Manfred Bieschke-Behm

Die Frage nach dem warum, stellt sich nicht



Seit Tagen beobachte ich einen älteren Herrn, der sein schütteres graues Haar r streng nach hinten gekämmt trägt. Sein Gang ist ein wenig schwerfällig. Er läuft leicht vorgebeugt und zeigt dabei ein freundliches Gesicht. Ich sehe, wie der Mann das Grundstück durch das große weit geöffnete schmiedeeiserne Tor betritt und geradewegs auf die prächtige mehrstöckige Villa zusteuert. Das alles passiert nicht zum ersten Mal. Mehrmals in der Woche, und dann fast immer zur gleichen Zeit geht er den gepflasterten Weg entlang, der ihn direkt zum Villeneingang führt. Bevor er die Diele betreten kann, muss er ein paar geschwungene Steinstufen emporsteigen. Rechts und links der Stufen stehen großzügige Blumenkübel. Die Pflanzen, deren Namen er nicht kennt, verströmen einen Duft von Vanille. Er beugt sich hinunter zu einer Blüte, saugt den fast schwer zu nennenden Duft tief ein, schließt kurz die Augen, richtet sich wieder auf und verschwindet hinter der offenen Eingangstür. Jetzt, wo sich der ältere Herr auf der Diele befindet, hat er einen freien Blick durch das Café hinaus auf die sich anschließende Terrasse. Hier sitzen zahlreiche Menschen in Gruppen oder einzeln auf Stühlen an Tischen. Sie lesen, unterhalten sich oder sind dabei Kaffee, Tee oder ein Kaltgetränk zu trinken. Der eine oder andere genießt ein Stück Kuchen oder knabbert an etwas. ‚Gemütlich’, denkt der neue Gast, hat aber keine Ambitionen sich dazu zu gesellen. Sein Ziel ist der sich anschließende Garten. Die Anlage ist es, die er gerne und oft besucht. Es ist der Ort, an dem er sich, zum Ausruhen niederlassen möchte, an dem er beobachten will und sich erinnern.
Auf ‚seiner’ in die Jahre gekommene Holzbank sitzt niemand. Vermutlich liegt es daran, dass diese Bank im Schatten einer alten Kiefer steht und deshalb gemieden wird. Dem Herrn ist das nur recht. Er liebt es, im Schatten zu sitzen und in eine sonnendurchflutete Umgebung zu schauen.
Wie Kinder eben sind, spielen sie ausgelassen entweder miteinander oder mit Erwachsenen, die ihre Mütter oder Väter sein könnten. Zwei kleine Mädchen stehen sich gegenüber und betrachten sich aufmerksam, oder argwöhnisch? Sie mustern ihr Äußeres, um festzustellen, dass sie beide ganz liebreizend gekleidet sind und, dass sich die Frisuren gleichen. Sie fangen an zu lachen, reichen sich die Hände, die sie schaukelnd hin und her bewegen. Auf der Wippe sitzen sich ein etwa gleichaltriger Junge und ein Mädchen gegenüber. So recht klappt es nicht, mit dem wippen. Erst als ein Erwachsener behilflich ist, indem er Hand anlegt und die Wippe zum Wippen bringt, strahlen die Kindergesichter und ein lautes Juchzen dringt an das Ohr des Mannes auf der Bank. Ein mutiger Junge besteigt ein Klettergerüst und stellt, nachdem er die höchste Stelle erreicht hat, fest, dass sich der Abstieg als schwierig herausstellt. Hilfesuchend blickt er um sich in der Hoffnung, irgendwer würde ihm zur Hand gehen. Aber nichts dergleichen passiert. Vorsichtig jongliert er sich nach unten und ist froh, als er wieder festen Boden unter sich spürt. Auf einem rindenfreien Baumstamm, der quer auf dem Boden liegt, hat ein kleiner Junge seine Holzeisenbahn platziert. Vorsichtig versucht der Junge seine Holzeisenbahn über die gesamte Stammlänge zu ziehen. Ein schwieriges Unterfangen, wie sich herausstellt. Immer wieder blockieren kleine Erhebungen sein Vorhaben. Sie bringen den Zug ins Schwanken. Die drei Waggons, einschließlich Lok, schlingern hin und her. Ein Abteil kippt um. Die Gefahr besteht, dass der gesamte Zug abstürzt. Dem Jungen gelingt es, seine Eisenbahn wieder auf Linie zu bringen, und die holprige Fahrt fortzusetzen.
