Sebastian James Brueckner

Schachmatt

Der Aschenbecher füllt sich. Ich drücke die nächste Kippe
aus. Ich muss mindestens schon die halbe Schachtel verraucht
haben. Schmecken tun sie mir nicht, den Drang zu rauchen
empfinde ich schon lange nicht mehr. Warum zünde ich mir
dann eine nach der anderen an? Ich weiß es nicht. Vermutlich
weil alles besser ist, als sich mit meinen eigenen Gedanken zu
befassen. Ablenkung.
Der Zigarettenqualm hängt wie ein Schleier über der Bar, trübt
und vernebelt die Sicht, besiegt die Klarheit. So in etwa wird es
in allen Köpfen der Männer aussehen, die sich tagein tagaus in
diese Absteige verirren. Whisky und Bier ist hier drinnen, wie
Sauerstoff und Karriere da draußen, das was zählt.
Ich verspüre aber das Verlangen nach einem weiteren Drink.
Wieder ein JW red? Diese Giftbrühe, diese Hassliebe?! Sie hat
mir schon über den ein oder anderen Schmerz hinweg geholfen,
aber mein Arzt sagt, dass sie mir nicht wirklich gut tut!
Ach was soll's, man lebt nicht ewig und ich habe heute
Geburtstag. "Einen Glenlivet 18, Joey!"
Die Frage nach den Eiswürfeln stellt mir Joey erst gar nicht, zu
gut kennt er mich bereits. Schließlich komme ich seit zwölf
Jahren in seine Bar. Sitze immer am selben Platz, den zweiten
Barhocker ganz hinten links. Mein Name ist Tommy Bouras
und heute vor 52 Jahren bin ich hier in Brooklyn als Sohn
griechischer Eltern auf die Welt gekommen, 52 Jahre die sich
die Welt hätte sparen können. Eine Frau hab ich nicht, eine
Tochter schon. Sie lebt bei ihrer Mutter, wo das ist weiß ich
nicht. Ich habe eine Telefonnummer, aber sie will keinen
Kontakt zu mir und ich respektiere das. Zu groß ist wohl die
Schuld. Zuletzt sah ich sie als sie vierzehn war. Stephanie.
Der Aschenbecher ist nun voll, randvoll. Genau wie meine
Geduld noch länger auf ihn zu warten. „Hat er meinen
Geburtstag vergessen?“


Ich zieh mir meinen Mantel über, knöpfe ihn mir bis zum
Hals hin zu, setze meinen Hut auf, ziehe ihn mir tief ins
Gesicht und mache mich auf den Heimweg. Man könnte mich
glatt für einen Privatdetektiv aus einen dieser alten 40er Jahre
schwarz-weiß Streifen halten.
Meine Wohnung ist nicht weit entfernt von Joey's Bar. Zehn
Minuten Fußweg
Ein Auto habe ich nicht mehr. Wozu? Kostet mich nur unnötig
Geld und große Touren mache ich schon lange nicht mehr. Den
Rest kann ich zu Fuß erledigen. Dazu kommt, dass ich ein
starkes Alkoholproblem habe.
Es ist schon dunkel und es regnet, ein leichter Wind zieht, aber
er ist nicht störend. Ich mag den Regen, er wäscht die Straßen
rein von allen Sünden. Zumindest rede ich mir das ein, wohl
wissend, das es nicht stimmt. Aber riechen tut er gut.
Ich bin etwas angetrunken, aber das ist längst ein Dauerzustand
und ich weiß mittlerweile damit umzugehen.
Der Wind lässt die Straßenbeleuchtungen und Ampeln, die an
Kabeln weit über mir hängen leicht ins Schwanken bringen. Ich
laufe ein paar Blöcke, vorbei an auf der Straßenseite stehenden,
überfüllten Mülltonnen. Sie müssen schon länger nicht geleert
worden sein, viele Müllsäcke lehnen an den Tonnen und
streunende Hunde wühlen darin.
Ein trauriger Anblick, so traurig wie das ganze Viertel und dem
zu was es geworden ist.
Ich biege in eine Quergasse ein, eine Abkürzung. Mannshohe
Metallzäune trennen hier die Grundstücke und Hundegebell
durchdringt den Klang des Regens und der Nacht und lenken
mich kurz von der Enttäuschung und Verärgerung über die
Versetzung meines besten Freundes ab.
Henry Wade, genannt Hank. Er ist mein einziger mir noch
gebliebener Freund. Wir kennen uns schon seit über sechzehn
Jahren. Wir lernten uns durch Salvatore "Die Axt" Matello
kennen, ein Gauner mit Verbindungen zur lokalen Mafia für
den wir, die ein oder andere Drecksarbeit erledigten.
Regen, Hundegebell, hier und da Polizeisirenen und Schüsse ...
der melancholische Soundtrack der Straßen hier.
Ein Obdachloser, zugedeckt in feuchten Kartonagen nennt die
Gasse sein Zuhause. Da ich hier regelmäßig entlang gehe,
entsetzt mich der Anblick schon gar nicht mehr. Manchmal lege
ich ihm gar ein paar Dollar hin.
Vielleicht soll das mein Joker sein, mein Ass im Ärmel, wenn
es eines Tages zur großen Abrechnung kommt.
Manchmal frage ich mich, wer mehr nach nassem Hund stinkt,
die streunenden Hunde oder er.
Ich habe mal gehört, dass er Shane heißen soll und ein ziemlich
erfolgreicher Anwalt war, bis er seine komplette Familie bei
einem von ihm selbst verschuldetem Autounfall auslöschte, er
mit der Schuld nicht leben konnte und deshalb so tief abstürzte.
Kann allerdings auch alles Bullshit sein. Leute hier reden
gerne, viel und das meiste stimmt nicht oder wird übertrieben.
Es ist mir auch egal.
Ich biege nun in meine Straße ein und erblicke das Gebäude, in
dem sich meine Wohnung befindet. Kein schöner Anblick.


