbeabsichtigt.
 

Vorgeschichte - Der Unfall

"Ah, da seid ihr ja, habt euch von der Brücke aus gemeldet und mitgeteilt, dass es eine halbe Stunde später werden könnte. Wegen eines Unfalls, euch sei aber zum Glück nichts passiert." So begrüsst Frau Agathe Schopfmüller ihre Tochter Sabine, die Apothekerin, und deren Lebensgefährten Jens Braunhöffer, den Bauleiter. "Ja nun sind es leider vierzig Minuten geworden", seufzt Sabine. "Macht nichts, Hauptsache ihr seid heil hier angekommen. Das Essen ist rasch aufgewärmt", beruhigt Frau Schopfmüller ihre beiden Gäste an diesem sonnigen aber kalten Samstagmittag im März.

Da stürzt Robert Pfullinger, der Arzt und Schwiegersohn, Sabines Schwager, in den Salon. "Entschuldigt meine Verspätung, hatte wieder mal Bereitschaftsdienst und einen Notfall zu versorgen. Droben auf der Brücke krachte ein Kleinlaster in einen Personenwagen, der Fahrer des PKW erlitt schwere Verletzungen, kam per Hubschrauber ins Hospital, war aber bei der Einlieferung bereits verstorben." "Wir waren Zeugen des Unfalls", sagt Jens. "Wie?" "Plötzlich gab es hinter uns einen einen furchtbaren Schlag und im Rückspiegel konnte ich erkennen, dass der Kleinlaster in den uns folgenden PKW geknallt war. Ich hielt an und fuhr langsam zurück bis nahe an die Unfallstelle, wo Sabine erst einmal die Notrufnummer wählte. Wir versuchten den Fahrer des PKW aus seiner misslichen Lage zu befreien, es gelang aber nicht. Andere Leute, die hätten helfen können, waren da nicht." "Doch schon Minuten später trafen Polizei und Rettungsdienste ein. Das Übliche", ergänzt Sabine, "so wie es täglich die Medien präsentieren." Jens berichtet: "Der Kleinlaster, der uns entgegen kam, fuhr, so schien es mir, trotz der Glätte viel zu schnell. Vorsichtshalber fuhr ich äusserst rechts, einen guten halben Meter über den Streifen." "Ich hatte Jens vor unserer Abfahrt noch vor dem heimtückischen Eis gewarnt, das sich oft im Morgengrauen auf der Brücke bildet, selbst wenn das Thermometer vorm Haus ein paar Plusgrade anzeigt", sagt Sabine. "Darfst du den Namen des Verunfallten PKW-Fahrers nennen, Robert? Ich müsste mich sehr getäuscht haben, wenn es nicht der Franz Milltaler von der Gebäudeversicherung war, der Bruder meiner Freundin Monika Kerbner drunten in der Altstadt." "Ja, er ist es gewesen", bestätigt der Arzt. "Auch der Fahrer des Kleinlasters kam vorsorglich ins Hospital. Ausser einem schweren Schock hatte der aber nichts, was einer Behandlung auf der Unfallstation bedurft hätte." "Wir sahen den Mann aus seiner Führerkabine klettern und wild gestikulierend umherirren. Wir versuchten erst gar nicht ihn anzusprechen. Das überliessen wir dem Notfallpersonal", sagt Sabine.

Inzwischen ist Bettina Pfullinger, die Heilpädagogin und Sabines ältere Schwester, aus der Küche in den Salon gekommen und fragt ob Frau Burger, die Aufwartefrau, nun das Essen servieren könne. "Ja, das kann sie", sagt Agathe. "Zu Tisch, zu Tisch, nehmt eure Stammplätze ein." "Darf ich einen Wein aus dem Keller holen?" fragt Hausherr Theodor Schopfmüller. "Ich hätte da einen besonders guten Tropfen -" "Ich glaube aus Solidarität mit Jens und Robert, die heute noch fahren müssen - vielleicht auch Sabine oder Bettina - sollten wir mit alkoholfreien Getränken vorlieb nehmen", mahnt Agathe. "Ja, du hast Recht, wie immer", sagt der Weinkenner kleinlaut.

Ein vernünftiges Tischgespräch will nicht aufkommen. Das Wenige, das gesprochen wird, dreht sich um den Unfall auf der Brücke. "Es hätte genausogut uns treffen können", meint Sabine. "Hat es aber nicht. Seid dem Schicksal dafür dankbar", sagt ihre Mutter.

