Christa Astl
SABINES ÜBERLEBENSKUNST 9
Herr Huber im Krankenhaus
Sonntag, wieder der letzte Tag. Sabine hat es am Abend doch noch geschafft, ihre Deutsch-Arbeit fertig zu bringen, hat dabei manchen Bezug auf ihr Leben in Einsamkeit und Stille hergestellt. Ob die Professorin zufrieden sein wird? Es ist eben Sabines Meinung, warum soll sie immer nur die Meinung der anderen wiedergeben?
Heute muss sie wieder absteigen, ihr "Krähennest", wie sie die Hütte liebevoll nennt, verlassen, das weite Tal hinaus und in ihre ungeliebte Stadt mit der noch unbeliebteren Schule zurück. Gut dass sich das Wetter verschlechtert, so fällt ihr das Heimkehren doch leichter.
Der Himmel ist grau, immer noch dunklere Wolken bilden sich, die Berge der Umgebung sind bereits im Nebel. Wird es schneien, kommt ein Gewitter? Auf dem langen einsamen Weg will sie sich doch nicht den Naturgewalten aussetzen, also beschließt sie schweren Herzens, bald aufzubrechen.
Zum Frühstück muss Sabine noch einheizen, bis das Teewasser kocht, bleibt Zeit, Holz für das nächste Mal herein zu tragen - sie denkt schon wieder ans nächste Mal!? - Ihren Rucksack hat sie schnell gepackt, er ist bedeutend leichter geworden. Sie lässt das Feuer ausgehen, zerdrückt auch noch den letzten Rest einer Glut.
Mit dem restlichen heißen Wasser wäscht sie das Geschirr, ordnet es auf dem Bord über dem Herd, dann kehrt sie den Boden, schüttelt die Kissen auf, legt die Decken zusammen, - ein kurzer kritischer Blick - dann nimmt sie den Rucksack auf und öffnet die Tür. Kalter Wind schlägt ihr entgegen. Sabine kontrolliert noch einmal alle Türen und Fenster, dann legt sie den Hausschlüssel in sein Versteck unter dem losen Brett.
Der Wind scheint von den Bergen zu kommen, treibt sogar einzelne Schneeflocken vor sich her. Wie gut, dass Sabine wieder die festen Bergschuhe angezogen hat, so kann sie doch viel fester und sicherer auftreten und schneller abwärts kommen. Heute nimmt sie sich keine Zeit mehr, zurück zu schauen. Die Hütte entschwindet ohnehin bald
ihrem Blick im Nebel. Und plötzlich ist er da, der Schneesturm! Innerhalb von Minuten ist alles weiß. Schnee dringt durch alle Öffnungen ihrer Kleidung, sie muss sich die Kapuze festbinden, den Reißverschluss bis zum Hals zuziehen, die Hände steckt sie in die Taschen, Handschuhe, dachte sie, brauche ich doch im Mai nicht mehr! Aber sie hat wieder was gelernt - in den Bergen kann das Wetter schnell umschlagen. Noch ist sie weit vom Waldrand entfernt, da plötzlich ein Blitz, ein Donnerschlag! - Nun bekommt Sabine Angst. Es ist was anderes, ein Gewitter hinter dem geschlossenen Fenster unter sicherem Dach zu beobachten, als draußen hilf- und schutzlos ihm ausgeliefert zu sein. Und der schützende Wald ist noch so weit weg!
Doch bei dem einen Donnerschlag ist es geblieben, so schnell wie der Schneesturm begonnen hat, so plötzlich hört er auch wieder auf. Im Wald regnet es nur leicht, doch Sabine geht vorsichtig. Auf einer feuchten Wurzel auszurutschen, könnte auch gefährlich sein. Aber alles geht gut, Sabine erreicht wieder sicher das Tal und den Bahnhof. Sie muss nicht lange auf ihren Zug warten.
Zu Hause hat sie genug Zeit, Herrn Huber, den Bauern und Besitzer der Hütte anzurufen. Diesmal meldet sich eine Frauenstimme, die zuerst unfreundlich fragt: "Wer spricht denn hier?" Sabine versucht kurz zu erklären, doch die Frau scheint nicht so recht zuzuhören. Endlich sagt sie: "Der Herr Huber ist nicht da, rufen S‘ halt an anders Mal an" und knallt den Hörer auf die Gabel. Am Abend versucht sie es erneut, erreicht ihn aber wieder nicht. Als sich die Frau meldet, legt Sabine sofort auf.
Am nächsten Vormittag, ausgerechnet in ihrer Deutschstunde, ruft Herr Huber zurück. Wie peinlich, gerade diesmal hatte sie vergessen, auf lautlos zu schalten. Obwohl sie schnell unterbricht und das Handy in der Aufregung ganz ausschaltet, macht sie das Grinsen der Mitschüler noch verlegener. In der Pause bleibt sie lange auf der Toilette, um wahrscheinliche blöde Fragen nicht beantworten zu müssen.
Mittags bemerkt sie, dass Herr Huber auf die Mailbox gesprochen hat. Erst zu Hause in ihrem Zimmer hört sie ab: „Griaß di Sabine, mei Frau hat ma gsagt, dass d'g angrufn hast. I bi im Spital, werd no a Weil dauern, bis mich heim lassn. Schau mir inzwischen guat auf mei Hüttn.“
Das will ich machen, will Sabine antworten. Sie merkt gar nicht, dass sie diesen Satz laut ausgesprochen hat. Doch er hat inzwischen aufgelegt und die Telefonnummer ist leider unterdrückt, so kann sie nur hoffen, dass sich Herr Huber bald wieder meldet.
ChA Dez. 16
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.01.2017.
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