Christina Gerlach-Schweitzer

Ein König für den Frieden

 

Eigentlich kannte ich ihn schon sechs Jahre. Immer wenn ich kam saß er  in seiner kleinen Zeile hinter der Theke  in einem Einkaufszentrum in Berlin. Wieder und wieder brachte ich Schuhe zu ihm, die repariert oder geweitet werden mussten. Weiten und Kleben kosteten drei Euro. Auch Schlüssel ließ ich bei ihm anfertigen, und für wer weiß wie viele Uhren hat er mir schon die Batterien gewechselt. An der Wand, hinter seiner Theke hingen Schilder und Schlüsselanhänger aber auch ein Regal mit Lederfarbe, mit der man helle Schuhe dunkel färben konnte, Schnürsenkel und Amulette gegen den bösen Blick. Er reparierte gut,ich habe ihn immer gerne weiter empfohlen. Meistens stand er ruhig  vor diesem Bord mit dem Kleinkram. Gelegentlich aber saß er gebeugt  hinter der Theke und löste Kreuzworträtsel. Sehr säuberlich trug er die Buchstaben mit Bleistift ein. Immer mit Bleistift.  Er war ein kleiner Mann mit herben Gesichtszügen, schwarzen Haaren und einer graubraunen Gesichtsfarbe. Er wirkte fast zierlich, besonders die Hände mit den schmalen grauen Fingern. Wenn er mit mir sprach hatte seine Stimme etwas sehr weiches und die Sprache sie war kräftig und deutlich. Seine Augen, fragten groß und warm nach meinen Wünschen.
Manchmal war seine Frau bei ihm in der Zeile. Eine ruhige Frau, die ich fast nie reden hörte. Gelegentlich schliff sie Absätze. Einmal hatte sie einen Verband um den Arm. Am Ende des engen Ladens befanden sich große, braune Maschinen für die Schuhe und die Schlüssel. Dort arbeitete sie.
Ich brauchte wieder eine neue Batterie für eine Uhr. Er löste gerade Kreuzworträtsel. “Guten Tag“, sagte ich, aber erschaute nicht auf. Ich beugte mich über die Theke zu ihm herüber und fragte, ob er sein Kreuzworträtsel denn selbst lesen könne. In den Kästchen waren überall iranische Schriftzeichen. Er lächelte. “Natürlich“, sagte er sanft und bestimmt  zu mir und sah mich mit diesen  Augen mild und prüfend an, „ich bin ja Iraner. Aber“, fügte er hinzu, „ich bin jetzt seit vielen Jahren in Deutschland. Davor habe ich studiert im Iran“. „War das noch beim  Schah“, fragte ich. „Ja“, sagte er. “Was haben Sie studiert?“, fragte ich. „Jura und Politikwissenschaft“, antwortete er, „bei Khomenei war dann  kein Platz mehr für mich.“ Ich war auch Botschafter. Ich kam mit Königen zusammen. Ja, ich habe zweimal Könige getroffen“. Ich tat als ob ich staunte. Aber irgendwie erstaunte es mich bei diesem Menschen nicht. Ich lachte und sagte: „na, jetzt haben Sie ja hier selbst ihr eigenes kleines Königreich“. Er lächelte. „Ich bin sufrieden sagte er. Man kann mich überall hinstellen ich kann alles machen. Ich bin immer sufrieden. „Sie sind sicher Moslem, oder“, fragte ich und er antwortete „der Koran hat die Sure 29, lesen sie“, dann zögerte er und sah m ich an. Ich sagte, dass ich einen Koran zuhause hätte. „Lesen sie die Sure 29. Ich bin für den Frieden sagte er. Der Islam ist wie ein Korken, der auf dem Wasser schwimmt. Er geht nie unter und er vermischt sich auch nicht. Ich bin gut zu allen Menschen. Ich bin nicht für Religionen. Religionen trennen die Menschen. Es würde doch nie ein Jude einem Christ seine Tochter zu Frau geben. Ich versuche gut zu sein“, sagte dieser Mann, gut su Menschen und gut su Tieren. Ich stockte. Ein Mann, ein Südländer erwähnte Tiere,einfach so. Es wirkte befremdlich auf mich. „Auch zu Tieren “, fragte ich ungläubig. „Ja“, lächelte er und blickte mich mit diesen dunklen Augen an. „Früher war ich Jäger. Das hatte mir sehr gefallen, ich habe viel gejagt“, aber heute bedauere ich das. Vielleicht sitze ich deshalb jetzt hier.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.07.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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