Norbert Wittke

Wartezimmergedanken

Nun ich hatte heute einen Arztermin für 9.30 Uhr. Ich bin immer pünktlich. Fand mich also zu dieser Zeit beim meinem neuen Arzt ein. Stellte mich dann am Empfang an, um mich anzumelden. Natürlich hielt ich in der kleinen Schlange, die bis an die Eingangstür führte an, die Diskretionslinie ein. Aber das hinderte mich nicht daran, die Diagnosen für die vor mir befindlichen Patienten zu stellen. Unwillkürlich kommen  mir dann immer die Gedanken, was ich wohl verordnen würde, wäre ich nicht nur Patient.
An sich war ich nur einem Gesprächstermin nach einer Blutuntersuchung. Dachte mir das hast du schnell geschafft. Aber es kommt, wie es kommt. Vorahnungen gerade bei einem Arztbesuch trügen fast immer. Ich wurde als ich an die Reihe kam in das Wartezimmer verwiesen. Nur drei Patienten vor mir, sah ich hoch erfreut. Ich saß erst mal. Dann sah ich die Ilustrierten aus dem Lesezirkel, Ich sah einen "Stern", stand auf und griff zu. Nanu staunte ich? Der neueste Stern vom 6. Oktober 2016. Also von heute. War fast so, wie ein sechser im Lotto in einer Arztpraxis, wo man meistens die gesammelten Werke von Monaten und Jahren antrifft. Freudig sah ich die Illustrierte durch, denn ich hoffte immer noch auf einen schnellen Aufruf, der mich ins Sprechzimmer bringen könnte. Nach und nach füllte sich das Wartezimmer bis der letzte Stuhl besetzt war. Ab und zu eine Durchsage mit Aufruf eines Namens, den aber keiner verstehen konnte. Mehrere Patienten liefen zum Empfang, um den aufgerufenen Namen zu erfahren, kamen aber enttäuscht zurück.

Ich meinte nun laut: Der Lautsprecher ist sicher aus dem Sonderangebot, denn ein armer Arzt kann sich sicher eine richtige funktionierende Anlage nicht leisten. Ich hatte ja meinen Stern. Beim Durchblättern kam ich auf eine Seite mit einem Kunstwerk aus England. Es stellte als Skulptur einen riesigen Hintern da, der anscheinend auch als Tür benutzt werden konnte. Nicht schlecht dachte ich, da kann ja jedes Arschloch direkt durch ein anderes gehen, ohne hinein zu kriechen. Wäre etwas für Ämter, Versicherungen, Banken usw. Mal was neues.

Da fiel mir ein, dass ich beim Schlendern durch die Fußgängerzone vor einer Buchhandlung auf ein Malbuch für Erwachsene gestoßen bin. Titel nicht schlecht:"Fluche dich frei!" Ich schlug es auf und fand auf der ersten Seite gleich reich verziert das  Wort: "Arschloch" zum Ausmalen. Das ganze kleine Buch für 6,99 € hatte noch mehr schöne Flüche und diskiminierende Bezeichnungen für nette Mitbürger. Ich machte mir da schon Gedanken, wem man so ein Buch schenken konnte. Weihnachten steht ja bald vor der Tür. Da hätte man ein schönes Geschenk für bestimmte Leute.

Zurück ins Wartezimmer, wo ich immer noch wartete. Inzwischen war eine halbe Stunde verstrichen. Ich dachte mir, der Arzt kann doch nicht, wo er auf mich ziemlich pingelig und korinthenkackerhaft gewirkt hatte, mich so warten lassen. Nach mir gekommene Patienten waren schon lange durch. Eine Frau beschwerte sich: "Ich bin für 9.30 Uhr hier bestellt." "Ich auch erwiderte ich". Ich glaube nicht, dass dieser Arzt irgendwo so lange gewartet hätte. Ich gab ihm noch eine Viertelstunde. Ich hatte nun das ganze Heft durchgeblättert und mich an den satirischen Beiträgen erfreut. Na dachte ich, da hast du wenigstens 4,60 € gespart, Nun waren 50 Minuten vorbei. Genug gewartet dachte ich mir. Ich ging zum Empang und verabschiedete mich. Da sage noch einer, dass man als Privatpatient überall Vorteile hat. Dieser Arzt hat es jedenfalls bewiesen.

06.10.2016                            Norbert Wittke

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