Birgit Enser

Hanna und der dunkle Wald (Teil 2)

Es dürfte niemanden wundern, dass der Bär nun nicht mehr sehr gut auf Hanna zu sprechen war, verlor er doch alles, was ihm jemals wichtig schien. Die Höhle, seinen gemütlichen Ruheplatz, vielleicht sogar ein Kätzchen, das jüngere ... und Hanna selbstverständlich. So ging er nun oft hinunter über die Wiese und streifte ziellos durch die Felder.

Die Kätzchen waren beide sehr traurig gewesen und auch wütend, doch irgendwann akzeptierten sie Hannas Entscheidung. Das ältere Kätzchen war schon fast alt genug, um auf eigenen Beinen zu stehen, und es begann nun auch, sich mehr mit anderen Kätzchen zu treffen. Es wurde langsam erwachsen. Das jüngere der beiden Kätzchen schloss sich mal dem Bären und mal Hanna an. Es hatte Angst, sich entscheiden zu müssen und versuchte immer noch, den Platz, den Hanna hinterließ, obwohl sie ja eigentlich noch da war, auszufüllen. Es ging also oft mir dem Bären, um Nahrung zu besorgen, und von nun an kochte das kleine Kätzchen ihm sogar manchmal sein Lieblingsessen.

Und Hanna, die so voller Hoffnung auf ein Leben im Wald und am See gewesen war, zog sich immer mehr zurück. Das schlechte Gewissen nagte an ihr, weil sie dieses Unglück über ihre kleine Familie gebracht hatte. Jedesmal, wenn sie versuchte, mit dem Bären zu reden, fühlte sie sich ohnmächtig und hatte mehr und mehr das Gefühl, dass er glaubte, mit ihr könne etwas nicht stimmen. Er behandelte sie oft wie ein Kind, dass man nicht so recht ernst nehmen darf.

Hanna hatte beschlossen zu warten, bis der Bär wusste, wohin er gehen könne, es musste auch ein neuer Besitzer für die Höhle gefunden werden, doch dieser Entschluss rächte sich alsbald, denn Hanna fühlte sich mehr und mehr eingesperrt. Sie wurde von Tag zu Tag niedergeschlagener.

Wenn sie in den Wald ging, so nur, um ein paar Beeren, Pilze oder Kräuter zu sammeln, welche der Bär auch immer annahm, doch stets betrachtete er sie missmutig, schmollend oder sogar mitleidig grinsend.

Hanna hatte nun schon sehr viel mehr Zeit im Wald verbracht, sie hatte eine hübsche Vogeldame kennengelernt, die sich grade ihr Gefieder frisch hatte färben lassen. Sailor, so nannte sie sich, hatte sich grade ein schönes neues Nest geschaffen, ohne ihr Faultier, dass Tag für Tag nur an einem Ast baumelte. Sie sah mit strahlenden Augen in die Zukunft, und Hanna hörte oft neidisch zu.

Dann gab es noch Gwynn, ein seltsames Wesen mit großen Augen, dass ständig beschäftigt zu sein schien, kaum einmal stehenblieb und wenn, dann nur, um mit wippendem Fuß ungeduldig seiner nächsten Beschäftigung entgegenzufiebern. Er schien Angst zu haben, zu lange an einem Ort zu sein.

Und dann gab es natürlich noch Leo, der immer wichtiger für Hanna geworden war. Er war manchmal brutal ehrlich, wenn es darum ging, Hanna zurück auf den Boden der Tatsachen zurück zu bringen. Doch gerade das schätzte sie ja so an ihm. Nun ja, nicht nur das natürlich.

Gezeigt hatte er sich ihr jedoch immer noch nicht, fast täglich saßen sie am Waldrand zusammen, wo Hanna oft angestrengt die Augen zusammenkniff, um einen Blick auf Leo zu erhaschen, doch er war sehr geschickt darin, sich zu verbergen.

