Christa Astl

Heimepisoden: Versöhnung


 
 
Eine Heimbewohnerin klagt mir nach der Wortgottesfeier, nachdem ich sie ins Zimmer  begleitet hatte, ihr Leid: „Ich weiß nicht, was mit der Liesl los ist“, beginnt sie. „Sie hat mich in den letzten Wochen kein einziges Mal mehr besucht, ich weiß nicht, was ich ihr getan habe. Ich wüsste auch nicht, dass wir einmal gestritten hätten“. Ich wusste schon, dass es der Liesl sehr schlecht ging, wartete aber mit dieser Auskunft noch ab.
Die Liesl war eine Heimbewohnerin, die sie vorher schon kannte. Obwohl das Heim mit 150 Personen eher groß ist, treffen sich hier immer wieder Leute, die sich von früher kannten, und manche Freundschaft wird aufgefrischt.
Die Frau, ich nenne sie hier Grete, erzählte mir weiter, von wo her sie sich kannten, dass sie in der gleichen Straße gewohnt hatten, nur im Hause gegenüber. Sie hatten sich immer gut verstanden, öfter gegenseitig besucht, waren miteinander spazieren gegangen, und nun hatten sie sich im Heim wieder getroffen. „Aber seit kurzem ist die Liesl so komisch, sie sagt nichts, sie grüßt mich nicht einmal mehr.“ Man sah es Grete an, wie sehr sie darunter litt. Sie erwartete Hilfe von mir, wo ich doch beide nicht sehr gut kannte.
„Wollen Sie sie nicht selber besuchen“, schlug ich darum meiner Gesprächspartnerin vor. „Ich glaube, sie freut sich bestimmt über den Besuch.“
Ein Hoffnungsschimmer glomm in Gretes Augen auf. Aber angstvoll wandte sie sich an mich: „Bitte gehen Sie mit mir, ich habe Angst“. Ich schob ihr den Rollator, ihre fahrbare Gehhilfe, zurecht, sodass sie sich mühsam aus dem Stuhl erheben konnte. Zögernd, mit unsicheren Schritten, schlurfte sie hinter mir durch den Gang zum Aufzug. „Sie freut sich bestimmt!“, tröstete ich Grete noch einmal.
Liesl saß im Rollstuhl im Aufenthaltsraum. Eigentlich lag sie fast, die Augen geschlossen, mir schien, schon völlig abwesend. Ich stellte mich vor sie und berührte sie sachte am Arm. Die Augen öffneten sich mühsam, der Blick kam wie aus weiter Ferne. Ich trat etwas beiseite und ließ Grete vorgehen.
„Liesl, kennst mich noch?“, war der Beginn einer ergreifenden Szene. - Liesl nickte. „Hab ich dir was getan?“ – Kopfschütteln. – „Sag, magst du mich noch?“ – Liesl nickt, deutet ein Lächeln an. Dann schließt sie die Augen wieder. Grete hält stumm ihre Hand. Ihre Augen sind feucht. Auch ich muss schlucken und tief durchatmen. Lange Zeit sitzen die beiden beisammen, ich habe Grete einen Stuhl hingeschoben.
Noch einmal, als Grete den Händedruck löst, blinzelt Liesl aus halb geschlossenen Lidern hervor, wieder deutet sie ein mattes Lächeln an.
Mit einem „Pfiat di“, (Behüt‘ dich Gott) verabschieden wir uns.
Grete ist glücklich und erleichtert, als ich sie wieder in ihr Zimmer begleite. Noch einmal durfte sie ihre Freundin sehen.
Am Abend drauf ist Liesl dann gestorben.
 
 
ChA 13.07.16
 

Die hier erzählten Geschichten sind wahr, die Namen natürlich geändert. Die betreffenden Personen sind mittlerweile verstorben.

 

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