Marietta Bachmann

Der Heuhaufen

“wenn ich so recht überlege:
es ist es noch nicht an der Zeit“
so sprach sie und warf
die Nadel in den Heuhaufen zurück

Arm in Arm gingen die beiden Frauen ins Haus zurück. Die Scheune hinter ihnen brannte lichterloh. Maria wählte mit zittrigern Fingern die Nummer der Feuerwehr. Minuten später standen die Löschwagen im gespenstigen Licht der Nacht. Der Morgen war neblig und kalt, als die Feuerwehrleute zwischen den verkohlten Balken seine Leiche fanden. Irritiert blickten sie zu den Frauen, Maria zog an ihrer Zigarette, der Kaffee dampfte. “Er hat sich erhängt“. “Und ein Erhängter zündet eine Scheune an?“ Der Kommissar blickte die beiden Frauen zweifelnd an. “Nein, wir haben sie angezündet.“. Erik Bonges war verblüfft. Wie konnten sie das so einfach zugeben? “ Aber die Versicherung wird Ihnen keinen Cent zahlen.“ “Das stimmt.“ Sarah lächelte, “aber wir brauchen das Geld auch nicht.“ “Kaffee, Herr Kommissar?“ Lächelnd goss Maria ihm nach. Es war seine Scheune, wir fanden es nur so, so ..stilgerecht.“ Maria suchte nach Worten “...ja, so stilgerecht, wenn sie mit ihm verschwinden würde aus unserem Leben.“ Bonges schluckte und fragte sich, ob er diese besondere Art von Humor nun verstehen müsse oder nicht. Ganz deutlich zeichnete sich der Bauch von Maria durch das dünne Kleid ab. Sie war etwa im sechsten Monat. “Ist es von ihm?“ Sarah lächelte: “Das, lieber Herr Bonges, ist der Erbe des Hofes.“

Erik Bonges saß an seinem Schreibtisch, aber der Bericht wollte ihm nicht so recht durch die Finger. Es war zweifelsfrei erwiesen, dass sich Andres Baal erhängt hatte. Seinen Abschiedsbrief hatte er drei Tage zuvor bei einem Notar in der Stadt hinterlegt, persönlich war er erschienen, hatte in Eile einen verschlossenen Umschlag übergeben. Er hatte genau beschrieben, wie er vorzugehen gedachte, sie hatten den Haken im verkohlten Deckenbalken gefunden und die Drahtschlinge um seinen Hals. Testamentarisch hatte er Sarah und Maria zu Verwalterinnen des Hofes bestimmt, bis das ungeborenen Kind sein Erbe antreten könne. Er hatte ihnen lebenslanges Wohnrecht garantiert, beiden: seiner Frau Sarah und Maria, seiner Geliebten. Andres war gesund, völlig gesund und sein Vermögen war beträchtlich. Geliebte und Ehefrau lebten in offensichtlicher Übereinstimmung. Doch was war in der Scheune wirklich geschehen? Feuer, warum Feuer?

Ohne Fragen zu stellen, bezahlten die beiden Frauen die beträchtliche Rechnung der Feuerwehr. Drei Tage später riefen sie Salomon von der Abrissfirma an, es dauerte keine 14 Tage, da waren die letzten Spuren verschwunden. In der Stadt schloss Erik Bonges die Akte Baal, nicht ohne den gewissen letzten Zweifel warf er die Akte seinem Assistenten über den Tisch: “Fürs Archiv“. Missmutig riss er seine Jacke vom Haken.“ Ich geh Kaffee trinken.“ Nach seiner Rückkehr ins Büro blickte er erstaunt in das gerötete Gesicht seines jungen, hoffnungsvollen Assistenten: “Hermle, was ist los, sie glühen wie ein verliebter Teenager ? “. “Es gibt noch eine Akte Baal.“ “Wie bitte?“ Andres Baal war vor acht Jahren zu Bewährung verurteilt worden, weil er eine gewisse Sarah Gendes vergewaltigt hatte. Die ursprüngliche Haftstrafe war zur Bewährung ausgesetzt worden, als sich herausstellte, dass Sarah selbst, die ihn noch kurz vor der Urteilsverkündung in aller Stille geheiratet hatte, bei Gericht darum gebeten hatte. Sarah Baal geborene Gendes war damals im dritten Monat schwanger.