Bettina versucht das Gespräch zu wenden. "Sabine, hast du mir den 'Stillen Don' mitgebracht, das Buch, das ich so gerne einmal lesen möchte?" "Ja, hätte ich fast vergessen, liegt noch im Wagen." "Na ja, hat Zeit bis später." "Das Buch gilt als das Hauptwerk des russischen Literaturnobelpreisträgers Michail Scholochow und ist von manchen Kennern zum Bürgerkriegsepos stilisiert worden", doziert Herr Schopfmüller, pensionierter Lehrer für Deutsch und Geschichte. "Der Dichter soll den Text jedoch von einem Offizier namens Fjodor Krjukow übernommen haben, um es vorsichtig auszudrücken. Die These wurde immer wieder verworfen, erhielt aber gerade in neuerer Zeit wieder Auftrieb." "Da steckte doch der sowjetische Geheimdienst dahinter", glaubt Robert zu wissen. "Das sind doch alles aschgraue Theorien, mit denen wir uns gar nicht erst beschäftigten sollten", meint Agathe. "Ja, die Sache wird wohl niemals restlos geklärt werden", findet Sabine. "Richtig, was soll uns das alles kümmern", sagt Bettina, "Hauptsache das Buch ist spannend."

"Wo sind eigentlich die Kinder, Bettina?" möchte Sabine wissen. "Silke und Peter haben sich gegen elf verabschiedet, sind zu einem Kindergeburtstag bei Schumanns drüben in der Gartenstadt eingeladen worden. Sie lassen schön grüssen." "Wie ich mitbekommen habe, soll trotz der Kälte im Garten gegrillt werden", sagt Agathe, "das gefällt mir, ehrlich gesagt, gar nicht". "Sie haben ihr dickes Zeug mit und die Wollmützen", beruhigt Bettina.

Sabine und Jens verabschieden sich am späten Nachmittag. "Müssen wir unbedingt wieder über diese schreckliche Brücke, Jens?" "Ja schon, das ist der direkte Weg." "Gibt es einen indirekten Weg?" "Ja, über den Viadukt der Schnellstrasse. Doch das würde heissen, erst mal durch die Waldallee. Aber die ist sehr heikel, besonders in der Abenddämmerung, wenn da noch viele Wagen unterwegs sind. Ausserdem wäre das Ganze ein Umweg von gut zwölf Kilometern". "Na gut, fahren wir geradewegs über unsere Brücke."

"Jens, ich glaube hier war die Stelle -" "Ja. Jetzt herrscht da ein richtiger Kolonnenverkehr und glatt ist es mit Sicherheit nicht mehr." Bald ist die Brücke geschafft und die verbleibende kurze Strecke nach Hause auch.

 

Im Reformhaus

Zwei Wochen nach dem Unfall auf der Brücke schlägt Sabine vor, Franz Milltalers Schwester, der Frau Kerbner, einen Besuch abzustatten. Jens zeigt sich zunächst wenig begeistert, willigt dann aber ein. Ein Spätnachmittag wird vereinbart, als Treffpunkt das Reformhaus, dessen Inhaberin Monika Kerbner seit vier Jahren ist. Sie hat sich vor zwei Jahren von ihrem Mann getrennt und bewohnt nun allein ein kleines Appartement über dem Warenlager.

"Folgt mir in den kleinen Raum nebenan", fordert Frau Kerbner ihre Gäste auf. "Der Raum dient mir als Büro, wo ich auch, an dem runden Tisch hier, meine Ernährungsberatungen abhalte". "Lassen sich viele Kunden beraten?" fragt Sabine. "Ja schon. Die meisten kaufen dann auch etwas, und wenn es nur eine Packung Kräutertee ist." "Mir darfst du einen Melissentee verkaufen, Monika." "Den führst du nicht in deiner Apotheke?" "Nicht mehr. Wir haben fast nur noch Kamillentee, Lindenblütentee und Fencheltee im Sortiment. Die meisten Tees bekommen die Leute heute, wenn nicht bei dir im Reformhaus, gut und günstig in den Reformecken der Supermärkte. Monika, es tut uns unendlich leid mit deinem Bruder -" "Ich glaube, ich kannte ihn dem Namen nach", sagt Jens. "Was ich gebaut habe hat er versichert". "Franz ging ganz in seinem Beruf auf, lebte allein und pflegte wenig Konkakt mit Nachbarn", erklärt Monika. "Von seinem beachtlichen Lottogewinn vor vier Jahren gab er mir einen schönen Batzen ab und ich konnte das Reformhaus, das ich von einem Onkel übernommen hatte, endlich renovieren. Der Eigentümer des Grundstücks genehmigte sogar den kleinen Anbau, in dem wir es uns gerade bequem gemacht haben." "Hattest du mir nicht früher einmal erzählt Franz würde Geschichten schreiben, so als Hobby?", fragt Sabine die Freundin. "Ja. Ich habe auf seinem Schreibtisch eine Mappe mit einem Manuskript gefunden. In der Seitentasche steckte ein noch nicht verschlossener Brief an einen Tendorverlag in Frankfurt am Main. Im Brief bittet er das Lektorat um Prüfung des Manuskripts zwecks Eignung für den Druck, undsoweiter. Auch eine CD liegt bei, wahrscheinlich mit einer Kopie des Textes. Ich möchte sein hinterlassenes Werk gerne dem Verlag schicken, mit der Schilderung der Umstände -." "Stand Franz mit dem Verlag schon in Verbindung?" fragt Sabine. "Soviel ich weiss, nein. Wie seine äusserst sorgfältig geführte Korrespondenz, die ich in seinem Computer aufgespürt habe, zeigt, deutet nichts darauf hin, dass er mit dem Verlag schon Kontakt aufgenommen hatte. Ich habe die Mappe übrigens hier in meinem kleinen Safe abgelegt." Sie öffnet den Safe und zieht eine dicke schwarze Mappe hervor. "Sehen Sie, das ist sie", erklärt sie Jens, der neugierig die Mappe betrachtet. "Wissen Sie, Frau Kerbner, ich habe nächste Woche in Frankfurt zu tun, da könnte ich doch das ganze Bündel, so wie es ist, beim Lektorat abgeben." "Das wäre sehr nett, wirklich sehr nett, Herr Braunhöffer -" "Jens -" "Jens - und ich bin Monika." "Mache ich doch gerne, Frau - pardon, Monika." Beim Abschied verspricht Sabine der Freundin ihr öfter eine Mail, warum nicht auch mal einen richtigen Brief zu schreiben.

