"Schneiden Sie Zwiebeln, Knoblauch, Karotten und Sellerie in feine Stücke und dünsten Sie das Ganze in Olivenöl an!" Wir befinden uns mitten in der Kochshow "Küchenschlacht". Deutschland im Koch- und Essfieber. Wohin man auch guckt, in Magazinen, Zeitschriften und Zeitungen, im Fernsehen sowieso - überall ist nur vom Essen die Rede. Essen, Trinken, Kochen, Brutzeln - Deutschlands Gaumenkontakter suchen die perfekte Harmonie auf dem Essteller. Das Glück der Menschheit scheint heute davon abzuhängen, ob wir die richtige Herdplatte haben und wissen, wie man Zwiebeln schneidet. Eine Welle von Belehrungen über modernes Essen ist über uns hereingebrochen. Also weg von der Erbsensuppe und hin zum Kaisergranat in Safransauce oder zur Jakobsmuschel in der Mohnkruste, garniert mit weißen Albatrüffeln - aus dem Piemont. Wohlgemerkt. Es ist zum Tütenaufreißen. Eine Horde von Fernsehköchen, die neuen Götter in Weiß, propagiert den Spaß beim Essen und beim Degustieren. Erfülltes Leben findet nicht am Familientisch statt, sondern beim Kartoffel-, Gurken- und Karottenschälen. Wir werden Opfer einer Zwangspsychose, bei der der davon Befallene glaubt, kochen zu können oder kochen lernen zu müssen. Kochen wird heute als krönender Akt der Schöpfung zelebriert, und das Um-die-Wette-Schnippeln gilt in deutschen Fernsehstuben als schicker und trendiger Leistungssport. Dauerbespaßung wohin das Auge reicht. Besonders peinlich wird es, wenn der Fernsehkoch, der neue Gott in Weiß, sein Studiopublikum penetrant zum Klatschen auffordert und jeden noch so dämlichen "Kochfurz" zum telegenen Eventereignis macht. So nudelt sich eine ganze Hobbykochgenera -tion durch eine italienische Eierravioli. Schuhbeck sei Dank, wenn er vor Ex-Kanzler Schröder bruzzeln darf, Herrn Beckenbauer eine persönliche Ehrenerklärung abgibt und Hobbyköche zu Hanseln erklärt, wenn sie nicht seiner Meinung sind. Solchen verknöcherten Kochdiven sollte man von vornherein eine Anerkennung verweigern. Es sind charakterliche Zwerge.
Paradoxerweise wird in deutschen Haushalten immer seltener gekocht, so die Umfragen der letzten Jahre. Man wärmt Vorgekochtes auf oder geht gleich zum Schnellimbiss. Die Schule des guten Geschmacks, der Familientisch, existiert kaum noch. Die Kinder, mit Nutella, Fritten und Ketchup plus Limo abgefüttert sind auf Jahre für den kulinarischen Genuss verdorben. In der Erwachsenenwelt rangiert Genuss weit hinter der Vorstellung, dass Geiz ungleich geiler ist. Kein Wunder, wenn die von Politik und Medien festgestellte Unterschicht gutes Essen für ein Luxusgut hält, das mangels Geld nicht bezahlbar ist. Unsere im Fernsehen vorgespielte Esskultur entspricht keineswegs einem Massenbedürfnis nach besserer Produktqualität, sondern ist lediglich Ausdruck dafür, dass Kochen zu einem Statussymbol einer immer kleiner werdenden Mittelschicht geworden ist. Die Qualität unseres Essen findet nur dann Eingang in die öffentliche Diskussion, wenn sie das Angst-Thema "Gesundheitsgefährdung" berührt. Dann gerät eine ganze Nation vorübergehend in Panik, und die deutsche Küche ist von Pestiziden, Herbiziden und Fungiziden umzingelt. Aus Angst vor Seuchen sind wir fast zu Vegetariern geworden. Und es gibt noch dieses meist überflüssige Zubehör an Messer-Bänken aus dem Designstudio, das hundertste Buch über Olivenöl und Essigvarianten, Pfeffer- und Salzsorten und der ganze dekorative Krimskrams, den niemand wirklich braucht, der aber überall angepriesen wird, als hinge von seinem Besitz der Aufstieg des Käufers in die Gourmetklasse ab. So kann Otto Normalverbraucher, der übrigens eine Marketing-Erfindung wie Markus Möglich ist, sich ins Establishment hineinkochen. Erinnern Sie sich nocht an Otto, den Normalverbraucher ?
Niemand kann uns bei der Lust übertreffen, die das Auffinden der passenden Produkte macht. Die Suche nach dem richtigen Lammfleisch kann mühsam sein, aber war sie erfolgreich, ist der Gewinn unendlich größer. Um ein herrliches Menü zu servieren, stehe ich auch mal drei und mehr Stunden in der Küche. Aber es sind Stunden voller Freude auf eine Mahlzeit, deren Aroma kein Chemiker und kein Verpackungskünstler beeinflusst hat. Aber wenn wir uns nicht vorsehen, werden sie trotzdem die Oberhand gewinnen, die Massenproduzenten und Geschmacksingenieure. Unter der glitzernden Oberfläche ihrer Versprechungen halten sie alle Maßnahmen bereit, mit denen sie uns bei unserer Bequemlichkeit packen und uns zur Sünde verführen.
(C) Olaf Lüken (2017)
Im Kölner Stadt-Anzeiger unter "Dauerspaß am Herd - es ist zum Tütenaufreißen v. 8.7.2009
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.11.2017.
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