Olaf Lüken

Deutschland - einig Vaterland ?

Gestern - Heute

Lasst jenen Kräften
unsere Sorge gelten,
die keine Wertschöpfung
betreiben sondern Handel.
Die wirklich Mächtigen
sind die Geldgeber,
die Investoren.
Menschen, die kaum
jemand kennt.


Es herrscht ein wütender Regen mit Graupeln und Sturm. Am Fenster verschwimmen die Konturen der Nachbarhäuser und Bäume. Ich sitze vor dem Fernseher und zappe mich durch Fragespiele, Verkaufssendungen, Bares für Rares, Krawallkomiken, Kochklamauks, Seifenopern und Kurznachrichten, vorbei an den unsäglichen Talkshows und ihren unsäglichen Themen, vorbei an den unsäglichen Moderatoren mit ihren trampelnden, klatschenden und grölenden Gästen. Fernsehen macht die Klugen klüger und die Dummen dümmer, sagt die Welt. Quatsch !- denke ich. Deutschlands Flimmerkiste macht dick, doof und gewaltbereit. Trash-TV und Klatschmedien wollen nichts anderes als die turbototale Bespaßung eines jeden Individuums. Die Verblödung der Gesell -schaft wird in Kauf genommen.  Es geht um eine nie endende Bespaßung der Republik.  Den Spitzenplatz nehmen die privaten Sendestationen ein, die Deutschlands Geschmacksfreie mit ihren Vulgärbotschaften unterhalten. Massenevent und Ganzjahreskarneval für Deutschlands Einkommensschwache Ich hänge in einem der bundesweit ausgestrahlten Drittprogramme fest, das sich dem Tagesthema Armut und Reichtum in der Bundesrepublik  widmet. Eine Reportage überträgt den fast unbemerkten Tod einer mutterseelenallein verstorbenen Frau. Die Kamera macht einen Schwenk ins Sterbezimmer. Papierberge stapeln sich bis zur Decke. In der Ecke steht ein unbeschreiblich verdrecktes Bett.

 

Ein anderer Fernsehbericht informiert über ein Society Diner, mehr Selbstfeier und  Chartiy-Event, zu der die Münchner  Regenbogenpresse  die A- und B-Promis des Freistaat Bayern  geladen hatte. Hier locken Champagner, Cholesterin und Kokain. Kaviar statt Käsebrötchen. Zwischen Tamtam und Ballyho, mit viel Bling-Bling und noch mehr Chichi. "Hier geht was", würde Robert Geiss aus dem selbsternannten Hause Geissini sagen.Hier hier blüht die toxische Reaktion von Reichtum und Eitelkeit. Kaum ist der erste Locker-mach-Champagner durch die Jetsetkehlen geflossen, demonstriert deutscher Geld- und Promiadel mit seinem Protz-, Prunk- und  Prestigegehabe. Ihre Schandmäuler richten die Partypinsel gegen die "Verlierer im Land". Von Neidgesellschaft und sozialer Hängematte ist  mal wieder die Rede. Wer bisher glaubte, dass der Charme der Bourgeoisie ein diskreter sei, irrt. Dem Schampus folgen blumig duftende Cocktails und rauchig zarte Cognacs. Dann ist wieder vom schwarzen Pack die Rede,  die über das Mittelmeer ins heilige Europa wollen. Auch die Kaste der Armen, immerhin knapp 20 Prozent der bundesdeutschen Gesellschaft, landet in die Schubladen "spätrömische Dekadenz" und "Prekariat". Boulevardblatt "BILD", von der Kaste der Bildungsfernen auch noch bevorzugt gekauft und gelesen, hat die wahren Sozialschmarotzer ausgemacht. Eine der obskuren Überschriften titelt "ERWISCHT!" Berichtet wird über Mallorca Karin, des Landes frechste Sozialabzockerin. Ich frage mich: Wie kommt es, dass bei der Rettung des Euro, mit dem Geld der Allgemeinheit - vorzugsweise die großen Vermögen gerettet wurden ? Waren es die Hartz-IV-Empfänger, Altersarme und Bildungsferne, die am Fiskus vorbei eine Billion Euro in die Steueroasen transferierten ? Also jene, die täglich zu Hunderttausenden vor den Nahrungs-, Medikamenten- und Tiertafeln stehen ? Menschen, die sich von ihren Mitmenschen beschämen lassen müssen und keine Kraft mehr haben, weil von Lobbyisten geliebte Politiker mit sozialreformerischer Ideenlosigkeit glänzen ? Hungerlöhne statt ein menschenwürdiges Einkommen, geschönte Armutsberichte, statt Anstand und Wahrhaftigkeit ?

Wissen Deutschlands Mittelständler nicht, dass Armut offener Strafvollzug ist ? Zwischen 2000 und 2020 wurden und werden mehr als fünf Billionen Euro vererbt. Besäßen wir - wie andere Länder - eine Erbschaftssteuer von 50 Prozent, hätte die Merkelrepublik mehr als 2,5 Billionen Euro zur Verfügung, die sie für den Ausbau des Bildungssystems, des Ver- kehrsnetzes und in die Renovierung der Infrastruktur in den west- und ostdeutschen Städten einsetzen könnte. Anstatt die Erbschaftssteuer auf Normalniveau anzuheben, hat die Politik wieder einmal dem Druck der Lobby nachgegeben Arme in Deutschland. Das sind nicht nur die Bettler auf der Straße, die vor einer Suppenküche Schlange stehen oder die Obdachlosen, die unter Brücken schlafen. Es sind auch diejenigen, die man grundsätzlich für arbeitsscheu, ausländerfeindlich, total resigniert oder für frustrierte Nichtwähler hält und schon gar nicht jenes Schreckgespenst, das aus der Gosse kommt. Zu den "Armen"gehören auch jene, die in unserer "Bleib-ewig-jung-Gesellschaft" 40 Jahre und älter sind. Menschen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, weil die Firma wegen mangelnder Auftragseingänge Konkurs anmelden musste. Der Absturz in die Katakomben der Gesellschaft lässt sich schnell beschreiben: Erst arbeitslos, dann Arbeitsamt. Die Umschulung zum IT-Spezialisten abgelehnt, weil zu alt. Mit Hilfe der Jobberater erfolglos Bewerbungen abgeschickt, selbst einen Minijob gefunden, wieder Konkurs. Einen Ein-Euro-Job zugesagt bekommen. Stelle gestrichen.Jetzt locken obskure Leihfirmen und Stellenanbieter mit ihren Billigjobs und dubiosen Telefonieangeboten, statt mit einer anständigen und zukunftssicheren Tätigkeit mit beruflicher Qualifikation. 800.00 Langzeitarbeitslose können sich nicht irren.

Deutschland braucht eine Gesellschaft, die einen Sinn für eine soziale Gerechtigkeit hat und sich solidarisch zeigt.  Wir stehen am Rande einer technologischen Revolution, die alles verändern wird. Künstliche Intelligenz und Big Data. Wehren wir uns heute nicht, werden wir morgen von den Ereignissen überrollt.

 

(C)  Olaf Lüken  (2017)

Erschien in der "Jungen Welt"(3.7.2014) unter "Sozialer Abstieg"
Erschien im Magazin "Querkopf" für Arbeits- u. Obdachlose (November 20177)

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.11.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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