 

Der Entschluss

Wieder zu Hause, sagt Sabine zu Jens, als er Franz Milltalers Manuskript aus der Mappe zieht, die er auf der Kommode im Flur abgelegt hat: "Du, zeig mal her. Das scheint in den Weiten Kanadas zu spielen. Wird sicher ein gutes Buch". "Ja, ganz bestimmt". "Doch wie reagiert der Verlag, wenn der Verfasser inzwischen verstorben ist?" "Das ist nicht unsere Sorge." "Vielleicht kann Monika das unter ihrem Namen herausbringen." "Warum nicht ich unter meinem Namen, ich meine unter unserem Namen -" "Jens, wie meinst du das? Du willst doch nicht etwa -?" "Doch, ich will. Ich habe mir das auf unserem Nachhauseweg durch den Park genau durch den Kopf gehen lassen." "Ah, deshalb warst du ganz gegen deine Art so schweigsam." "Ich wollte schon immer mal ein Buch schreiben, kam nur nie dazu. Auf eine so elegante Weise käme ich dazu ohne einen Finger zu rühren -" "Nein Jens, das kannst du doch nicht machen", zürnt Sabine. "Doch, doch das kann ich. Ausserdem ist das Ganze sowieso nicht mehr und nicht weniger als ein Lotteriespiel. Das Manuskript muss ja erst einmal begutachtet werden, ob es dann jemals gedruckt wird ist eine andere Sache." "Wenn du unbedingt willst, dann tu's, aber ohne mich. Im Übrigen gibt es heute ganz andere Wege der Buchveröffentlichung." "Ja, ich weiss, was du meinst, Sabine. Aber der Milltaler hatte gemäss seinem Brief nun einmal vor, das Manuskript beim Tendorverlag ganz konventionell als ein Buch der guten alten Form gestalten zu lassen, das wenigstens sollten wir respektieren. Wenn der Verlag ablehnt, können wir uns immer noch etwas anderes überlegen." "Wieso immer wir, ich möchte mit der Sache nichts zu tun haben." "Lass mich nur machen." "Weisst du auch, dass du dich des Plagiats und der Verletzung von Urheberrechten schuldig machen würdest? So wie vielleicht Scholochow?" "Ach, Der Stille Don lässt grüssen. Das ist doch etwas ganz anderes. Wer sollte von unserer, entschuldige, meiner Aktion Wind bekommen?" "Vielleicht niemand. Aber was ist, wenn die Monika beim Verlag nachfragt, was aus Franz' Buch geworden ist?" "Verdammt - ich muss den Titel ändern, evtl. auch den Klappentext, soweit der etwas über den Autor verbreitet. Da muss uns in den nächsten Tagen noch etwas einfallen. Ich weiss schon den Titel: 'Ein freies Leben mit Bär und Elch' - " "Das ist doch kindisch". "Nein, finde ich gar nicht. Für alle nötigen Änderungen, also Titel, Autor, Klappentext leistet die CD, wie ich hoffe, gute Dienste. Ich kopiere den ganzen Text in ein eigenes Dokument, bringe die Änderungen an und drucke das Ganze aus. Auf jeden Fall muss Milltalers Name weg, egal an welcher Stelle er erscheint. Das Endprodukt bekommt dann der Verlag." "Wie heisst eigentlich der Originaltitel des Romans?" "Im Abendgold. Das ist sowieso kein schöner Titel, zu nüchtern, banal und abgegriffen." "Um was geht es in dem Roman eigentlich?" fragt Sabine. "Moment, hier ist ein Extrablatt mit dem Klappentext. Ein älteres Ehepaar sagt Deutschland Lebewohl und verbringt seinen Lebensabend im kanadischen Urwald, in einer Blockhütte -" "Mein Gott, nein, das ist doch fade, klischeehaft und abgedroschen, das liest doch kein Mensch." "Vielleicht doch, warten wir's ab." "Hoffentlich kommt darin keine Elchjagd vor, das wäre furchtbar." "Und wenn erst ein Elch knutscht -" "Übrigens, Jens, wenn du Unterstützung in der Bereinigung von Schilderungen der Landschaft und der Pflanzen- und Tierwelt brauchst, könnte ich helfen." "Darauf werde ich gegebenenfalls gerne zurückkommen. Wie, du bist nun ganz plötzlich doch interessiert?" "Nicht gerade voller Enthusiasmus, aber was bleibt mir andres übrig als mitzumachen. Mitgefangen, mitgehangen." "Warst du schon mal in Kanada, Sabine?" "Nein, ich habe nur viel über dieses schöne Land voller Geheimnisse gelesen." "Vielleicht erkennen wir uns später selbst einmal in jenem Ehepaar wieder, dann bekäme die Geschichte im Nachhinein einen autobiografischen Touch", meint Jens. "Einen Sommer lang in einer Blockhütte inmitten einer noch fast unberührten Natur zu hausen fände ich wahnsinnig aufregend", schwärmt Sabine.