Hanna fing an, davon zu träumen, endlich eine eigene Hütte zu haben, denn sie hoffte, dass Leo sie dort besuchen würde. Sie stellte sich oft vor, wie es wohl wäre, gemeinsam mit ihm durch den Wald zu gehen, sich vielleicht sogar Hand in Hand mit ihm auf dem Wasser des kleinen Sees treiben zu lassen.

Hanna wusste aber auch, dass Leo vor einer Weile eine niedliche kleinen Waschbärfrau geliebt hatte und sich ein Leben mit ihr gewünscht hatte. Er hatte ihr durch sehr viel Kummer und Schmerz geholfen, doch sie hatte ihn verlassen, als sie endlich frei war. Und Hanna hatte oft Angst, dass diese Wunde niemals heilen würde.

Nun war Leo schon seit ein paar Tagen nicht mehr zu ihr gekommen, und Hanna lief mal wieder suchend am Waldrand auf und ab. Im Wald selbst zu suchen hatte keinen Sinn, dort hätte sie ihn nie gefunden. Sie malte sich die schrecklichsten Dinge aus, das ging von durch einen Baumstamm erschlagen bis zu er hat mein Gejammer über.

An jeden Stamm in der Nähe heftete sie Zettel mit Nachrichten für ihn, versuchte mit ihren Blicken die undurchdringliche Dunkelheit hinter dem Dickicht zu hypnotiesieren und kaute den Rest der Zeit verzweifelt an ihren Nägeln.

Endlich, nach drei Tagen hörte sie seine vertrauten Schritte im Unterholz. Sie ließ ihn gar nicht erst zu Worte kommen und fing gleich an: ´Wo warst du denn? Ich dachte, du magst mich nicht mehr. Was hast du gemacht? Warst du krank? Ich hab mir Sorgen gemacht! Musstest du arbeiten? Oder ...?´ Sie wagte kaum nach der Waschbärdame zu fragen.

Von Leo kam erst kein Laut, dann nur ein ´Oh je!´ Hanna blieb hartnäckig. ´Ja, sag doch. Was war denn? Du hast mir nicht gesagt, dass du nicht kommen würdest!´ Hanna hörte, wie Leo sich das Fell kratzte, dann meinte er: ´Na, hier ist ja ganz schön was explodiert, was? Da komm ich nichtsahnend daher, freu mich, dich zu sehen, und nun das.´

´Ja, schließlich warte ich doch auf dich.´ Leo brummelte sich etwas Unverständliches in den Bart. ´Also, du Dussel, warten war nicht ausgemacht. Wenn ich da bin, bin ich da.´

Klar, ausgemacht war nichts, aber Hanna hatte nun leider Gottes schon für Zwei geträumt, sie klappte also erstmal schmollend ihren Mund zu und sagte nichts mehr. Dann eben nicht, dachte sie, ich kann auch anders.

´Das hälst du doch eh nicht durch, also lass es gleich sein.´ hörte sie Leos Stimme und sie hatte das dumme Gefühl, dass er sich ein Lächeln nicht verkneifen konnte. Nun ja, wenn sie ganz ehrlich war, musste sie zugeben, dass sie sich wie ein Kind aufführte. Dabei wollte sie doch endlich auf eigenen Füßen stehen. Hanna seufzte.

´Na, wieder gut?´ hörte sie Leo ganz nah an ihrem Ohr. Sie sah sich schnell um, doch schon war er wieder hinter den Büschen.

´Ich hab dich doch nur vermisst.´ versuchte sie es nochmal. ´Ach´ Hanna hatte das Gefühl, dass Leo sich genüsslich räkelte. ´Vermisst werden tut gut!´

Hanna wollte schon wieder aufbrausen, doch sie ließ es. Er hatte ja Recht, was hätte sie ihm schon zu bieten außer ein paar Sehnsüchte und Träume, die sich erst im Alltag beweisen mussten?

