Peter Mack

Roboterliebe

Amelia war glücklich. Heute war ihr Geburtstag.
Sie saß an ihrem Tisch und lächelte selig. Bald würde Manfred das Essen auftischen. An so einem besonderen Tag würde es natürlich ein ganz besonderes Menü geben. Als Vorspeise eine Markklöschensuppe, dann wahrscheinlich Gänsebraten mit Rotkraut und Kartoffelklößen, zum Nachtisch Erdbeeren mit Sahne. Sie freute sich darauf. “Heute ist wirklich ein ganz besonderer Tag”, murmelte sie fröhlich.

“Heute ist wirklich ein besonderer Tag, heute ist wirklich ein besonderer Tag!” ätzte Rudi, als er auf den Monitor vor sich sah. Er hatte nicht bemerkt, dass jemand zu ihm in den Bereitschaftsraum gekommen war.
Der Mann hinter ihm räusperte sich und Rudi drehte sich auf seinem Bürostuhl zu ihm um. Der Mann war ungefähr so alt wie er selbst – Mitte vierzig – etwas dicklich und ungepflegt. Im Unterschied zu Rudi trug er nicht die weiße Kleidung des Pflegepersonals, sondern einen Blaumann.
“Ich bin hier wegen des neuen Medbots”
“Ist ok. Setz' dich doch erst mal.”
Rudi war immer froh, wenn jemand die Routine seines öden Arbeitsalltags unterbrach, wenn er sich mit jemandem unterhalten konnte, der nicht völlig dement war und ihm immer dieselben Geschichten erzählte. Rudi zeigte mit seiner glimmenden Zigarette auf den Monitor
“Schau' dir das an!”
Auf dem Bildschirm war ein kleiner Raum zu sehen. Dieser Raum war mit einem schmalen Bett, einem kleinen Tisch, einem Stuhl und einem schmalen Schrank möbliert. In einer Ecke stand ein Rollstuhl. Die Wände waren weiß und kahl. Gerade humpelte uralter Medbot, Modell M1b, mit einem Teller auf einen kleinen Tisch zu. Aus einem kleinen Lautsprecher neben dem Monitor tönte ein quietschen und pfeifen, welches dem Techniker verriet, dass die Pneumatik und die Servomotoren des Medbots nicht mehr zu reparieren waren. Am Tisch saß eine zerzauste alte Frau. Sie lallte und lächelte zufrieden.
“Ein ganz besonderer Tag, ein ganz besonderer Tag”, keifte Rudi wieder. “Für die ist jeden Tag ein besonderer Tag!”
“Nichts mehr zu machen”, sagte der Techniker abgeklärt.
“Das kannst du aber laut sagen!”, antwortete Rudi.
Der Medbot löffelte der Alten geduldig eine undefinierbare Pampe in den Mund.
“Für die Alte ist das jetzt vermutlich Kaviar oder so was.”
Rudi lachte und zündete sich eine Zigarette an, während der Techniker ratlos dastand.
“Soll ich den M1b mitnehmen?”, fragte der Techniker.
“Bloß nicht! Dann dreht die Alte komplett durch. Wir haben das schon ein paarmal probiert. Wir haben ihr einfach 'mal einen anderen Medbot geschickt und es gab immer Gezeter. Sie wollte nichts mehr Essen, weil sie meinte, wir wollten sie vergiften. Dann hat sie den Teller nach dem Medbot geworfen. Irgendwoher hat sie dann noch eine Glasflasche bekommen. Mit der ist sie dann auf die anderen losgegangen. Vor Besuchern! Stell' dir das einmal vor!”
Rudi schüttelte den Kopf. Als er sich beruhigt hatte, murmelte er:
“Bin gespannt, wie es nach dem Essen weitergeht”

Amelia fühlte sich satt und zufrieden. Ihr Manfred war wirklich ein hervorragender Koch und er wusste genau, was Amelia schmeckte. Eigentlich war sie etwas müde, aber an so einem besonderen Tag konnte man natürlich nicht einfach ins Bett gehen. Heute würde sie sich besonders sorgfältig zurechtmachen und dann geht es ins Theater!