 

Beim Verlag

Der Tendorverlag hat erst vor kurzem in einem kleinen, rot getünchten Bürogebäude am Rande eines kleinen Parks die unteren drei der fünf Stockwerke bezogen. Jens hat die Mappe mit dem Manuskript unter den linken Arm geklemmt, zwängt sich durch die Drehtür am Haupteingang und geht auf einen Schalter zu, der so etwas wie eine Pförtnerloge sein könnte. Aber da ist niemand. Nach einigen Minuten gespannten Wartens betritt der hoffnungsvolle Leihschriftsteller den Lift und fährt aufs Geratewohl zur ersten Etage. Dort befinden sich nach seiner Erfahrung immer die wichtigsten Räume und die wichtigsten Personen. Ein paar Leute schleppen Papier in Hängemappen von einem Raum zum anderen. Wahrscheinlich sind es unverlangte Manuskripte, die ein Heer von Angestellten zurücksenden oder sonstwie entsorgen muss. Jens sieht seinen, das heisst Franz' Roman schon den gleichen Weg nehmen, das gleiche Schicksal erleiden.

Da steht eine Tür offen. Hinter einem gläsernen Tisch beugt sich eine ganz in Schwarz gekleidete Dame über eine Datei. "Schönen guten Tag, was wünschen Sie?" spricht sie Jens freundlich an, ohne aufzublicken. "Mein Name ist Jens Braunhöffer. Ich, ich habe da ein Manuskript -" "Nein, nicht schon wieder", klagt die Dame händeringend und fügt in belehrendem Unterton bei: "Uns werden Manuskripte normalerweise mit der Post zugestellt, mein Herr. Sie hatten wohl noch nie mit einem Verlag zu tun und kennen diese Gepflogenheit nicht?" "Nein, ich dachte nur -" "Ist wohl Ihr Erstlingswerk? Na, lassen Sie mal hier. Das Kilo Papier können wir auch noch stapeln. Aha, wie ich sehe ist die heute übliche CD auch dabei, schön." "Danke, danke, vielen Dank Frau -" "Klaring -" "Ah ja, Entschuldigung, steht ja draussen an." "Gut. Um es kurz zu machen, Herr Bornhöffer -" "Braunhöffer -" "Oh, nun muss ich um Pardon bitten. Also, Herr Braunhöffer, Sie bekommen von uns Bescheid, aber das kann eine Weile dauern. Machen Sie sich in der Zwischenzeit keine grossen Hoffnungen. Wir bekommen nämlich Manuskripte wie Ihres täglich waschkörbeweise." "Ja, kann ich verstehen. Bei dem guten Ruf, den der Tendorverlag geniesst." "Wie war noch mal der Titel Ihres Manuskripts? Ah, hier ist ja das Titelblatt: Ein freies Leben mit Bär und Elch. Nun ja. Wenn ich mich richtig erinnere, Herr Braunhöffer, hat mir vor ein paar Monaten ein früherer Mitarbeiter unseres Verlags den Hinweis auf einen nach seiner Ansicht sehr gelungenen Roman gemailt, der in Kanada spielen soll und den er wärmstens empfehlen könne. Von Einwanderern und wilden Tieren sei da die Rede. Das Lektorat solle das Manuskript wohlwollend prüfen. Wissen Sie etwas von dieser Empfehlung, Herr Braunhöffer?" "Nein, davon habe ich keine Ahnung. War wohl ein anderes Manuskript gemeint. Rein zufällig spielt meine Geschichte auch in Kanada." "Tja, solche Zufälle gibt es immer wieder", sagt die Lektorin mit Kennerblick. Als sie sich anschickt Jens' Mappe zu schliessen, fällt eine Visitenkarte aus einer kleinen Seitentasche. "Wer ist Herr Franz Milltaler, Gebäudeversicherungen?" "Wieso?" "Steht auf dem Kärtchen, das soeben aus Ihrer Mappe gefallen ist." "Ah so, ja. Das ist die Visitenkarte eines Freundes, den ich demnächst aufsuchen muss. Darf ich das Kärtchen haben?" "Ja, natürlich, ich brauche es nicht. Bitte, hier ist es. Tja, das wär's dann fürs Erste, Herr Braunhöffer." "Haben Sie vielen herzlichen Dank für Ihr Interesse an meinem Manuskript, Frau Klaring, Aufwiedersehen!" Jens verabschiedet sich hastig. "Aufwiedersehen, vielleicht bis bald, Herr Braunhöffer", ruft Frau Klaring Jens nach, als er schon draussen auf dem Flur ist und auf den Lift zueilt.