Es ist ein altes, in die Jahre gekommenes Gebäude am Ende
der Straße in dessen Anblick sich keinerlei freundliche Farben
widerspiegeln. Grau- und Brauntöne dominieren unterstützt
von schwarzen und dunkelgrünen Elementen. Farben die eher
in ein gemischtes Olivenglas gehören als an eine Hauswand.
Ein Stück Nacht am Tag für das sich die Nachbarn schämten.
Schlecht gesprayte Graffiti beleidigen den Eingangsbereich
rund um die alte massive Holztür.
Das Treppenhaus ist ebenfalls finster, dunkelbraunes Holz
übersät mit Rissen, Kratzern und Farbflecken. Jeder Schritt
quietscht quälend als wäre das Haus ein schwer verwundeter
Soldat, der in seinen letzten Atemzügen auf einem Schlachtfeld
liegt.
Es gibt sogar einen Aufzug, der zur Überraschung sämtlicher
Mieter tatsächlich funktioniert. Allerdings nur Platz für zwei
Personen bietet. Benützt wird er aber kaum, zu gering ist das
Vertrauen in die Funktionalität, in Anbetracht des Alters und
des allgemeinen Zustandes des Gebäudes.
Ich wohne im vierten von insgesamt fünf Stockwerken. Ich
teile mir dieses mit einer armenischen Familie. Sehen tu ich
diese kaum, hören fast die ganze Zeit. Lauthalse Streitereien
stehen an der Tagesordnung. Verstehen kann ich kein Wort,
aber das will ich sicherlich auch nicht.
Über mir wohnt Jim Cohen, ein verträumter, erfolgloser
Musiker in seinen Vierzigern der den ganzen Tag Saxofon oder
Gitarre spielt und aus dessen Wohnung es auffällig stark nach
Marihuana riecht. Jim und die alte Mrs. Parker aus dem ersten
Stock, die für mich des öfteren Pakete entgegen nimmt, wenn ich
nicht zuhause bin und ich ihr aus Dank hin und wieder etwas in
der Wohnung repariere, sind meine einzigen sozialen Kontakte
im Haus. Den Rest kenne ich nicht, viele davon habe ich noch
nie gesehen. Mir liegt auch nichts daran, das zu ändern.