Das Mädchen lief im entgegen, als er den Hof betrat. Ihre fatale Ähnlichkeit mit dem Foto ihres Vaters war erschreckend. Er sprach sie an, sie lächelte mit großen Augen, schweigend. Doch warum war dieses Kind nirgendwo erwähnt? Nicht im Testament, nicht im Polizeibericht. So, als habe es bisher nicht existiert, als sei es durch die Ereignisse geradezu auferstanden. Sie schien nicht im geringsten erschüttert, weder über den Tod noch wegen des Brandes.

Die beiden Frauen wirkten müde. Der Hof war für die beiden allein wohl doch zuviel. Maria bemerkte den zweifelnden Blick von Erik Bonges “Nächste Woche bekommen wir Hilfe, das Großvieh wird abgeschafft. Das Dorf will eine Kindergarten einrichten. Hier, bei uns.“ “Das Kind scheint nicht bemerkt zu haben, was geschehen ist.“ “Caroline? Caroline fährt morgen ins Internat zurück.“ Caroline Baal war nicht einfach nur sprachlos gewesen. Caroline konnte nicht sprechen. Sie sprach nicht mehr seit genau einem halben Jahr.

Carolin hatte sich bei Spielen in der Scheune versteckt, seit Maria auf dem Hof war, war es nicht mehr ganz so einsam. Maria half Sarah in allem, kümmerte sich um die Kleine, wenn sie auf den Großmarkt fuhr. So wie an diesem Donnerstag. Andres Baal kam von der Koppel. Er war schlecht gelaunt. Fuhr die beiden an. Maria widersprach, wurde lauter. Carolin blieb atemlos in ihrem Versteck im Heu sitzen. Sie schloß die Augen, wollte nicht sehen, was sich wenige Meter vor ihr abspielte. Sie hörte die Schläge, hörte Marias Schreie, ihre Kleider reissen. Ein scharfer, hässlicher Ton. Er klang in ihren Ohren und verschloß ihr den Mund.

Noch am selben Tag zog Andres Baal aus dem gemeinsamen Schlafzimmer aus. Sarah war aus der Stadt zurück. Wortlos warf sie seine Sachen in die Scheune. Zwei Monate später war die Schwangerschaft von Maria eine Tatsache. Schweigend saßen die Frauen im Haus. Sanft schob Sarah die sprachlose Caroline ins Bett. Die Streichhölzer räumte sie beiseite, für das Kind unerreichbar, die Idee blieb. Maria nahm den Kugelschreiber, übte sich zum hundersten Male an der Handschrift von Andres. Im September, wenn das Obst von den Bäumen war, würden sie zu Ende denken, ein Brett lockern und Andres bitten, die Haken für den Heuaufzug zu erneuern und die Drähte für die Winde neu zu spannen Er würde es tun, weil er meinte, man würde ihm endlich verzeihen, ihn wieder aufnehmen auf seinen eigenen Hof. Er würde in die Stadt gefahren sein um die Papiere abzugeben, selbst abzugeben, da Maria gerade keine Zeit haben würde.

Erik Bonges trat durch das Hoftor ins Freie. Welchen Sinn sollte all das haben. Andres Baal hatte sich selbst gerichtet. Niemand, der die ganze Geschichte kannte, würde je daran zweifeln wollen. Er wusste, das es nicht so war. Aber er würde es niemals beweisen können. Der Heuhaufen war verbrannt, um die Nadel war es nicht schade.


mb2002


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.06.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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