'Vielleicht bis bald' - wenn das keine Hoffnung macht. Weiss der Teufel, wem der Milltaler eine Kopie geschickt hatte und wer das Papier dem Verlag empfohlen hat. Vielleicht ein guter Freund, dem er es zur kritischen Durchsicht anvertraut hatte? Die Sache gefällt mir gar nicht. Und dann die Visitenkarte! In diesem Augenblick wünscht sich Jens, dass schon bald ein abschlägiger Bescheid vom Verlag kommt und die ganze Aktion rasch in Vergessenheit gerät.

 

Die Nachricht

Drei Monate später erhält Jens einen dicken Brief vom Tendorverlag. Kaum hat er den Umschlag geöffnet, als ihn Sabine mit Fragen bedrängt: "Vom Verlag? Was steht drin? Ist der Roman angenommen?" Und Jens liest, gelassen, Ruhe vortäuschend: "Sehr geehrter Herr Braunhöffer, wir freuen uns Ihnen mitteilen zu können, dass wir grundsätzlich bereit sind Ihr Werk zu veröffentlichen. Die Geschichte ist sehr gelungen. Selten erhalten wir ein so sorgfältig ausgearbeitetes Manuskript. Als Beiblatt zum Korrekturabzug finden Sie die Auflistung einiger Anmerkungen und Fragen von Seiten des Lektorats, die wir Sie zu beachten bzw. innerhalb der nächsten zwei Wochen zu beantworten bitten. Auch hätten wir gerne eine Kurzbiografie von Ihnen. Teilen Sie uns bitte ferner mit, ob Sie mit der sprachlichen Überarbeitung des Klappentextes einverstanden sind. mfg. Ihr Tendorverlag. Ein Vertrag liegt bei." "Ja, Jens, wer hätte das gedacht! Nun heisst es den Vertrag unterschrieben zurückzusenden, am besten zusammen mit dem korrigierten Text . Ohne einen gültigen Vertrag läuft da gar nichts." "Und wenn ich vom Vertrag zurücktrete?" "Wie, was? Jetzt wo es wider Erwarten ernst wird -" "Hast Recht, Sabine, wir ziehen die Sache durch!"

Jens akzeptiert die Änderungs- und Ergänzungswünsche des Lektorats kommentarlos. Sabine bügelt einige Unebenheiten in den Naturschilderungen aus. So nimmt die Sache ihren Lauf. Schon bald erhält Jens seine Autorenexemplare und fühlt sich allen seinen Machenschaften zum Trotz als ein stolzer Schriftsteller, der mit seinem Erstlingswerk brilliert.

Da muss sich Sabine der unangenehmen Aufgabe stellen Freundin Monika am Telefon zu täuschen, als diese von ihr Auskunft über Franz' Buch erbittet. "Sabine, ich habe beim Tendorverlag nachgefragt. Weder ein Autor namens Franz Milltaler noch ein Manuskript mit dem Titel 'Im Abendgold' sind dem Verlag bekannt. Jens hat das Manuskript doch abgegeben?" "Ja natürlich, Monika, natürlich. Vielleicht ist es beim Verlag in einer Riesenmenge von Papier untergegangen. Jens wird selbst noch einmal nachfragen." "Das wäre gut. Aber was soll's eigentlich, Franz hätte doch nichts mehr davon, falls das Buch tatsächlich gedruckt worden wäre." "Ja da hast du recht, Monika, er hätte nichts mehr davon."

 

Die Lesung

Die Buchhandlung J.W. Müller befindet sich In einer ebenso stillen wie dunklen Gasse, ein wenig abseits vom umtriebigen Leben der Hauptstrasse. Der richtige Ort für Kenner und Literaturliebhaber. Ein leicht angerostetes Schild mit der krakeligen Aufschrift Buchhandlung und Antiquariat lehnt im Schaufenster an einem Kandelaber von der Art, wie sie der Flohmarkt für einen Euro fünfzig feil bietet.