Meine Wohnung ist eher klein, aber für mich alleine
ausreichend. Ein altes Badezimmer, ein Schlafzimmer, ein
länglich geschnittener Flur. Küche und Wohnzimmer bilden
einen Raum. Auch hier geben dunkle Farben den Ton an.
Braun- und Grüntöne.
Im Schlafzimmer befindet sich lediglich ein klappriges
Metallbett mit Nachttisch, ein Kleiderschrank und eine
Hantelbank, die längst Staub ansetzte und wenn überhaupt nur
als Kleiderablage dient. Auf dem Nachttisch steht eine kleine
Schirmlampe, ein Aschenbecher und ein Exemplar von
Hemingway's "Der alte Mann und das Meer", in dem ich ab
und zu vor dem Einschlafen etwas lese.
In der Küche, die kaum benützt wird, steht ein veralteter
Kühlschrank, dessen Aggregat so laut summt und vibriert, dass
man das Gefühl hat ein Bienenschwarm versteckt sich dahinter.
Ein Kühlschrank, in dem sich außer ein paar Dosen Lone Star
Bier, etwas Wurst und Käse, Eier, Milch und dem asiatischen
Essen vom Vortag nichts weiteres befindet.
Die Kinderzeichnung, die mit einem Magneten befestigt am
Kühlschrank hängt, verleiht der tristen Wohnung einen Funken
Herz und Seele. Sie war von Stephanie, nichts besonderes, aber
es ist alles was ich von ihr habe.
Mikrowelle, Ofen und Herd sind auch vorhanden. Gekocht
wird nicht wirklich, außer manchmal Bacon & Eggs am
Morgen und eventuell mal ein Stück Fleisch am Abend. Ich
esse auswärts, das erspart mir den Abwasch. Die
Kaffeemaschine ist dagegen täglich im Einsatz.
Auf der anderen Seite des Raumes steht ein alter gepolsterter
Sessel mit einem Beistelltisch vor einem kleinen
Röhrenfernseher. Hier sitze ich meistens, hier esse ich auch.
Ein Schreibtisch befindet sich ebenfalls im Zimmer. Die
Schreibtischlampe auf selbigem spendet oft das einzige Licht in
der dunklen Wohnung.
Ein Schachbrett mit einer nicht zu Ende gespielten Partie liegt
auf einem kleinen Tisch, von zwei Plastikstühlen umgeben
unter dem Fenster.

„Ob wir die Runde je zu Ende spielen werden? Wo steckt er
nur?“

Dekoration ist kaum vorhanden und die wenige die es ist, ist
nicht meine Wahl gewesen. Erinnerungen der Vergangenheit
hier und da, wie die deutsche Kuckucksuhr von meinem
Großvater an der Wand oder das Bild von mir und meinen
Army Buddies auf dem Fenstersims. Eben eine sehr altmodisch
und spartanisch eingerichtete Wohnung. Als hätte ich sie so
übernommen oder als wäre ich auf der Flucht und nur für kurze
Zeit hier untergebracht worden. Genauso fühle ich mich auch.
Fremd ... verloren ... vergessen.
Vielleicht liegt es an meinem Alter. Zu alt um neu anzufangen,
eine Familie zu gründen und eigentlich noch zu jung zu
sterben.
Da fällt mir dieser Spruch ein, den mir ein älterer, mir fremder
Mann einst auf der Straße erzählte. "Ich bin nicht alt, ich bin
nur früher geboren!". Was er damit meinte war wohl in die
Richtung von „man ist nur so alt, wie man sich fühlt" zu
interpretieren. Aber was weiß der schon! Schließlich roch er
bereits vormittags nach Alkohol, schob sein Hab und Gut in
einem gestohlenem Einkaufswagen durchs Viertel und trug
Zeitungspapier zu einer Windel geformt über seiner Hose.
„Werde ich auch so enden?“
Um diesen Gedanken schnell zu verwerfen schenkte ich mir ein
Glas Whisky ein, setzte mich in den Sessel und schaltete den
Fernseher an.
Es läuft wie meistens nur Mist. Ich zünde mir noch eine
Zigarette an und leg mich danach ins Bett. Morgen kann nicht
schlimmer werden als heute.