In der Nacht träumte Hanna wieder von der alten Frau, die sie damals im Wald getroffen hatte, als sie sich dort verirrte. Die Alte meinte: ´Na, dir gehts wohl nicht so gut, was? Du hast dir das Ganze einfacher vorgestellt.´ Ja, Hanna fing an zu schluchzen. ´Ich fühle mich oft so allein, so machtlos und ausgeliefert.´

Die Frau schüttelte den Kopf. ´Warum müsst ihr jungen Dinger nur immer gleich anfangen zu heulen? Ihr lamentiert und lamentiert, sabbelt von Gleichberechtigung, und wenn ihr dann auf eigenen Füßen stehen wollt, erwartet ihr, dass euch einer aufrecht hinstellt, am Besten noch unter Palmen. Ja, aber ... begann Hanna, wurde jedoch sofort unterbrochen. Nix aber. Pass mal auf. Wenn du dich benimmst wie ein Kind, wird man dich behandeln wie ein Kind.´

Hanna schwante so was, als hätte Leo schon mal was Ähnliches gesagt. ´Kennst du etwa Leo?´ fragte sie.

´Ach, Leo ist es. Ja, ich kenn ihn.´ Sie lächelte verträumt. ´Bei Leo bist du gut aufgehoben. Fragt sich nur, ob er bei dir auch gut aufgehoben ist!´ Sie schaute prüfend und betont grimmig. Hanna machte den Mund auf, holte tief Luft ... doch die Alte winkte lachend ab. ´Lass gut sein! Wird schon schief gehen. Außerdem ... verliebt sein ist doch was Schönes.´ Sie tätschelte mit ihrer Hand leicht Hannas Schulter und ging. Hanna hasste es, getätschelt zu werden.

Beim nächsten Treffen mit Leo meinte Hanna zu ihm: ´Weißt du was, ich habe etwas beschlossen.´ Leo grunzte. ´Na, das ist doch schon mal was. Und willst du es auch wissen?´

´Sicher, Kleines, sicher will ich es wissen.´ Klang Leo etwa schon wieder schläfrig? Hanna versuchte, durch die Büsche zu schauen, handelte sich aber nur einen vorwurfsvollen Räusperer von der anderen Seite ein.

´Also .... ich habe mir gedacht, ich werde Holz sammeln gehen, für meine eigene Hütte. Vielleicht geht es dann schneller. Weißt du, wenn ich nicht wie ein Kind behandelt werden will, dann sollte ich mich auch nicht wie eines benehmen.´

´Na, das ist ja mal ne Erkenntnis.´ klang es gelangweilt herüber. ´Stammt die von dir?´ Grinste er etwa? Dies war mal wieder einer der Momente, da Hanna Leo gern vors Schienbein getreten hätte.

´Sag mal, Leo,´ Hanna stütze ihren Kopf auf ihre Hand. ´Kennst du diese alte Frau, die im Wald lebt?´ ´Ich kenn ne Menge Frauen.´ meinte er ´und die älteren habens mir besonders angetan.´ Diesmal war Hanna sich sicher, dass Leo grinste. ´Wieso?´ fragte er noch unschuldig.

´Ich mein ja nur. Aber Leo, wenn ich meine Hütte habe, wirst du dann da sein?´ ´Bin ich nicht immer da?´ Hanna sprang auf. ´Och Leo, du weißt genau, was ich meine!´

Hanna hörte ein Ächzen und Stöhnen, womit sich immer Leos Aufbruch ankündigte. ´Klar weiß ich, was du meinst. Mach du erstmal deine Hütte klar, stell dich auf deine zwei hübschen Beine, und .....´ Der Rest ging im Knacken des Holzes und dem Stampfen seiner lauten Schritte unter.

Hanna wollte ihm schon nachrufen, wann er denn wohl wiederkäme, doch sie konnte sich gerade noch bremsen. Sie stemmte die Hände in ihre Hüften. ´Und die beiden sind bestimmt doch irgendwie verwandt.´ meinte sie zu sich.

´Was immer du sagst, Kleines! Und ähm ... ich vermiss dich auch ... schon mal!´ tönte es aus dem Wald, und Hanna musste lächeln.

Birgit Enser
30.06.2003

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.07.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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