Während der alte Herr den kleinen Jungen mit der Holzeisenbahn beobachtet, glaube ich ein wenig Wehmut in seinem Gesicht zu entdecken. Was rührt ihn an? Vielleicht sieht er vor seinem geistigen Auge den Zug seines Lebens an sich vorbeifahren. Ich vermute, dass, genau wie die Holzeisenbahn, sein Lebenszug, auch aus einer Lok und drei Waggons besteht. Ich würde den alten Mann gerne fragen, ob das letzte Abteil gefüllt ist mit Kindheitserinnerungen. Ob in ihm all die Dinge transportiert werden, die mit seiner Kindheit zu tun haben.
„Herr Gehlhaus, wie geht es Ihnen heute“, fragt eine schlanke aufrecht gehende Frau, die im Begriff ist herumstehendes Geschirr einzusammeln.
„Mir geht es gut. Danke der Nachfrage. Sie haben mich gerade dabei ertappt, meinem Lebenszug nachzuspüren.“
„Ihrem Lebenszug?“, wiederholt die freundliche Frau, die nicht weiß, ob sie richtig verstanden hat.
„Jeder Mensch hat seinen Lebenszug. Auch Sie! – Ich bin gerade dabei zu überlegen, was sich in welchem Waggon befindet.“
„Und?“, fragt die interessierte Frau, „Was befindet sich in Ihren Waggons?“
Der alte Mann überlegt kurz und erklärt, dass sich im hinteren Waggon Dinge seiner Kindheit befinden. Im Abteil davor die der Jugend und im Waggon gleich hinter der Lokomotive alles, was mit heute zu tun hat.“
„Was für eine schöne Metapher“, begeistert sich die Frau und würde sich am liebsten neben den Mann setzten, um mehr vom Lebenszug zu erfahren. Leider ist für eine intensive Unterhaltung keine Zeit. Schon fast im weiter gehen bemerkt sie: „Lieber Herr Gehlhaus, Sie hatten doch sicher eine schöne Kindheit. Ihr Kindheitswaggon ist bestimmt prall gefüllt mit tollen Erinnerungen.“
Gerne hätte Herr Gehlhaus ihr mehr erzählt aber er sieht ein, dass das nicht geht. So als wäre die Frau noch an seiner Seite, sagt er: „Ja stimmt. Ich hatte wirklich eine schöne unbeschwerte Kindheit. So oft es ging, tollten meine Eltern mit mir rum. Sie zeigten mir das Meer und damit die Wellen, Muscheln und den Strand. Am Strand Drachensteigen lassen und zusehen müssen, wie sich der Wind unter den Flügeln verfing, und es Mühe machte, den Drachen wieder auf Spur zu bringen, zerreißt mir fast das Herz. Wanderungen im Harz oder im Erzgebirge werden mir ewig in Erinnerung bleiben. Ich rieche förmlich den Duft von Kiefern, obwohl alles so lange her ist. Herr Gehlhaus beugt seinen Kopf nach hinten und blickt nach oben in die über ihn hängenden Zweige des Kiefernbaumes. „Da ist er wieder, der Duft der Kindheit“, sagt er fast zu laut, und freut sich über den Moment endloser Zufriedenheit. Schnell wird ihm bewusst, dass sich Vergangenheit nur begrenzt in das Hier und Heute transportieren lässt. Wieder sieht er hinüber zu dem kleinen Jungen mit dem Eisenbahnzug aus Holz. Der Junge hatte es geschafft, den Zug zum anderen Ende des Baumstammes zu schieben. Hier steht er nun in einer Linie und wartet, wieder zurückgeschoben zu werden.