Ich wache schweißgebadet auf, mein Herz rast. Mein
Kopfkissen ist klitschnass, meine Bettdecke liegt neben dem
Bett. Ein schrecklicher Albtraum suchte mich heim. Oder ist es
gar eine Erinnerung, so echt fühlte sich dieser an? Als würde
mir mein Unterbewusstsein etwas mitteilen wollen, etwas das
ich, wenn ich wach bin, nicht wahrnehme, ausblende.
Mein Schlafzimmer leuchtet alle paar Sekunden rot und blau
auf, als hätten Streifenwagen das Gebäude umstellt. Aber es ist
das Neonschild des Stripclubs gegenüber, das in die Gasse
unter meinem Schlafzimmer leuchtet.
Das „Wet Shade's".
Der Name leuchtet rot, wobei das „et", „Sh" und das „s" nicht
mehr leuchten. Ein weiteres Schild mit dem Schriftzug „live
girls!" leuchtet blau.
Es regnet noch immer. Die schweren Regentropfen prasseln auf
das Blechsims vor dem Fenster. Das Trommeln der
Regentropfen wirkt hypnotisierend. Ich gehe ins Badezimmer.
Mich überfällt wieder einer dieser heimtückischen, kratzenden
Hustenanfälle, die mich seit einigen Wochen immer häufiger in
den Tag begleiten. Nur das ich dieses mal auch Blut huste. Das
Waschbecken ist mit Blutspritzern übersät. Der von Chaos
bestimmte Anblick wirkt wie ein perverses, abstraktes
Gemälde.
Ich drehe den Wasserhahn auf, wasche mir das Gesicht mit
kaltem Wasser, entferne die Blutflecken im Becken und blicke
in den Spiegel. Mein Gesicht wirkt ausgezehrt und eingefallen.
Der Blick leer, die Augen glasig. Das Haar wird dünner und
mein Haaransatz wandert nach hinten. Stück für Stück weiter
weg vom Gesicht, als könnten selbst die Haare den Anblick
meiner Visage nicht mehr ertragen.
Es hängt ein leicht süßlicher und parfümierter Duft im Raum.
Ich weiß nicht ob angenehm oder gar widerlich. Andererseits
riecht das ganze Haus nicht besonders.
Ich bin am Urinieren als ich feststelle, dass ich dringend ein
Bad nehmen sollte. Zu viel habe ich geschwitzt. Zu sehr stinkt
jede Pore meines Körpers nach Whisky und Tabak. Der
Duschvorhang ist zugezogen und blockiert die Sicht auf die
Badewanne. Ich verschiebe es auf später.
Im Wohnzimmer angekommen mache ich die
Schreibtischlampe an. Es ist 04:14 Uhr und noch dunkel
draußen, bis auf das rotblaue Blinken der Neonreklame. Das
Licht im Raum ist minimal. Bedrückend. Aber so bevorzuge
ich es.
Das Haus ist verdächtig still, als wäre es komplett verlassen
worden. Eine Ruhe die es sonst nicht kennt, denn in der Regel
ist hier nachts mehr los als tagsüber. Ich hingegen genieße die
wohltuende Ruhe.
Ich drehe den Gasherd auf, zünde mir eine Zigarette an der
desillusionierten blauen Flamme des Gasherdes an, stelle eine
Pfanne darauf und mache mir zwei Spiegeleier. Der Husten wird
durch das Rauchen schlimmer, aber es ist mir egal.
Die Eier schmecken nicht wirklich, sind leicht verbrannt.
Nachdem ich den schmutzigen Teller ins Spülbecken legte,
mache ich mich wieder auf den Weg ins Badezimmer zurück
um das längst überfällige Bad zu nehmen und mich vom
Gestank der Nacht zu befreien.
Ich ziehe den Duschvorhang hastig zur Seite und erblicke das
pure Grauen. „Was habe ich getan?“


Ich blicke in die leblosen Augen meines Freundes Hank. Sein
Kopf ist abgetrennt und steht in der Ecke der Badewanne an die
Wand gelehnt. Er hat eine Schusswunde auf der Stirn von der
Blut herunterlief und sich in seinem rechten Auge sammelte,
ehe es weiterlief und trocknete.
Sein linkes Auge ist weit aufgerissen, als wäre es im Terror
seiner letzten Sekunden erstarrt. Seine Hände und Füße sind
ebenfalls abgetrennt und befinden sich neben dem Kopf. Die
Hände aufeinander gelegt, die Füße nebeneinander.
In der Wanne selbst liegt sein Torso, sowie seine Beine, welche
auch abgetrennt sind. Die unsauberen Schnitte, sowie Haut- und
Fleischfetzen an den jeweiligen Schnittstellen lassen darauf
hindeuten, dass wohl eine ältere, schon etwas abgestumpfte
Handsäge eingesetzt worden war um den Leichnam zu
zerteilen.
Die Körperteile teilen sich die Wanne mit gut einem dutzend
Duftbäumen, die sonst nur in Autos hängen und dort für
schlechte Luft sorgen.
Verwesungsgeruch setzte noch nicht ein. Neben den eher
süßlich riechenden Duftbäumen roch es noch leicht metallisch,
nach Münzen ... das Blut. Es kann noch nicht sehr lange her
sein, aber mir wurde klar woher der Geruch im Raum kam.