“Jedes Mal dieselbe Schweinerei”, murmelte Rudi und zeigte mit der glimmenden Zigarette auf den Monitor. “Können einfach nicht mehr richtig essen, die alten Irren. Schau dir das an! Überall diese Pampe: im Gesicht, auf dem Tisch, auf den Klamotten, auf dem Boden! Was das Arbeit macht! Wenn du mich fragst, sollte man die einfach flüssig ernähren. Am Bett fixieren und gelegentlich mal umdrehen, damit sie sich nicht wund liegen. Dann ist endlich Ruhe.”
Der Techniker sagte nichts und schaute auf den Monitor. Der Roboter war gerade damit beschäftigt, der Alten mit einem Lappen das Gesicht abzuwischen. Dabei war zu erkennen, dass einer der Roboterfinger in einer abgespreizten Stellung bewegungslos war. Nach dem Abputzen wurde die alte Dame gekämmt. Das ging sehr langsam und bedächtig vor sich. Der Techniker fragte sich, ob auch mit den Servomotoren in den Handgelenken etwas nicht in Ordnung war. Nach zwei oder drei bedächtigen Zügen mit dem Kamm gab die Alte eine Art Schnauben von sich. Daraufhin legte der Roboter den Kamm auf das Tischchen und nahm einen kleinen Spiegel. Im Schneckentempo führte er den Spiegel um den Kopf der Alten, die ihre Frisur ausgiebig betrachtete. Dann schnaubte die Alte wieder und der Roboter legte den Spiegel zurück auf das Tischchen. Er nahm wieder den Kamm und machte wieder ein paar Züge. Das wiederholte sich, bis schließlich die Alte ihr Spiegelbild zufrieden anlächelte. Sorgfältig legte der Roboter seine Utensilien beiseite und hob die Alte sanft auf den bereitstehenden Rollstuhl. Nachdem er sie behutsam zugedeckt hatte, schob der Roboter die Alte aus dem Zimmer. Das Quietschen und Knarren der Roboterpneumatik drang in aus dem kleinen Lautsprecher neben dem Monitor und der Techniker verzog angewidert sein Gesicht. Rudi schaltete auf eine andere Kamera um. Auf dem Monitor war jetzt ein größerer Raum zu sehen. Vor einem großen Bildschirm waren in einem lockeren Halbkreis Rollstühle aufgestellt. In jedem Rollstuhl saß ein alter Mensch, hinter jedem Rollstuhl stand ein bewegungsloser Medbot. Bald erschien der M1b mit Amelia. Er schob den Rollstuhl auf einen freien Platz im Halbkreis. Dann erstarrte auch er zu völliger Bewegungslosigkeit, den Blick geradeaus und leer, wie auf ein undefiniertes Nichts gerichtet. Kaum war der Rollstuhl an seinem Stellplatz angekommen, legte Amelia ihren Kopf zur Seite und schlief ein. Dem Techniker wurde plötzlich bewusst, dass er müde war. Er fragte, wo man einen Kaffee bekommen konnte.
“Keller”, brummte Rudi.

Die Kaffeepause dauerte länger als der Techniker geplant hatte. Direkt neben dem Automaten stand diese Blondine, der wohl auch langweilig war. Hier schien es niemand eilig zu haben. Sie rauchten eine Zigarette nach der anderen, bis die Uhr an ihrem Handgelenk piepste und blinkte und sie mit einem “Muss weg” einfach verschwand. Der Techniker schlurfte in den Bereitschaftsraum zurück. Auf dem Bildschirm war wieder das kleine Zimmer zu sehen. Der Medbot schob die alte Frau in ihrem Rollstuhl gerade durch die Zimmertür. Sobald sie im Zimmer angekommen waren, versuchte die Alte sich zu erheben. Geduldig half ihr der Medbot. Die Alte gab ein paar glucksende Laute von sich und der Medbot nickte. Dann legte er seinen rechten Arm um sie und nahm ihre Hand. Sie begannen sich im Kreis zu drehen. Der Pfleger stöhnte entsetzt auf
“Au Mann! Jetzt tanzen sie auch noch! Heute ist wirklich ein ganz besonderer Tag!”
entsetzt schüttelte er den Kopf. Und tatsächlich: “Eins, zwei, drei, eins, zwei, drei”, war die blecherne Stimme des M1b aus dem Lautsprecher zu hören. Dazu noch das quietschen und Knarren von Pneumatik und Servomotoren und das glucksende Lachen der Alten. Die beiden drehten sich im Walzertakt zu einer Melodie, die nur sie selbst hören konnten. Der Pfleger wusste nicht, was er tun sollte. Voller entsetzen starrte er auf den Monitor. Plötzlich begann oberhalb des Monitors ein rotes Licht zu blinken und ein Pfeifen ertönte.

Die Alte war im Arm des Medbot zusammengesackt. Behutsam hob der M1b sie auf ihr schmales Bett. Sorgfältig deckte er sie zu, dann faltete er ihre schlaffen Hände über der Decke. Er legte eine seiner Greifhände auf die Hände der Alten, dann drehte er sich um. Er sah direkt in die Kamera, die in der oberen Zimmerdecke angebracht war. Sein Gesicht war regungslos, wie immer. Trotzdem musste der Techniker schlucken. Er glaubte im starren Gesicht des Medbots etwas wie Trauer zu erkennen, aber da war noch etwas anderes. Angst vielleicht oder Schuldgefühle?
Der Pfleger hatte seine Fassung wiedergewonnen. Er stürmte los, der Techniker folgte ihm so schnell er konnte. Als sie in dem Raum angekommen waren, saß der M1b reglos auf dem Stuhl vor dem Bett. Er war tief vornübergebeugt und hielt immer noch die gefalteten Hände der toten Alten. Der Techniker näherte sich ihm so leise er konnte. Als er ganz nahe bei ihm war, hörte er noch ein leises Sirren. Er griff in das Genick des Medbot und drückte auf den Knopf. Ein leises Knacken. Dann nur noch Stille.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.08.2016. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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