Es ist zehn Uhr dreissig, eine halbe Stunde nach Ladenöffnung und eine halbe Stunde vor der Autorenlesung. Jens öffnet schwungvoll die Ladentür. Ein Gong mit sonderbar exotischem Klang kündigt die Kunden an. Frau Alexandra Schimbke, die Buchhändlerin und derzeitige Ladeninhaberin schiebt einen schweren blauen Vorhang zur Seite, bezieht hinter der Theke Stellung und begrüsst die beiden Ankömmlinge: "Guten Tag die Dame, guten Tag der Herr. Sie sind heute meine dritten Kunden -" "Verzeihung, Frau Schimbke, wir kommen wegen der Autorenlesung -" sagt Jens ein wenig schüchtern. "Da sind Sie die Ersten, na ja, ist ja auch noch früh -" "Ich bitte nochmals um Verzeihung, Frau Schimbke, ich bin der Autor, Jens Braunhöffer ist mein Name -" "Oh, entschuldigen Sie, das habe ich nicht gewusst, Sie sind also der Autor, beim Tendorverlag -" "Ja, und das ist Frau Sabine Schopfmüller, meine Begleiterin". Frau Schimbke reicht nun beiden die Hand. Sabine hat ein besonderes Gespür für das, was in anderen Menschen in einer Situation, die sie nicht ganz beherrschen, vorgeht und glaubt nun bei der Buchhändlerin eine gute Portion Unsicherheit festzustellen. "Der dunkelgraue, rotgestreifte Hosenanzug der Buchhändlerin ist so etwas von unmodisch -" flüstert sie Jens zu. "Aber die schicke rahmenlose Brille steht ihr gut", flüstert Jens zurück.

Frau Schimbke schiebt einen kleinen runden Tisch in die äusserste rechte Ecke der Türfront und stellt einen Korbsessel mit abgewetztem Bezug davor. "Das ist, wie ich meine, ein guter Platz für Sie zum Lesen, Herr Braunhöffer. Paul, bring bitte die Stühle nach vorn", ruft sie in einen Nebenraum, der zum Laden hin durch eine Falttür abgeschlossen werden kann. Ein älterer Mann mit speckiger brauner Jacke und schwarzer Schiebermütze erscheint, zwei Stühle schleppend. Mit einem knappen "Tag wohl" begrüsst er die Gäste. "Wir brauchen alle achtzehn Stühle, Paul. Das ist übrigens Herr Blumfeld, der das oberste Stockwerk des Hauses bewohnt und mir gelegentlich im Laden aushilft." Mit einer Behendigkeit, die die Gäste dem Mann kaum zugetraut hätten, platziert der Helfer die Stühle in drei Reihen vor der Ladentheke. "Aber bitte nach dem Rednertisch ausrichten", schilt Frau Schimbke. Ohne Murren führt der Mann den Befehl aus. Kaum sind die Stühle wunschgemäss aufgestellt, als vier Leute den Laden betreten. "Wir kommen wegen der Autorenlesung", spricht eine Dame in zinnoberrotem Kostüm. "Ja, bitte nehmen Sie schon Platz", begrüsst Frau Schimbke die neuen Gäste. "Herr Braunhöffer wird bald mit seiner Lesung beginnen. Wer einen Kaffe möchte, dort rechts neben der Tür ist ein Automat aufgestellt. Zum WC geht es durch den Vorhang nach hinten."

Sabine hat sich einen Aussenplatz in der dritten Reihe ausgesucht. "Warum so bescheiden?" fragt Frau Schimbke. "Ich möchte anderen nicht einen guten Platz wegnehmen. Ich kenne ja Autor und Roman zur Genüge." "Ja so", sagt Frau Schimbke und wendet sich Jens zu. "Tja, Herr Braunhöffer, Ihr Roman ist ein goldener Tropfen im grossen grauen Ozean der Belletristik, wie ich finde." "Danke für das Kompliment, Frau Schimbke, Sie haben natürlich, allein schon von Berufs wegen, ein gutes Gespür für Poesie", schmeichelt Jens.

In buchstäblich letzter Minute betritt ein gross gewachsener Mann in ausgebleichten Jeans, mit rabenschwarzer Jacke und rotem Rucksack den Laden. Es sind gerade noch zwei Plätze in der ersten Reihe frei. Der Mann stürmt auf den einen freien Stuhl zu, nimmt seinen Rucksack ab und wirft ihn unter den Sitz. "Da hat der aber Glück gehabt", raunt Frau Schimbke Sabine zu, die neben ihr auf ihrem reservierten Stuhl Platz genommen hat. Erst jetzt bemerkt Jens, dass weder auf der Theke noch auf auf dem Beistelltischchen rechts neben dem Vorhang die zum Signieren und für den Verkauf bestimmten Exemplare seines Buches ausliegen. Bevor er Frau Schimbke nach dem Grund der offensichtlichen Versäumnis fragen kann, schiebt Paul einen Teewagen heran, der mit mindestens dreissig Büchern beladen ist.

"Herr Braunhöffer, darf ich Sie nun bitten zu beginnen", eröffnet Frau Schimbke die Lesung. Jens zieht sein Exemplar aus seiner altertümelnden Aktentasche und möchte beginnen. Fragend schaut er nach dem seltsamen Besucher, der fast zu spät kam, nun mit verschränkten Armen dasitzt und einen scharfen, fast feindseligen Blick auf Jens richtet. 'Nun, da stehe ich drüber, der soll mich nicht stören', denkt Jens. Und er beginnt: "Es war eine dieser lauen Sommernächte -" So geht es eine geschlagene halbe Stunde lang. Kein Kunde ist eingeschlafen, alle zeigen sich am Ende der Lesung sichtlich zufrieden und belohnen Jens mit bescheidenem Beifallklatschen. Allein der unheimliche Gast klatscht nicht, lässt aber ein Buch signieren, zahlt mit seiner goldenen Kreditkarte, verstaut den Kauf in seinem Rucksack, nimmt nochmals Platz und wartet bis alle anderen Buchkäufer gegangen sind. Nun verabschiedet er sich mit einem scharfen, auf Jens gerichteten 'Bye-bye' und eilt aus dem Laden, so hastig, dass der Gong ein laut tönendes Crescendo hören lässt.