- Ich erinnere mich wieder an alles! -

Hank besuchte mich, wir tranken, lachten, spielten Schach. Ein
ganz normaler Abend unter Freunden, bis wir in einen Streit
gerieten, ich meine 38er aus der Küchenschublade holte und
ihm in den Kopf schoss! Worüber wir uns gestritten hatten und
was danach passierte weiß ich nicht mehr.

Es klopft an der Wohnungstür. Wenige Sekunden vergehen. Es
klopft erneut, als ich mich leise an die Tür heranschleiche. Ich
sehe durch den Spion und erblicke mehrere Polizisten vor
meiner Wohnung.
Mein Herz rast und klopft so laut, dass ich das Gefühl habe,
selbst die Polizisten können es hören.
Ich schleiche mich in das Wohnzimmer. Ein Blick aus dem
Fenster lässt mir klar werden, dass die roten und blauen Lichter
tatsächlich von Streifenwagen stammen. Logisch, das "Wet
Shade's" hat schon vor Jahren geschlossen, als herauskam, dass
der Besitzer zu einem Menschenhändlerring gehörte und junge
Mädchen im Keller gefangen hielt.
Warum aber habe ich mich von der Interpretation der Lichter
täuschen lassen? Ich wollte es wohl nicht wahr haben.
Ich bin umstellt, kein Ausweg erschließt sich mir. Mit zittrigen
Händen öffne ich die Küchenschublade und hole eine Dose
Feuerzeugbenzin, eine Schachtel Streichhölzer und meine
38er heraus.
Die Panik in mir lässt mich unvorsichtig werden. Beim Drehen
stoße ich das benutzte Whiskyglas um, welches ich vor dem ins
Bett gehen noch auf der Arbeitsplatte abgestellt hatte. Es fällt
auf den Boden und zerbricht. Den Knall hören auch die
Polizisten, die nun ihre Taktik ändern und zu rufen beginnen:
„Herr Bouras hier spricht die Polizei, wir wissen, dass sie da
sind! Öffnen sie die verdammte Tür!".
Ich sitze in der Falle. Ich muss sie etwas hinhalten und
erwidere:
"Sofort, ich ziehe mir nur noch schnell etwas über."
Ich sprinte auf Zehenspitzen zurück ins Badezimmer, greife mit
der einen Hand Hank's Kopf an den Haaren, mit der anderen
seine Gliedmaßen und vereine alles mit dem Torso und den
Beinen in der Wanne.
Nun beginne ich den Leichnam mit dem Benzin zu übergießen.
Durch die kleine Öffnung kommt zu wenig heraus, es dauert zu
lange. Hastig beiße ich den Verschluss mit aller Kraft ab und
schütte den kompletten Inhalt auf Hank's Überreste.
Ich hole die Schachtel mit den Streichhölzer aus meiner
Hosentasche hervor, doch ich bin zu hektisch und sie fällt mir
auf den Boden. Die Streichhölzer verteilen sich willkürlich auf
dem Boden. Ich greife nach einem, zünde es an und werfe es in
die Wanne. Binnen Sekunden brennt das tote Fleisch lichterloh.
Mir kommt jeder Schritt wie eine Stunde vor, doch es sind nur
wenige Sekunden vergangen. Rauch bildet sich und verlässt das
Badezimmer.
Ich fühle die Hitze in meinem Gesicht als würde ich mit
meinem Freund brennen. Die Polizisten merken was Sache ist,
der Rauch zieht auch unter der Wohnungstür hindurch.
Als ich wieder im Flur bin und in Richtung Wohnzimmer
schleiche, gibt es einen wuchtigen Stoß gegen die
Wohnungstür, der den gesamten Boden in der Wohnung
kurzzeitig beben lässt. Ein weiterer Stoß folgt und die Tür ist
fast offen.
Ich nehme die 38er und feuere zwei Schüsse ab. Sie
durchdringen die Tür und ich höre einen schmerzverzerrten
Schrei. Ich habe einen von ihnen getroffen. Einer der Polizisten
schreit in sein Funkgerät: „Officer verwundet, schickt
Verstärkung, wir stürmen".
Chaos bricht aus. Verschanzt hinter der Wohnzimmertür, ein
Auge auf die Wohnungstür gerichtet, sehe ich wie die Tür nun
komplett nachgibt.
Zwei bis drei Polizisten stürmen herein und flüchten sofort ins