Der alte schlanke Kastanienbaum, der am Rand der Gartenanlage steht und majestätisch in den Himmel ragt, lässt Herrn Gehlhaus darüber nachdenken, wie alt die Kastanie wohl sein mag. ’So alt wie ich, überlegt er. Kann schon sein. Vielleicht jünger? Vielleicht älter. Wer weiß. Plötzlich hat Herr Gehlhaus die Idee, die am Baum hängenden Kastanien zu zählen. Dazu lehnt er sich genüsslich zurück und fängt an zu zählen. Bis sechzig hält er durch. Danach wird ihm bewusst, was für eine unsinnige Aufgabe er sich gestellt hat und hört auf zu zählen. ‚Was habe ich davon, wenn ich weiß, wie viele Kastanien am Baum hängen?’, fragt er sich und schüttelt den Kopf. Mehr aus Verlegenheit, als der Entspannung dienend, breitet Herr Gehlhaus seine Arme aus und legt sie auf die Rückenlehne der Bank. Seine Hände berühren Stellen, an denen der Lack ab ist. Er spürt unter seinen Händen morsches zerfasertes Holz. Wie ein Blinder, versucht er über seinen Tastsinn mehr über die Beschaffenheit der Rückenlehne, zu erfahren. Er wird nicht enttäuscht. Seine feingliedrigen Finger spüren Vertiefungen und Stellen, an denen das Holz angefangen hat, sich aufzulösen. Für einen Moment glaubt Herr Gehlhaus, anhand der Fasern das Alter der Bank bestimmen zu können. Er verwischt den Gedanken gleich wieder, weil er weiß, dass seine Überlegung zu keinem Ergebnis führt. Plötzlich kommt ihm die Erinnerung an eine Biologiestunde in der vierten Klasse. Der Biolehrer fragte, ob jemand wüste, wie sich das Lebensalter der Bäume ermitteln lässt. Keiner in der Klasse war so gescheit und konnte die Frage beantworten. Gespannt und ziemlich aufgeregt gingen alle Schüler der Klasse 4a in den Wald genau zu der Stelle, an der mehrere gefällte Bäume neben ihren Baumstümpfen lagen. Der Lehrer erklärte, dass sich bei gefällten Bäumen das Alter an den Jahresringen abzählen lässt. Pro Lebensjahr bildet jeder Baum einen Ring, den sogenannten Jahresring. Der Lehrer forderte auf, dass sich alle Schüler in kleinen Gruppen vor Baumstümpfen hockten und anfingen Ring für Ring zu zählen. Die Ergebnisse waren recht unterschiedlich. Jeder Schüler glaubte, die richtige Jahreszahl ermittelt zu haben. Wer letztendlich richtig gezählt hatte, ließ sich nicht ermitteln.
Herr Gehlhaus öffnet seine bislang geschlossenen Augen. Tatsächlich hat ein Sonnenstrahl es geschafft, sein Gesicht zu erreichen. ‚Ach tut die Wärme gut’, denkt er voller Zufriedenheit. Sogar die Luft hält er an, als hätte er Angst, sein Atem könnte die Sonne vertreiben. Der leichte Wind, der durch die Zweige der Kiefer säuselt, verströmt ein leicht harziges Aroma. Herr Gehlhaus fährt sich mit der Zunge genüsslich über die Lippen. Er hofft, den Wohlgeruch schmecken zu können.
„Willst Du mit mir spielen?“, fragt ein kleines Mädchen, das plötzlich vor Herrn Gehlhaus steht, und ihm ihren bunten Ball mit ausgestreckten Händen entgegen hält. Herr Gehlhaus braucht einen Moment, um mitzubekommen, was gerade passiert. Anstatt die Frage des Kindes zu antworten, fragt er: „Willst Du mir Deinen Ball schenken?“ Das kleine Mädchen ist irritiert. „Mein Ball!“, ruft es und rennt, so schnell es kann, weg. Ich sehe, wie der Mann auf der Bank, dem Mädchen hinterher schaut. Er scheint zu überlegen, ob er dem Mädchen folgen und sich für sein Verhalten entschuldigen sollte. Es entscheidet sich, es nicht zu tun. Dennoch steht er auf. Nach dem langen Sitzen hat er das Bedürfnis, sich die Füße zu vertreten. Er steuert direkt auf ein buntes Sommerblumenbeet zu. Hummeln und Schmetterlinge haben das Beet längst zu ihrem Tummelplatz auserkoren. Die Tiere lassen sich durch Herrn Gehlhaus nicht verschrecken. Munter fliegen Schmetterlinge und Hummeln weiter von Blüte zu Blüte und saugen am köstlichen Nektar.
Besonders angetan scheinen es Herrn Gehlhaus die kleinen Sommersonnenblumen zu haben. Ich kann beobachten, wie er eine Blume unterhalb des Blütenkelches greift und ... Nein, er bricht sie nicht ab. Herr Gehlhaus tut so, als würde er Blütenblatt für Blütenblatt zupfen. Ich höre ich sagen: „Sie liebt mich – sie liebt mich nicht – sie liebt mich – sie ...“
„Schön Sie bei einem Ritual aus längst vergangener Zeit beobachten zu können“, sagt ein etwa gleichaltriger Gast zu Herrn Gehlhaus, der dabei ist den Garten zu erkunden.