Die Buchhändlerin hat sich unterdessen, offenbar von allen unbemerkt, hinter den Vorhang zurückgezogen. Jens und Sabine warten eine gute Viertelstunde auf die Frau um sich zu bedanken und zu verabschieden. Als sie nicht kommt, verlassen sie den Laden. Dabei bemerkt Sabine, dass Frau Schimbke ein Schild mit der Aufschrift Heute Vormittag keine Bedienung. Autorenlesung! an die Tür geheftet hat. "Ich finde die Begleitumstände der Lesung sonderbar und diese Frau Schimbke, gelinde gesagt, unhöflich", bemerkt Sabine draussen. "Warum? Ich habe gelesen und alle Zuhörer kauften ein signiertes Exemplar -" "Ja schon, aber trotz allem. Der Mann mit dem starren Blick war mir nicht ganz geheuer." "Du meinst doch nicht etwa -" "Ich meine gar nichts. Gehen wir doch erst mal dort drüben ins Restaurant. Es ist klein aber fein, ich kenne es von früher." "Das ist wieder einmal eine deiner grossartigen Ideen", sagt Jens, "ich stimme voll zu."

Da kommt es, wie es kommen muss - an einem Katzentisch nahe der Tür hat bereits der Starrblicker Platz bezogen und bekommt gerade ein Bier serviert. Jens und Sabine schenken dem Mann keine Beachtung und streben auf den Tisch am hintersten Fenster zu, wo sie der Mann nicht sehen kann - wie sie meinen.

Beim Genuss der legendären Mandelcreme meint Sabine: "Tja, Jens, alles in allem ist es mit der Lesung doch gut gelaufen." "Sagte ich doch. Ich bin durchaus zufrieden und freue mich schon auf die Lesung bei der Leipziger Buchmesse." "Die Messe findet ja erst nächsten März statt. Aber bis dahin werden sich noch einige Buchhandlungen melden." "Ja, wie ich hoffe."

 

Der Brief

Zwei Wochen sind seit der Autorenlesung vergangen, als Jens einen eingeschriebenen Brief erhält. Absender ist H. Pfundig, Frankfurt am Main. "Wer schickt mir aus Frankfurt einen eingeschriebenen Brief?" begrüsst Jens Sabine als sie von ihrem Einkaufsbummel zurückkommt. "Vielleicht jemand vom Verlag -" "Kann sein, na ja, wir werden sehen." Jens öffnet den Brief mit einem gewissen Unbehagen, als ahne er etwas Schlimmes. Sollte er Recht behalten?

"Sehr geehrter Herr Braunhöffer,

Sie werden sich sicher an den 'Mann mit dem roten Rucksack' erinnern, der Ihnen bei der Autorenlesung in der Müller'schen Buchhandlung aufmerksam zugehört hat.

Um es kurz zu machen: Das Buch, Herr Braunhöffer, das sie dort präsentiert haben, ist das Werk meines Freundes Franz Milltaler. Er kam nicht mehr dazu, es dem Verlag zu schicken. Das haben Sie offensichtlich an seiner Stelle getan, dabei in schamloser Weise den Titel geändert und den Roman unter Ihrem Namen veröffentlicht. Herr Milltaler hatte mir nämlich vor ein paar Monaten eine Kopie nach New York, wo ich zur Zeit wohne, geschickt. Ich habe ihm geschrieben und zugesichert, dass das Buch mit Sicherheit grossen Anklang finden würde. Ich empfahl den Tendorverlag, für den ich während meiner Frankfurter Zeit als 'Halbtagslektor' gearbeitet hatte. Ich informierte, natürlich mit Franz' Einverständnis, den Verlag über ein dort demnächst eingehendes, sehr beachtenswertes Manuskript. Ich schilderte mit wenigen Worten den Inhalt. Leider hatte ich versäumt, dem Verlag Autor und Originaltitel mitzuteilen. Das ist ein unverzeihlicher Fehler meinerseits.

Frau Monika Kerbner, Franz' Schwester, die mich über dessen tragisches Geschick unterrichtet hat, teilte mir ein paar Tage später in einem weiteren Schreiben mit, dass der Lebensgefährte ihrer Freundin Sabine Schopfmüller, angeboten habe, das aufgefundene Manuskript persönlich beim Tendorverlag in Frankfurt abzugeben.

