Christina Gerlach-Schweitzer

Bloß Kaninchenseelen


Es war  nach Mitternacht.  Es schien zwar  kein Vollmond, war  aber trotzdem irgendwie hell. Von oben her jedenfalls. Vor mir auf dem Boden  war es kohleschwarz. Ich hatte nur die kleine Lampe dabei, die mit dem schmalen Lichtstrahl. Rechts und links Schatten von Büschen ,Gestrüpp und irgendwie Angepflanztem.  Vor einer Woche hatte ich die Kleingartenanlage, die an einem Bahndamm lag, bei Licht erkundet. Von der Höhe hatte man einen Überblick. Sie hatten mir gesagt, wenn Du bei ihnen mitmachen möchte,dann soll ich  diese Aktion  alleine machen. Ich bräüchte mir auch keine Sorgen zu machen,ich würde das schon  schaffen." Es ist ziemlich einsam da, da is keiner“. „ Und wenn doch, wenn da einer in den Schrebergartenhütten übernachtet?“, hatte ich gefragt““ Das darf man gar nicht.““ Na dann.“
Jetzt  atmete ich angespannt und leise in die dunkle Kälte. Meine Ohren saugten jedes  Geräusch auf, meine Augen wanderten suchend  nach allen Seiten . Da, der Umriss der Hütte mit dem Stall tauchte vor mir auf. Einige hier halten Tiere, vor allem Hühner. Die schlafen aber jetzt,vor denen habe ich keine Angst. Gänse hält  hier aber niemand, die hätten mich  mit ihrem Geschrei  längst verraten. Atemlos stehe ich vor der dunklen Stalltür, nehme den Dietrich, steckte ihn in ins Schloss und drehe zart. Die Tür springt mit einem Knacken auf. Vorsichtig  öffne ich sie  nach außen. Sie quietscht. Ich erstarrte- aber nichts regt sich. Rein in den Stall, Türe zu. Ich sehe die Kaninchen im Schein meiner Lampe. Käfigbox an Käfigbox, doppelstöckig.  Ein Tier schlägt plötzlich mit den Hinterläufen mehrfach auf die Erde. Es klopft dumpf und hart seine Warnung an die anderen. Ein paar Tiere springen in ihren Käfigen  hin und her. Dumpfes Aufschlagen der Körper. Wieder Ruhe. Dann ein helles  Knacken, mittellaut, von wo? Was? Nicht bewegen. Wieder das Kacken. Von oben ? Vom Dach. Eine Katze?  Marder ? Ein Mensch? Auf dem Dach? Um diese Uhrzeit-blöde Gedanken. Es tappt weg.
 Ich betrachte die Kaninchen im Stall im Lampenschein. Ängstlich sitzen sie, zusammengekauert auf dreckigem, feuchten Stroh. Die Augen weit,dunkel,glänzend. Häsinnen mit Jungtieren. Ein helles Riesenkaninchen  und ein  fast gleichgroßes Tier weiss mit roten Flecken sitzenzusammen in einem Käfig. Es sind zwei entzückende Jungtiere mit durchscheinenden Riesenohren. Beide springen ans Gitter,kommen neugierig auf mich zu, recken sich hoch, freuen  sich  offensichtlich mich zu sehen, sie begrüßen mich, obwohl sie mich nicht kennen, mitten in der Nacht.  Spinnt ihr? Sie schauen mich an, zutraulich, als wären wir Freunde seit Urbeginn. Ich habe das so nicht erwartet. Sie müssten sich in Panik verkriechen. Mein Herz schmilzt. Wollen die raus hier?
Im Käfig darüber sitzt das Kaninchen, das ich suche. Schwarzbraun, dick, mit kurzen Ohren, zaghaft zutraulich, zerissen zwischen Angst und Neugier. Es hat ein Gesicht mit tiefen, irgendwie freundlichen Sorgenfalten. Es  sieht aus wie ein grimmiges  Kind mit staunenden Kulleraugen oder aber auch wie eine gutmütige, dicke Frau. Der perfekte Youtube- Star, schießt es mir durch den Kopf. So ein Tier  kann man doch nicht  schlachten. Es hat doch eine Seele.Ja, es hat eine Seele. Morgen wollen sie es töten,  damit sein Fleisch gegessen wird, mit Rosmarin. Ja, du da. Ich nenne es Nayla, Mädchen aus dem Paradies. Ich versuche das Karnickel zu packen . Es springt mehrfach in die Ecken, dann habe ich es am Nacken gepackt und stecke es in die  mitgebachte Kiste. Ich lege einen Geldschein in seine jetzt leere Käfigbox.
Ein Richter würde mich fragen ob es der Wert des Tieres gewesen wäre. Ich würde ihm antworten: „Die Hälfte des Materialwertes, der Wert seiner Seele ist tausendfach höher.“ „Warum haben sie dann nicht das Fleisch bezahlt und die Seele dazu,“ würde der Richter mich fragen, „ Die Seele kann ich nur dem Tier bezahlen, denn sie gehört ihm“ würde ich antworten.
Die beiden zutraulichen Kaninchen werden noch ein paar Wochen oder Monate hier im fensterlosen Stall auf dem feuchten Stroh in der Dunkelheit vor sich haben. Sie richten sich am Gitter ihrer Käfigtüre hoch, als ich den Stall mit  Nayla verlasse. Ich weiß nicht warum ich ausgerechnet  jetzt an die Gedenkseiten  der Tierheime denke.  Ich werde wiederkommen und dann  hole ich auch die zwei noch da raus.Sie werden  Simba heißen, der Löwe und Jaimia, ich liebe.Vielleicht sitzen sie bald im Tierheim eurer Stadt und warten, dass ihr ihnen ein Zuhause gebt.




 

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