„Ach wissen Sie, ich denke gerade an meine erste große Liebe. Helga hieß das Mädchen, in das er sich verliebt hatte. Blonde Zöpfe trug sie und einen bis tief in den Augen hängenden Pony, der sich, genau wie die Zöpfe, beim Laufen, hin und her bewegte. Ihr gab ich den ersten Kuss meines Lebens. Ganz aufgeregt war ich damals und sogar ein bisschen verlegen. Helga schien es zu gefallen. Sie hielt still und erwiderte den Kuss mit ihren feuchten Lippen. Vierzehn oder fünfzehn war ich, als ich Helga ganz fest an mich zog. Ich spürte zum ersten Mal die körperliche Nähe einer weiblichen Person, abgesehen von meiner Mutter, die mich ab und zu an sich presste und mir einen Kuss auf die Stirn gab, was mir in mancherlei Hinsicht unangenehm war.“
„Kommt mir bekannt vor“, entgegnete ihm der Gartenbesucher, „Kenn ich“, und geht lächelnd mit, wie zum Gruß erhobener rechter Hand, weiter.
Auch Herr Gehlhaus lächelt und schaut mehr zufällig hinüber zu der Holzeisenbahn, die noch immer am Ende des Baumstammes steht. Obwohl er keinen Gesprächspartner hat, sagt er, dass das soeben erzählte, nicht in das letzte Abteil meines Lebenszuges gehört. Das gehört in den Waggon davor, dem Jugendwaggon. Herr Gehlhaus hält seinen Kopf mit beiden Händen fest. Er hat plötzlich das Gefühl, alles in ihm würde sich drehen. Irgendwie muss der Herr, mit dem er gerade noch gesprochen hatte, mitbekommen haben, dass Herrn Gehlhaus Hilfe benötigt. Freundlich aber bestimmend bietet er sich an, Herrn Gehlhaus zu seiner Bank zu geleiten.
„Setzten Sie sich“, fordert der freundliche Helfer ihn auf und setzt sich, ohne Erlaubnis zu fragen, neben ihn. „Soll ich Ihnen ein Schluck Wasser holen“, erkundigt er sich und ist im Begriff aufzustehen.
„Nein, nein, vielen Dank für Ihre Mühe. – geht schon. Keine Sorge.“ Und tatsächlich geht es Herrn Gehlhaus wieder gut. Der Taumel ist vorbei und die Schweißtropfen, die auf seiner Stirn einen feuchten Film hinterlassen haben, lassen sich mit einem Tuch leicht wegwischen und treten nicht erneut auf.
„Was ist denn passiert?“, erkundigt sich der sorgenvoll dreinblickende Herr.
„Mir wurde plötzlich schwarz vor Augen und schwindelig.“
„Gibt es dafür eine Ursache“, wird Herr Gehlhaus gefragt.
„Mir schossen plötzlich wie Pfeile Gedanken durch seinen Kopf. Erste Liebe – Trennung – Lehre – neue Liebe ...“
Der hilfsbereite Herr möchte nicht auf das eingehen, was er eben gehört hat, und fragt deshalb: Sind Sie des Öfteren hier?
Begleiten Sie Ihre Enkel? Ich habe Sie hier noch nie gesehen?“
Herr Gehlhaus hat Mühe sich auf die Fragen einzustellen. Dennoch versucht er Antworten zu geben: „Ich bin nicht hier, um meine Enkel zu begleiten. Ich habe leider keine Enkelkinder. Auf die Frage, ob ich des Öfteren hier bin, antworte ich Ihnen: Ja, ich bin des Öfteren hier. Ich liebe es hier zu sein. Ich mag die Villa, das Café, die Terrasse und vor allen Dingen den wunderschönen Garten mit seinem alten Baumbestand.
Auf die dritte Frage: „Ich habe Sie hier noch nie gesehen“, reagiert Herr Gehlhaus nicht.