Als Fürsprecher meines verstorbenen Freundes Franz Milltaler mache ich Ihnen, Herr Braunhöffer, folgenden Vorschlag zur Güte, bei dessen Befolgung Ihrerseits wir jede Art von juristischem Aufwand vermeiden könnten:

Erstens. Überweisen Sie das Autorenhonorar, abzüglich Ihrer Unkosten, der Frau Kerbner. Zweitens. Fügen Sie den noch nicht ausgelieferten Exemplaren - wie, ist Ihre Sache - eine Widmung bei: 'Im Andenken an Herrn Franz Milltaler, der den Entwurf zu diesem Buch verfasst hat'. Ich möchte dem Verlag, mit dem ich stets gut zusammengearbeitet hatte, weitere Peinlichkeiten ersparen. Drittens. Verzichten Sie auf weitere öffentliche Lesungen.

Im Weiteren wünsche ich keine Korrespondenz mit Ihnen zu führen. Wenn Sie den Brief erhalten, bin ich schon auf dem Weg zurück nach New York.

Frau Kerbner habe ich über Ihr Tun informiert. Sie zeigte sich besonders darüber entsetzt, dass Ihre Gefährtin, Frau Sabine Schopfmüller, in nicht geringem Masse an dem offensichtlichen Betrug beteiligt war.

Horst Pfundig.

Nebenbei: Ich mochte Sie in der Buchhandlung, während oder nach der Lesung, nicht auf die leidige Sache ansprechen, um jedes Aufsehen zu vermeiden. Das hätte Sie und Ihre Begleiterin, aber auch Frau Schimbke, letzten Endes auch mich, in eine höchst unangenehme Situation bringen können."

Soweit der Brief. "Wenn wir das tun, was Pfundig verlangt, sind wir aus dem Schneider", meint Sabine. "Da bleibt wohl keine andere Wahl. Hätte ein schönes, wenn auch 'geliehenes' Erfolgserlebnis werden können, auch in finanzieller Hinsicht, aber es sollte nicht sein", klagt Jens. "Eigentlich schade", seufzt Sabine.

 

Nachklänge

Es ist wieder ein Märztag, wolkenverhangen und frostig. Am frühen Morgen setzt leichter Schneefall ein, so wie es der Wetterdienst vorausgesagt hat. An den Brückenköpfen sind Schilder aufgestellt: Achtung, Glättegefahr! Eingeschränkter Winterdienst.

Dem Fahrer eines Kombis fällt um die Mittagszeit eine Person auf, die sich über das Brückengeländer beugt. Fussgänger gehören eher zu den Seltenheiten im Verkehr über die Brücke mit ihren schmalen Seitenstreifen für Nichtautofahrer. 'Wird wohl so ein mit Containern beladener Lastkahn den Fluss hinunterfahren, was manche Leute interessant finden', mag der Mann denken.

Als Sabine nicht zur gewohnten Zeit nach Hause kommt, versucht Jens sie anzurufen. Aber sie antwortet nicht, hat auch keine Nachricht hinterlassen. Jens schaut auf der Ablage im Flur nach, wo Sabine manchmal einen Zettel mit ein paar Zeilen hinterlässt. Als er nichts vorfindet betritt er Sabines kleines Zimmer, was er sonst nur ungern tut, weil sie das nicht mag. Auf ihrem Rokokoschreibpult findet er eine aufgeschlagene Seite in ihrer Kombination aus Poesiealbum und Tagebuch. Hier steht der letzte Eintrag: 'Dort wo alles begann, wird mein mit grosser Schuld beladenes und obendrein sinnlos gewordenes Leben ein Ende finden'.

Sofort macht sich Jens auf zur Brücke, fährt im Schritttempo, nicht auf das wilde Gehupe der nachfolgenden Fahrzeuge achtend. Doch unverrichteter Dinge kehrt er nach Hause zurück, ruft Verwandte und Freunde, in der Apotheke an. Niemand weiss etwas über Sabines Verbleib.

Da geht die Tür, Sabine tritt ein und wirft sich völlig erschöpft in den Sessel vor dem Flurtischchen. "Sabine, wo warst du?" "Auf der Brücke - ich konnte es nicht -" "Du wolltest etwa -?" "Ja, ich wollte, entschloss mich aber zur Umkehr, als ein Radfahrer kam, abstieg und auf mich einredete. Es war mein Schwager Robert, der an seinem freien Tag ein wenig radeln wollte, wie er sagte. Und er sprach: 'Sabine, wirf dein Leben nicht weg, werde endlich deine Schuldgefühle los, versuche ein neues Leben zu starten, vergiss Jens, der hat eine Frau wie dich nicht verdient. Auf Bettina und mich, nicht zuletzt auf die Eltern, die dir längst verziehen haben, kannst du stets zählen.' Ich habe mir die Worte genau gemerkt. Nun komme ich zurück, um meine Sachen zu packen, Jens. Morgen werde ich mir eine Wohnung anschauen, ich weiss noch nicht wo, aber etwas werde ich schon finden."

Minuten später erhält Frau Schimbke, als sie gerade den Buchladen schliessen möchte, eine SMS: 'Sandra, du wirst verstehen, dass ich dich wegen eines schrecklichen Ereignisses nicht zur Leipziger Buchmesse begleiten kann. Näheres darüber später. Gruss Jens.'

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.06.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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