Schlafzimmer, weitere nehmen hinter der nun offenen
Wohnungstür Deckung. Ich schieße ein weiteres Mal in deren
Richtung. Kein Treffer. Ein Hagel von Kugeln fliegt mir
entgegen. Auch sie treffen mich nicht.
Der Qualm hat mittlerweile auch das Wohnzimmer erreicht und
trübt die Sicht. Das Atmen fällt schwerer. Das Feuer muss auf
den Plastik-Duschvorhang übergegriffen sein und der
brennende Kunststoff gibt nun seine Gifte an die Luft ab.
Ich schieße ein weiteres Mal, um sie wissen zu lassen, dass ich
mich nicht ergeben werde und bis zum Schluss kämpfen werde.
Aber auf jeden meiner abgefeuerten Schüsse folgen mindestens
zehn von ihnen. Wohl wissend, dass ich diesen aussichtslosen
Kampf nicht gewinnen kann, überlege ich mir wie ich an Zeit
gewinnen kann ... Wozu? Ich weiß es nicht. Überlebensinstinkt
vermutlich.
„Ich habe zwei Handgranaten" schreie ich ihnen entschlossen
zu, gefolgt von „ich werde sie scharf machen und uns alle zum
Teufel jagen!". Sie kontern meinen Bluff mit noch mehr
Schüssen.
Dunkler Qualm vermischt mit den schäbigen Lichtern der
Nacht lassen mich kaum noch etwas sehen.
Ich will das Fenster öffnen um den Rauch etwas abziehen zu
lassen. Doch am Fenster angekommen gibt es einen weiteren
Knall.
Das Fensterglas bricht in lauter Einzelteile und Glassplitter
schneiden sich mir ins Gesicht. Ich sacke zu Boden, mein
Gesicht brennt von den vielen Schnitten als ich bemerke, dass
ich angeschossen wurde.
Ein Polizist schoss vom Dach des Gebäudes gegenüber durch
das Fenster auf mich. Meine linke Schulter ist getroffen.
Schwer gezeichnet krieche ich in eine Ecke, um aus der
Schusslinie beider Seiten zu geraten.
Der Rauch zieht etwas aus dem Fenster, die Sicht verbessert
sich leicht. Ich höre ein Geräusch, das mich einen Feuerlöscher
vermuten lässt, gefolgt von vielen Schritten den Flur entlang
Richtung Wohnzimmertür schreiten.
Sie werden nun endgültig stürmen. Ich ziehe meine Waffe ein
letztes Mal und ziele in Richtung der Schritte.
Plötzlich ein Klimpern als würde jemand eine Blechdose in den
Raum schmeißen. Ein Knall ... grelles Licht ... Ohrenpfeifen.
Ich sehe nichts mehr. Ich schieße blind und ohne Orientierung
darauf los, bis es nur noch „klick-klick-klick" macht und mir zu
meinem Entsetzen klar wird, dass ich keine Munition mehr
habe.
„Das war's. Ich habe verloren, sie werden mich jede Sekunde
töten. Ich weiß, dass ich es verdiene und ich mir das Ende die
letzten Jahre herbeigesehnt habe. Doch jetzt wo es soweit ist,
will ich es nicht. Ich will leben!“
Den Gedanken kaum beendet spüre ich, wie sich die nächsten
Geschosse in meinen Körper bohren und brennen.
Mein Gehör kommt noch ein letztes Mal zurück. Ich höre
weitere Schüsse und hektisches Geschrei, dessen Wortlaut ich
nicht mehr wahrnehme, als mir mein letzter Gedanke kommt.
„Wie haben sie mich so schnell gefunden? Woher wussten sie
davon?“ Ich werde es nicht mehr erfahren.
Ich spüre wie mich die Kraft verlässt und das Leben aus
meinem Körper fließt. Schmerzen habe ich keine dabei. Ich
empfinde Erleichterung und lasse los, ergebe mich meinem
Schicksal. Der Teufel wird wohl nur mich holen! Und ich
befürchtete schon, ich müsste ewig leben!

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Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Sebastian James Brueckner).
Der Beitrag wurde von Sebastian James Brueckner auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.03.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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