Christa Astl

Heimepisoden: Jetzt geht's mir wieder gut


 
 "Jetzt geht's mir wieder gut!" - Dieser Satz war wohl der schönste, den ich in meiner Tätigkeit als Seelsorgerin im Altenheim gehört habe. Seelsorge, der Begriff verwirrt, wird zu oft mit Glauben und Beten verbunden. Die Seele bedarf aber mehr, ganz besonders, wenn sie in einem alten, bereits gebrechlichen Körper steckt. Da ist jedes Wort, jede sanfte Berührung bereits Seelsorge. Wie einfach das ist, musste ich aber auch erst lernen. Was man braucht, ist Zeit und Offenheit, abzuwarten was kommt. Die Aktiven, Fordernden, man kann sagen die Auftraggeber, sind die Menschen, die im Alter uns anvertraut sind, die auf unseren Besuch warten.
Wie wichtig wir sind, soll diese Episode zeigen.
 
Eine sonst eher fröhliche, unterhaltsame Frau treffe ich um 15 Uhr noch im Bett. Erst denke ich, sie schläft, doch sie schaut zu mir her. „Was ist heute mit Ihnen, Sie sitzen noch gar nicht beim Kaffee? Sind sie etwa krank?“, frage ich. – „Mir geht’s heute nicht gut“, ist die zögernde Antwort. – „Tut Ihnen was weh?“, versuche ich das Gespräch weiter zu führen. „Nur so müde bin ich, will nichts als meine Ruhe“, lautet ihre Antwort.
Ich könnte mich nun verabschieden, hier merkte ich, es steckt was dahinter. „Soll ich Sie allein lassen und später wieder kommen?“ – „Nein, bleiben Sie hier!“, ruft sie, als ich schon an der Tür bin. Sie bietet mir Platz am Bettrand an, nimmt kurz meine Hand, hält sich wie ein Kind dran fest. Auf meine Frage: „Was ist los mit Ihnen, wollen Sie es mir nicht sagen?“ überlegt sie eine Weile. Sie hatte ein paar Tage vorher Geburtstag mit einigem Besuch, vielleicht war es ihr zu viel, so meine Überlegungen. – Im Gegenteil! „Es ist so still um mich heute, keiner kommt. Wollen die mich nicht mehr?“ – Solche Klage vernehme ich des Öfteren. Die Zeit, die ohnehin kaum mehr mit Tätigkeit ausgefüllt wird, vergeht so langsam, dass ein Nachmittag die gefühlte Länge einer Arbeitswoche hat. Wenn z.B. die Tochter schon am Vormittag da war, heißt es nachmittags trotzdem, wann kommt meine Tochter, sie war schon so lange nicht mehr da!?
Irgendwie muss ich die Frau aufmuntern, noch überlege ich, das richtige Thema zu finden – ihre Heimat Südtirol, das ist es!! Ich frage, ob von dort auch wer zu ihrem Geburtstag gekommen ist. Als ob sie darauf gewartet hätte, legt sie los und beginnt zu reden. Immer lebhafter werden die Augen, die ganze Mimik, sie liegt nun auf dem Rücken, die Beine leicht angezogen, die Decke schon ein wenig zurück geschlagen. Jetzt versucht sie, einen Arm unter den Kopf zu legen, sich etwas aufzurichten, ich, stütze sie und stopfe ihr ein Kissen in den Nacken. Immer lebendiger wird ihr Erzählen, sie ist wieder beim Lieblingsthema Nummer eins, ihrer Jugend angelangt, mit ihrem Elternhaus, den damaligen Nachbarn und ihren Freundinnen und dem ersten Freund.
Mittlerweile ist ein Fuß bereits der Bettdecke entschlüpft, hat bereits Bodenkontakt. – Plötzlich: „Wissen S‘ was, jetz steh i auf!“. Und dann steht sie vor mir, in ihrer gewohnten, alten Frische, der Schalk blitzt aus den Augen. „Jetzt geht’s mir wieder gut! Dank schön, dass Sie bei mir geblieben sind. Jetzt brauch ich kein Bett mehr, jetzt will ich einen Kaffee.“ Mit diesen Worten verabschiedet sie sich, geht in die Teeküche, ich mache meine Runde zu weiteren Bewohnern.
 
 
ChA 21.07.16 (aus der Zeit um 2011)

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.07.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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