„Ich muss jetzt wieder hin zu meiner Enkeltochter. Kann ich Sie alleine lassen?“
„Ja natürlich. Haben Sie vielen Dank für Ihre Zeit, die Sie mir geopfert haben.“
„Keine Ursache. - Machen Sie es gut – und noch viel Freude hier im Garten.“ Mit diesen Worten verabschiedet sich der Retter in der Not und geht mit raschen Schritten zum Spielplatz, wo seine Enkeltochter bereits auf ihn wartet.
Etwa erschöpft schaut er hinüber zur Terrasse und beobachtet an einem Tisch sitzend eine schlanke nicht mehr junge Frau in entsprechend männlicher Begleitung. Beide unterhalten sie sich angeregt und halten sich dabei bei den Händen. Ich sehe, dass Herrn Gehlhaus Augen bei dem Anblick feucht werden. Die Szene muss ihn an etwas erinnern, das wehtut. Später hat er mir erzählt, dass er oft mit seiner verstorbenen Frau genauso an solchen Tischen saß, sie sich angeregt unterhielten, gemeinsam Kaffee tranken, sich oft bei den Händen hielten und dabei tief in die Augen sahen. Das alles ist lange her. Herr Gehlhaus beschwört, das die Zeit, mit seiner Lotte, die schönste seines Lebens waren. Die über vierzig Jahre seines Zusammenlebens mit Lotte hätten einen extra Waggon verdient, stellt er fest und sieht, wie ein junger Mann zwischen dem ersten und zweiten Waggon der Holzeisenbahn ein neues Abteil einhängt. Der kleine Junge freut sich über die Erweiterung und fängt an, die Holzeisenbahn langsam vorwärts zu bewegen. Auch Herr Gehlhaus freut sich über die Erweiterung und der Tatsache, dass der Zug nicht zum endgültigen Stillstand kam. Er hat keine Erklärung dafür, dass gerade in dem Moment, in dem er seinen Lebenszug um ein Abteil zu erweitern gedachte, die Holzeisenbahn eine Erweiterung erfährt. ‚Zufall?’, denkt er und schielt auf das erste Abteil hinter der Holzlokomotive, dass für ihn symbolisch das Gegenwartsabteil ist. In ihm hängt alles das, was heute für ihn wichtig ist, dazu gehören auch Erinnerungen.
Die Sonne ist im Begriff sich zu verabschieden. Die Schatten werden länger. Auf der Terrasse lehren sich die Plätze. Mütter und Väter sind mit ihren Kindern dabei, das Gelände zu verlassen. Der kleine Junge wird aufgefordert seine Holzeisenbahn zusammenzupacken, was ihm nicht gefällt. „Einmal noch“, bittet er seinen Vater. „Einmal noch hier langfahren.“
„Einmal noch und dann ist Schluss.“
Der Junge freut sich und zieht den Zug, vielleicht etwas zu heftig. Der letzte Waggon kippt um, und zieht die anderen nach sich. Der gesamte Zug fällt vom Baumstamm und bleibt im Sand liegen. Der Vater hat Mühe sein Kind zu trösten und erklärt, dass nichts Schlimmes passiert ist. Die Waggons und die Lokomotive lassen sich in einem Stück aufheben. „Schön“, sagt Herr Gehlhaus zu sich, „was zusammengehört, bleibt zusammen, so wie mein Lebenszug.“
Plötzlich steht wieder das Mädchen mit dem bunten Ball vor Herrn Gehlhaus. „Kommst du Morgen wieder hierher“, erkundigt sie sich.
„Ich glaube schon“, antwortet Herr Gehlhaus.
„Spielst Du dann mit mir Ball?“, möchte das Mädchen wissen, und schaut Herrn Gehlhaus erwartungsvoll ins Gesicht.
„Wenn Du möchtest, dass ich mit Dir Ball spielen soll, muss ich ja wohl kommen.“
„Na dann bis Morgen“, ruft das Mädchen freudig erregt. Sie hält den Ball mit beiden Händen ganz fest, dreht sich um und läuft ihrer Mutter entgegen, die ungeduldig auf die Tochter wartet.
Bevor das Mädchen, zusammen mit der Mutter, durch das schmiedeeisernen Tor, das Gelände verlässt, dreht es sich noch einmal um ruft: „Bis Morgen.“
„Ja bis Morgen“‚ murmelt Herr Gehlhaus, „bis Morgen“. Er steht auf und sagt zu mir: „Die Frage nach dem warum, stellt sich nicht.“
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.07.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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